Datensammelei für die Grundsteuer führt zu Verdruss
Die Reform der Grundsteuer entstand mal wieder nicht aus der inneren Einsicht der politischen Entscheidungsträger, sondern als Folge eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 2018. Was danach Bund und Länder sowie ihre Bürokraten zu Papier brachten, das degradiert uns Bürger wieder zu Lakaien des Staates, der die eigene Unfähigkeit vernebeln möchte. Eifrig dürfen wir Daten zusammentragen, die den Kommunen seit Jahr und Tag vorliegen, und diese digital beim Finanzamt abliefern. Bodenrichtwerte müssen wir nachschlagen und ins richtige Kästchen einfügen, obwohl nicht wir Bürger diese festgelegt haben, und sie ließen sich im Übrigen durch einen Datenabgleich im Behördencomputer leicht übertragen. Das alles soll natürlich hopphopp erledigt werden, denn zuerst machen Politiker ein Nickerchen, dann ist z. B. das Steuerportal ‚Elster‘ der Finanzbehörden erst ab dem 1. Juli 2022 aufnahmefähig und danach zeitweise nicht erreichbar, doch bis zum 31. Oktober 2022 hat der gehorsame Lakai seine Pflichten gegenüber der Herrschaft zu erfüllen. So ganz passt die Vorgehensweise nicht zu einem freiheitlichen Rechtsstaat. Am gleichen Tag, als ich mich für die ‚Feststellungserklärung‘ vor den Computer setzte, las ich beim Frühstück ein Interview mit Wolfgang Schäuble und Thomas Strobel in der Stuttgarter Zeitung, in dem sie auch auf die Politikverdrossenheit angesprochen wurden, allerdings fiel ihnen dazu außer Allgemeinplätzen nicht viel ein. Mir schon: Bei der Grundsteuer und anderen Gesetzen und Verordnungen werden Bürgerinnen und Bürger zum Erfüllungsgehilfen der Bürokraten degradiert, obwohl es auch anders ginge.

Der politische Bummelzug
Die Grundsteuer ist für die Städte und Gemeinden eine wichtige Einnahmequelle, und selbstredend sollte es bei der Berechnung gerecht zugehen. Da kann ich dem Bundesverfassungsgericht nur zustimmen. „Das Festhalten des Gesetzgebers an dem Hauptfeststellungszeitpunkt von 1964 führt zu gravierenden und umfassenden Ungleichbehandlungen bei der Bewertung von Grundvermögen, für die es keine ausreichende Rechtfertigung gibt“, so das Bundesverfassungsgericht in einer Erklärung vom 10. April 2018. „Mit dieser Begründung hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts die Vorschriften mit Urteil vom heutigen Tage für verfassungswidrig erklärt und bestimmt, dass der Gesetzgeber spätestens bis zum 31. Dezember 2019 eine Neuregelung zu treffen hat.“ Nun setzte das übliche Hauen und Stechen im politischen Ring ein, und Bund und Länder einigten sich auf eine doch nicht ganz so einheitliche Vorgehensweise. Auf der Internetseite des Bundesministeriums der Finanzen liest sich dies natürlich viel positiver: „Das Bundesministerium der Finanzen und nahezu alle Länder haben sich bereits früh auf das geschilderte Bundesmodell verständigt.“ Schaut man etwas genauer hin, dann frage ich mich schon, welchen Sinn „nahezu alle Länder“ im Kern hat, wenn „Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen von der Öffnungsklausel Gebrauch gemacht und die Bewertung des Grundvermögens für Zwecke der Grundsteuer landesgesetzlich geregelt“ haben. Das Saarland und Sachsen haben „abweichende Steuermesszahlen“ eingeführt. Wenn sieben von sechzehn Bundesländern zumindest teilweise eigene Wege gehen, dann ist knapp die Hälfte nicht im Gleichschritt des Bundes unterwegs! Nun gut, im Bundesfinanzministerium rechnet man vielleicht anders! Jeder Schüler bekommt vermutlich auch heute noch einen Rüffel, wenn er bei 9 von 16 Ländern in einem Aufsatz von „nahezu allen“ sprechen würde.

