Was kann die CDU von der ÖVP lernen?

Niedersachsen und Österreicher haben gewählt

Nationalratswahlen bei unseren österreichischen Nachbarn lassen sich auf den ersten Blick natürlich nicht mit der Landtagswahl in Niedersachsen vergleichen, aber dennoch können aus der Betrachtung beider Wahlen, die auch noch am gleichen Tag stattfanden, interessante Schlüsse gezogen werden. Dies gilt zumindest, wenn man politische Ereignisse mit offenen Augen und nicht durch die rosarote Brille betrachtet. Nachdem Angela Merkel die Schlappe bei der Bundestagswahl nicht als Denkanstoß erkennen wollte, war auch kaum zu erwarten, dass die Bundeskanzlerin nach Platz 2 in Niedersachsen in sich gehen würde. Ihrem doch irritierenden Ausspruch nach der Bundestagswahl „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten“, folgte prompt nach Niedersachsen die nächste Schönrederei: Sie sei durch das schlechteste Ergebnis der niedersächsischen CDU seit den 1950er Jahren bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin nicht geschwächt und gehe diese „selbstbewusst“ an.

Sebastian Kurz punktet beim Flüchtlingsthema

Als Sebastian Kurz im Juli 2017 die Führung der ÖVP (Österreichische Volkspartei) übernahm, war nicht zu erwarten, dass er seine Partei in einem Vierteljahr in die Spitzenposition zurückführen könnte. Aber Kurz legte nicht nur seine bisherige Karriere im Geschwindschritt zurück, sondern hat nun mit 31 Jahren die besten Aussichten, der jüngste Regierungschef nicht nur in Österreich, sondern in Europa zu werden. Vor zwei Jahren lagen SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs) und ÖVP sowie die FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) bei der Sonntagsfrage der Zeitschrift „Profil“ noch nahezu gleichauf bei 25 bis 27 Prozent. Zeitweilig überholte die FPÖ sogar die Volkspartei und die SPÖ deutlich. Und im Mai dieses Jahres dümpelte die ÖVP teilweise nur bei rd. 20 % herum.

„Der neue Weg“ von Sebastian Kurz startete im Wahlkampf mit einer auf ihn zugeschnittenen „Liste Sebastian Kurz – Die neue Volkspartei“, und er wird ihn mit größter Wahrscheinlichkeit ins Wiener Kanzleramt führen. Ich würde mir wünschen, dass er den frischen Wind in die Arbeit am Ballhausplatz einbringt und in die europäischen Diskussionen, nicht zuletzt auch in den österreichisch-deutschen Dialog. Seine klaren Aussagen zur Flüchtlingspolitik in seiner Zeit als Außenminister lassen hoffen, dass er auch als österreichischer Bundeskanzler seinen Realitätssinn nicht verliert. (Bild: Screenshot, „oevp.at“, 7.10.2017)

Doch Sebastian Kurz nahm beherzt das Ruder in die Hände: Zuerst sicherte er sich mehr Einfluss in der eigenen Partei und trat dann fast folgerichtig nicht nur mit ‚ÖVP‘ auf dem Wahlzettel an, sondern als „Liste Sebastian Kurz – Die neue Volkspartei“. Gerade als Außenminister der Alpenrepublik vermochte er, sich medial in Szene zu setzen und punktete in diesem Amt mit klaren Aussagen zur Migration. Bundeskanzlerin Merkel gefielen seine Aktivitäten zur Schließung der Balkanroute zwar vorgeblich nicht, doch auch sie hatte den Vorteil: Ohne eigenes Zutun konnte Merkel verkünden, die Flüchtlingszahlen gingen zurück. Danach folgte das Abkommen mit dem Autokraten Erdogan. Eine echte Problemlösung stellt dieses allerdings nicht dar, Deutschland wurde damit höchstens erpressbar.

CDU-Niedersachsen: Atemnot im Schlussspurt

Ähnliche Unterschiede in der Zustimmung gab es in Niedersachsen – nur anders herum: Die CDU lag im Sommer noch deutlich vor der SPD von Ministerpräsident Stephan Weil, kam dann aber im Schlussspurt nur auf den zweiten Platz und verlor kräftig an Prozentpunkten bei der Wahl. Aber auch da wussten Merkel und ihre Getreuen wieder ‚Trost‘ zu spenden: Die CDU habe ja nicht weniger Stimmen bekommen als bei der vorangegangenen Wahl, es seien nur mehr Menschen zur Wahlurne geeilt und damit habe sich der niedrigere Prozentsatz ergeben. Ist das eigentlich Weltfremdheit oder Trotz bei Angela Merkel und ihrem engsten Kreis? Sie scheinen die Realität nicht erkennen zu wollen oder sie können es nicht mehr!

