Verarmte Landschaft bedroht Vögel
In der ausgeräumten Landschaft fehlen Sämereien und Insekten, daher ist es nicht verwunderlich, dass auf das Insektensterben der Vogelschwund folgt. Sonnenblumenkerne, Meisenknödel und Weichfutter, getrocknete Insekten oder Mehlwürmer ersetzen natürlich keine Samen an überjährigen Pflanzen im Winter oder allerlei Krabbeltiere im Sommer, dessen bin ich mir bewusst. Doch sie helfen den Vögeln in Stadt und Land, denen nicht nur das Futter und Nistmöglichkeiten fehlen, sondern auch erreichbare Wasserstellen. Unsere gefiederten Freunde haben zu allen Jahreszeiten Durst, und obwohl es mich schon beim Zuschauen fröstelt, nehmen sie im kleinen Vogelbecken – ganz den politischen Vorgaben folgend – ein Gemeinschaftsbad! Trotz der Notlage, in der sich viele Vögel befinden, entbrennt Jahr für Jahr ein Streit um die Sinnhaftigkeit des Fütterns von Wildvögeln. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Mitmenschen am lautesten gegen Vogelhäuschen und Wasserbecken streiten, die am wenigsten Lust haben, Geld und Zeit für die Vogelschar zu opfern.
Ganzjährige Vogelfütterung
Wenn im urbanen Bereich und ganz besonders über intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen, aber auch im Wald immer weniger Wildbienen summen und Vögel ihr Lied singen, dann darf uns das nicht ruhen lassen. Hecken, die Futter und Nistplätze boten, sind den Flurbereinigungen zum Opfer gefallen, Tümpel und Weiher wurden zugeschüttet, artenreiche Feldraine oder blütenreiche Wiesen sind unter den Pflug geraten oder werden mit Pestiziden und Dünger traktiert. In den Kommunen wird eifrig über Begrünung diskutiert, doch Stadtbäume haben sich rargemacht, Parks und Grünanlagen glänzen nicht durch vielfältige Pflanzen, die auch im Winter Sämereien anbieten, sondern eher durch Grillplätze und rappelkurzen Rasen. Disteln und Karden sind eine Seltenheit, die Insekten Nektar bieten und Vögel über den Winter mit ihren Samen satt machen. Nicht selten sind naturnahe Gärten ein letztes Refugium für Vögel, doch zu häufig räumen eifrige Zeitgenossen die Natur beiseite und ‚erfreuen‘ sich an Schotterwüsten, akkuraten Blumenbeeten mit hübsch anzusehenden Blüten, die aber weder Insekten noch Vögeln etwas zu bieten haben. Und nicht nur in sommerlichen Dürremonaten fehlt das Wasser: Brunnen sind oft nicht für Wildtiere zugänglich, und in der kalten Jahreszeit werden sie ohnehin abgestellt. Bäche rauschen verdolt höchstens noch im Untergrund. Die Welt hat sich in weiten Bereichen zu Ungunsten von Vögeln oder Insekten verändert, daher halte ich es für wichtig, den kleinen Mitlebewesen zu helfen.
“Wir retten mit dem Zufüttern und mit naturnahen Gärten nicht die Welt, aber wir können sehr, sehr vielen Tieren vieler Arten helfen”, sagte Peter Berthold, einer der bekanntesten Ornithologen und Vogelschützer Deutschlands im MDR. Ich kann Professor Berthold nur zustimmen, der sich für die ganzjährige Fütterung von Vögeln ausspricht. Im Sommer können die Elternvögel die wenigen Insekten, die sie noch fangen, ihren Küken füttern, wenn sie sich selbst am Vogelfutter gütlich getan haben. Der Rückgang der Vogelpopulationen ist nicht nur in Deutschland erschreckend, sondern in weiten Teilen Europas. Über einen dramatischen Rückgang der gefiederten Freunde um 600 Millionen Exemplare berichten die Autoren einer Studie, die den Zeitraum von 1980 bis 2017 umfasst und sich auf die Europäische Union und das Vereinigte Königreich bezieht. Diese Zahl entspricht einer Abnahme der Vogelpopulation um 17 bis 19 %. Rund jeder sechste Vogel fehlt daher in Europa! Wir können da nicht ruhig zusehen und über die Vogelfütterung philosophieren, sondern bieten ganzjährig Futter und Wasser an. Natürlich kann langfristig nur eine veränderte Landnutzung den Vogelschwund stoppen, doch trotz hehrer Reden der Politiker – wie jetzt bei der Weltnaturschutzkonferenz in Montreal – fehlt es an konsequentem Handeln. Nachhaltigkeit und Ökologie müssen gerade auch in der EU-Agrarförderung und im Städtebau durchgesetzt werden, doch bis dahin dürfen die Schnäbel der Vögel nicht leer bleiben! Und jede noch so unbedeutend erscheinende Initiative ist im Kleinen von großer Wichtigkeit.