Als Bürger in Deutschland bin ich es längst gewöhnt, dass man am Gängelband der Bürokraten durch die Manege geführt wird, doch warum ich im stillen Kämmerlein Daten für die Grundsteuer am Bildschirm eintrage, die der jeweiligen Kommune längst vorliegen, das frage ich mich schon. Für unser kleines Grundstück mit nicht einmal 240 m² entrichten wir seit 1981 brav die Grundsteuer, und ich gehe davon aus, dass bei der Stadtverwaltung in Esslingen am Neckar die richtige Quadratmeterzahl herangezogen wird. Auch die Aufteilung des Gemeinschaftsgrundstücks ist wohlbekannt, dies ergibt sich aus der Korrespondenz. So geht es bei uns um 333/1000stel von 717 Quadratmetern. Schwierig sind nicht die Besitzverhältnisse, aber warum muss ich das richtige Kästchen suchen, um diese Daten einzutragen, wo sie doch bei der Stadt vorliegen, die jetzt und später Nutznießer der Steuer ist? Schon poppt die Frage nach dem „Bodenrichtwert“ hoch. Woher sollen wir das wissen? Die ergänzende Infotafel weiß Rat! Ein Link führt zu ‚Boris-BW‘, und diese Seite gehört nicht zum Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, der mit ruhendem grünem Parteibuch derzeit um den Wiedereinzug ins Rathaus der nahegelegenen Universitätsstadt kämpft, sondern ist das „zentrale Bodenrichtwertsystem der Gutachterausschüsse in Baden-Württemberg“. Dort genügt die Eingabe der eigenen Adresse und schon finden sich nicht nur der Bodenrichtwert, sondern auch der „Flurstück-Zähler“, der „Flurstück-Nenner“ und die Gesamtfläche des Grundstücks. Alles Daten, die ich für eine vorhergehende Seite des Grundsteuerformulars aus unseren papiernen Unterlagen zusammengesucht habe. Warum in Dreiteufelsnamen haben die Grundsteuerbürokraten kein digitales Formular erarbeitet, in das man seine Adresse eingibt, damit dann alle vorhandenen digitalen Daten automatisch eingefügt werden? Im politischen Bummelzug machen sich die Entscheider zu wenig Gedanken über die Auswirkungen ihrer Gesetze. Allemal ist der Bürger der Leidtragende, der nicht nur zahlen, sondern auch noch eifrig Formulare ausfüllen soll.

Mit Ärmelschonern ins Digitalzeitalter
Die holprige Datensammelei für die Grundsteuer ist im Grunde ein Armutszeugnis für unser Staatswesen. Es zeigt sich wieder einmal, dass Politiker die Digitalisierung gerne im Mund führen, doch nicht die Behörden treiben diese voran, sondern der Bürger ist wieder der Gehilfe einer Bürokratie aus dem Zeitalter der Aktenordner und Ärmelschoner. „Zum ersten Hauptfeststellungsstichtag der neuen Grundsteuerwerte (1. Januar 2022) konnte noch kein vollständig digitalisiertes Verwaltungsverfahren angeboten werden“, schreibt das Bundesfinanzministerium. „Viele der für die Neubewertung des Grundbesitzes erforderlichen Daten liegen der Finanzverwaltung nicht in elektronisch verwertbarer Form vor, sodass diese mit Hilfe einer elektronischen Steuererklärung bei den Eigentümerinnen und Eigentümern des Grundbesitzes erhoben werden müssen.“ Da ist sie wieder, die Rückschrittlichkeit in zahlreichen Amtsstuben, die bereits während der Coronapandemie augenscheinlich wurde. Es ist kein Wunder, dass laut ‚tagesschau.de‘ bis zum 12. September 2022 erst 18% der Grundsteuererklärungen eingereicht wurden. Die dem Bürger zugebilligten vier Monate sind bei der schlechten Vorbereitung durch die Behörden ein echter Witz für die Fronarbeit. Greifen wird die neue Grundsteuer ohnehin erst 2025, aber den verbleibenden Zeitraum werden die Bürokraten schon noch verbummeln. Nach der Übermittlung der Grundsteuermessbeträge durch die Finanzämter an die Kommunen müssen diese ihre Hebesätze festlegen. Letztendlich entscheidet sich auch dann erst, ob die Grundsteuerreform zum Füllen der Stadt- und Gemeindekassen genutzt wird oder die Reform – wie angestrebt – aufkommensneutral verläuft. Deutliche Verschiebungen bei der Grundsteuer sind im Einzelfall auf jeden Fall zu erwarten.

Deutschland wird mehr und mehr zur Bananenrepublik. Leider. Aus dem ironisch-freundlichen Titel meines Blogs wird allzu oft traurige Wahrheit. Und dies gilt auch – aber nicht nur – für die Neugestaltung der Grundsteuer. Jahrelang palavern die politischen Entscheidungsträger und ihr bürokratischer Unterbau über die Neubewertung des Grundbesitzes, und wenn es zum Schwur kommt, dann tragen Bürgerinnen und Bürger die Konsequenzen für unausgegorene Gesetze und Verordnungen. In Baden-Württemberg habe ich noch Glück, dass ein relativ einfaches Verfahren – ‚modifizierter Bodenwert‘ – eingesetzt wird, doch meine Kritik trifft hier ebenfalls zu: Vorhandene digitale Daten hätten vorab zusammengeführt und dem Eigentümer zur Prüfung und Ergänzung übermittelt werden müssen. Aber – so tickt die Politik nicht: Bei Bund und Ländern scheint zu gelten, warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?

Zum Beitragsbild
In Stadt und Land kommen derzeit Besitzer von Grundstücken und Immobilien ins Schwitzen: 36 Millionen Grundstücke müssen für die Grundsteuer in Deutschland neu bewertet werden. Und mangels digitaler Datenbanken ‚dürfen‘ Bürgerinnen und Bürger einspringen und Informationen zusammensuchen, die bei den Kommunen seit Jahren vorliegen. Blick vom Monte Scherbelino auf Stuttgart. (Bild: Ulsamer)
Eine Antwort auf „Vom Bürger zum Lakaien des Staates“