Wiesenpieper ohne Lebensraum

Wenn Wiesen, Weiden, Moore und Dünen verschwinden

Viele Vogelarten sind immer seltener zu sehen, was besonders für den Wiesenpieper gilt. Aber auch die Populationen von Staren oder Spatzen – früheren ‚Allerweltsvögeln‘ – haben stark abgenommen. In der Roten Liste für Deutschland ist der Wiesenpieper als stark gefährdet verzeichnet. Ein langfristiger Rückgang konnte nicht gebremst werden, so dass beim kurzfristigen Bestandstrend sogar eine ‚sehr starke Abnahme‘ aufgeführt wird. So wanderte der Wiesenpieper von der Vorwarnliste in einem Schritt zur Kategorie ‚stark gefährdet‘ der bundesweiten Rote Liste. In Bayern schätzt man die Lage als noch bedrohlicher ein, dort ist der Wiesenpieper bereits ‚vom Aussterben bedroht‘.  Im Grunde ist dies nicht verwunderlich, denn wo gibt es noch vielfältige Wiesen, die nicht zu einheitlichem Grünland mutiert sind, das fünf- oder gar siebenmal jährlich gemäht wird? Die industrialisierte Landwirtschaft mit Feldern voller Monokulturen bis zum Horizont oder der Umbruch von Wiesen zu Ackerland entriss dem Wiesenpieper seinen Lebensraum. Hecken wurden bei Flurbereinigungen plattgewalzt, und damit verschwanden auch die Ansitzmöglichkeiten. Tümpel wurden zugeschüttet, so verarmte die Landschaft immer stärker, und Wasser wird zunehmend knapper. Insektizide rauben dem Wiesenpieper die Nahrung. Die Gülle auf Grünland lässt zwar das Gras für die in Massenställen gehaltenen Rinder reichlich wachsen, doch sie spült die Welt des Wiesenpiepers wie eine Sintflut hinweg. Und nicht nur naturnahe Weideflächen und Wiesen, die diesem Pieper seinen Namen gaben, sind deutlich weniger geworden, sondern auch Feuchtgebiete wie Moore oder Heideflächen. Hier würde sich der Wiesenpieper wohlfühlen, sein Lebensraum dagegen wurde nicht selten trockengelegt oder gleich weggebaggert.

Ein Wiesenpieper auf einem Betonpfahl. Der Vogel ist hellbraun am Unterkörper und dunkler bei den Rückenfedern. Er hat ein kleines Tier im Schnabel.
Der Lebensraum des Wiesenpiepers wird weiter zerstört, und so ist es nicht verwunderlich, dass er inzwischen Seltenheitswert hat. Wenn das Habitat – Wiesen, Weiden – intensiv landwirtschaftlich genutzt wird, fehlt es an Nistplätzen und Futter. (Bild: Ulsamer)

Wohnungslos und hungrig

Bei seinen Nahrungsquellen sieht es ebenfalls schlecht aus. Insekten und Spinnen sucht der Wiesenpieper für sich und seine Küken, und es wird zunehmend schwieriger, solche zu finden. Das katastrophale Insektensterben hat direkte Auswirkungen auf alle Vögel, die Insekten verspeisen. Die Forschungsstation Randecker Maar auf der Schwäbischen Alb in Baden-Württemberg beobachtet seit einem halben Jahrhundert Insekten, und das Ergebnis ist dramatisch: Der Rückgang der Schwebfliegen beträgt bis zu 97 %! Die Grundlage für die erwähnte Studie legten Wulf Gatter und seine Mitstreiter durch die Beobachtung von ziehenden Insekten (und auch Vögeln) per Fernglas, wobei die Ergebnisse ebenso in eine systematische Erfassung über 50 Jahre einflossen, wie die Insektenfänge mit Reusen. Der Entomologische Verein Krefeld, der sich seit über 100 Jahren der wissenschaftlich orientierten Insektenkunde widmet, hat in einer Langzeitstudie von 1989 bis 2016 einen Rückgang der Biomasse von Fluginsekten von über 75 % festgestellt – und dies in über 60 Naturschutzgebieten. Ganz folgerichtig ist der Schwund an Insekten auf landwirtschaftlichen Monokulturen noch dramatischer. Hunderte von wissenschaftlichen Untersuchungen verzeichnen weltweit einen katastrophalen Rückgang der Insekten, doch die bundesdeutsche und europäische Politik setzt sich nicht konsequent genug für bessere Lebensbedingungen von Wildbienen und Schmetterlingen ein. Mehr dazu in meinem Blog-Beitrag ‚Der Schnabel bleibt leer. Den Vögeln fehlen Insekten und Regenwürmer‘.