Auch wenn das Wahlziel nicht erreicht wurde, kein Grund zur Neuorientierung! Nette Ausrede der CDU: Man habe die gleiche Stimmenzahl wie bei der vorhergehenden Wahl, aber es seien mehr Bürgerinnen und Bürger zur Wahl gegangen und damit sei der prozentuale Anteil eben gesunken. Von sportlichem Ehrgeiz keine Spur: Oder was würden wir sagen, wenn ein Sportler betont, er laufe immer noch die Zeiten wie vor vier Jahren, aber die Konkurrenz sei schneller geworden? In unserem bürokratischen Sportbetrieb würde er dann keine Fahrkarte zum nächsten internationalen Wettbewerb erhalten. Zumindest Bernd Althusmann spürte Gegenwind aus Berlin, doch den konnte sich die „Weiter-so-Kanzlerin“ Angela Merkel nicht erklären. (Bild: Screenshot, „Facebook“, 16.10.2017)

Selbst der CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann wollte die Schuld am schlechten Abschneiden seiner CDU nicht allein auf die eigenen Schultern nehmen, sondern verspürte kalten Gegenwind aus Berlin, keinen Kanzlerinnenvorteil wie in alten Zeiten, im Gegenteil: aus Rücken- wurde Gegenwind.

Und woran liegt dies? Zu einem guten Teil sind die Bürgerinnen und Bürger unzufrieden mit der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel, die 2015 den ungebremsten und unkontrollierten Zustrom von Flüchtlingen zuließ und den Verlust der Kontrolle des Staates über seine Grenzen und die innere Ordnung als vernachlässigbar ansah. Auf noch größeres Unverständnis trifft es allerdings, dass der Bundeskanzlerin Einsicht oder die Bereitschaft zur nachhaltigen Neuorientierung abgehen.

Da muss sich der CDU-Abgeordnete Carsten Linnemann, auch Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU, als einsamer Rufer in der Wüste vorkommen, wenn er der Selbstzufriedenheit der Kanzlerin entgegensetzt: „Für die Union kann und darf es kein ‚Weiter so‘ geben“ und laut „Handelsblatt“ fortfuhr: „Wir brauchen jetzt endlich eine Strategie der eigenen Markenkerne. Wir müssen die Wähler wieder von unseren Kernkompetenzen überzeugen und die liegen nicht zuletzt im Bereich der Gewährleistung von Sicherheit.“  Recht hat er, aber das dürfte mit Tricky Angie schwer werden, die je nach politischer Tageslage Grundüberzeugungen über Bord wirft, nur um den konkurrierenden Parteien ein Thema wegzuschnappen. Man denke nur an das Aus für die Kernenergie, obwohl sie sich kurz zuvor noch für eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke eingesetzt hatte, oder für das heikle und mit vielfältigen Gefühlen behaftete Thema der ‚Ehe für alle‘.

Klare Sprache wirkt

Völlig anders ist Sebastian Kurz unterwegs: Er hat die Probleme der Menschen – und dies nicht nur bei der Flüchtlingspolitik – aufgegriffen. Mit seinem Drängen auf eine Beschränkung der Zuwanderung überholte er die FPÖ und öffnete sich bei den Nationalratswahlen den Weg zum Wiener Ballhausplatz. Nach der Beauftragung durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit der Regierungsbildung rückt das Kanzleramt in greifbare Nähe. Kurz hat die Wahl zwischen der FPÖ und der SPÖ als mögliche Koalitionspartner. Ausgehend von seinen politischen Grundsätzen scheint aber der Schulterschluss mit der FPÖ unter Heinz-Christian Strache anzustehen.

Der Wahlkampf der ÖVP, die jetzt als „Die neue Volkspartei“ an den Start ging, war komplett auf Sebastian Kurz zugeschnitten. (Bild: Screenshot, „Facebook“, 10.10.2017)

Und ob es Angela Merkel und ihrem Club der Getreuen gefällt oder nicht, Österreich wird unter einem Bundeskanzler Kurz noch sperriger als bisher in Flüchtlingsfragen agieren. Bisher hat er auch als Außenminister nicht nur kein Blatt vor den Mund genommen – wenn auch in freundlicher Weise -, sondern auch seine Aussagen in reale Politik umgesetzt.

