Zeit und Kosten explodieren bei der Staatstheater-Sanierung
Es gab Zeiten, da habe ich Winfried Kretschmann ein klein wenig bewundert, denn er hatte es vom maoistischen Studenten bis zum grünen Ministerpräsidenten gebracht, und dies ausgerechnet in Baden-Württemberg, wo die CDU lange als unbesiegbar galt. Kretschmann verstand es, den Christdemokraten Wählerinnen und Wähler abspenstig zu machen, indem er einen innovations- und wirtschaftsfreundlichen Kurs einschlug. Seine Bodenständigkeit bewies er nicht nur mit seinem Wohnsitz in Laiz, einem Ortsteil von Sigmaringen im Naturpark Obere Donau am südlichen Rand der Schwäbischen Alb, sondern auch mit seinem schwäbischen Dialekt. Spätestens in der dritten Amtsperiode zeigen sich allerdings immer deutlichere Abnutzungserscheinungen, die mich an die letzte Amtszeit von Angela Merkel erinnern. So manches Mal soll das Schwäbische im Grunde nur die Eigenwilligkeit übertünchen und dem ‚Basta‘ eines Gerhard Schröders ein freundliches Mäntelchen umlegen. Dies wird bei den Diskussionen um die Sanierung und Erweiterung des Stuttgarter Opernhauses besonders deutlich: „Grombiera statt Kunscht gibt es mit mir nicht“, beschied er Journalisten und Öffentlichkeit, als laut und vernehmlich die Frage gestellt wurde, ob denn anderthalb, vielleicht auch 2 Mrd. Euro nicht etwas viel seien, um die Räumlichkeiten für Oper und Ballett in Stuttgart auf Vordermann zu bringen. Über die üppig wachsenden Kosten habe ich bereits in meinem Blog berichtet, als Kritik noch unter den Teppich gekehrt werden sollte. Je unwirscher Ministerpräsident Kretschmann auf Nachfragen reagiert, desto lauter werden die Fragen nach dem Umfang, den Kosten und den angedachten Zeiträumen für die Sanierung. Wenn man sich Teile des Opernpublikums auf den teureren Plätzen anschaut, dann ist die Wiedereröffnung des Littmann-Baus im Jahr 2044 oder später schon so eine Sache. Mit meinen 72 Jahren warte ich ungeduldig auf die Eröffnung des neuen Tiefbahnhofs in Stuttgart und die direkte Fahrt nach Ulm über die Schnellbahntrasse, die sich ebenfalls seit Jahren verzögert. Stuttgart braucht ganz gewiss kein weiteres Projekt, das sich mühsam bei explodierenden Kosten in eine ungewisse Zukunft schleppt.
Denkmalschutz ausgehebelt
Irgendwie amüsiert es mich wahrlich, dass Winfried Kretschmann und Gleichgesinnte zwar über die steigenden Kosten bei Stuttgart 21 schimpfen und nicht gewillt sind, sich an den Mehrkosten für den Stuttgarter Hauptbahnhof zu beteiligen, dass aber bei der Opernsanierung Geld keine Rolle zu spielen scheint – ausgerechnet in einer Zeit, in der die öffentlichen Haushalte wenig Spielraum haben. Bei Kosten in Milliardenhöhe für die Sanierung und Erweiterung des Littmann-Baus aus dem Jahre 1912 sollten Nachfragen nach der Sinnhaftigkeit des Vorhabens nicht mit einem „Grombiera“-Vergleich – ein Wort für ‚Kartoffeln‘ auf erz-schwäbisch – vom Tisch gewischt werden. Es geht nicht darum, die Sanierung des Opernhauses zu stoppen, ganz im Gegenteil: Hätten Landesregierung und Stadt Stuttgart nicht über Jahre ein allumfassendes Projekt zusammengebastelt, hätte längst Schritt um Schritt saniert werden können. Erschreckend ist beim grünen Ministerpräsidenten Kretschmann und dem Stuttgarter CDU-Oberbürgermeister Frank Nopper auch das fragwürdige Verständnis des Denkmalschutzes. „Der Littmann‐Bau ist eines der wenigen historischen Gebäude in Stuttgart, das im Zweiten Weltkrieg weitgehend unbeschadet erhalten geblieben ist“, so heißt es zutreffend auf der Internetseite der Stadt Stuttgart, und dennoch soll für den Einbau einer Kreuzbühne die dem Landtag zugewandte Seite des historischen Gebäudes verschoben werden. Da ist der Denkmalschutz bei privaten Gebäuden pingeliger.
