Vögel leiden an Nahrungs- und Wassermangel

Plädoyer für die Ganzjahresfütterung

Die gefiederten Freunde werden immer weniger, und mancherorts ist ihr Gesang bereits verstummt. Allein von 1980 bis 2017 ist die Zahl der Vögel in der EU und Großbritannien um 600 Millionen Individuen zurückgegangen. Das entspricht fast 20 % der Vogelpopulation. Verwunderlich ist das nicht, denn insbesondere das Insektensterben hat dazu geführt, dass die Nahrung für die Aufzucht der Küken fehlt. In der ausgeräumten Landschaft sind Hecken, Bauminseln und Tümpel den Flurbereinigungen zum Opfer gefallen: Weiträumige landwirtschaftliche Flächen waren das Ziel, die mit immer größeren Maschinen intensiv bearbeitet werden konnten. So verschwanden Nahrungsquellen und Nistplätze gleichzeitig. Insektizide und Herbizide machen Vögeln und Insekten das Leben schwer. Im städtischen Bereich haben Asphalt und Beton die Oberhand gewonnen, und daher fehlen nicht nur Stadtbäume. Auch in vielen Parks, Grünanlagen und Gärten dominieren rappelkurzer Rasen, akkurate Blumenbeete und regionsfremde Pflanzen, nicht selten ergänzt mit Schotterflächen. Unser Ziel muss es sein, für die Natur wieder mehr Freiräume zu schaffen, doch kurzfristig hilft den Vögeln nur das ganzjährige Bereitstellen von artgerechtem Futter und gerade auch Wasser.

Ein Grünfink sitzt an einem Futtersilo mit Sonnenblumenkernen und hat noch den Rest eines Kerns im Schnabel.
Sonnenblumenkerne munden vielen Vögeln – wie hier einem Grünfinken. (Bild: Ulsamer)

Vögel benötigen Hilfe rund ums Jahr

In den letzten Jahren, ja Jahrzehnten wurde in Deutschland mit großem Eifer über die Sinnhaftigkeit des Vogelfütterns gestritten. Professor Peter Berthold, einer der weltweit führenden Ornithologen und ehemaliger Direktor der Vogelwarte Radolfzell des Max-Planck-Instituts für Ornithologie, setzt sich in seinem Buch ‚Vögel füttern – aber richtig‘, das er gemeinsam mit Gabriele Mohr und unterstützt von Bärbel Oftring geschrieben hat, überaus sachkundig und wie gewohnt engagiert für die ganzjährige Fütterung von Vögeln ein. Und ich kann dem Trio nur zustimmen! „Seit 1800 ist die Siedlungsdichte von Vögeln in Deutschland um 80 % zurückgegangen! Wo früher einmal zehn Vögel gesungen haben, hört man heute nur noch zwei“, so die Autoren. Gesundbeterei hilft nicht, und gleiches gilt für Sonntagsreden, in denen vollmundig mehr Natur und Wildnis versprochen werden. Denn solche Versprechungen machen keinen Vogel satt, und da die meisten Singvögel nur ein oder zwei Jahre alt werden, bringen ihnen rosige Zukunftsbilder ebenfalls nichts, sie benötigen jetzt Futter und Wasser! Wir müssen uns konsequent für eine Landwirtschaft einsetzen, die nicht länger „Züge marodierenden Raubbaus“ zeigt, sondern zu einer naturverträglichen Landnutzung zurückfindet. In den Städten benötigen wir mehr Stadtbäume, grüne Kraftzonen und keinesfalls das Zubetonieren der letzten Baulücke. Diese dringend erforderliche Neuorientierung in der Landwirtschaft und in unseren Kommunen muss jedoch begleitet werden von der Unterstützung der Vögel rund ums Jahr.

