Zeitumstellung: Die Uhr tickt – die EU bleibt stehen

Von der Unfähigkeit, Probleme zu lösen

Das Brexit-Chaos tobt, Erdogan lässt die Panzer rollen und droht mit Flüchtlingsinvasion, die spanische Regierung ist unfähig zum Dialog in Katalonien, Donald Trump trampelt durch die Weltpolitik, und ich erinnere an die noch immer ausstehende Lösung für die Zeitumstellung in der Europäischen Union. Stimmen da die Proportionen? Ich stelle diese Fragen gewiss nicht auf die gleiche Ebene, aber auch bei der Zeitumstellung tapsen die Politdilettanten durchs Land und zeigen, dass in unserer europäischen Gemeinschaft selbst kleine Probleme nicht gelöst, sondern verschoben werden. So wie im Kleinen, ist es zunehmend auch im Großen: Sachgerechte Lösungen sind Mangelware und der Entscheidungsmut scheint Europa zunehmend zu fehlen. Ich kann mit der Zeitumstellung leben, sowohl mit reiner Sommer- als auch Winterzeit, aber es stört mich, wenn Jean-Claude Juncker, der scheidende EU-Kommissionspräsident nach einer fragwürdigen Umfrage zur Abschaffung der Zeitumstellung im August 2018 verkündet „Die Menschen wollen das, wir machen das“. Und dann verläuft sich die ganze Truppe im Dschungel der europäischen und nationalen Befindlichkeiten.

Zahlreiche Uhren aus dem Schwarzwald hängen an einer Wand.
Bei so vielen Uhren – wie im Schwarzwald-Museum in Triberg – macht die Zeitumstellung wirklich Arbeit! Ich persönlich kann mit der Zeitumstellung oder einem neuen EU-weiten Zeitsystem leben. Was mich aber auf die Palme treibt, das sind die hohlen Phrasen, die nicht nur der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker von sich gibt. „Die Menschen wollen das, wir machen das”, so Juncker zur Abschaffung der Zeitumstellung. Doch dann reichte er die Frage ohne sinnvolle Antwortvorschläge an die EU-Staaten zurück. (Bild: Ulsamer)

Vorhang auf für Junckers Polit-Theater

Der Altmeister der Nebelgranaten, Jean-Claude Juncker, spielte sich nach der nicht repräsentativen Umfrage zur Zeitumstellung als Oberdemokrat auf. Ich dagegen hätte weit lieber meine Meinung zur EU-Agrarpolitik eingebracht, aber leider wollte sie in Brüssel keiner wissen. So verkündet die EU-Kommission 2018 nach einer Umfrage zur Zeitumstellung: „4,6 Mio. Rückmeldungen aus allen 28 Mitgliedstaaten“ seien eingegangen. „Mehr Antworten wurden bislang bei keiner anderen öffentlichen Konsultation der Kommission eingereicht.“ Und 84 Prozent der Teilnehmer hätten sich dafür ausgesprochen, “die halbjährliche Zeitumstellung abzuschaffen“. Das klang ja geradezu nach einem demokratischen Erweckungserlebnis: Endlich wird der Wille der EU-Völker ernstgenommen und eine Änderung auf den Weg gebracht! Nun sollte man aber bei der Beteiligungsquote doch die Kirche im Dorf lassen, denn 4,6 Millionen Rückmeldungen bei über 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in der EU – dies würde bei allen wirklich wichtigen europäischen Fragen kaum als Quorum anerkannt werden! Und so verhärtete sich mein Verdacht, dass uns das große Demokratie-Theater nur vorgespielt wurde, da es sich um keine Frage mit weitreichenden Folgen handelt.

Apropos Demokratie: Nur in Deutschland, Österreich und Luxemburg hatte sich überhaupt mehr als 1 Prozent der Bevölkerung an der Internet-Befragung zur Zeitumstellung beteiligt. Klarer Spitzenreiter dabei waren wir Deutschen mit 3,79 %. Und so entfielen auf deutsche Teilnehmer auch 3 Mio. Antworten. Somit war es geradezu lächerlich, dass Juncker – aufbauend auf dieses Ergebnis – zur Abschaffung der Zeitumstellung blies. Seine Fanfare hat tatsächlich bei den anderen EU-Regierungen wenig Anklang gefunden. Zwar beschäftigte sich dann das Europaparlament mit der weltbewegenden Frage der Zeitumstellung und stimmte Ende März 2019 für deren Abschaffung. Doch damit war im Grunde nichts gewonnen, denn die eigentliche Entscheidung müssen nun die EU-Mitgliedsstaaten treffen. Da frage ich mich dann schon, welche Bedeutung die EU wirklich hat, wenn sie das ungelöste Thema kurzerhand an die Mitglieder zurückreicht. Der „Wir machen das“-Kommissionspräsident wird zum Glück nicht mehr die Geschicke unserer Union in führender Position mitbestimmen, wenn vielleicht doch noch mal eine einheitliche Zeitlösung gefunden wird.