Besser Vögel füttern als ihrem Verschwinden zusehen
Kritische Stimmen zur ganzjährigen Vogelfütterung kommen auch von manchen Naturschutzorganisationen. So schreibt der BUND: „Den Vögeln ist die Fütterung nur in Ausnahmefällen eine wirkliche Hilfe: bei dauerhaft geschlossener Schneedecke, starkem Frost oder wenn in der Umgebung die Vegetation komplett fehlt.“ Und der NABU meint: „Von der ganzjährigen Körnerfütterung profitieren aber lediglich Altvögel, die vegetarische Nahrung bevorzugen. Wichtig ist hier, sich klarzumachen, dass es eben nicht Meisen und Spatzen sind, die derzeit bedroht sind, sondern ganz besonders die reinen Insektenfresser, wie Rotkehlchen, Zaunkönig, Schwalben oder Grauschnäpper“. Nun bin auch ich Mitglied des NABU, aber in dieser Frage halte ich mich doch eher an die Aussagen von Professor Berthold, den früheren Leiter der Vogelwarte Radolfzell, einer Zweigstelle des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen. Ich teile auch die Meinung nicht, dass man durch eine ganzjährige Fütterung nur Vogelarten unterstützen würde, die im Grunde ungefährdet seien und keine Zusatznahrung benötigen würden. Selbst die im obigen NABU-Zitat genannten Spatzen sind längst nicht mehr in großen Scharen unterwegs: Die Population der Haussperlinge hat in knapp 40 Jahren 247 Millionen Tiere in der EU eingebüßt! Und Rotkehlchen holen sich bei uns auch geschrotete Erdnüsse. „Wir raten dringend, in der Jungvogel-Periode zwischen April und Juli auf Sonnenblumenkerne, fetthaltiges Futter und getrocknete Insekten zu verzichten, da es durch diese großen Futterbrocken zu gesundheitlichen Problemen und Todesfällen bei Nestlingen kommen kann“, so der NABU. Professor Berthold hält eine solche Warnung allerdings für “ein Märchen aus 1001 Nacht”. Selbst wenn wir Vogelfutter vorhalten und dieses eifrig konsumiert wird, habe ich noch nie einen erwachsenen Vogel mit Bruchstücken von Erdnüssen oder gar einem Sonnenblumenkern in einen Nistkasten einfliegen sehen: Sie bringen ihren Küken weiterhin Insekten. Und für die fütternden Altvögel ist ein kleiner Happen zwischendurch sicherlich ein Ansporn bei ihrem Bemühen, die Brut durchzubringen.
Wenn der Mensch versucht, die Verarmung der Landschaft und den daraus resultierenden Nahrungsmangel durch Vogelfutter ein wenig auszugleichen, dann ist das selbstredend ein Notbehelf. Aber: “Inzwischen ist es so, dass alle Vogelarten Hilfe brauchen. Es gibt heute keine Vogelart mehr, wo wir sagen können, die Bestände sind stabil, die brauchen kein Futter. Die Art muss deswegen noch nicht in der Roten Liste stehen. Die Rote Liste ist sowieso ein Instrument, das weit hinter der Realität herhinkt“, so nochmals Professor Berthold im SWR. Vögel zu füttern, das bringt auch Arbeit mit sich, denn Wasserbecken, Futtersilos oder Vogelhäuschen müssen regelmäßig gereinigt und befüllt werden. Doch dies hilft nicht nur den bedrängten Vögeln, sondern gibt uns auch einen kleinen Einblick in ihr Verhalten. Und zum Dank singen die kleinen Gäste noch ein Lied für uns, und das gilt auch für die Spatzen, deren Tschilpen mich an meine eigenen Sangeskünste erinnert!
Vögel brauchen Futter und Wasser, damit der Schnabel nicht leer bleibt. Und solange unsere Landschaft verarmt ist, sollten wir für die gefiederten Freunde den Tisch mit decken – immer als Ergänzung für die noch vorhandenen Insekten, Sämereien, Früchte, Regenwürmer oder Spinnen. Natürlich muss es Ansporn für die Menschheit sein, den Lebensraum der Vögel wieder vielfältiger zu gestalten, doch von Verbesserungen auf dem Papier oder in Sonntagsreden wird deren Magen nicht voll, da hilft nur die ganzjährige Vogelfütterung – auch im kleinsten Garten.