Eine Heckenbraunelle füttert ihr Küken. Die Schnäbel stecken ineinander.
Professor Berthold und Gabriele Mohr räumen nachdrücklich mit der falschen Behauptung auf, Elternvögel würden ihre Küken mit Vogelfutter füttern, die daraufhin an der falschen Nahrung sterben. „Gesunde Jungvögel können nicht mit ‚falschem‘ Futter von der Futterstelle umgebracht werden – wohl hingegen z. B. durch mit Gift besprühten Blattläusen an Rosen usw. Werden gesunde Jungvögel von ihren Eltern zwischendurch mit Futter von einer Futterstelle versorgt, das ihnen nicht behagt, schleudern sie es alsbald wieder aus.“ Im Regelfall stärken sich die erwachsenen Vögel schnell an der Futterstelle, um dann die wenigen Insekten oder Spinnen, Raupen oder Würmchen, die sie finden, den Küken im Nest zu bringen. Dies deckt sich auch mit meinen eigenen Beobachtungen. Im Bild eine Heckenbraunelle, die ihr Küken füttert. (Bild: Ulsamer)

Hart ins Gericht gehen Professor Berthold und seine Mitautorinnen mit manchen Naturschutzverbänden wie NABU, BUND & Co., die das Füttern von Vögeln ablehnen oder zumindest kritisch sehen. Die zahlreichen im Buch zitierten Studien widerlegen die Einwände, das Füttern von Vögeln würde nur einzelnen Arten dienen oder gar der Verbreitung von Krankheiten Vorschub leisten. Gerade im Vereinigten Königreich, wo in jedem zweiten Haushalt Wildvögel gefüttert werden, zeigt der seit 50 Jahren durchgeführte ‚Garden Bird Feeding Survey‘ deutlich, dass Vogelpopulationen gestärkt werden und die Vielfalt der Gäste am Futterhäuschen zugenommen hat. Wer Vögeln helfen möchte, der sollte sie ganzjährig füttern, denn besonders in der Brut- und Aufzuchtzeit brauchen die Elternvögel eine Stärkung am Futterplatz, damit sie die wenigen Insekten, die sie noch finden, ihren Küken überlassen können. Im Winter fehlen die Sämereien, die die Vögel früher an überjährigen Pflanzen fanden: Feldraine mit Ackerkräutern sind verschwunden, und so mancher Blühstreifen wird gleich mitabgeerntet, wenn die dahinter liegende Monokultur im Mähdrescher landet. „In der Regel bleiben auf vielen Quadratkilometern gepflügter Flächen der Monokulturen von Getreide, Zuckerrüben, Kartoffeln usw. kaum Samen tragende Wildkräuter oder Stauden stehen wie auch an den meist penibel ‚gepflegten‘ Weg- und Straßenrändern, Böschungen oder auf unseren nicht selten bis zu fünfmal im Jahr gemähten Wiesen“, so Berthold und Mohr. Aus einst vielfältigen Blühwiesen wurde Grünland.

Eine Blaumeise badet in einer bläulichen Vogeltränke. Es fliegen sehr viele Tropfen durch die Luft.
Vogeltränken ziehen Vögel ganzjährig an, denn Weiher und Tümpel sind häufig verschwunden und Bäche in ein Betonkorsett ohne Zugang für Wildtiere gezwängt. (Bild: Ulsamer)

Wasser und Futter für die gefiederten Mitlebewesen

Für Einsteiger und Fortgeschrittene bietet das schön bebilderte Buch ‚Vögel füttern – aber richtig‘ viele praktische Tipps. Was schmeckt wem, und wie wird das Futter am besten angeboten, wie sorgen wir für die notwendige Hygiene am Futterhäuschen usw.? Von den Meisen über Spechte bis zu Grasmücken stellen die Autoren mögliche Gäste in Bild und Text vor. Berthold, Mohr und Oftring gelingt es, die kritische Einschätzung der Gesamtlage bei unseren Vögeln mit klaren Schritten zur Besserung im eigenen Einflussbereich zu verbinden. In Gärten und auf Balkonen gibt es noch viele Plätzchen, die sich für Futtersilos oder eine Wasserstelle eignen. Angeregt wird auch, dass sich mehrere Vogelfreunde zusammentun und ihre Gemeinde ansprechen, damit sie auf einer öffentlichen Fläche gemeinsam einen Futterplatz einrichten und betreuen dürfen. Dies sollte natürlich reiflich überlegt sein, denn es geht ja um längerfristige Aktivitäten. Kommunale Behörden selbst und größere Landbesitzer sollten sich gleichfalls aufgefordert fühlen, mehr für die Vögel zu tun. Selbst Kindergartengruppen oder Schulklassen würden sehr wahrscheinlich viel Freude erleben und daneben ohne erhobenen Zeigefinger lernen, Verantwortung zu übernehmen durch das pünktliche Füttern der Vögel im Schul- bzw. Kita-garten – und das ganz ohne großen Aufwand für das Lehr- oder Erziehungspersonal.

