Wann wird der Gashahn zugedreht?

Das Erdgasnetz ist kein Wegwerfartikel

Als einer der ersten deutschen Gasversorger verkündete die Mannheimer MVV, dass sie ab 2035 kein Erdgas mehr an die gewerblichen und privaten Kunden liefern wolle. Betrachte ich die in Deutschland üblichen Planungs- und Umsetzungszeiten, frage ich mich schon, ob in einem Jahrzehnt alle Haushalte an Wärmenetze angeschlossen sein werden oder sich mittels Wärmepumpen plus PV-Anlage zum Teil selbst versorgen können. Zumindest Elektrizität sollte allerdings weiter geliefert werden, denn der meiste Strom wird in den Sommermonaten per Solaranlage erzeugt, wenn nicht geheizt wird. Mit Batteriesystemen tun wir uns in Deutschland im großen Maßstab bisher schwer, was leider in gleicher Weise für die von SENEC – einer EnBW-Tochter – gelieferten Haushaltsspeicher zutrifft. Wer beim Erdgas den Hahn zudrehen möchte, muss sich engagierter als bisher darum kümmern, dass die bisherigen Kunden anschließend nicht im Kalten sitzen. Wenig Verständnis habe ich auch für Diskussionen, in denen der volkswirtschaftliche Wert des Erdgasnetzes nicht berücksichtigt wird. Die Befürworter lokaler oder regionaler Wärmenetze scheinen in den Debatten im Vorteil zu sein, obwohl sie parallel zu bereits liegenden Gasnetzen Straßen und Gehwege aufbuddeln lassen, um Rohre für Erdwärme zu verlegen. Wäre es nicht sinnvoll, die Versorgung der Haushalte mit synthetischem Gas oder Wasserstoff über die bisherigen Gasnetze zumindest intensiver zu diskutieren? Dabei bin ich mir bewusst, dass Wasserstoff aggressiver als Erdgas auf bestimmte Rohre und Verbindungsstücke reagiert. Veränderungen am Leitungsnetz wären notwendig, doch in vielen Fällen überschaubarer als neue Wärmenetze zu installieren. Wasserstoff ließe sich mit Wind- und Solarenergie erzeugen, wenn der Strom aktuell nicht abgerufen wird und ausreichende Speicherkapazitäten fehlen.

Ein hoher runder Gasspeicher erhebt sich über die umliegende Bebauung.
In manchen Kommunen gehören Gasspeicher – wie hier in Stuttgart – noch zum Stadtbild, obwohl sie nicht mehr genutzt werden. Der denkmalgeschützte Speicher in der baden-württembergischen Landeshauptstadt fasst 300 000 Kubikmeter und wurde 2021 endgültig außer Betrieb gesetzt. Betrachten wir die heutige weltpolitische Situation, dann hätte man besser nicht vorschnell regionale Gasspeicher oder die letzten Kernkraftwerke abgeschaltet. Mehr dazu in: ‚EU: Mit Atomenergie und Gaskraftwerken in eine grüne Zukunft? Vernebelung kann innovative Energiepolitik nicht ersetzen‘. (Bild: Ulsamer)