In meinem Beitrag ‚Stuttgart: Erst vergammeln lassen, dann teuer sanieren. Opernhaus, Villa Berg und Villa Moser wurden sträflich vernachlässigt‘ bin ich auf die unrühmliche Vorgeschichte der Milliarden-Sanierung eingegangen, daher möchte ich mich an dieser Stelle nicht nochmals ausführlich damit befassen. Früh übte der Bund der Steuerzahler Kritik am ausufernden Prestigeprojekt und belegte mit einer repräsentativen Umfrage, dass in Stadt und Land – den beiden hälftigen Kostenträgern – eine Dreiviertelmehrheit für eine Neuplanung votiert hatte. Um eine Neuorientierung drückten sich die Entscheider in der Villa Reitzenstein und im Stuttgarter Rathaus allerdings herum: Eine breite Bürgerbeteiligung wurde durch Gesprächsrunden mit 50 zufällig ausgewählten Bürgern ersetzt! Wer so handelt, der vertritt eine Vorstellung von Demokratie, die nicht die meine ist. Eine umfassende Bürgerbeteiligung aller betroffenen oder interessierten Bürgerinnen und Bürger hätte friedensstiftend wirken können. Miteinander zu reden statt übereinander, das hilft allemal! Mehr dazu in: ‚Stuttgart: Keine Mehrheit für milliardenteure Opernsanierung. Volksabstimmung sollte Klarheit bringen‘. Eine Volksabstimmung scheuten besonders die Grünen, denn sie hatten sich zumindest in der Frühzeit ihrer Partei für mehr direkte Bürgerbeteiligung eingesetzt, doch bei der Abstimmung über Stuttgart 21 zogen sie den Kürzeren und scheuen Volksabstimmungen seither wie der Teufel das Weihwasser.
Grombiera nicht unterschätzen
Wehe, wenn man andere wichtige, vielleicht sogar bedeutsamere Aufgabenfelder mit den immensen Ausgaben für die Opernsanierung in Verbindung setzt, dann schleudert der grummelnde Polit-Zeus aus der Villa Reitzenstein seine Blitze gegen jedermann: „Schulen haben wir Tausende, Staatstheater haben wir zwei“. Diese Art der Verteidigung von Finanzmitteln für die Württembergischen Staatstheater erschließt sich mir nun gar nicht! Sind Schulen mit gammeligen Toiletten und angejahrten Klassenzimmern, weil es viele davon gibt, weniger wichtig? Gerade im Musikunterricht dürfte sich mitentscheiden, ob sich auch in Zukunft die Ränge im Opernhaus füllen! „Wenn wir Spitzenkräfte hier haben wollen, dann wollen die gute Kultur geboten bekommen“, raunte Kretschmann. Das mag sein, aber sie kamen auch in den letzten Jahren nach Stuttgart, obwohl der Littmann-Bau zunehmend hinfälliger wurde und die Politik zu wenig Geld für dessen Instandhaltung bereitstellte. Nun hatte ich reichlich mit hochqualifizierten Zuzüglern zu tun, die in die baden-württembergische Hauptstadt kamen, und die erste Frage galt nicht dem Opernhaus, sondern dem Angebot an Schulen und Universitäten, angemessenem Wohnraum und dem Verkehr.
Der etwas herablassend geäußerte Gegensatz von Kunst und den besagten Grombiera passt nun wirklich nicht nach Stuttgart und zum Landesherrn in der Villa Reitzenstein, der seine Gäste gerne im Neuen Schloss empfängt. Dabei denke ich nicht nur an die Mitbürgerinnen und Mitbürger, die sich im nicht allzu weit entfernten Tafelladen anstellen oder im Sozialamt anstehen – früher vor dem Gebäude, jetzt im Internet -, sondern an die Geschichte unseres Bundeslandes. Das Stuttgarter Volksfest wurde als „Landwirtschaftliches Fest zu Kannstadt” ins Leben gerufen, um nach Jahren des Hungers 1818 neue landwirtschaftliche Produktionsmethoden voranzutreiben. König Wilhelm I. und seiner Frau, der Zarentochter Königin Katharina, war die Bedeutung von Grombiera und anderen Feldfrüchten – nach Hungerjahren – wohl klarer als dem grünen Ministerpräsidenten. Weitere Gedanken hierzu finden Sie in: ‚Zwischen Hungersnot und Volksfest. Was verband Württemberg und Irland im 19. Jahrhundert?‘ Da mag sich Ministerpräsident Kretschmann in einen künstlichen Gegensatz von Grombiera und Kunst verspinnen, doch eines dürfte klar sein, Mehrheiten lassen sich nicht mit Milliarden für das Opernhaus oder eine räumliche Verdopplung des Kanzleramts gewinnen, sondern Menschen müssen sicher sein, dass sie sich Grombiera und ihre Lebenshaltung weiter leisten können.
Dem Vergammeln zugesehen!
