Selbst Regenwürmer stehen auf der Roten Liste
Nun habe ich schon so manche Pflanze eingebuddelt und auch mal ein Stück im Garten umgegraben, und da sind sie, die Regenwürmer. Eigentlich hätte ich mir nicht vorstellen können, dass sich immer mehr Regenwürmer auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten wiederfinden. Der ‚rege Wurm‘, so wurde er für sein emsiges Treiben bis ins 16. Jahrhundert genannt, regt sich immer seltener. Und dies liegt gewiss nicht daran, dass er weniger gewillt wäre, aus Pflanzenresten und Erde lebenswichtigen Dünger zu produzieren, sondern an uns Menschen: Monokulturen aus Mais, Äcker statt Wiesen, Bodenverdichtung, Gülleflut, Glyphosat & Co. machen den Regenwürmern das Leben schwer. Nur dumm, dass der Regenwurm blind und stumm ist, so kann er nicht mal einen Hilferuf aussenden. Wahrscheinlich bliebe dieser bei so manchem Zeitgenossen ohnehin ungehört, dem immer noch nicht aufgefallen ist, dass weit farbenprächtigere Insekten und Vögel beständig seltener werden.
Der Regenwurm als Düngeproduzent
Wer gräbt schon gerne sein Gemüsebeet um? Vermutlich kaum ein Zweibeiner. Ganz anders der Regenwurm, von dem in Deutschland noch 46 Arten vorkommen. Sein Lebenselixier ist die Erde unserer Gärten, Parks, Wiesen, Äcker und Wälder. Nicht nur die Erde wandert durch seinen Körper, sondern auch Blätter und andere Pflanzenreste, die er – verarbeitet – als Kot wieder ausscheidet: und schon ist der Boden gedüngt und durchlüftet. Da dem Regenwurm die Kauwerkzeuge fehlen, zieht er Blätter in seine Gänge, wo sie dann von Bakterien und Pilzen so zerlegt werden, dass sie der Regenwurm aufnehmen kann. „Der Kot von Regenwürmern ist nichts anderes als besonders gute Erde. Bodenbiologen haben herausgefunden, dass ein Regenwurmhäufchen ein besserer Dünger ist als die gleiche Menge Kompost“, so Djuke Nickelsen vom NABU.
Der Regenwurm gräbt sich mehrere Meter tief in den Boden, und seine Gänge tragen auch dazu bei, dass der Boden bei Regen mehr Wasser aufnehmen und auch länger speichern kann. Fehlen diese Gänge gerade auch bei großflächigen Maismonokulturen immer öfter, so nimmt bei Starkregen auch die Überschwemmungsgefahr dramatisch zu. Deshalb hat der Regenwurm – auch wenn dies sein Name nahelegt – im eigentlichen Wortsinne zwar nichts mit dem Regen zu tun, doch sorgt er durch seine unermüdliche Arbeit dafür, Überschwemmungsgefahren einzudämmen. Im Übrigen flüchten die Würmer bei Regen auch nicht an die Oberfläche, weil sie ertrinken würden, sondern das Geräusch, das die Tropfen auf dem Boden auslösen, lockt sie nach oben: Dort droht ihnen dann Gefahr durch hungrige Vögel und das für ihn schädliche UV-Licht. Regenwürmer überleben auch über längere Zeit im Boden, wenn dieser überschwemmt wird.
Auch Krankheiten verhindert der ‚rege Wurm‘
Sehr lecker findet der Regenwurm Pflanzenreste, „auf denen sich gefährliche Schädlingspilze vermehren. Auf diese Art machen die Regenwürmer zahlreiche potenziell krankmachende Pilzarten unschädlich“, so der WWF. Durch seine eifrige Ess-Arbeit reduziert der Wurm „Rhizoctonia solani, eine Pilzart, die Kartoffelpocken und Rübenfäule verursacht; alle Arten von Fusaria, welche sich gerne auf Getreidestoppeln vermehren, u.a. zu Weizen-Schrumpfkörnern oder Maiskolbenfäule führen und für Menschen giftig sind; auch eine Vielzahl von Cladosporium-Schimmelpilzen werden im Regenwurmdarm unschädlich gemacht. Auch Krankheiten der Obstbäume werden stark reduziert“, wenn genügend fleißige Regenwürmer die Blätter in die Tiefe ziehen und zu Dünger verarbeiten.
