Von Wassergebühren und Verkehrsinfarkt
Wenn ich mich in Europa so umschaue, dann überkommt mich häufig das Gefühl, dass die politischen Prozesse immer langsamer verlaufen und auch überschaubare Probleme nicht gelöst werden. Und dies betrifft die Politik in den einzelnen Staaten ebenso wie die Europäische Union. In Irland sind z.B. Regierung und Parlament nicht in der Lage, erstmalig Wassergebühren durchzusetzen, um mit den Einnahmen das marode Wassernetz zu modernisieren. Die dringend erforderliche Erweiterung der A 81 im Raum Sindelfingen findet sich seit über 30 Jahren in der Bundesverkehrswegeplanung, aber der Ausbau des Straßen- und Schienensystems hinkt in Deutschland beträchtlich hinter den Anforderungen hinterher.
Diese beiden Themen möchte ich in diesem Beitrag stellvertretend für andere Fragen aufgreifen. Zu diesen gehören das reformunwillige Italien, das die Bankenkrise nicht in den Griff bekommt, oder auch Griechenland, das unter den Krediten ächzt, die durch eine fehlgeleitete Politik aufgehäuft wurden. Ausgerechnet im reichen Europa, das einst auch bei Wirtschaft, Technologie und in der Politik Maßstäbe setzte, türmen sich die Schuldenberge auf, deren Last nur dank Mario Draghis Nullzinspolitik verschleiert wird. Die Infrastruktur zerfällt, die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer und die Politik „glänzt“ durch Kleinkariertheit.
Führungsschwäche oder Verweigerungshaltung?
Mir geht es ganz gewiss nicht darum, die Politik „madig“ zu machen, ganz im Gegenteil. Das Wohl unserer europäischen Demokratien hängt in besonderer Weise auch vom Führungspersonal ab. Letztendlich wählen wir alle unsere Volksvertreter von der Kommune, über Regionen und Bundesländer bis zu Staaten und Europaparlament, daher sind wir auch verantwortlich für die Besetzung der parlamentarischen Gremien.
Woran mag es nur liegen, dass die politischen Prozesse immer träger werden, die Politik sich in weiten Bereichen von der Bürgerschaft entfremdet hat, was gerade auch niedrige Wahlbeteiligungen – wie zuletzt in Frankreich – belegen? Warum werden viele Probleme schöngeredet oder deren Lösung auf die nächsten Generationen verschoben? Die Unfähigkeit zur Lösung von Problemen hängt natürlich auch direkt mit dem Unwillen vieler Bürgerinnen und Bürger zusammen, ihren Beitrag zum Gemeinwohl und damit auch zu ihrem eigenen Wohlergehen zu leisten. Führung heißt für mich aber auch, nicht dem „Volk nach dem Maul zu reden“, sondern zukunftsweisende Lösungen aufzuzeigen und dann um Mitstreiter zu werben.
Wassergebühren – nein danke!
Seit Jahren wird in der Republik Irland wortgewaltig um Wassergebühren gestritten. Die einen sehen im Wasser ein Menschenrecht, das allemal kostenlos ins Haus geliefert werden müsse, die anderen wollten (verbrauchsabhängige) Gebühren einführen, um das hinfällige Wassernetz durch Milliardeninvestitionen auf Vordermann zu bringen. Wenn es ums Wasser geht, dann verstehen Iren keinen Spaß: So mancher Befürworter unter den Volksvertretern bekam dies zu spüren und wurde bei einem Besuch in seinem Wahlkreis mit Fäusten traktiert.
Bei unseren Nachbarn in der südwestlichen Ecke von Irland ernteten wir im Regelfall nur Erstaunen, wenn wir uns für Wassergebühren ausgesprochen haben, obwohl gerade auch in Kerry das Wassernetz durch zahlreiche Rohrbrüche, schwachen Wasserdruck oder Qualitätsmängel gekennzeichnet ist. Auch ich musste länger als ein Jahrzehnt hinnehmen, dass bei uns das Wasser ganz ausblieb, wenn der nächstgelegene Farmer die Euter seiner Milchkühe abwusch oder die Milch mit Leitungswasser herunterkühlte. Aber nach zahllosen Beschwerden machte ein lokaler Politiker durch seinen persönlichen Einsatz ein kleines Wunder möglich: Zumeist kommt nun Wasser, manchmal nur ein etwas schwächlicher Strahl, aus dem Hahn. So waren wir gerne bereit, Wassergebühren zu bezahlen und taten dies auch ganz folgerichtig.
