Erst verschwinden die Insekten, dann die Vögel
von Cordula Ulsamer
Wie wunderbar: der Sommer kommt – Sonnenschein lockt uns wieder raus in die Natur. Wandern, Rad fahren, Urlaub machen, …. Sofern man nicht direkt vor der Haustüre startet oder öffentliche Verkehrsmittel benutzt, sondern das eigene Auto, muss sich am Zielort, mag er noch so nah sein, spätestens aber an der Tankstelle, einer opfern und mit hartem Schwamm die Überreste verstorbener Mücken, Hummeln, Schmetterlinge usw. von der Windschutzscheibe kratzen. Ekelig!
Haben Sie auch bemerkt, dass dieses Szenario der Vergangenheit angehört? Daran könnte man sich gewöhnen – doch was steckt dahinter? Es ist schon lange nicht mehr so, dass manch später Heimkehrer im Lichtkegel des Scheinwerfers mitten im Sommer Schneegestöber mutmaßt. Kaum zu glauben, dass sich so viele Motten, Nachtschmetterlinge oder andere Hautflügler über dem Asphalt der Landstraße tummeln. Aber – der industriellen Landwirtschaft sei Dank – die Insekten sind dramatisch zurückgegangen, sowohl die Anzahl der Individuen als auch die Insektenarten!
Vor kurzem überraschte Winfried Kretschmann, der grüne baden-württembergische Ministerpräsident, seine Zuhörer mit der Erkenntnis, dass heutzutage die Windschutzscheibe seines Dienstfahrzeugs auch bei langen Fahrten über Land nahezu sauber bliebe. Es ist ein wichtiger Gesichtspunkt, dass solche Erkenntnisse bis in „höhere politische Kreise“ vorgedrungen sind, und es sich auch jemand traut, dies öffentlich zu erklären. Genügend Spott bekam er ja auch zu hören!
Der stille Frühling
Bemerkten vor kurzem nur Imker den tragischen Tod ganzer Bienenvölker, ist heute das „Bienensterben“ ein Fakt, der uns alle betrifft: ohne Bienen können wir unsere Obstbäume nur noch selbst mit dem Pinsel bestäuben. Damit einhergehend sind eben nicht nur Bienen betroffen, sondern viele andere Insekten gleichermaßen. Der Mensch am Badesee mag sich ja noch freuen, da Stechmücken oder Bremsen ihn vielleicht nicht mehr so häufig plagen, dafür aber wird Vögeln, Fröschen, Fledermäusen, … schlicht die Nahrungsgrundlage entzogen, sie verhungern. Und es ist bereits ebenfalls ein Fakt, dass es „still in der Natur“ geworden ist, da viele gefiederte Sänger ihre lauten Strophen eher in der Stadt erschallen lassen, als dort, wo sie eigentlich hingehören. Und auch nicht jede Vogelart kann in städtische Bereiche abwandern.
Zerstörte Lebensräume
Auch wenn die Ursachen vielfältig im Detail sein mögen, es steht wissenschaftlich eindeutig fest, dass zerstörte Lebensräume und eine intensive Landwirtschaft dafür in erster Linie verantwortlich sind. Feldfluren mit großen Schlägen, Monokulturen, oder Maispflanzungen (für die Biogasanlage), die obendrein auch noch mit Pflanzenschutzmitteln gepäppelt werden müssen, stehen im Vordergrund. Dabei wären Hecken, Feldraine und -gehölze, blühende Wiesen mit zeitversetzter und kleinräumiger Mahd usw. ein wichtiger Lebensraum für alle möglichen Insekten-, Vogel- oder Kleinsäugetierarten. Hierbei sind die traditionell kleineren Parzellen in den Realteilungsgebieten Süddeutschlands noch besser dran, als die ehemals von Großgrundbesitz oder LPGs (Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften der DDR) in Nord- und Ostdeutschland bewirtschafteten Flächen. Auch Kombinationen von beiden Bewirtschaftungsformen müssten doch möglich sein. Etliche Naturschutzorganisationen widmen sich diesen Belangen, sie sind aber auf die Mithilfe jedes Einzelnen von uns angewiesen.
