Die Geschichte wandert mit

Vom Erzberger-Gedenkstein zur Hindenburg-Hütte

Wer wandert, der sieht viel von der Welt und oft auch Details, die ansonsten vielleicht verborgen geblieben wären. Dies gilt für die Eidechse an einer Trockensteinmauer, die Blindschleiche am Wegesrand oder den Distelfalter auf dessen Lieblingspflanze. Aber wer nicht durch die Landschaft braust, sondern sich Zeit nimmt, der trifft auch auf historische Orte – wie den Gedenkstein für den 1921 ermordeten Zentrumspolitiker Matthias Erzberger bei Bad Griesbach im Schwarzwald – oder eine Schutzhütte in der Nähe des Neidlinger Wasserfalls auf der Schwäbischen Alb, die noch immer dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg gewidmet ist. Manche Mitbürger scheinen vergessen zu haben, dass Hindenburg Adolf Hitler in den Sattel half. Vielleicht gibt es ja auch in Ihrer Umgebung noch eine Straße oder einen Platz, der Hindenburgs Namen trägt, obwohl er mit seiner ‚Dolchstoßlegende‘ zu den geistigen Vätern des Attentats auf Erzberger zählte.

Vorne offene Holzhütte mit Sitzgelgenheiten. Umgeben ist sie seitlich und hinten von Bäumen. An der Seite lehnen Wanderstöcke. Eine Person betrachtet die Umgebung.
Eine Wanderung zum Neidlinger Wasserfall auf der Schwäbischen Alb führte uns an der nach Paul von Hindenburg benannten Schutzhütte vorbei. Hindenburg war nicht nur als Feldmarschall für die erbarmungslose Kriegsführung im Ersten Weltkrieg an vorderster Stelle verantwortlich, sondern auch an der Verlängerung des Krieges, der Millionen Menschen das Leben kostete. Matthias Erzberger u. a. konnten sich im Reichstag nicht mit einer Friedensresolution durchsetzen. Mit der von Hindenburg propagierten Falschaussage, das Heer sei im Feld ungeschlagen gewesen und von demokratischen Politikern hinterrücks erdolcht worden, befruchtete er den Boden, aus dem rechtsterroristische Organisationen ihre verhängnisvolle Kraft zogen. So ist Hindenburg auch einer der geistigen Väter für den Mord an Matthias Erzberger. Und ausgerechnet ihm sind heute noch Straßen oder diese Schutzhütte über dem Neidlinger Tal in Baden-Württemberg gewidmet. (Bild: Ulsamer)

Makaber: Ausgerechnet eine Schutzhütte trägt Hindenburgs Namen

Manchmal denke ich, es wäre vielleicht besser, sich beim Wandern nicht auch noch mit politisch oder historisch wichtigen Plätzen zu befassen, doch wenn ich den Namen Hindenburgs an einer Schutzhütte prangen sehe, dann frage ich mich schon, ob die deutsche Geschichte manchen Zeitgenossen fremdgeblieben ist. Die Holzhütte wurde hoch über der Gemeinde Neidlingen 1914 errichtet, und damals mag mancher der Erbauer noch ein positives Verhältnis zu Paul von Hindenburg gehabt haben. Allerdings hätte ich mir bereits bei der Erneuerung 1976 vom Albverein Neidlingen und dem Forstamt Weilheim/Teck etwas mehr Nachdenklichkeit gewünscht. Noch mehr gilt das für unsere Tage, in denen jedem deutlich geworden sein sollte, dass Feldmarschall Paul von Hindenburg mitverantwortlich war für die erbarmungslose Kriegsführung des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg und sich dann – wie seine Spießgesellen – darum drückte, die Niederlage einzugestehen.

