EU sollte auf Dialog statt Drohungen setzen
Langsam ist es nicht mehr auszuhalten, in welch einseitiger Weise einige EU-Vorturner und ihre Mitstreiter in manchen Staaten und Medien auf Ungarn und Polen herumhacken. Jüngste Aussagen von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, dem Ersten Vizepräsidenten der EU-Kommission Frans Timmermans, oder auch des Besserwissers Jean Asselborn, seines Zeichens Außenminister von Luxemburg, erwecken den Eindruck, dass in der Europäischen Union der Schwanz mit dem Hund zu wedeln versucht. In der Realität, der diese Politiker inzwischen wohl entrückt sind, geht es anders herum: Der Hund wedelt mit seinem Schwanz – und gewiss nicht umgekehrt. Alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind für mich gleichwertig, aber warum ausgerechnet Politiker, die ihre Erfahrungen in kleineren Staaten gemacht haben, jetzt nur noch auf Druck, Drohen, Poltern und Strafen setzen, das darf man sicherlich zu Recht fragen.
Ganz gewiss bin ich kein Unterstützer politischer Entwicklungen in Ungarn oder Polen, die auf eine Schwächung demokratischer oder rechtsstaatlicher Institutionen abzielen. Aber wenn ich etwas tiefer grabe, dann fällt schon auf, dass unsere mittel-osteuropäischen Nachbarn – einschließlich Tschechien – bei der EU-Führung erst so richtig in Ungnade gefallen sind, seit sie sich standhaft weigern, Flüchtlinge nach einem festen Quotensystem aufzunehmen. Ganz ehrlich, die geringe Zahl der zugedachten Migranten würden beide Staaten sicherlich nicht erschüttern. Aber geht es wirklich um diese „Quotenflüchtlinge“? Ich glaube, nein. Es geht um etwas anderes: Juncker, Timmermans & Co. sind im Grunde beleidigt, dass nicht alle Regierungen nach ihrer Pfeife tanzen.
Besser vor die Tür setzen?
Etwas scheinheilig ist es für mich, wenn Juncker gegenüber der Süddeutschen Zeitung (15.6.17) – unter Bezug auf mögliche Kürzungen der Zahlungen aus dem Strukturfonds – betont: „Manchmal hätte ich Lust, das zu tun. Ich halte aber nichts davon, jetzt mit der Drohkeule durch Europa zu rennen.“ Andererseits unterstrich er aber im gleichen Interview, dass Ungarn und Polen nach seiner Meinung gar nicht in die EU aufgenommen worden wären, hätten sie damals die gleichen Einstellungen gezeigt: „Hätte es die Flüchtlingskrise schon gegeben, und wäre das so formuliert worden, dann wäre es wohl so gewesen, dass der Zugang versperrt geblieben wäre.“ Kommissionspräsident Juncker scheint sich keinen Moment die Frage zu stellen, ob nicht auch andere Schuld an der verfahrenen Situation haben. Wenn die EU-Häuptlinge lieber ihre Vorhaltungen über die Medien übermitteln und dies stets mit drohendem Unterton, dann kann dies nur negative Folgen haben.
Nimmt man zu Polen, Ungarn und Tschechien noch die Slowakei dazu, die in der Flüchtlingskrise einen ähnlichen Kurs fährt, dann setzt Juncker gewissermaßen die mittel-osteuropäischen Mitglieder vor die Tür, zumindest aber auf die Strafbank.
Mittel-Osteuropa nicht geringschätzen
Vielleicht kann die Reaktion bei Jean-Claude Juncker nur so ausfallen, da er seine politischen Erfahrungen in Luxemburg machte, ehe er sich – nach einem turbulenten Abschied – für die EU-Karriere entschied. Für ihn mögen die Mittel-Osteuropäer nicht die gleiche politische Rolle spielen wie für mich als Deutschen, aber ein bisschen mehr Respekt hätten sie allemal verdient. Aber gar zu selten kommen in diesem Streit mäßigende Worte von deutschen Politikern. Das mag bei der Bundeskanzlerin nicht verwunderlich sein, hatte Angela Merkel das Tor zur großen Flüchtlingswelle erst aufgestoßen – und dies ohne unsere Nachbarn in die Entscheidung einzubeziehen.
Wir sollten als Deutsche aber alles daransetzen, das gute Verhältnis zu unseren Nachbarn Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei nicht zu verspielen, welches nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut werden konnte. Viele Bürgerinnen und Bürger haben in den genannten Staaten daran mitgewirkt, aber auch die Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Kohl.