Zu rechnen ist mit einer stärkeren Kooperation Österreichs mit den sogenannten Visegrád-Staaten: Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn treffen sich in diesem informellen Kreis, der nach der gleichnamigen ungarischen Stadt am Donauknie benannt wurde.

Bernd Althusmann – in Afrika untergetaucht

Erwähnenswert ist beim Vergleich der Spitzenkandidaten von ÖVP und CDU in Niedersachsen noch ein gravierender Unterschied: Sebastian Kurz ist seit Jahren in der österreichischen Politik präsent, Bernd Althusmann dagegen war für mehrere Jahre nach dem Verlust seines Landtagsmandats in Afrika untergetaucht. Die Leitung der Auslandsvertretung der Konrad-Adenauer-Stiftung für Namibia und Angola ist mit Sicherheit eine wichtige Aufgabe, aber als Sprungbrett in die niedersächsische Staatskanzlei war dieser Job völlig ungeeignet. Althusmann wollte ja nicht Entwicklungsminister, sondern Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes werden.

„Andere schützen den Wolf – wir auch Menschen und Nutztiere“, so der etwas simple Slogan der CDU in Niedersachsen. Auch wenn man sich – wie der Autor – für den Wolf als Teil unserer Natur engagiert, dann heißt dies doch nicht, dass man sich nicht ebenso für die Sicherheit der Menschen und den Schutz der Nutztiere einsetzt. Wer in dieser Weise den Wolf zu einem Wahlkampfthema macht, der hat aus meiner Sicht auch keinen Wahlsieg verdient. Die CDU in Niedersachsen will „den Wolf zwecks Regulierung der Population und zur Eingrenzung von Nutztierschäden in das Jagdrecht aufnehmen.“ Ganz ‚gesetzestreu‘ soll dies nach „Erreichung der artenschutzrechtlichen Voraussetzungen“ geschehen. Aber hier kann man auf politischem Wege natürlich für eine entsprechende Einschätzung sorgen. Dass dies das Ziel ist, wird auch aus folgender Aussage deutlich: „Wo Maßnahmen zum Herdenschutz nicht ausreichen, werden wir ein Bestandsmanagement für Wölfe schaffen.“ „Bestandsmanagement“ liest sich ja ganz nett, aber es bedeutet Abschuss von Wölfen. Ist dies die klare Wortwahl, die wir uns von Politikern wünschen? Ich glaube nicht! (Bild: Screenshot, „Facebook“, 15.10. 2017)

Wäre es in Niedersachsen nicht auch besser gewesen, die zentralen politischen Themen zu diskutieren anstatt sich über den Abschuss von Wölfen in die Wolle zu geraten? Bei Infratest dimap ergaben sich 57 % Zustimmung unter den CDU-Wählern bei der Frage „Sollten die Wölfe stärker bekämpft werden?“. Macht ein solches Thema politisch Sinn, wenn z.B. die Zustimmung bei Grünen-Wählern nur bei 25 % und selbst bei der FDP-Wählerschaft nur bei 35 % liegt? Wer vorausschauend auch in Koalitionskategorien denkt, der marschiert mit solch aberwitzigen Ansichten in die Sackgasse. Für mich ist es ohnehin undenkbar, langsam aber sicher Wildtiere – seien es Wölfe oder Bären, Wisente oder Kormorane – zum Abschuss freizugeben. Nicht nur der CDU in Niedersachsen fehlt es am richtigen Gespür im Umgang mit der Natur.

Auch aus den VW-Missgriffen in Sachen Diesel – und dies unter einem Aufsichtsrat Stephan Weil – konnte die CDU keinen Honig saugen. Geradezu eilfertig sprach sich die niedersächsische CDU gegen einen Verkauf von VW-Anteilen aus – eigentlich war dies doch gar kein Thema. Und bei einer weiteren Umfrage von Infratest dimap sprachen sich 52 % der Befragten gegen Spitzenpolitiker im VW-Aufsichtsrat aus. Wären daher nicht einige grundsätzliche ordnungspolitische Aussagen von der CDU zu erwarten gewesen?