Nein-Sager setzen sich durch
190 000 Haushalte sahen dies allerdings anders und verweigerten die Zahlungen. In einem modernen Staat wäre ich jetzt davon ausgegangen, dass die säumigen Zahler per Mahnung an ihre Pflicht erinnert und somit auf den Pfad der „Wasser-Tugend“ geführt würden. Aber nachdem in zahllosen Haushalten bereits Wasserzähler installiert worden waren, schwand der Wille der Regierung von Leo Varadkar, Leitungswasser mit einem „Preisschild“ zu versehen. Damit wären ja nicht nur die Investitionsmittel für eine Verbesserung der Wasserversorgung aufgebracht, sondern auch zum sparsameren Umgang mit dieser wichtigen Ressource aufgefordert worden.
Aber die Regierungspartei Fine Gael, ohne echten Koalitionspartner auf die Unterstützung von Fianna Fail angewiesen, hat nun der Mut verlassen und statt eines Investitionsprogramms gibt es jetzt 170 Mio. Euro zurück: Die Kunden erhalten ihre Gebühren erstattet und das löchrige Wassernetz bleibt ihnen erhalten, aus dem auf dem Weg in die Haushalte rd. die Hälfte des Wassers dank uralter Rohre versickert. Diese Angabe zu einem skandalös hohen Wasserverlust stammt im Übrigen von Irish Water, dem Versorger, der 80% der Einwohner der Republik Irland beliefert.
Die Rückzahlung der Gebühren muss jetzt aus dem Staatshaushalt aufgebracht werden, genau so wie die bereits getätigten Investitionen in Wasserzähler und Abrechnungssysteme.
„Wutbürger“ und Bürokraten im Wettstreit?
Können Staaten wirklich überleben, die Wassergebühren nicht gegen den Widerstand der irischen Variante des „Wutbürgers“ durchsetzen können? Mit der weiteren Übernahme der Kosten für die Wasserversorgung über Steuergelder dürfte es noch schwieriger werden, das Gesundheitssystem fortzuentwickeln: Seit Jahren gibt es lange Wartelisten für medizinische Untersuchungen oder Eingriffe, die die deutsche Versorgung geradezu „paradiesisch“ aussehen lassen. Auf einen Termin beim Urologen kann man in Irland schon mal neun Jahre warten, so berichten Medien.
Wenn in Irland teilweise Straßen ohne Rücksicht auf die Natur gebaut werden, so haben wir in Deutschland – zumindest in den „alten“ Bundesländern – Umsetzungszeiten für Verkehrsvorhaben, die in die Jahrzehnte gehen. Und bevor vorschnell auch in diesem speziellen Fall auf deutsche „Wutbürger“ geschlossen wird, ziehe ich als Beispiel ein Straßenbauprojekt heran, bei dem die Bürgerinitiativen seit Jahren für den Ausbau einer Autobahn kämpfen – mit entsprechendem Lärmschutz natürlich. Hier scheinen eher politische Entscheidungsträger und Bürokraten zwar am gleichen Strang, aber wohl in entgegengesetzte Richtungen gezogen zu haben. So ist das eben, mal bekommen Politiker ohne Stehvermögen die Probleme nicht geregelt, beim nächsten Fall stehen eher Bürokraten auf allen Ebenen auf der Bremse.
Provisorium als Dauerengpass
Zahllose Verkehrsprojekte kommen in Deutschland nur im Schneckentempo voran, und dies gilt nicht nur für den Straßenbau, sondern auch für Schienen- und Wasserwege. Greifen wir ein Beispiel aus Baden-Württemberg heraus, das nach meiner Meinung leider symptomatisch für unsere Verkehrspolitik ist. Hier kann ich auch parteiübergreifend Kritik üben, denn in inzwischen über 30 Jahren haben nicht nur in Baden-Württemberg, sondern auch im Bund unterschiedliche Parteien und Koalitionen regiert, aber durch schnelles, sachgerechtes und abgestimmtes Handeln haben sich die Beteiligten bei der Verkehrsplanung und deren Umsetzung nicht ausgezeichnet.
