Vom Erzberger-Gedenkstein zur Hindenburg-Hütte
Wer wandert, der sieht viel von der Welt und oft auch Details, die ansonsten vielleicht verborgen geblieben wären. Dies gilt für die Eidechse an einer Trockensteinmauer, die Blindschleiche am Wegesrand oder den Distelfalter auf dessen Lieblingspflanze. Aber wer nicht durch die Landschaft braust, sondern sich Zeit nimmt, der trifft auch auf historische Orte – wie den Gedenkstein für den 1921 ermordeten Zentrumspolitiker Matthias Erzberger bei Bad Griesbach im Schwarzwald – oder eine Schutzhütte in der Nähe des Neidlinger Wasserfalls auf der Schwäbischen Alb, die noch immer dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg gewidmet ist. Manche Mitbürger scheinen vergessen zu haben, dass Hindenburg Adolf Hitler in den Sattel half. Vielleicht gibt es ja auch in Ihrer Umgebung noch eine Straße oder einen Platz, der Hindenburgs Namen trägt, obwohl er mit seiner ‚Dolchstoßlegende‘ zu den geistigen Vätern des Attentats auf Erzberger zählte.
Makaber: Ausgerechnet eine Schutzhütte trägt Hindenburgs Namen
Manchmal denke ich, es wäre vielleicht besser, sich beim Wandern nicht auch noch mit politisch oder historisch wichtigen Plätzen zu befassen, doch wenn ich den Namen Hindenburgs an einer Schutzhütte prangen sehe, dann frage ich mich schon, ob die deutsche Geschichte manchen Zeitgenossen fremdgeblieben ist. Die Holzhütte wurde hoch über der Gemeinde Neidlingen 1914 errichtet, und damals mag mancher der Erbauer noch ein positives Verhältnis zu Paul von Hindenburg gehabt haben. Allerdings hätte ich mir bereits bei der Erneuerung 1976 vom Albverein Neidlingen und dem Forstamt Weilheim/Teck etwas mehr Nachdenklichkeit gewünscht. Noch mehr gilt das für unsere Tage, in denen jedem deutlich geworden sein sollte, dass Feldmarschall Paul von Hindenburg mitverantwortlich war für die erbarmungslose Kriegsführung des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg und sich dann – wie seine Spießgesellen – darum drückte, die Niederlage einzugestehen.
Etwas zugespitzt könnte man sagen, die Militärs und der Adel hatten sich vom Acker gemacht und überließen es dem Volksschullehrer von der Schwäbischen Alb, Matthias Erzberger, und dem gelernten Sattlergesellen, Friedrich Ebert, die sie vorher gerne geschmäht hatten, den Waffenstillstand zu unterschreiben und Deutschland durch eine turbulente Zeit zu führen. Dem zivilen Politiker Erzberger schoben rechtsnationale und militaristische Kreise die Schuld für den verlorenen Krieg unter. Das Heer sei, so die Lesart von Paul von Hindenburg und gleichgesinnten rechtsextremistischen Gruppierungen, im Feld ungeschlagen gewesen und Erzberger und andere demokratische Politiker – wie Friedrich Ebert – hätten die Soldaten gewissermaßen aus dem Hinterhalt gemeuchelt. Nichts konnte ferner von der Realität sein! Doch diese ‚Dolchstoßlegende‘ bildete den Nährboden für Morde an demokratischen Politikern. Solche Fake News der übelsten Sorte halten sich leider viel zu lange. Sollten heute noch immer Straßen oder die Schutzhütte über Neidlingen den Namen Paul von Hindenburgs tragen? Ich denke, nein! An Weitblick scheint es denen zu fehlen, die dieser Hütte nicht einen würdigeren Namen gegeben haben. Und ausgerechnet eine Schutzhütte nach dem früheren Feldmarschall zu benennen, der für millionenfachen Tod verantwortlich ist, das ist schon geradezu blasphemisch.
