Wenn Brücken 150 Jahre auf dem Buckel haben

Isambard Kingdom Brunel setzte auf Nachhaltigkeit

Gleich zwei Brücken sind mir in diesen Tagen besonders aufgefallen, und es handelt sich nicht um deutsche Bauwerke, die gerne mal vor sich hin bröseln. Nein, es sind zwei historische Brücken, die seit rd. 150 Jahren ihren Dienst verrichten – frühe Beispiele für Nachhaltigkeit im wahrsten Sinne des Wortes. Die Clifton Suspension Bridge im englischen Bristol und die Royal-Albert-Brücke am Übergang von England nach Cornwall haben mich sehr beeindruckt. Beide Bauwerke von Isambard Kingdom Brunel sind keine musealen Anschauungsobjekte, sondern dienen bis heute dem Straßen- bzw. Schienenverkehr. Wenn ich dann über so manche moderne Brücke in Deutschland oder anderswo rolle, die nach Meinung der Fachleute auch nach wenigen Jahrzehnten in die Knie geht, dann kommen mir doch erhebliche Zweifel, ob wir uns auf dem richtigen Weg in die Zukunft befinden.

Die Clifton Suspension Bridge - fast 150 Jahre im Dienst und kein bisschen müde.
Für mich sieht die Brücke über den Avon in Bristol noch heute modern aus, obwohl sie nach den Plänen von Isambard Kingdom Brunel vor fast 150 Jahren ihre verbindende Funktion aufnahm. Solche langlebigen Brücken würde ich mir auch in unseren Tagen wünschen. (Bild: Ulsamer)

Im „Vorzeigeland für Infrastruktur“

Kritische Anmerkungen des Bundesrechnungshofs zur mangelhaften Unterhaltung von Brücken im deutschen Straßen- und Schienennetz gibt es seit Jahren, doch trotz aller Strategien und Finanzspritzen verrotten wichtige Teile unserer Infrastruktur. Leicht abwegig war daher die Feststellung im Programm von CDU/CSU für den Bundestagswahlkampf 2017: „Deutschland ist weltweit Vorzeigeland für seine Infrastruktur.“ Mit einer solchen Aussage tue ich mich schwer, das muss ich sagen. Ist diese Feststellung skurril oder schon abstrus?

Eine Skulptur von Isambard Kingdom Brunel mit Zigarre.
Isambard Kingdom Brunel (1806 – 1859) betrachtet sein Werk von Saltash aus sicherlich mit Zufriedenheit: Im 19. Jahrhundert, in dem niemand über Nachhaltigkeit geredet hat, wurde sie in seinen Brücken dennoch Realität. Hinter seiner Eisenbahnbrücke die 1961 eingeweihte Straßenverbindung, die sogar noch für Fußgänger erweitert werden konnte. (Bild: Ulsamer)

Und dank unzureichender Erhaltungsmaßnahmen müssen selbst Autobahnbrücken nicht selten vor dem Erreichen ihres 50. Geburtstags abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden. Ein Beispiel von der Autobahn A 81, die von Stuttgart in Richtung Schweiz führt: Die Immensitzbrücken bei Geisingen / Immendingen, 1971 im Zuge der neuen Autobahn fertiggestellt, wurden inzwischen abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Auch an Gebäuden im öffentlichen Bereich nagt der Rost scheinbar schneller als im Privatbereich: Auf den Höhen über Esslingen am Neckar wurde in den 1960er Jahren ein wenig ansehnlicher Betonklotz als Hochschulzentrum errichtet, der dem Abriss geweiht ist, wenn sich nicht noch ein privater Investor findet, der sich durch die blankliegenden rostigen Eisenteile nicht abschrecken lässt.

Bereits vor fast 150 Jahren wurde die Clifton Suspension Bridge zweispurig gebaut.
In den Tagen der Pferdekutsche entwarf Isambard Kingdom Brunel eine Hängebrücke zwischen dem englischen Bristol und Avenmouth, über die heute täglich 11 000 Fahrzeuge und zahllose Fußgänger und Radfahrer den Fluss Avon überqueren. Und an zwei Fahrbahnen hatte Brunel auch schon gedacht. (Bild: Ulsamer)

Brunels Brücken: Musterbeispiele für nachhaltiges Bauen

Nun zurück zu Brunels Meisterwerken. Natürlich könnte man sagen, dass ich Äpfel mit Birnen vergleiche, wenn ich eine Autobahnbrücke mit Schwerlastverkehr der Clifton Suspension Bridge gegenüberstelle. Aber ist dies wirklich abwegig? Ich denke: Nein. Die Hängebrücke, die Bristol mit Avenmouth verbindet ist rd. 400 Meter lang, und die längste Stützweite dieser Kettenbrücke ist 214 Meter. Immerhin erhebt sich das beeindruckende Gebilde 75 Meter über den Fluss Avon. Gebaut wurde sie in einer Zeit ohne Auto, denn sie nahm 1864 ihren Betrieb auf. Da waren noch nicht einmal Carl Benz und Gottlieb Daimler mit ihren Entwicklungen auf der Straße. Heute erträgt die Clifton Suspension Bridge jedoch statt einiger Pferdefuhrwerke und Fußgängern täglich 11 000 Fahrzeuge. Wenn dies kein Beweis für die Langlebigkeit der Konstruktion von Brunel ist! Allerdings: von nichts kommt nichts, so könnte man sagen. Pro Fahrzeug wird jeweils 1 britisches Pfund kassiert – und in die Erhaltung der Brücke gesteckt. Fußgänger und Radfahrer bezahlen nichts. Leider dürfen wir in unseren Tagen zwar fleißig Abgaben auf jeden Liter Sprit leisten, doch die Gelder landen in unzureichendem Umfang in Brückenerhaltung bzw. -sanierung.