Ein Wiesenpieper badet in einer kleinen Pfütze, die sich auf einem Felsbrocken gebildet hat.
Wasser ist für Singvögel nicht nur zum Trinken wichtig, sondern zumeist lieben sie zur Gefiederpflege auch ein Bad. Viele Tümpel wurden zugeschüttet, zeitweilig überschwemmte Senken, Weiher oder mäandrierende Bäche sind selten geworden, und so fehlt besonders in Dürrezeiten das Wasser. (Bild: Ulsamer)

In der Winterzeit kommt der Wiesenpieper auch mit kleinen Sämereien über die Runden, wenn er denn solche findet. Häufig fehlen jedoch breite Ackerränder oder extensiv genutzte Wiesen, wo Kräuter noch Nahrung anbieten könnten. Selbst Blühstreifen werden meist mit dem dahinter versteckten Mais abgemäht, ganz selten bleiben sie über den Winter stehen. Um die Sämereien verdauen zu können, verschluckt der Wiesenpieper im Übrigen kleine Steinchen, die im Magen wie Mahlsteine wirken. Der Wiesenpieper hat im Grunde gleich dreifaches Pech: Extensiv genutzte Wiesen oder Feuchtgebiete sind eine Seltenheit geworden, und damit fehlen dem Bodenbrüter ruhige Plätzchen für das napfförmige Nest. Insekten als Hauptnahrung sind in stark abnehmendem Maße in unserer Landschaft zu finden. Und als Zugvogel, der den Winter gerne in Südeuropa oder Nordafrika verbringt, trachten dem Wiesenpieper noch immer Vogelfänger nach dem Leben, die das kleine gefiederte Wesen lieber auf ihrem Teller sehen wollen als am Himmel. So ist es kein Wunder, dass im neuesten Vogelschutzbericht von 2019, den die Bundesregierung jeweils auch an die EU weiterreicht, für den Zeitraum von 1980 bis 2016 ein Rückgang um 79 % beim Wiesenpieper zu berichten ist. Eine desaströse Entwicklung! Die Red List der IUCN, die mit Unterstützung der EU erstellt wird, spiegelt diesen Negativtrend aus verschiedenen Staaten nicht vollständig wider, obwohl die Abnahme der Wiesenpieperbestände bestätigt wird. Im letzten Jahrzehnt hätten sich die Bestände nur noch um 5 bis 10 % verringert. Dies halte ich allerdings für keinen Trost, vor allem, wenn bei der weiteren Abnahme der erwachsenen Vögel schlicht ‚Unknown‘ steht. Da frage ich mich dann schon, welche Funktion eine solche ‚Red List‘ haben soll.

Der Kopf eines Schafes mit einem roten Farbfleck und einem Ohr miit gelber Marke. Im Vordergrund im Gras ein Wiesenpieper bei der Futtersuche.
Extensiv genutzte Weideflächen bieten Lebensraum für den Wiesenpieper, doch viele wurden in intensiv bewirtschaftetes Grünland umgewandelt. Dort fehlen ruhige Plätzchen für den Botenbrüter, der sein Nest aus Gräsern und Halmen formt und gerne mit Tierhaaren auspolstert. Die Weidetierhaltung muss stärker gefördert werden! (Bild: Ulsamer)