Schmutzkampagnen führen zu nichts

Die schon krampfhaften Versuche der SPÖ unter dem Noch-Bundeskanzler Christian Kern, den ÖVP-Chef Sebastian Kurz mit einer Schmutzkampagne zu stoppen, führten nicht zum Erfolg – im Gegenteil. Der israelische Politikberater Tal Silberstein versuchte über fingierte Facebook-Seiten Sebastian Kurz antisemitische und rassistische Aussagen unterzuschieben, die dieser nicht gemacht hatte. Als das von der SPÖ finanzierte ‚Dirty Campaigning‘ aufflog, war Silberstein schon wegen anderer Delikte in seinem Heimatland verhaftet worden. Die SPÖ steckte nun selbst in dem Morast, den sie für die ÖVP anrichten ließ.

Zwar gibt es keine derartigen Vorgänge in Niedersachsen – zum Glück -, aber am Ansehen der CDU kratzte der Übertritt der früheren Grünen-Abgeordneten Elke Twesten zur CDU. Sie machte mit ihrem Wechsel die Ein-Stimmen-Mehrheit von Rot-Grün unter Ministerpräsident Stephan Weil zunichte und war der Anlass für die Neuwahlen am 15. Oktober. Weder für die CDU noch für Elke Twesten war dieser Parteiwechsel ein Glücksfall. Viele Bürgerinnen und Bürger sahen es als einen politischen Schachzug an, den sie mit Ehrlichkeit und Verantwortung nicht verbinden konnten. Anfang 2018 wäre die nächste Landtagswahl ohnehin angestanden, und wenn dann eine Abgeordnete vorzeitig die grüne Fraktion verlässt, weil ihre Partei sie nicht mehr aufstellen wollte, dann sieht dies eher nach egoistischen Motiven denn nach einer politischen Neuorientierung aus. Die CDU hätte lieber auf den regulären Wahltermin warten sollen, vielleicht wäre sie dann besser gefahren.

Dies wird auch Frauke Petry noch zu spüren bekommen, die sich bei der AfD in Sachsen aufstellen ließ, das Direktmandat als AfD-Kandidatin errang und dann bei der ersten Pressekonferenz ihrer Partei in Berlin ganz plötzlich erkannte, dass sie nicht Mitglied von deren Bundestagsfraktion und letztendlich auch der Partei sein wollte. Kein Wunder, dass immer größere Teile der Bürgerschaft bei manchen Politikern fehlenden Anstand bemängeln.

Eine rühmliche Ausnahme, dies möchte ich hier zumindest erwähnen, ist Stanislaw Tillich: Er trat als sächsischer Ministerpräsident zurück, da in seinem Bundesland die AfD – wenn auch nur mit 0,1 % – die CDU bei der Bundestagswahl von Platz 1 verdrängt hatte. Sicherlich gibt es ein Bündel von Beweggründen für seinen Schritt, doch ist dies allemal ein Zeichen für politischen Anstand.

Unsere österreichischen Nachbarn brauchen aus unerklärlichen Gründen fast eine ganze Arbeitswoche um die Wahlkarten – sprich Briefwahlstimmen – auszuzählen. In Hinterhornbach, mit 91 Einwohnern die fünftkleinste Gemeinde Österreichs, waren die Wahlhelfer schneller unterwegs – kein Wunder bei 54 abgegebenen Stimmen. Die ÖVP brachte es auf über 83 % (Gesamtösterreich: 31,5 %) und die FPÖ auf 11 % (Gesamtösterreich: 26 %) in dieser Tiroler Kommune. (Bild: Ulsamer)

Welkes Grün

Wie die Pflanzen im Herbst ganz allgemein, so verwelkte das Grün in der österreichischen Politiklandschaft bei den Nationalratswahlen. Dies hätte nicht so kommen müssen, sondern ist eigenen Fehlern geschuldet. Bei den Präsidentschaftswahlen hatte sich noch im Dezember 2016 der grüne Politiker Alexander Van der Bellen gegen den FPÖ-Politiker Norbert Hofer durchgesetzt. Grün schien aufzublühen, doch als sich Peter Pilz von den Grünen mit einer eigenen Liste abspaltete, da begannen die ursprünglichen Blätter der Grünen welk zu werden. Die Liste Peter Pilz schaffte es zumindest noch, die 4-Prozent-Hürde zu überwinden, die bei Nationalratswahlen gilt. Die angestammten Grünen verfehlten den Wiedereinzug knapp. Peter Pilz startete ohne Wahlprogramm, denn die Kandidatinnen und Kandidaten seiner Liste seien das Programm, so verkündete er. Soziale Gerechtigkeit und Bildung stehen hoch im Kurs, aber gerade auch der Kampf gegen den politischen Islam ist Pilz ein Anliegen. Gerade letzteres hat seiner Liste mit Sicherheit Zulauf gebracht.