Poltergeist aus Luxemburg
Aber nicht nur Juncker, sondern auch der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn betrachtet die europäischen Staaten wohl aus einem Kleinstaaten-Elfenbeinturm. Warum er auch in den Medien großzügig Raum für seine Äußerungen erhält, obwohl er die Außenpolitik eines Landes mit nicht mal 600 000 Bürgern vertritt, das ist mir dann doch ein Rätsel. Meine Geburtsstadt Stuttgart hat da sogar mehr Einwohner. Es wäre sicherlich an der Zeit, auch den Vertretern der mittel-osteuropäischen Staaten die gleiche Kommunikationsbasis anzubieten.
„Wir brauchen eine europäische Flüchtlingspolitik. Eine europäische Flüchtlingspolitik ist das genaue Gegenteil dessen, was wir haben. Wir haben einige EU-Mitglieder wie Ungarn, die blockieren, und einige, die sich dahinter verstecken. Und wir haben Politiker wie den österreichischen Außenminister, die sich aus rein innenpolitischen Motiven de facto verweigern“, so Asselborn im „Spiegel“( 26.7.17) Wenn er schon mal loslegt, dann packt er auch Österreich noch zu den kritisierten Staaten. Und dann schwingt er die große Keule: „Wenn der Europäische Gerichtshof im September entscheiden sollte, dass die Quote zur Umverteilung rechtens ist, sollte die EU-Kommission gegen diejenigen Länder, die sich weigern, ihren gesetzlich vorgeschriebenen Anteil aufzunehmen, vorgehen. Im Gespräch sind 250.000 Euro pro nicht aufgenommenem Flüchtling. Polen zum Beispiel müsste dann 1,5 Milliarden Euro zahlen. Dieser Druck könnte hilfreich sein.“
Aus dem Brexit nichts gelernt?
Wie soll nach Meinung von Jean Asselborn eine Gemeinschaft funktionieren, wenn bei zentralen Themen nicht der Dialog, sondern Poltern und Strafen im Mittelpunkt stehen? Wer statt politischer Kleinarbeit auf gerichtliche Befreiungsschläge setzt, der kann seinen „Verein“ auch gleich abmelden. Haben Asselborn und die gleichgesinnten Politiker eigentlich nichts aus dem Brexit gelernt? Die Mehrheit für den Austritt aus der EU hat sich beim Referendum im Vereinigten Königreich nur wegen der ungelösten Migration – einschließlich der Freizügigkeit der EU-Bürger – ergeben. Zielen manche Politiker aus dem Kleinstaat Luxemburg auf eine verkleinerte Europäische Union ab?
Frans Timmermans, als Erster Vizepräsident der EU-Kommission auch für eine „bessere Rechtsetzung“ zuständig, was immer man darunter zu verstehen hat, legte nach und forderte mit einer Vierwochenfrist die polnische Regierung auf, die geplanten Veränderungen im Justizsystem aufzugeben, ansonsten würden die Gegenmaßnahmen ein Vertragsverletzungsverfahren und den Entzug des Stimmrechts beinhalten. Schon wieder die juristische Keule, diesmal von einem niederländischen EU-Politiker.
Der Klarheit willen betone ich, dass beim politischen Konflikt in Polen mein Herz für Lech Walesa, den früheren Vorsitzenden der Gewerkschaft Solidarnosc und ehemaligen Staatspräsidenten, schlägt, denn er hat nicht nur dem damaligen kommunistischen Regime die Stirn geboten, sondern setzt sich auch heute als Friedensnobelpreisträger für die Demokratie in seinem Heimatland ein. Dennoch macht es keinen Sinn, die polnische Regierung mit ihrer Ministerpräsidentin Beate Szydlo und dem starken Mann Jaroslaw Kaczynski, ständig mit Drohungen aus Richtung Westen zu bedenken. Besser wäre es, bilaterale Gespräche zu intensivieren und den Präsidenten Andrzej Duda zu stärken, der sein Veto gegen einen Teil der Justizreform eingelegt hat. Wie ernst sein Gegenvorschlag gemeint ist, das wird sich noch zeigen.
Umverteilen hilft auf Dauer nicht
Das Flüchtlingsthema darf nicht zu einem weiteren Zerfall der EU führen, doch tut es dies, wenn wir nicht alle der Wirklichkeit ins Auge schauen. Daran fehlt es aber gerade bei den genannten EU-Politikern. Wer immer nur von der Umverteilung der Flüchtlinge spricht und alle kritisieren, die den Zustrom bremsen wollen, der wird scheitern.