Ein Wintergoldhähnchen sitzt in einer Kiefer.
Immer wieder besuchen uns auch Wintergoldhähnchen. Selbst ausgewachsene Individuen wiegen nur zwischen vier und sieben Gramm. Ein Tag ohne Futter und das Ende naht! Bild: Ulsamer)

Selbstverständlich geht es darum, unsere Landschaft vielfältiger zu gestalten, damit sich der Artenreichtum wieder entfalten kann, dies machen auch die Autoren deutlich. Schnelle und umfassende Veränderungen sind jedoch gerade im landwirtschaftlichen Bereich nicht zu erwarten, denn die grünlackierte Subventionsmaschine der EU läuft noch immer auf Hochtouren und schädigt Natur und Umwelt. Daher müssen wir mit kleinen Schritten versuchen, wenigstens das Schlimmste zu verhindern, ohne die Neuorientierung der Politik an Ökologie und Nachhaltigkeit aus den Augen zu verlieren. „Wenn wir uns dabei auch etwas von der Mentalität des heiligen Franziskus zu eigen machen, wird das Füttern nicht nur Freude bereiten, sondern auch ein gutes Gewissen, indem wir den an den Rand unserer ‚humanen Zivilisation‘ gedrängten Mitgeschöpfen etwas von dem zurückgeben, was wir uns mit Raubbau und einem martialischen Einsatz von Energie, Dünger, Umweltgiften u.a. zunächst recht gewissenlos angeeignet haben“, um nochmals die Autoren zu zitieren.

Ein Rotkehlchen sitzt auf einer Wildkamera. Im Hintergrund Sträucher.
Wer Vögel füttert, der tut nicht nur den gefiederten Mitlebewesen etwas Gutes, sondern auch sich selbst! Man hat immer wieder interessante und fotogene Gäste im Garten oder auf dem Balkon. (Bild: Ulsamer)

Unsere gefiederten Freunde brauchen unsere Hilfe, da ihr Lebensraum durch die Menschen vielfach zerstört wurde. Wasser ist nicht nur in Dürrezeiten knapp, und durch das Insektensterben und das Fehlen von Sämereien fehlt es an Nahrung! Futter und Wasser für die schwindende Vogelschar sind ebenso wichtig wie Schaffung von Nistmöglichkeiten und die Renaturierung zerstörter Landschaften. Die Ganzjahresfütterung kann hoffentlich das Schwinden der Vogelpopulationen verlangsamen oder stoppen!

 

Eine Türkentaube sitzt miit offenem Schnabel an einem Futtersilo mit gehackten Erdnüssen, das in einer Kiefer hängt.
Das Füttern von Haus- bzw. Stadttauben, die im Grunde urbanisierte Felsentauben sind, ist in den meisten Kommunen verboten, doch im Garten dürfen sich zumindest Türken- und Ringeltauben stärken. (Bild: Ulsamer)

 

Zwei Spatzen baden in einer Vogeltränke, ein dritter Vogel ist gerade gestartet.
Schichtwechsel im Gemeinschaftsbad: Wasser ist in warmen und kalten Perioden unerlässlich für die Vögel. Spatzen waren mal ‚Allerweltsvögel‘, die nicht selten verfolgt wurden, doch längst machen sich auch die Haus- und Feldsperlinge rar. Sichere Futterstellen helfen zu allen Jahreszeiten! (Bild: Ulsamer)

 

Literaturhinweis

Cover des Buchs 'Vögeln füttern - aber richtig'. Abgebildet ist ein Rotkehlchen.Peter Berthold, Gabriele Mohr, unter Mitarbeit von Bärbel Oftring: Vögel füttern – aber richtig. Das ganze Jahr füttern, schützen und sicher bestimmen, 5. Auflage, Stuttgart 2021, Franckh-Kosmos-Verlag

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