Martin McGuinness: Von der Gewalt zur Politik

Nordirland verliert zentrale Führungspersönlichkeit

Der am 21. März verstorbene nordirische Politiker Martin McGuinness vereinigt in seiner eigenen Biografie in ganz besonderer Weise die Geschichte dieser Region: Am 23. Mai 1950 wurde er in der Bogside in Derry geboren und somit in einem sozialen Brennpunkt. In diesem Viertel lebten dicht gedrängten die Katholiken, die politisch, sozial und wirtschaftlich unterdrückt wurden. Nicht nur die britischen Regierungen in London, sondern auch die protestantischen Gruppierungen verweigerten den Katholiken die Gleichberechtigung. Die nordirische Polizei bestand seinerzeit fast komplett aus Protestanten und war auch zu einem Instrument der Unterdrückung geworden. Und wie immer, wenn Bevölkerungsgruppen Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte als Menschen zweiter Klasse betrachtet werden, staut sich der Unmut auf und findet ein Ventil in der Gewalt. Martin McGuinness war es mit zu verdanken, daß der Teufelskreis der Gewalt durchbrochen werden konnte.

In der Bogside von Derry fand der Widerstand gegen die Unterdrückung der Katholiken eine wichtige Basis. (Bild: Ulsamer)

Britische Fallschirmjäger richten Blutbad an

Als britische Fallschirmjäger am 30. Januar 1972 das Feuer auf unbewaffnete und friedliche Demonstranten eröffneten, war McGuinness der zweite Mann in der Führung der IRA in Derry. Dieser Bloody Sunday kostete nicht nur 14 Zivilisten, darunter auch Kinder, das Leben, sondern auch der britischen Armee jegliche Glaubwürdigkeit. Das Militär war zunächst als Moderator, wenn nicht gar als Schutzmacht gegen die Drangsalierung durch die protestantische Polizei und zahllose paramilitärische Organisationen begrüßt worden, doch nun zu einem weiteren Knüppel der Unterdrückung verkommen. So hatte auch ich in meinem ersten kleinen Artikel, den ich 1969 (!) in einer Schülerzeitung veröffentlichte, noch die Hoffnung geäußert, dass die britischen Soldaten zur Rückgewinnung des Friedens beitragen könnten.

Über die Positionen, die McGuinness innerhalb der Provisional Irish Republican Army (IRA) inne hatte und wie lange er eine ihrer Führungspersonen war, gehen die Meinungen auseinander. Klar erkennen lässt sich jedoch in seiner weiteren Vita, dass er seinen Weg aus der Gewalt in die Politik fand. Und er öffnete damit auch das Tor für Verhandlungen zwischen der katholischen und protestantischen Seite in Nordirland in Verbindung mit den Regierungen in London und Dublin. So war er auch Unterhändler von Sinn Fein für das Karfreitagsabkommen. (siehe hierzu auch meinen Blog-Beitrag: „Zerbricht das Vereinigte Königreich“)

Frieden schaffen ohne Waffen

McGuinness wurde nach dem Karfreitagsabkommen des Jahres 1998 zu einer immer wichtigeren Führungspersönlichkeit nicht nur seiner eigenen Partei Sinn Fein, sondern auch als Deputy First Minister von Mai 2007 bis Januar 2017. Diese Position hat ihre ganz besondere Bedeutung dadurch erhalten, dass in der nordirischen Regierung Katholiken und Protestanten zusammenarbeiteten und neben einem früheren IRA-Strategen – McGuinness – der protestantische Intimfeind, Pfarrer Ian Paisly, zum First Minister berufen wurde. Paisly hatte sich über Jahrzehnte als Feind der Katholiken hervorgetan, der selbst im Europaparlament Papst Johannes Paul II attackierte: „Antichrist, I denounce you and your false teaching.“ Nicht nur im Papst sah er den Antichristen, dessen Lehre er verurteilte, sondern auch in den katholischen Bürgern. Als Gründer und Chef der Democratic Unionist Party – und seiner eigenen Glaubensgemeinschaft, der Freien Presbyterianischen Kirche – war Pfarrer Paisly jedes Mittel recht, um die Vorherrschaft der Protestanten zu sichern. Aber ausgerechnet diesen zwei so gegensätzlichen Politikern gelang es, die Grundlage für eine Annäherung der Konfliktparteien zu legen und die Gewalt auf der Straße einzudämmen.

Weg in friedliche Zukunft sichern

Erwartungsgemäss betonte Sinn Fein-Präsident Gerry Adams in seinem Nachruf: „He was a passionate republican who worked tireless for peace and reconciliation“. Aber auch Premierministerin Theresa May unterstrich „Martin McGuinness ultimately played a defining role in leading the republican movement away from violence“. Der britische Secretary of State für Nordirland, James Brokenshire unterstrich den Einfluss von McGuinness bei der Schaffung politischer Institutionen, die auf “exclusively peaceful and democratic means” beruhen.

Der Friedensprozess in Nordirland muss unbedingt fortgesetzt werden, auch wenn die ihn prägenden Personen zum Teil verstorben sind. Dies wird der neuen Generation von Politikern durch den Brexit-Beschluss der britischen Wähler und insbesondere durch die extreme Haltung der Regierung unter Theresa May erschwert: Eine neue harte Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland könnte alte Gegensätze wieder aufbrechen lassen. Die katholischen Nordiren dürfen nicht das Gefühl bekommen, dass sie wieder an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.