Widmungstext zur Hütte: "HindenburgHütte / Erb. 1914 Erneuert 1976 / Forstamt Weilheim/Teck / Albverein Neidlingen
Es ist schon leicht makaber, wenn ausgerechnet eine Schutzhütte heute noch den Namen von Paul von Hindenburg trägt. Die von Hindenburg betriebene erbarmungslose Kriegsführung hat gewiss niemanden geschützt, sondern Millionen Menschen das Leben gekostet. (Bild: Ulsamer)

Etwas zugespitzt könnte man sagen, die Militärs und der Adel hatten sich vom Acker gemacht und überließen es dem Volksschullehrer von der Schwäbischen Alb, Matthias Erzberger, und dem gelernten Sattlergesellen, Friedrich Ebert, die sie vorher gerne geschmäht hatten, den Waffenstillstand zu unterschreiben und Deutschland durch eine turbulente Zeit zu führen. Dem zivilen Politiker Erzberger schoben rechtsnationale und militaristische Kreise die Schuld für den verlorenen Krieg unter. Das Heer sei, so die Lesart von Paul von Hindenburg und gleichgesinnten rechtsextremistischen Gruppierungen, im Feld ungeschlagen gewesen und Erzberger und andere demokratische Politiker – wie Friedrich Ebert – hätten die Soldaten gewissermaßen aus dem Hinterhalt gemeuchelt. Nichts konnte ferner von der Realität sein! Doch diese ‚Dolchstoßlegende‘ bildete den Nährboden für Morde an demokratischen Politikern. Solche Fake News der übelsten Sorte halten sich leider viel zu lange. Sollten heute noch immer Straßen oder die Schutzhütte über Neidlingen den Namen Paul von Hindenburgs tragen? Ich denke, nein! An Weitblick scheint es denen zu fehlen, die dieser Hütte nicht einen würdigeren Namen gegeben haben. Und ausgerechnet eine Schutzhütte nach dem früheren Feldmarschall zu benennen, der für millionenfachen Tod verantwortlich ist, das ist schon geradezu blasphemisch.

Gedenkstein für Matthias Erzberger - Text siehe Beitragsbild - , daneben Tisch und Bänke sowie eine Informationstafel.
Ein Gedenkstein erinnert an der Aufstiegsstraße B 28 von Bad Griesbach zur Schwarzwaldhochstraße – B 500 – an den am 26. August 1921 ermordeten Zentrumspolitiker Matthias Erzberger. Der Gedenkstein stand lange Jahre etwas verloren innerhalb einer steilen Haarnadelkurve. Bereits Ende 2017 hatte ich in meinem Blog darüber berichtet und auch die Gemeinde Bad-Peterstal-Griesbach kontaktiert. Die Situation hat sich nun zum Besseren verändert: Eine interessante Informationstafel vermittelt einen guten Einblick in das Leben und Wirken von Matthias Erzberger, und Tisch und Bank laden den Wanderer zu einer Rast ein. Mein Dank gilt der Gemeinde Bad Peterstal-Griesbach und dem Sponsor Meinrad Schmiederer vom nahegelegenen Hotel Dollenberg für die wichtige Ergänzung. (Bild: Ulsamer)