Energiestrategie – ein Debakel

Erdgas hat so manchen Kilometer zurückgelegt, ehe es im Haushalt verbrannt werden kann. Im Zuge des von Wladimir Putin vom Zaun gebrochenen Angriffskriegs gegen die Ukraine versiegte die preisgünstige Versorgung mit Erdgas per Pipeline aus Russland. Viel zu lange hatten die Regierungen unter Gerhard Schröder (SPD) und Angela Merkel (CDU) das wenig demokratische Gehabe des Präsidenten in Moskau geflissentlich übersehen. Im Grunde fehlt bis heute eine nachhaltige Strategie zur Energieversorgung in Deutschland, so mussten eilends Terminals für Flüssiggastanker eingerichtet werden, um unser Land mit ‚Liquified Natural Gas‘ (LNG) zu versorgen. Wer aber glaubt, dass mit dem propagierten Einsatz von Wasserstoff die Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten abnehmen würde, der irrt sich, denn die Bundesregierung setzte bisher zu wenig auf die Produktion von Wasserstoff im Inland z. B. mit Strom, der aktuell nicht benötigt wird. Windräder werden abgeschaltet, wenn der Strom nicht von Industrie, Gewerbe und Haushalten abgerufen wird, anstatt die Rotoren laufen zu lassen und mit der gewonnenen Energie Wasserstoff herzustellen. Die von Olaf Scholz geführte, gescheiterte Bundesregierung hat kaum auf Wasserstoff gesetzt, sondern weiter in batterieelektrischen Träumen geschwelgt. Wasserstoff wurde als Antriebsmittel für Pkw totgeredet und in Deutschland von Daimler entwickelte Busse nur halbherzig gefördert. Die deutsche Energiestrategie ist ein einziges Debakel! Dies zeigt sich auch bei den fehlenden Gas- bzw. Wasserstoffkraftwerken, die einspringen könnten, wenn bei einer Dunkelflaute der regenerativ erzeugte Strom ausbleibt. Es ist wirklich abstrus, die letzten deutschen Kernkraftwerke abzustellen und dann Atomstrom aus dem Ausland zu beziehen. Bei so viel politischem Dilettantismus ist es fürwahr ein Wunder, dass wir bisher keinen überregionalen Blackout erleben mussten. Mehr dazu in: ‚Blackout: Wenn der Strom fehlt. Wie gefährdet sind unsere Stromnetze‘.

An einer helen Wand weisen sechs kleine gelbe Schilder auf verlegte Erdgasleitungen hin.
In Deutschland heizt fast die Hälfte der Haushalte mit Erdgas, doch so mancher Politiker oder Energieversorger droht schon mal, den Gashahn zuzudrehen, obwohl Alternativen lokal und regional noch fehlen. (Bild: Ulsamer)

Nun zurück zum Erdgasnetz, das in Deutschland rund 600 000 Kilometer umfasst und somit mehr als 45-mal so lang ist wie das deutsche Autobahnnetz. Dieses komplexe Verteilnetz wird ergänzt durch 40 Speicher mit einem Volumen von 24 Mrd. Kubikmetern. Deutschland besitzt damit die größten Gasspeicherkapazitäten in Europa. Derzeit wird in rd. 48 % der Haushalte mit Gas geheizt! Mit seiner Novellierung des Heizungsgesetzes versuchte der grüne Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz möglichst schnell den Gashahn in den Haushalten zuzudrehen, doch Robert Habeck schuf mit seinem unausgegorenen Gesetzentwurf erst mal einen Boom für Gasheizungen. Nicht jeder Kinderbuchautor ist eben auch ein sachkundiger Wirtschaftsminister! Für Habeck & Co. scheint der volkswirtschaftliche Wert des Erdgasnetzes keine Rolle gespielt zu haben, denn sie ordneten die Realität der Ideologie unter.

Aufnahme aus einem Flugzeug. Aus dem blauen Meer ragen zahlreiche weiße Windrotoren.
An Land und insbesondere auf dem Meer schießen Windrotoren wie Pilze ans Licht. So sehen Investoren in der Nordsee nicht nur vor Schottland Potenziale. Mit der Windenergie ziehen die Schotten nach Öl und Gas einen weiteren Vorteil aus dem Naturraum Nordsee. Sie packen die Chancen der regenerativen Energie beim Schopfe und sind dabei, die Netze für die Weiterleitung des Stroms nach England und Kontinentaleuropa auszubauen. Weitere Informationen finden Sie in: ‚Schottland – vom Öl zum Wind. Wandlungsfähiger Energieproduzent im Norden Europas‘. (Bild: Ulsamer)