In Niedersachsen landeten die Grünen dagegen ganz ohne Abspaltung auch nur noch bei 8,7 % und mussten einen Verlust von 5 Prozentpunkten hinnehmen. Damit war trotz des guten Ergebnisses der SPD (36,9 %) eine Fortsetzung der Rot-Grünen-Koalition nicht möglich.

Aufbruch statt Stillstand

Für Sebastian Kurz war klar, dass er mit den althergebrachten ÖVP-Strukturen keinen Sieg erringen konnte und blies daher zum „Aufbruch“ in neue Zeiten. So startete er seine „Aufbruch-Tour“ durch Österreich und suchte den Kontakt zu den Menschen. Der Erfolg am Wahlabend krönte seinen Versuch, die Anliegen der Bürgerschaft aufzunehmen. Sein Auftreten ähnelte in manchen Teilen Christian Lindner – beide wurden zu Popstars der Politik, obwohl Lindners Herz natürlich für die österreichischen NEOS schlägt.

Sebastian Kurz vermittelt mit Enthusiasmus und Empathie das Gefühl der Einbindung und der Gemeinschaft. Dies vermisse ich bei vielen deutschen Politikerinnen und Politkern – und gerade auch bei Angela Merkel. Aber auch seine klare Sprache, verbindlich vorgetragen, trägt dazu bei, dass sich die Zuhörerinnen und Zuhörer mit seinen Aussagen befassen. Wiederum gänzlich anders die deutsche Bundeskanzlerin: Verklausulierte Sätze, Reden für Gleichgesinnte und ohne Dialogbereitschaft bei Kritikern. Aber auch der niedersächsischen CDU fehlte die geradezu jugendliche Dynamik von Sebastian Kurz und seinen Mitstreitern.

Ein wichtiges Thema wird für die nächste Regierung auch der ländliche Raum sein: Regionen ohne stabiles touristisches Standbein fallen immer mehr zurück und klagen über Landflucht. (Bild: Ulsamer)

Ob Sebastian Kurz einen wirklichen Aufbruch in Österreich schafft, der auch Arbeitsmarktstrukturen, Steuersystem, Bildung und Sozialsystem umfassen soll, das wird natürlich erst seine Regierungszeit zeigen. Aber zumindest erklärt er nicht fortlaufend – wie Angela Merkel – es gebe keinen Grund zur Neuorientierung. Einige Stichworte aus seiner Lagebeschreibung lassen hoffen: „Wir müssen aufhören, Dinge schönzureden, ehrlich sagen, was Sache ist im Land.“ Und Österreich sei „schlecht darin, Fehler zuzugeben.“ Na, das passt aber noch besser auf unsere Bundeskanzlerin! Sein Land sei „Weltmeister im Weiterwursteln“. Mag sein, aber sollten wir uns seine Aussagen nicht auch für Deutschland zu Herzen nehmen? Ich denke schon.

In zu vielen Feldern verpassen wir in Deutschland – und eben auch in Österreich – Chancen einer dynamischen Weiterentwicklung. Hier könnte nicht nur die CDU von der ÖVP lernen, die die Probleme zumindest benennt. Aber wer wie die CDU in ihrem Bundestagswahlprogramm schreibt „Deutschland ist weltweit Vorzeigeland für seine Infrastruktur“, der sieht die Realität nur noch durch seine Parteibrille. Marode Brücken und Straßen – zumindest in den westlichen Bundesländern -, eine Schieneninfrastruktur, die im Bummelzugtempo ausgebaut wird – siehe die Zulaufstrecken zum Gotthard-Tunnel – werden in Merkels Führungszirkel wohl gar nicht mehr wahrgenommen. Wir brauchen mehr Offenheit und Kritikfähigkeit, mehr echten Dialog und weniger Politeinheitsbrei in Deutschland. Wahrscheinlich brauchen wir dafür – siehe Österreich – auch neue Persönlichkeiten in der Politik, zumindest in der CDU.

 

 

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