Gedenkstein für Matthias Erzberger wurde aufgewertet

Deutlich weniger als 50 Kilometer von der nach Paul von Hindenburg benannten Schutzhütte wurde im Übrigen Matthias Erzberger in Buttenhausen, heute ein Ortsteil der Stadt Münsingen, auf der Schwäbischen Alb geboren. Da ich auf den Lebensweg von Erzberger bereits mehrfach in meinem Blog eingegangen bin, zuletzt zum 100. Jahrestag seiner Ermordung, verweise ich gerne auf diese Beiträge. Nicht nur die Gegend um Neidlingen bietet viele Wanderwege, sondern dasselbe gilt auch für Buttenhausen an der Großen Lauter. Wer nicht so gerne wandert, dafür aber Kanu fährt, der kann – abhängig von den Schutzzeiten für Tiere – in Richtung Donau starten. Neben dem Geburtshaus Erzbergers, das heute ein kleines und spannendes Museum zu seinem Wirken beherbergt, sollten Sie, liebe Leserinnen und Leser, in Buttenhausen, auch die ehemalige Bernheimer’sche Realschule besuchen, denn dort wird in herausragender Weise ein anderer Teil unserer deutschen Geschichte in einem Museum lebendig: das Zusammenleben christlicher und jüdischer Einwohner bis zum Terror und der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten. Die Dorfgemeinschaft bestand rund zur Hälfte aus Juden bzw. Protestanten, nur einige Familien waren – wie die Erzbergers – katholischen Glaubens. Das übernächste Gebäude zu Erzbergers Geburtshaus beherbergte die Synagoge, die von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Wenn Sie nach dem Besuch der Gedenkstätte der kleinen Straße den Berg hinauf folgen, erreichen Sie den jüdischen Friedhof, der bis heute zum Glück erhalten geblieben ist.

Hölzernes Hinweisschild an einem Metallpfosten - "Matthias-Erzberger-Weg
An Matthias Erzberger erinnert in Bad Peterstal-Griesbach ein Wanderweg, der zum Ort seiner Ermordung führt. Als Erzberger im Wald von Compiègne am 11. November 1918 auf dringende Aufforderung auch der Obersten Heeresleitung unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff das Waffenstillstandsabkommen akzeptierte, unterschrieb er damit im Grunde auch sein eigenes Todesurteil. Die nationalistischen Kräfte sahen in ihm ihren Hauptgegner, dem sie nach dem Leben trachteten. Erzberger war sich dieser Bedrohung durchaus bewusst: „Die Kugel, die mich treffen soll, ist schon gegossen.“ (Bild: Ulsamer)

Ermordet wurde Matthias Erzberger im Schwarzwald, wo er mit seiner Familie auf Erholung von den Attacken rechtsextremistischer Gegner gehofft hatte. Lange stand der Gedenkstein für Matthias Erzberger wenig beachtet an der Aufstiegsstraße von Bad Griesbach zur Schwarzwaldhochstraße. Bereits im Oktober 2017 hatte ich nicht nur in meinem Blog darüber berichtet, sondern auch der Gemeindeverwaltung Bad Peterstal-Griesbach gegenüber das wenig ansprechende Umfeld in einer engen Kurve thematisiert. Und zum 100. Jahrestag des feigen Attentats auf den Zentrumspolitiker Erzberger erfuhr der Gedenkstein – nahe des Anschlagsortes – eine Aufwertung: Eine Informationstafel vermittelt einen guten Überblick über das Leben und das politische Wirken Erzbergers, und es laden sogar Bank und Tisch Wanderer zu einer kleinen Rast ein. Selbst der Wanderweg – Matthias Erzberger Weg – ist wieder besser zugänglich, der von Bad Griesbach – heute mit Peterstal zu einer Gemeinde vereinigt – zur Stelle des Attentats führt. Man wandert so auf den Spuren von Matthias Erzberger und seinem Parlamentskollegen Carl Diez, der die Schüsse schwer verletzt überlebte, in Richtung Kniebis.

Geburtshaus Erzbergers. Fassade in einem rötlichen Ton. Kleine Fenster. Ein Plakat weist mit einer Porträtaufnahme Erzbergers und dem Hinweis auf die Gedenkstätte.
Das Geburtshaus von Matthias Erzberger in Buttenhausen (Gemeinde Münsingen) auf der Schwäbischen Alb in Baden-Württemberg ist heute ein interessantes Museum, das sich dem Leben und Wirken des Zentrumspolitikers widmet. Ein Besuch der Gedenkstätte lässt sich mit einer Wanderung um Buttenhausen oder auch auf dem früheren Truppenübungsplatz Münsingen verbinden, der heute zu den zentralen Elementen des Biosphärengebiets Schwäbische Alb zählt. (Bild: Ulsamer)