Landnutzung verändern

Manchen Vögeln kann man im urbanen Bereich zumindest ein kärgliches Überleben mit Nistkästen oder Futter- und Wasserstellen sichern, wie wir es auch versuchen, doch dem Wiesenpieper kann ausschließlich die Rückgabe seines Lebensraums helfen. Natürlich bin ich mir bewusst, dass die Politik bisher mehrheitlich nicht gewillt zu sein scheint, die an Fläche und Ertrag orientierte EU-Agrarpolitik grundlegend zu reformieren, und so bleibt das System der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) eine grünlackierte Subventionsmaschine. Nicht nur in Deutschland, sondern in zahlreichen anderen Staaten wurden aus extensiven Weiden für Schafe oder Rinder unter Zuhilfenahme von Dünger und Pestiziden sowie einem nicht unerheblichen Maschineneinsatz Grünland oder gar Felder. Hierfür hat die Politik die Hauptschuld zu tragen, denn sie hat die Leitplanken eingerammt, zwischen denen sich die Mehrheit der Landwirte bewegt. Wenn die Landwirtschaft nicht ökologischer wird, hat der Wiesenpieper keine Überlebenschance. Aber auch Wanderer oder Strandbesucher sollten die noch vorhandenen Dünen mit ihrem kärglichen Bewuchs den Wiesenpiepern und anderen Artgenossen überlassen. Und wer heute Feuchtgebiete trockenlegt oder gar Moore zerstört, der ist nicht nur für den Niedergang des Wiesenpiepers verantwortlich, sondern vergeht sich an der Natur insgesamt.

Wiesenpieper sitzt auf einem Holzpfosten, davor einige Äste noch ohne Blätter.
Wenn der Wiesenpieper am Boden auf Futtersuche geht, ist er häufig schlecht zu erkennen. Nur gut, dass er gerne von einer Warte aus die Umgebung beobachtet. (Bild: Ulsamer)

Über einen Rückgang der Vogelpopulationen um 17 bis 19 % berichten die Autoren einer Studie, die den Zeitraum von 1980 bis 2017 umfasst und sich auf die Europäische Union und das Vereinigte Königreich bezieht. Der Vogelbestand hat seit 1970 in den USA um rd. 29 % abgenommen, was einer Abnahme von 2,9 Milliarden Vögeln entspricht! Mehr zu diesen Studien finden Sie in meinem Blog-Beitrag ‚600 Millionen Vögel weniger in Europa‘. Unsere Natur verarmt täglich mehr, was nicht nur Vögel und Insekten betrifft, sondern eine Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten. Wenn wir das Ruder nicht herumreißen und den Tieren und Pflanzen wieder mehr Raum zum Leben zugestehen, dann verstärken wir vorhandene Probleme im Bereich der Biodiversität, deren Folgen gewiss nicht hinter der Erderwärmung zurückstehen. Der Wiesenpieper ist nur ein Leidtragender unter vielen, an ihm lässt sich allerdings besonders eindrücklich aufzeigen, wie schnell der Verlust von Lebensraum zum Niedergang einer Vogelart führt. Der Wiesenpieper und andere gefiederte Mitlebewesen benötigen jetzt unsere Hilfe – ansonsten dürfte es zu spät sein!

 

Wiesenpieper sitzt auf dem oberen Teil einer Gabione aus Metall. Dahinter eine grüne Wiese.
Auch menschliche Bauwerke nutzt der Wiesenpieper als Warte bei der Nahrungssuche. Wichtig ist nur, dass sich im Umfeld ein ruhiges Plätzchen für das Nest finden lässt. (Bild: Ulsamer)

 

Ein Wiesenpieper auf einem Pfosten sitzend mit einem Schmetterling als Beute im Schnabel.
Der dramatische Rückgang vieler Insekten um 75 % oder mehr raubt auch dem Wiesenpieper seine Nahrung. In meinem Blog finden Sie mehrere Beiträge zum Insektensterben, u.a. ‚Galoppierender Insektenschwund und lahmende Politiker. Rückgänge um bis zu 97 % bei Schwebfliegen‘. (Bild: Ulsamer)

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