„Wer wie Ungarn Zäune gegen Kriegsflüchtlinge baut oder wer die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz verletzt, der sollte vorübergehend oder notfalls für immer aus der EU ausgeschlossen werden“, sagte Asselborn der „Welt“ ( 13.9.16). Wie viele Flüchtlinge hätte Luxemburg denn aufgenommen, wenn die Balkanroute – durch Zäune und den Pakt mit Erdogan – nicht geschlossen worden wäre? Heuchelei ist es, wenn Politiker froh sind, dass die Flüchtlingswelle abnimmt, in der Öffentlichkeit aber die kritisieren, die handeln. Völlig unhaltbar war für mich auch Asselborns Aussage: „Der Zaun, den Ungarn baut, um Flüchtlinge abzuhalten, wird immer länger, höher und gefährlicher. Ungarn ist nicht mehr weit weg vom Schießbefehl gegen Flüchtlinge. Jeder, der den Zaun überwinden will, muss mit dem Schlimmsten rechnen.“
Beim Stichwort “Schießbefehl” zucke ich dann doch zusammen: Hat Asselborn da etwas falsch verstanden? Gerade die Tschechen, Ungarn und Polen haben ihren wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass die von der DDR-Führung errichtete Mauer und der “Schießbefehl” heute Geschichte sind und die Spaltung Europas aufgehoben werden konnte.
Keine Quote für die Flüchtlingsverteilung wird in der EU die Probleme lösen, auch wenn Asselborn für die nächsten Migrationswellen betont: „Jedes Mitglied muss wissen: Wenn eine Flüchtlingswelle kommt, steht auch der Verteilungsschlüssel.“ Für welche Flüchtlingswellen hat Asselborn seine Quoten denn vorgesehen? Auch wenn es unmenschlich klingt, einen weiteren Zustrom wie seit 2015 wird die EU nicht verkraften.
Die Ärmsten erreichen Europa nicht
Sinnvoll wäre es, wenn sich Juncker, Asselborn und Timmermans die Zeit nehmen würden, sich mit der Gesamtproblematik zu befassen, denn sie scheinen bis heute nicht erkannt zu haben, dass die Lösung nicht im Verteilen von Menschen nach Quoten liegen kann, sondern in der Verbesserung der Lebensverhältnisse in Afrika.
Der in München lehrende Philosoph Julian Nida-Rümelin, Kulturstaatsminister im Kabinett von Gerhard Schröder, umriss in einem Interview mit dem Deutschlandfunk (23.3.17) die Situation: „Auch diejenigen, die eine Politik der offenen Grenzen befürworten, machen sich, glaube ich, kein klares Bild von den Weltverhältnissen. Wir haben gegenwärtig 720 Millionen Menschen auf der Welt, die chronisch unterernährt sind. Übrigens zur gleichen Zeit: Die Welt insgesamt leidet unter Nahrungsmittelüberschüssen, weiß gar nicht wohin damit, die EU und auch Nordamerika. Das ist ein wirklicher Skandal. – Oder knapp über 600 Millionen haben keinen Zugang zu Trinkwasser. Das muss man sich mal alles klarmachen, um dann zu erkennen, dass eine Politik der offenen Grenzen die Elendsten der Welt natürlich nicht in Europa mit einer Perspektive versehen wird, weil die Elendsten der Welt können nicht Tausende von US-Dollar aufbringen, um etwa von Ghana nach Lampedusa zu kommen.“
Die Ärmsten schaffen es nicht bis zu uns nach Europa und die schiere Zahl der unterernährten Menschen macht deutlich, dass der Streit um eine Quotenregelung oder die Politik des unbegrenzten Zustroms von Flüchtlingen à la Angela Merkel im Jahre 2015 keine Lösung bringen werden. Sicherlich müsste die EU auch alles tun, damit der Export subventionierter Lebensmittel aus der EU nach Afrika die dortigen Erzeuger nicht weiter schädigt.
Mit Dialog und Respekt gegen den Zerfall der EU
Die Sprengkraft des Streits um Migration und Verteilungsquoten muss entschärft werden oder auf den Brexit folgt der Zerfall der Europäischen Union. Dies bedeutet auch, dass der Schutz der Außengrenzen verbessert und den Schleppern mit einem robusten Mandat das Handwerk gelegt werden muss. Mit hoher Dringlichkeit müssen die Lebensverhältnisse in Afrika und den Kriegsgebieten Syrien, Irak und Afghanistan verbessert werden. Dies setzt aber ein hohes Maß an Eigeninitiative in diesen Regionen voraus. Gleichzeitig gilt es zu verdeutlichen, dass in Europa nicht alle Probleme der Welt gelöst werden können.
Voraussetzung für die Lösung der Probleme in der EU ist aber ein anderer Umgang mit den mittel-osteuropäischen Staaten: Dialog und Respekt müssen Streit und Drohungen ersetzen. Nicht länger dürfen EU-Politiker gerade auch aus kleineren „westlichen“ Staaten den etwas weiter in der Mitte Europas liegenden Staaten in oberlehrerhafter Manier die Welt erklären wollen. Ein Blick auf die Einwohnerzahlen der Staaten zeigt auch, dass nicht länger der Schwanz mit dem Hund wedeln kann!
4 Antworten auf „Wedelt der Schwanz mit dem Hund?“