Die Royal Albert Bridge spannt sich über den River Tamar.
Seit 1859 verkehren Züge über die Royal Albert Bridge zwischen dem englischen Plymouth und Cornwall. Die eindrucksvolle Konstruktion von Isambard Kingdom Brunel setzt Maßstäbe in Sachen Nachhaltigkeit. (Bild: Ulsamer)

Wer lieber mit der Bahn fährt, der erreicht Saltash in Cornwall von Plymouth aus über eine Eisenbahnbrücke, die ebenfalls von Brunel entworfen wurde und den Tamar überspannt. Eingeweiht wurde die knapp 140 Meter lange schmiedeeiserne Fachwerkskonstruktion 1859 von Prinz Albert. Nicht nur die Anmutung ist bis in unsere Zeit erfrischender als so mancher plumpe ‚Betonsteg‘. Auffallend sind die mächtigen geschwungenen Röhren als Obergurte, die der Brücke zusätzliche Stabilität verleihen. Noch heute verkehren die Züge nach Fahrplan über die Royal Albert Bridge, die zwar ertüchtigt wurde, doch ihr Grundprinzip besticht noch immer. Im gerade eröffneten Besucherzentrum wird nicht nur über die Brücke informiert, sondern es sollen auch junge Menschen für ein technisches Studium gewonnen werden. Ein Blick auf die Eisenbahnbrücke von Brunel belegt, dass technische Konstruktionen auch nach 160 Jahren klaglos ihren Dienst verrichten können, wenn sie beständig gewartet werden.

Die Eisenbahnbrücke von Brunel hielt bis heute auch den schwereren Zügen stand.
160 Jahre fahren bereits Züge über diese Brücke von Brunel und überqueren den Tamar zwischen Plymouth in Devon und Saltash in Cornwall. Und die Brücke ist kein bisschen marode. Das Bauwerk strahlt Solidität und Stärke aus. (Bild: Ulsamer)

Zukunftsorientiertes Bauen kommt zu kurz

Nun bin ich weder Architekt noch Bauingenieur, daher kann ich keine eigenen Vorschläge für nachhaltigeres Bauen von Brücken und Gebäuden machen, aber für mich ist die Kurzlebigkeit moderner Bauwerke nicht nur ein Ärgernis, sondern auch eine Schande. Lange lebten wir in einem Mehrfamilienhaus aus dem Jahr 1896, und ich hatte nie den Eindruck aus der Zeit gefallen zu sein. Dicke Sandsteinmauern sorgten für Stabilität. So kann es doch nicht sachgerecht sein, wenn Brücken und andere Bauwerke nach wenigen Jahrzehnten zum Sanierungsfall werden und die Bagger anrücken. Wir müssen aber auch stärker auf materialsparende und dennoch tragfähige Konstruktionen setzen, wie dies z.B. Jörg Schlaich tut, dessen filigrane Brückenbauwerke weltweit Beachtung finden.

Beton aus Glas aus den 1960er Jahren in Esslingen - nicht mehr sanierungswürdig.
Betonburgen brauchen auch ständige Wartung. Dies wurde beim Hochschulgebäude in der Flandernstraße in Esslingen am Neckar wohl übersehen. (Bild: Ulsamer)

In den Tagen Brunels wurde nicht über Nachhaltigkeit palavert, sondern sie war integraler Bestandteil seiner Konstruktionen, die bis heute ihren Dienst tun. Wir brauchen heutzutage ebenfalls wieder mehr Solidität und Langlebigkeit in unseren Bauten und die klare Erkenntnis, dass konstante Instandhaltung wichtiger ist als Sonntagsreden. Architekten und Bauingenieure müssen mehr auf Nachhaltigkeit achten und die Bauherren bereit sein, dieses nachhaltige Bauen auch mitzutragen. Gerade im öffentlichen Bereich scheint mir beides zu fehlen: die Bereitschaft, nachhaltig zu bauen, und die Erkenntnis, dass Erhaltungsinvestitionen nicht zu kurz kommen dürfen.

 

Der Beton zerfällt und das Moniereisen schaut heraus - rostet!
An öffentlichen Gebäuden – wie hier an Hochschulgebäuden in Esslingen am Neckar – nagt schon gerne mal der Zahn der Zeit. Aber die Unterhaltungsinvestitionen kommen häufig zu kurz. (Bild: Ulsamer)
Über 1000 Jahre alt und im Innern noch immer trocken.
Nun möchte sicherlich keiner von uns auf Dauer im Gallarus Oratory wohnen, doch seit über einem Jahrtausend ist noch nie ein Wassertropfen durch das Dach ins Innere gedrungen. Dieses am Ende des 8. Jahrhunderts von irischen Mönchen in Kerry in Trockenmauertechnik errichtete Bethaus ähnelt einem Boot. Vielleicht sollten wir unsere Bautechniken wieder an einfacheren Strukturen orientieren und weniger Firlefanz integrieren. (Bild: Ulsamer)

 

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