Rd. 120 Regenwürmer kriechen – so der WWF – pro Quadratmeter durch einen intakten Ackerboden und verspeisen „im Laufe eines Winterhalbjahres von einer Fläche von 100×100 Metern (also einem Hektar) die gewaltige Menge von 6 Tonnen Stroh. Und in derselben Zeit bedecken sie den Boden einen Zentimeter dick mit frischen und stabilen Krümeln.“
Fehlen die Regenwürmer als Helfer in Landwirtschaft und Gärten, dann muss zusätzlich vermehrt Kunstdünger oder Gülle eingesetzt werden, und damit dreht sich der Kreislauf des Würmer-Schwunds noch schneller, verbunden mit all den anderen Problemen, die der Einsatz von Pestiziden und Überdüngung mit sich bringt. Und werden die erwähnten Pilzkrankheiten nicht durch das Wirken des Regenwurms zurückgedrängt, dann kommen vermehrt Fungizide zum Einsatz, die wiederum der Natur schaden.
Wenn der Hungertod droht
Abgeräumte Gemüsebeete und Ackerflächen, deren braune Erde vielleicht das Herz mancher Landwirte und Kleingärtner im Winterhalbjahr erfreut, bedeuten den Tod vieler Regenwürmer, weil sie keine Nahrung finden. Wenn jedem Unkräutlein, das sich zeigt, mit Glyphosat der Garaus gemacht wird, wenn Zwischenfrüchte auf dem Acker fehlen, dann ist der Tisch für den Regenwurm nicht mehr reichlich gedeckt: Es droht ihm eine Hungersnot. Auch in einer Fichtenkultur, die keinen grünen Unterwuchs zulässt, ist für den Regenwurm Schmalhans Küchenmeister. Manche schön gefegte Parkanlage oder gar noch Schottergärten machen dem Regenwurm das Leben schwer oder gar unmöglich.
Die Gülleflut verunreinigt nicht nur unser Trinkwasser, sondern sie schadet auch den Regenwürmern. Die Gülle setzt Ammoniak frei, der den Würmern die Haut verätzt. Natürlich ist Gülle ein natürliches Überbleibsel der Stallhaltung, aber bei manchen Betrieben wird zu viel Gülle auf eine zu kleine Fläche ausgebracht. Der Grund dafür liegt in der Massentierhaltung, bei der häufig das Futter nicht von den umliegenden Flächen stammt, sondern Soja aus Brasilien verfüttert wird. Dieses Thema wurde mir noch bewusster, als ich für ein technisches Projekt eine Fläche suchte und dabei mit vielen Landwirten gesprochen habe. Die landwirtschaftlichen Flächen waren für einen Schweinezüchter bzw. einen Halter von Legehennen als Futterquelle bedeutungslos, es ging nur darum, Gülle oder Mist zu verteilen. Der auf der Fläche erzeugte Mais wanderte dagegen in die Biogasanlage – und dort verbleiben wiederum Schlämme, die ausgebracht werden müssen. Grundvoraussetzung für die Eindämmung der Gülleflut ist ein adäquates Verhältnis von Fläche zum Tierbesatz – und wo immer möglich sollten die Tiere auf der Weide gehalten werden.