Fehlgeleitete EU-Agrarsubventionspolitik
Wenn man einschlägige Publikationen zu Rate zieht, und dank Internet kann sich jeder, der Interesse am Thema hat, schnellstmöglich informieren, dann wird schnell klar, dass viele Menschen, Organisationen und nicht nur auf Natur- und Umweltschutz spezialisierte Medien diese Erkenntnisse als gesicherte Tatsachen anerkennen. Artikel in Fachzeitschriften, dankenswerterweise aber auch in allerlei Tageszeitungen, bemühen sich redlich, das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen. In einem ausführlichen Interview mit der Stuttgarter Zeitung brachte der baden-württembergische NABU-Chef Johannes Enssle das Problem kurz und knapp auf den Punkt: „… Die Insekten sind weg, da es zu viele Pestizide gibt und immer weniger Blütenpflanzen. Und da die Insekten die Nahrung für Vögel und Fledermäuse sind, nimmt auch deren Zahl rapide ab.“ (20.12.2016) Wie viele andere sieht auch der NABU die industrielle Landwirtschaft im Brennpunkt dieser Entwicklung. „Auf den landwirtschaftlichen Flächen geht es den Arten am schlechtesten. Wir wollen kein Bauern-Bashing betreiben …“, so Enssle, stehen doch oftmals die Landwirte auch unter dem massiven Druck der Agrar-, der Düngemittel- und der Viehfutterindustrie.
Ein ganz entscheidender Missstand ist in meinen Augen auch die Tatsache, dass überall in der EU Landwirte entsprechend der Größe ihrer Betriebe subventioniert werden und nicht danach, ob sie umweltverträglich, biologisch oder nach Tierschutzgesichtspunkten wirtschaften. So erhält der Großagrarier genauso Förderung wie ein Biolandwirt, der beispielsweise Mutterkuhhaltung betreibt.
Und kaum fordert das Bundesumweltministerium ein Umdenken in der Landwirtschaftspolitik, da zieht Ministerin Hendriks ihre Informationskampagne zurück. Schon der schüchterne Hinweis darauf, dass Bienen zum Überleben blühende Wiesen statt großflächiger Maisplantagen benötigen, brachte die Agrarlobbyisten auf die Palme.
Jeder kann aktiv werden
Vermutlich lesen Sie hier nichts Neues, vielleicht fragen Sie sich, was „man“ gegen die Agrarlobby und das Insektensterben unternehmen kann. Einerseits wäre da an die Unterstützung großer Umwelt- oder Naturschutzverbände zu denken, andererseits helfen auch die kleinen Aktivitäten im eigenen Umfeld. Ich denke, es ist wichtig, an jeder dazu geeigneten Stelle die Stimme für noch so unscheinbare Mit-Lebewesen auf unserem Planeten zu erheben, wenngleich auch ich mich vor Wespen fürchte, Schnaken nicht in mein Schlafzimmer einlade, Spinnen einfangen und hinaustragen lasse (!!!), froh bin, wenn ich bei Ausflügen von Bremsen und Zecken verschont bleibe.
Ich bin nun aber auch keine Fledermaus und kein hungriger Vogel, diese sind auf uns Menschen und unser Handeln angewiesen – und die haben unser Engagement bitter nötig. Noch so gut gemeinte Vogelfütterung ist nur ein Ersatz. Es gilt auch, Insekten, ihre Lebensräume und Biotope zu schützen. Dabei kann ebenfalls jeder mitmachen. Vom Anlegen einer Bienenweide, dem Pflanzen blütenreicher Sträucher im Garten oder geeigneter Pflanzen auf dem Balkon, reicht die Palette der Möglichkeiten, die wir aufgreifen können. Auch versiegelte Flächen in den Gemeinden, die vorübergehend öde vor sich hin dämmern, sollten in diesem Sinne ökologisch genutzt werden. Bei ganz uneinsichtigen Stadtverwaltungen hilft nur noch „Guerilla Gardening“. Letztendlich wird eine großflächige Besserung jedoch nur erreicht, wenn Insekten auf landwirtschaftlich genutzten Wiesen und Äckern wieder (über-)leben können.