Matthias Erzberger wurde am 26. August 1921 von rechtsextremistischen Attentätern der ‚Organisation Consul‘ mit acht Schüssen ermordet. Sein Kampf für Demokratie und Frieden sollte für uns Vorbild sein. Es genügt nicht, Matthias Erzberger hin und wieder in einer Feierstunde zu gedenken, sondern sein Handeln müssen wir als Ansporn und Mahnung verstehen, Demokratie und Freiheit zu verteidigen und engagiert für den Rechtsstaat einzutreten. Und Straßen oder die Schutzhütte bei Neidlingen, die nach Paul von Hindenburg benannt sind, sollten endlich den Namen von Matthias Erzberger oder Friedrich Ebert tragen!

Für mich wandert die Geschichte unseres Landes oder anderer Regionen immer mit, und im Grunde suchen wir auch immer wieder historische Orte als Wanderziele in Stadt und Land aus. Dabei verwundert es mich schon, dass es in Deutschland noch zahllose Hindenburgstraßen gibt, und zumeist selbst eine kritische Würdigung vor Ort fehlt. Nun gehöre ich gewiss nicht zu den Bilderstürmern, die jede Statue einer historischen Person vom Sockel stoßen wollte, der in ‚grauer Vorzeit’ irgendetwas zur Last gelegt wird, doch bei Paul von Hindenburg würde ich mir mehr Geschichtsbewusstsein in unserer Gesellschaft wünschen.

 

Blick ins Tal bei der Gemeinde Neidlingen. Es dominieren Streuobstwiesen mit Kirschbäumen.
Unsere Wanderung begannen wir am Parkplatz ‚Bahnhöfle‘ an der Verbindungsstraße K 1430 zwischen Schopfloch (Ortsteil der Gemeinde Lenningen) und Reußenstein im baden-württembergischen Landkreis Esslingen. Sie führte uns zuerst entlang des Albtraufs. Der Blick öffnete sich zur Burgruine Reußenstein und ins Neidlinger Tal – dies gerade auch von der Hindenburg-Hütte aus. Auf der Gemarkung der Gemeinde Neidlingen sollen 20 000 Kirschbäume stehen! Der steile Abstieg durch das Biosphärengebiet Schwäbische Alb und zum Neidlinger Wasserfall ist allemal lohnenswert, daran ändert selbstredend die nach Hindenburg benannte Schutzhütte nichts. (Bild: Ulsamer)

 

Am Neidlinger Wasserfall fließt das Wasser über grünbewachsene Steine ins Tal.
Auf der Schwäbischen Alb war Wasser immer knapp, denn der Regen versickert im Regelfall schnell im Karstgestein. Zwei Quellen entspringen aus dem Karst, als sie auf eine wasserundurchlässige Mergelschicht treffen und speisen die Lindach, die nach wenigen Metern über einen kleinen Wasserfall ins Tal stürzt. Es bildet sich Kalktuff, der die Abbruchkante, über die das Wasser fließt, gewissermaßen nach vorne wachsen lässt. Sollten Sie nicht nur gerne mal auf der Schwäbischen Alb wandern wollen, sondern sich auch noch für Geologie interessieren, so bietet sich das Buch ‚Geotope im Landkreis Esslingen. Zeugen der Erdgeschichte‘ von Reiner Enkelmann und Roland Krämer an. (Bild: Ulsamer)

 

Zum Beitragsbild

Gedenkstein für Matthias Erzberger mit der Aufschrift "Hier starb Matthias Erzberger / Reichsfinanzminister / Am 26. 8. 1921 / RIPDer Text des Gedenksteins für Matthias Erzberger an der Griesbacher Steige klingt aus meiner Sicht etwas beschönigend, denn statt „starb“ sollte es eigentlich „ermordet“ heißen.  Die nun aufgestellte Informationstafel ist daher umso wichtiger. (Bild: Ulsamer)

 

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