Der eifrige Helfer wird bedroht
Bereits 2015 erschien in den Scientific Reports eine Studie, die die negativen Auswirkungen von Herbiziden wie Glyphosat auf die Vermehrung von verschiedenen Regenwurmarten unterstrich: „Glyphosate-based herbicides reduce the activity and reproduction of earthworms“. Aber auch der Einsatz von Ackergeräten zum falschen Zeitpunkt kann die Regenwurmpopulation stark schädigen. Der BUND betont unter Bezug auf eine Studie der österreichischen Universität für Bodenkultur, „dass Regenwürmer durch Glyphosat massiv geschädigt werden. Und damit auch die Umwelt, denn Regenwürmer sind eine Schlüsselspezies für Bodengesundheit und Fruchtbarkeit.“ Dennoch werden Glyphosat-Erzeugnisse in der EU weiterhin auf landwirtschaftlichen Flächen, aber auch in Privatgärten eingesetzt.
Der Regenwurm mag ein unscheinbarer Bodenbewohner sein, doch er leistet viel für die Reduzierung von Pflanzenkrankheiten, er produziert hochwertigen Dünger und sorgt mit seinen Gängen für eine optimale Durchfeuchtung und Durchlüftung der Erde. Und selbst im Hochwasserschutz sind die Würmer aktiv, denn durch die von ihnen geschaffenen Öffnungen dringt das Regenwasser in den Boden ein. So haben wir mit dem Regenwurm einen besonders aktiven Mitarbeiter von Landwirten und Gärtnern, doch anstatt ihn zu fördern rauben ihm manche Zeitgenossen die Lebensgrundlage. Dem Regenwurm nutzt es – wie anderen Tierarten auch – wenig, wenn er auf der Roten Liste steht: Dies dokumentiert seinen Rückgang und wir alle müssten reagieren, aber wer den Insekten- und Vogelschwund mit einem Achselzucken kommentiert oder mal wieder auf die nächste Studie wartet, der leistet keinen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt.
Neuorientierung der EU-Agrarpolitik zwingend
Wir brauchen eine Neuorientierung der EU-Agrarpolitik, wenn wir wirklich etwas gegen das Verschwinden der Regenwürmer, der Insekten und Vögel tun wollen. Wer weiterhin auf Flächenprämien setzt statt auf Ökologie und Nachhaltigkeit, der leistet der Natur und uns Menschen einen ‚Bärendienst‘. Eigentlich sollte ich diesen Begriff nicht benutzen, denn der einzige Bär, der seit Jahr und Tag den Weg nach Deutschland fand, wurde in Bayern erschossen. Die Ausweitung des Ökolandbaus ist zwingend, doch auch in allen anderen landwirtschaftlichen Betrieben müssen die ökologischen Aktivitäten stärker in den Vordergrund treten. Die industrielle Landwirtschaft und ihre negativen Auswirkungen auf die Natur sind offensichtlich, doch sie sind nicht den einzelnen Bauern anzulasten, sondern einer abstrusen EU-Agrarpolitik!
Eine ganze Palette von Maßnahmen muss ergriffen werden, um den Regenwurm zu schützen: Die Bodenverdichtung durch schwerste Maschinen und der Einsatz der chemischen Keule müssen reduziert werden. Grünland muss erhalten werden, und die Fruchtfolge muss so orientiert werden, dass die Regenwürmer auch einen gedeckten Tisch vorfinden. Die Tierhaltung hat sich an der Fläche zu orientieren, denn dann fällt auch weniger Gülle an.
Ist es nicht abstrus, dass wir uns – neben der Sorge um Vögel und Insekten und generell um eine lebenswerte Umwelt auch für uns Menschen – schon Gedanken um den Erhalt der Regenwürmer machen müssen? Und dies wegen der gravierenden Eingriffe des Menschen in die Natur! Ich kann nur hoffen, dass die Politik stärker als bisher auf eine sachgerechte Ökologisierung der Landwirtschaft setzt, die dafür Sorge trägt, dass sich der ‚rege Wurm‘ auch wieder regen kann!
4 Antworten auf „Wenn sich der ‚rege Wurm‘ immer seltener regt“