Glückwunsch!
Ihr Kommentar zum Insekten- und Bienensterben in unserer Landschaft trifft genau zu. Als Imker (Freizeitimker) wird mir die Auswirkungen der Monokultur und der starke Pestizideinsatz durch vermehrte Völkerverluste deutlich vor Augen geführt.
Helfen Sie durch Ausbringen von geeigneten Blühmischungen, auch im kleinen, unsere Umwelt für Insekten jeder Art wieder attraktiver zu machen. Lassen Sie auch mal ein “Unkraut oder einen wilden Strauch” in Ihrem Garten stehen. Danke.
Ganz wichtiges Thema!
Um gegensteuern zu können, müssen aber die Ursachen noch näher eingegrenzt werden.
Ich hoffe, dass das LNV-Zukunftsforum am 11.11.2017 zum Thema Insektensterben neue Erkenntniss bringt.
Lieber Herr Dr. Ulsamer,
danke für Ihren Link, den Text habe ich mit Interesse gelesen und kann in weiten Teilen zustimmen. Auch für uns ist einer der Hauptarbeitsschwerpunkte die Verbesserung der Nahrungssituation für Blütenbestäuber. Wir sprechen dabei aber nie von einem allgemeinen Bienensterben, da wir dies bei Honigbienen statistisch nicht belegen können. Für Wildbienen trifft es aber voll zu, da gebe ich Ihnen recht.
Was ich besonders gut finde ist, dass Sie an jeden appellieren, zu helfen. Denn nicht nur die intensive Landwirtschaft (natürlich sind das die größten Flächen), sondern auch im kommunalen und privaten Bereich gibt es immer weniger Blütenreichtum und nicht zu vergessen Pflanzenschutzmitteleinsatz. Gerade im privaten Bereich wird dieser häufig ohne Fachkenntnis ausgebracht.
Mit der Einführung der Greening-Maßnahmen in der GAP wurde ein erster vorsichtiger Schritt in die richtige Richtung mit sicherlich noch viel Luft nach oben angestoßen. Hier versuchen wir ständig, Verbesserungen durchzusetzen. Und bei all der Kritik an der Landwirtschaft sollten wir eines vermeiden – Feindbilder aufzubauen und darüber das Miteinanderreden zu vergessen. Das ist leider auch zwischen Imkern und Landwirten häufig der Fall. Meist ist es nur die Unkenntnis über die Probleme des anderen, die von Verbesserungen abhält. Es gibt bei uns auch genug positive Beispiele, wo die Zusammenarbeit hervorragend läuft und die Lebensbedingungen für Bestäuber auf dem Land gut sind.
Eines ist klar, solange die Mehrheit der Verbraucher nach dem Motto „Geiz ist geil“ nicht bereit ist, angemessenes Geld für Lebensmittel auszugeben, werden wir auch keine grundlegenden Verbesserungen in der Landwirtschaft und damit für Blütenbestäuber erzielen.
Herzliche Grüße
Petra Friedrich
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
DEUTSCHER IMKERBUND E. V.
Super Artikel! Ein Rundumschlag zu dieser Thematik. Wir müssen es weiter an die Öffentlichkeit und in die Politik bringen.
Beste Grüße
Johannes Enssle
Sehr gut geschrieben.. Auch mit der gelungenen Kampagne von Barbara Hendricks die leider zurück gezogen wurde.