Vielfältige Energieerzeugung

Ich kann nur hoffen, dass die in den Startlöchern stehende Bundesregierung unter Friedrich Merz die eingeschlagenen Trampelpfade verlässt und wieder in Sachen Energie wirtschaftliche Anforderungen und den Klimaschutz als Gesamtheit betrachtet. Einbezogen werden müssen in alle Überlegungen der Wert des Gasnetzes, der bei 270 Mrd. Euro liegen soll, eine erhöhte Produktion von Wasserstoff und die Nutzung von synthetischem Gas. Das Gasnetz ist kein Wegwerfartikel, sondern stellt volkswirtschaftliches Kapital dar. Wer im Schneckentempo parallel zum vorhandenen Erdgasnetz Leitungen für die Wärmeversorgung verlegt und ansonsten – ohne Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten – den Einsatz von Wärmepumpen empfiehlt, der vergibt ohne triftigen Grund Chancen, die sich aus vorhandenen Netzstrukturen ergeben. Wir haben eine PV-Anlage auf unserem Dach und liebäugeln mit einer Wärmepumpe, denn ein kommunales Wärmenetz wird es auf absehbare Zeit wohl nicht bei uns geben. Mit dem erzeugten Strom kommen wir gut über die sonnenreichen Monate, doch ein Blick auf die Grafik mit den erzeugten Kilowattstunden macht schnell deutlich, dass wir beim Wegfall von Erdgas größere Mengen an Strom beziehen müssen. Da können wir nur hoffen, dass bei der ausgerufenen Energiewende der Leitungsausbau und die Einrichtung von Speichern endlich vorankommt. Wer ein ganzes Land zu batterieelektrischen Fahrzeugen und der Beheizung mit Wärmepumpen, die gleichfalls Elektrizität benötigen, drängt, der muss mehr als bisher für die Stromversorgung in dunklen und windarmen Wintermonaten tun. Und Wärmenetze machen natürlich nur Sinn, wenn in den Kraftwerken mit regenerativ erzeugter Energie Wärme produziert wird. Damit sind wir wieder beim Wasserstoff, denn es wäre kontraproduktiv, den Haushalten die Gasversorgung abzudrehen, um anschließend Wärme in Kraftwerken mit Erdgas zu erzeugen und diese dann den Endverbrauchern zuzuleiten.

Im Vordergrund der Mast einer Hochspannungsleitung und im Hintergrund Windrotoren auf einem Berg.
Etliche Debatten über die Energiewende, die im Grundsatz sehr wichtig sind, hinterlassen bei mir den Eindruck, dass politische Entscheider manchmal schneller das Gasnetz für obsolet erklären, als sie den Ausbau der Stromnetze vorantreiben. Politiker reden gerne von der Energiewende, doch es fehlen sachgerechte Strategien für den Übergang aus dem fossilen Zeitalter in die Zukunft der regenerativen Energie, was 2021 der Bundesrechnungshof bemängelte:  “Die Bundesregierung steuert den Transformationsprozess weiterhin unzureichend. Das gefährdet eine sichere und bezahlbare Stromversorgung.“ Mehr dazu in: ‚Bundesrechnungshof bemängelt Strategie für Energiewende! Baden-Württemberg – Waldschutz contra Windkraft?‘ (Bild: Ulsamer)

Eine Politik im Stile Robert Habecks konnte die Energiewende nicht voranbringen, so übertrafen die Kollateralschäden den Nutzen für das Klima. Weit stärker müssen verschiedene Energiearten genutzt werden, und dabei setze ich auf Wasserstoff und synthetisches Gas. „Der aus er­neu­er­ba­rem Strom her­ge­stell­te Was­ser­stoff wird über eine Me­tha­ni­sie­rung in syn­the­ti­sches Gas um­ge­wan­delt. Da­für kann Koh­len­di­oxid (CO2) z. B. aus den Klär­an­la­gen der Re­gi­on zu­ge­führt wer­den“, so der Verband der Gas- und Wasserstoffwirtschaft. Weit intensiver als bisher müssten Aktivitäten ausgeweitet werden, um aus kohlenstoffdioxidhaltigen Abgasen, z. B. von Zementwerken, mit regenativ erzeugtem Strom sogenannte reFuels (renewable energy fuels) zu erzeugen. Die von der EU und gerade auch der zerfallenen Bundesregierung unter Olaf Scholz vorangetriebene Konzentration auf batterieelektrische Fahrzeuge bzw. Wärmenetze und Wärmepumpen greift zu kurz. Wir müssen in der Breite alle potenziellen Energiearten für Verkehr und Haushalte, für Gewerbe und Industrie prüfen und sachgerecht umsetzen, die uns beim Klimaschutz voranbringen. Wer verbiestert an einer Einzellösung festhält und diese mit Zwang oder Subventionen durchdrücken will, leistet Mensch, Gesellschaft, Natur, Umwelt und dem Klimaschutz einen Bärendienst. Es ist daher höchste Zeit, offener als bisher auch über eine sinnvolle Weiternutzung der Gasnetze nachzudenken.