Wer heute Kritiker abkanzelt, der möchte nur vergessen machen, dass seit Jahren, sogar Jahrzehnten, Zeit gewesen wäre, in überschaubaren Schritten das Opernhaus instand zu halten, doch drängelten sich weder Ministerpräsident Kretschmann noch Oberbürgermeister Nopper bzw. deren jeweilige Vorgänger ans Mikrofon, um den Einzug der Handwerker zu verkünden. In unseren Tagen, die gravierende wirtschaftliche, technologische und politische Herausforderungen mit sich bringen, sind Milliarden für ein Opernhaus oder die Verdopplung des Kanzleramts in Berlin nicht akzeptabel und dies gilt in gleicher Weise für den befürchteten Zuwachs an Parlamentariern im baden-württembergischen Landtag. Den Grünen war ein neues Wahlrecht eine Herzensangelegenheit, denn mit einer zweiten Stimme für Landeslisten lassen sich besser die gewünschten Kandidaten in den Landtag bringen als beim bisherigen Einstimmenverfahren. Werden wir Bürger eigentlich nur noch als Melkkühe betrachtet? Steuerzahler sollen Prestigeprojekte der Parteien und Regierungen finanzieren, die nicht in unsere Zeit passen, allein deshalb, weil eine rechtzeitige, schrittweise Instandhaltung der Infrastruktur des Opernhauses oder anderer Baulichkeiten verschlafen worden war. Wer sich dann über Politikverdrossenheit und die Stärkung der politischen Ränder echauffiert, der übersieht die Ursachen im Politikbetrieb.
Wie abgehoben manche Politiker sind, ließ sich auch am baden-württembergischen Finanzminister Danyal Bayaz (Bündnis90/ Die Grünen) ablesen, der Dachteile, die vom Opernhaus bei einem Sturm abgehoben hatten, zu einem Kunstwerk stilisierte. Auf allen anderen umliegenden Gebäuden war nichts passiert, doch Segmente des Kupferdachs landeten als Knäuel auf dem Boden und wurden als Mahnmal gegen den Klimawandel im Eckensee platziert – natürlich auf Kosten von uns Steuerzahlern. Der Bund der Steuerzahler monierte das zurecht in seinem Schwarzbuch. Nicht der Klimawandel trug die Schuld am Dachschaden, sondern die vernachlässigte Instandhaltung des Opernhauses. Mehr dazu in: ‚Stuttgart: Wenn das Operndach als Knäuel endet … und der Klimawandel schuld sein soll.‘
Auch Ministerpräsident Kretschmann hat dem Vergammeln des Opernhauses in den bisherigen Amtsperioden zugesehen, da helfen jetzt zur Ablenkung auch keine Grombiera-Aversionen. Kretschmann durfte ich anhand von Projekten kennenlernen, bei denen es um den technologischen Fortschritt in der Automobilindustrie ging, und er zeigte sich stets aufgeschlossen für die politische Diskussion. Umso bitterer ist es, wenn er zunehmend Debatten mit zweifelhaften Vergleichen abzuwürgen versucht. Grombiera sind wichtig für uns alle, und sicherlich auch für den Mittagstisch des Ministerpräsidenten. Daher sollte Winfried Kretschmann offen für Kritik an den monströsen Kosten für die Sanierung des Opernhauses sein, denn mit dem Abbügeln kritischer Äußerungen leistet der Ministerpräsident der Kunst und gerade den sozial schlechter gestellten Mitbürgern einen Bärendienst. Es geht nicht um „Grombiera statt Kunst“ – wie der Ministerpräsident befürchtet -, sondern um die Erkenntnis, dass es sich mit Kartoffeln im Bauch um so besser künstlerisch tätig sein lässt oder man der ‚Kunst‘ folgen kann.
Zum Beitragsbild
„Grombiera statt Kunst“ gibt es mit Ministerpräsident Kretschmann nicht, doch die Frage muss durchaus erlaubt sein, ob ein oder zwei Milliarden Euro für die Sanierung und Erweiterung des Stuttgarter Opernhauses nicht etwas viel sind. Wer am Tafelladen für Kartoffeln ansteht, der dürfte wenig Sinn für die Sprüche des baden-württembergischen Ministerpräsidenten haben. Wo sind nur die Offenheit und gewisse Leichtigkeit des grünen Politikers geblieben, der im einst CDU-regierten „Ländle“ bereits in der dritten Amtsperiode an der Spitze steht. Apropos „Ländle“: Die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg hat sich einer Imagekampagne verschrieben, die mit dem Motto „The Länd“ national und insbesondere global hochqualifizierte Menschen ins Land holen soll. Für 21 Mio. Euro an Steuergeldern bekommen die nicht englischsprachigen Bürgerinnen und Bürger auch noch amtliche Aussprachehilfe: „Ganz einfach Thunge thwischen die Thähne – und dann The Länd“. Mehr dazu in: ‘Vom Ländle in „The Länd“. Baden-Württemberg startet skurrile Imagekampagne. (Bild: Ulsamer)