Große weiße Uhr mit schwarzen Zeigern und einem dunkelbraunen Metallrand.
Wer Probleme erst aufwirft, um sie dann nicht lösen zu können, der handelt fahrlässig. Die EU hätte besser erst gar keine Umfrage zur Zeitumstellung durchgeführt, wenn sie anschließend keine sachgerechten Vorschläge für zukunftsorientierte Zeitsysteme vorlegen kann. Vielleicht sollten die Bürokraten und Politiker mal die Deutsche Uhrenstraße – hier Villingen-Schwenningen – abfahren, um Anregungen zu bekommen! (Bild: Ulsamer)

Wird’s Uhrmacherin von der Leyen richten?

Ich zweifle auch daran, dass Ursula von der Leyen mehr Dynamik entfalten wird. Wer nur ins Amt kommt, weil Emmanuel Macron keinen der Spitzenkandidaten nach der Europawahl als Kommissionspräsidenten akzeptierte, der hat ohne eigenes Zutun keinen fulminanten Start. Dann aber zusätzlich noch mit Kommissionsmitgliedern antreten zu wollen, die bereits von der nationalen Justiz bzw. der EU-Antikorruptionsbehörde kritisch unter die Lupe genommen werden, der handelt fahrlässig. Darauf habe ich früh hingewiesen, und siehe da, so ganz alleine war ich mit meiner Meinung nicht: Das Europaparlament verwies diese Herrschaften des Platzes! Können wir von Ursula von der Leyen, die ins Amt stolpert, mehr Schlagkraft als von Jean-Claude Juncker erwarten? Das wird sich zeigen! Ihre Performance als deutsche Verteidigungsministerin lässt mich allerdings zweifeln. Ob sie wirklich weiß, was die Uhr geschlagen hat?

Zurück zur Zeitumstellung. Wenn die Probleme überhandnehmen und die Kompromissfähigkeit überstrapaziert ist – man denke an die Flüchtlingsverteilung -, dann hätte die EU-Kommission besser die Finger von der Suche nach einem neuen Zeitsystem für die Gemeinschaft gelassen. Und „Wir machen das“ wird zur Bankrotterklärung, wenn die EU unter Kommissionspräsident Juncker nicht in der Lage war, einen für alle Mitgliedsstaaten akzeptablen Reformvorschlag vorzulegen. Auch beim Brexit-Gerangel zeigte es sich, dass die EU-Vorreiter um Jean-Claude Juncker und Chefverhandler Michel Barnier, nicht versuchten, sich in das Gegenüber hinein zu denken, und darum scheiterten sie. Dasselbe gilt für Emmanuel Macron, den irischen Premierminister Leo Varadkar oder Bundeskanzlerin Angela Merkel – in dieser Frage und etlichen anderen. Sollte auch Ursula von der Leyen das Thema Zeitumstellung nicht richten können, dann geht die EU-Welt gewiss nicht unter, aber die EU und ihre Mitgliedsstaaten haben sich mal wieder als handlungsunfähig erwiesen.

Eine weiße Tauve sitzt in einem leeren Fensterrahmen aus Natursteinen. Daneben eine Uhr mit goldenen Ziffern und Zeigern. Eine weiße Taube sitzt im Fensterrahmen.
Von der EU-Kommission hätte ich nach Jean-Claude Junckers großspuriger Aussage zur Zeitumstellung „Die Menschen wollen das, wir machen das”, größere Anstrengungen zur Findung eines europäischen Kompromisses und Konsenses erwartet. Ein zeitlicher Flickenteppich würde in Europa niemandem dienen. Oder warten alle darauf, dass die Friedenstaube einen Vorschlag ‚einfliegt‘? Leider zeigt die Uhr im englischen East Sussex schon fast Zwölf: Gibt es doch noch ein zweites Referendum, um den Brexit abzuwenden? (Bild: Ulsamer)

Innovative Zukunftsentwürfe fehlen!

Wir werden mit der Zeitumstellung weiterleben können, die uns seit 1980 in Deutschland gefällt oder plagt, und die in der EU seit 1996 gilt. Und selbstredend gibt es – wie ich ausführte – gewichtigere Probleme, die zu lösen sind. Andererseits ist dieses Gezauder ein beredtes Beispiel für die Unfähigkeit der EU und ihrer Mitglieder, Schwierigkeiten sachgerecht und zeitnah zu lösen. Mehrere Zehntausend Beamte der EU hätten sicherlich einen Kompromissvorschlag zum Zeitsystem der Zukunft erarbeiten und mit den Mitgliedsstaaten diskutieren können, wenn die politische Führung dies wirklich gewünscht hätte.

Von der EU erwarte ich, wenn sie wirklich ihre Aufgaben erfüllen soll, dass sie sich nicht verzettelt, sondern konsequent auf zentrale Themen der Zusammenarbeit konzentriert. Wer, wie Jean-Claude Juncker, als EU-Kommissionspräsident Herausforderungen geradezu kreierte – „wir machen das“ -, der hätte auch zukunftsorientierte Lösungen vorschlagen müssen. Doch: Fehlanzeige! Und dies gilt für die Zeitumstellung ebenso wie für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU. Bleiben die innovativen Zukunftsentwürfe aus, dann zweifeln BürgerInnen zunehmend an der Schlagkraft und der Bedeutung der EU. Als überzeugtem Europäer tut es mir regelrecht weh, wenn ich die Dilettanten in der EU am Werk sehe! Und dies gilt nicht nur für das Phantomthema ‚Zeitumstellung‘. Die Uhr tickt unaufhaltsam, aber die EU bleibt stehen.

 

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