 

An einem Holzgartenzaun hängt ein blaues Plakat ,it dem Text: "Wir sagen nein. Kein windloser Windpark im Schurwald!." Daneben ein weißer Windrotor mit einem runden roten Kreis, der durchgestrichen wurde.
Wer über die Energiewende philosophiert, muss sich besonders um PV-Anlagen und die Windenergie kümmern. Verwunderlich ist es schon, dass in Baden-Württemberg kaum neue Windkraftanlagen errichtet werden, wo doch die Regierung aus Bündnis90/Die Grünen und CDU in ihrem Koalitionsvertrag verkündete, man wolle in der Legislaturperiode von 2021 bis 2026 „die Voraussetzungen für den Bau von bis zu 1000 neuen Windkraftanlagen schaffen“. 2024 gingen gerade mal acht neue Windkraftanlagen in Baden-Württemberg ans Netz! Ergänzende Information hierzu finden Sie in meinem Beitrag ‚Windkraft: Aufgeblasene Backen, aber wenig Windenergie. Baden-Württemberg hinkt hinter Regierungsverlautbarungen her‘. Die wenigen Anlagen dann noch so zu platzieren, dass sie unmittelbar mit einem historischen Gebäude kollidieren, wie z. B. beim Schloss Baldern in der Nähe von Bopfingen, ist sicherlich kein planerisches Meisterwerk. Für abwegig halte ich es, jetzt die Flucht in den Wald anzutreten, um dort Windkraftanlagen zu errichten, denn dem Wald geht es ohnehin nicht gut. In meinem Blog sind verschiedene Artikel zum Zustand unserer Wälder erschienen, so z. B. ‚Wälder brauchen Wasser. Mit Tümpeln und Totholz der Dürre Paroli bieten‘. Ackerflächen mit Monokulturen bieten sich eher an! (Bild: Ulsamer)

 

Ein weißes Fahrzeug ist mit einem Kabel mit einer blau-weißren Ladesäule verbunden.
Wir müssen die Erderwärmung bremsen und so dem Klimawandel die Dynamik nehmen, doch mit Gängelei der Verbraucher lässt sich die Energiewende nicht erzwingen. Zu einseitig wurde auf batteriebetriebene Fahrzeuge gesetzt, ohne Wasserstoff oder Hybrid-Motoren ausreichend zu berücksichtigen. Gleiches gilt für die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes, das den grünen Robert Habeck zum Heizungsminister machte. Statt die Vielfalt der Energiearten zu nutzen, setzte die gescheiterte Bundesregierung auf fragwürdige Einzellösungen. In meinem Beitrag ‚Individuelle Mobilität im Schwitzkasten der E-Mobilität. Es fehlt an Ladesäulen, Stromnetzen und Rohstoffen‘ finden Sie weitere Hinweise zu diesem Thema. (Bild: Ulsamer)

 

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Ein Markierungsstein mit gelber Farbe und einem Schild, das auf das verlegte Gasnetz hiweist. Der Stein ist auf einer Seite in den Erdboden eingesunken.In Deutschland heizt fast die Hälfte der Haushalte mit Erdgas, doch so mancher Politiker oder Energieversorger droht schon mal, den Gashahn zuzudrehen, obwohl Alternativen lokal und regional noch fehlen. (Bild: Ulsamer)

 

 

 

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