Gedenkstein für Matthias Erzberger wurde aufgewertet
Deutlich weniger als 50 Kilometer von der nach Paul von Hindenburg benannten Schutzhütte wurde im Übrigen Matthias Erzberger in Buttenhausen, heute ein Ortsteil der Stadt Münsingen, auf der Schwäbischen Alb geboren. Da ich auf den Lebensweg von Erzberger bereits mehrfach in meinem Blog eingegangen bin, zuletzt zum 100. Jahrestag seiner Ermordung, verweise ich gerne auf diese Beiträge. Nicht nur die Gegend um Neidlingen bietet viele Wanderwege, sondern dasselbe gilt auch für Buttenhausen an der Großen Lauter. Wer nicht so gerne wandert, dafür aber Kanu fährt, der kann – abhängig von den Schutzzeiten für Tiere – in Richtung Donau starten. Neben dem Geburtshaus Erzbergers, das heute ein kleines und spannendes Museum zu seinem Wirken beherbergt, sollten Sie, liebe Leserinnen und Leser, in Buttenhausen, auch die ehemalige Bernheimer’sche Realschule besuchen, denn dort wird in herausragender Weise ein anderer Teil unserer deutschen Geschichte in einem Museum lebendig: das Zusammenleben christlicher und jüdischer Einwohner bis zum Terror und der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten. Die Dorfgemeinschaft bestand rund zur Hälfte aus Juden bzw. Protestanten, nur einige Familien waren – wie die Erzbergers – katholischen Glaubens. Das übernächste Gebäude zu Erzbergers Geburtshaus beherbergte die Synagoge, die von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Wenn Sie nach dem Besuch der Gedenkstätte der kleinen Straße den Berg hinauf folgen, erreichen Sie den jüdischen Friedhof, der bis heute zum Glück erhalten geblieben ist.
Ermordet wurde Matthias Erzberger im Schwarzwald, wo er mit seiner Familie auf Erholung von den Attacken rechtsextremistischer Gegner gehofft hatte. Lange stand der Gedenkstein für Matthias Erzberger wenig beachtet an der Aufstiegsstraße von Bad Griesbach zur Schwarzwaldhochstraße. Bereits im Oktober 2017 hatte ich nicht nur in meinem Blog darüber berichtet, sondern auch der Gemeindeverwaltung Bad Peterstal-Griesbach gegenüber das wenig ansprechende Umfeld in einer engen Kurve thematisiert. Und zum 100. Jahrestag des feigen Attentats auf den Zentrumspolitiker Erzberger erfuhr der Gedenkstein – nahe des Anschlagsortes – eine Aufwertung: Eine Informationstafel vermittelt einen guten Überblick über das Leben und das politische Wirken Erzbergers, und es laden sogar Bank und Tisch Wanderer zu einer kleinen Rast ein. Selbst der Wanderweg – Matthias Erzberger Weg – ist wieder besser zugänglich, der von Bad Griesbach – heute mit Peterstal zu einer Gemeinde vereinigt – zur Stelle des Attentats führt. Man wandert so auf den Spuren von Matthias Erzberger und seinem Parlamentskollegen Carl Diez, der die Schüsse schwer verletzt überlebte, in Richtung Kniebis.
Matthias Erzberger wurde am 26. August 1921 von rechtsextremistischen Attentätern der ‚Organisation Consul‘ mit acht Schüssen ermordet. Sein Kampf für Demokratie und Frieden sollte für uns Vorbild sein. Es genügt nicht, Matthias Erzberger hin und wieder in einer Feierstunde zu gedenken, sondern sein Handeln müssen wir als Ansporn und Mahnung verstehen, Demokratie und Freiheit zu verteidigen und engagiert für den Rechtsstaat einzutreten. Und Straßen oder die Schutzhütte bei Neidlingen, die nach Paul von Hindenburg benannt sind, sollten endlich den Namen von Matthias Erzberger oder Friedrich Ebert tragen!
Für mich wandert die Geschichte unseres Landes oder anderer Regionen immer mit, und im Grunde suchen wir auch immer wieder historische Orte als Wanderziele in Stadt und Land aus. Dabei verwundert es mich schon, dass es in Deutschland noch zahllose Hindenburgstraßen gibt, und zumeist selbst eine kritische Würdigung vor Ort fehlt. Nun gehöre ich gewiss nicht zu den Bilderstürmern, die jede Statue einer historischen Person vom Sockel stoßen wollte, der in ‚grauer Vorzeit’ irgendetwas zur Last gelegt wird, doch bei Paul von Hindenburg würde ich mir mehr Geschichtsbewusstsein in unserer Gesellschaft wünschen.
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Der Text des Gedenksteins für Matthias Erzberger an der Griesbacher Steige klingt aus meiner Sicht etwas beschönigend, denn statt „starb“ sollte es eigentlich „ermordet“ heißen. Die nun aufgestellte Informationstafel ist daher umso wichtiger. (Bild: Ulsamer)