Die heutige Bundesautobahn A 81 zwischen Sindelfingen-Ost und Böblingen-Hulb wurde von 1968 bis 1972 zwischen dem Autobahnkreuz Stuttgart und Böblingen / Sindelfingen als Ortsumgehung mit zwei Fahrstreifen in jede Richtung und ohne Standstreifen gebaut. Die Bundesstraße wurde dann zur Autobahn hochgestuft, da eine Autobahn zwischen Gärtringen und Leonberg niemals gebaut wurde. Viele von Ihnen kennen sicherlich dieses Autobahnstück, das immer wieder für Staus sorgt und so zur Bekanntheit der gesamten Region beiträgt: Stuttgart hat es den zweifelhaften „Ehrentitel“ einer Staumetropole eingetragen.
Vielleicht sind Sie auch schon mal aus der Schweiz oder vom Bodensee her über die A 81 in Richtung Stuttgart gefahren. Dann haben Sie sicherlich mit Erstaunen bemerkt, dass Fahrzeuge, die die Autobahn bei Gärtringen verlassen wollen, von der Überholspur aus nach links ausfahren. Hier hätte eine Tangente weiterführen und so maßgeblich zur Entlastung des Autobahnkreuzes Stuttgart beitragen sollen. Diese scheiterte aber bereits schon vor Jahrzehnten am Widerstand von Kommunen und Bürgern.
40 Jahre bis zur Fertigstellung?
Bereits 1985 schaffte es der sechsstreifige Ausbau – drei in jede Richtung, man soll ja nicht übertreiben – in den Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen. Und um die weitere Geschichte nicht mit zu vielen Details auszuschmücken, jetzt nach 32 Jahren könnte ein gutes Ende in Sicht sein. 2005 startete das Planfeststellungsverfahren, immerhin waren da schon 20 Jahre vergangen. Die Bürgerinnen und Bürger setzten sich zu Recht für einen umfassenden Lärmschutz ein, der nach weiteren Jahren zu einer finanziellen Beteiligung des Kreises Böblingen und der Anliegerstädte Böblingen und Sindelfingen führte. Ein weiteres Planfeststellungsverfahren lief 2016 mit den aktuellen Plänen an.
Wenn nun mal alles etwas schneller ablaufen sollte, dann könnte 2020 mit dem Ausbau begonnen werden. Und man möchte es kaum glauben, es ist jetzt auch noch ein Standstreifen vorgesehen! So könnten die heute fast 140 000 Fahrzeuge pro Tag vielleicht ab 2024 über die neue Autobahn gleiten. Wacker, wacker, kann ich da nur sagen: Nach 40 Jahren wäre es dann geschafft und die geplagten Anwohner und Autofahrer dürften auch mal staulose Tage erleben. Die Logistiker der Unternehmen in Sindelfingen und Böblingen, aber auch im weiteren Großraum Stuttgart, wären zumindest eine Sorge los und die Pendler könnten aufatmen.
Dialog, Kompetenz und Tempo sind gefragt
Da ich mich mit konkreten Verkehrsproblemen seit Jahren beschäftigt habe, drängt sich mir die Frage auf: Kann es sich unser Land wirklich leisten, dass seine Entwicklungschancen durch eine vor sich hin bröselnde Infrastruktur gehemmt wird? Mögen es mal „Wutbürger“ sein, die wie bei Stuttgart 21 dann noch zur Mahnwache aufmarschieren, wenn sich die Bürgerschaft in Baden-Württemberg – und in Stuttgart! – mehrheitlich für das Projekt ausgesprochen hat. Oder man denke an die Rheintrasse, deren Ausbau nicht recht vorankommt, so dass die Schweizer zwar den Gotthard-Basistunnel fristgerecht fertiggestellt haben, die Zugstrecken auf deutscher Seite aber nicht ausgebaut wurden.
Und wütende Zeitgenossen, die gibt es, wie das Scheitern der Wassergebühren in Irland gezeigt hat, auch in anderen europäischen Staaten.
In vielen Fällen fehlt es der Politik an Rückgrat, am Durchhaltewillen und an der umfassenden Dialogbereitschaft. Aus dem Dialog müssen jedoch Entscheidungen resultieren, die zur Umsetzung von Projekten führen. Bürokratismus und fehlende Kompetenz – ein Blick zum Flughafen Berlin-Brandenburg genügt – dürfen nicht dazu führen, dass Deutschland, Irland oder ganz Europa im weltweiten Maßstab zurückfallen.
Eine Antwort auf „Was ist denn mit uns Europäern los?“