Gemeinderat will Villa Berg für 170 Mio. Euro aufblähen
In der Politik wird gerne und viel über das Sparen gesprochen, doch das gilt natürlich nicht für die jeweiligen Lieblingsprojekte. In Berlin lässt Bundeskanzler Scholz nicht von einer Verdopplung des Bundeskanzleramts ab, obwohl der Bundesetat immer lauter ächzt. Die baden-württembergische Landeshauptstadt möchte nicht nur – gemeinsam mit der Landesregierung unter Winfried Kretschmann – für eine Milliarde Euro das 110 Jahre alte Opernhaus sanieren und erweitern, sondern nach langem Leerstand die Villa Berg für 170 Mio. Euro auf fast die dreifache Nutzfläche erweitern. Stets haben zahlreiche Politiker in unseren Kommunen, in den Ländern und beim Bund die Spendierhosen an, obwohl längst eine zukunftsorientierte Prioritätensetzung notwendig wäre. Sie kennen sicherlich, liebe Leserinnen und Leser, in ihrem Umfeld ähnliche Vorhaben der öffentlichen Hand, die nicht in eine Zeit passen, die durch immer längere Warteschlangen vor den Tafelläden gekennzeichnet ist. Die königliche Sommerresidenz aus dem 19. Jahrhundert hat so manches er- und überlebt, in Teilen sogar den Zweiten Weltkrieg. Nicht verdient hat die Villa Berg, die einst der SDR/SWR bespielte, nahezu zwei Jahrzehnte des Leerstands. Gerne wird – wie auf der Internetseite der Stadt Stuttgart – von ‚Dornröschenschlaf‘ gesprochen, doch dieser hätte längst beendet sein können: Statt der Sanierung des Bestandsgebäudes und einer Nutzung der vorhandenen Flächen von 1 500 m² zuzustimmen, gab der Gemeinderat von Stuttgart den Startschuss für ein ‚Wünsch dir was‘ der besonderen Art. Und wie immer im Leben, aus den gesammelten Ideen ergab sich ein Flächenbedarf von 4 000 m². Flächen- und Kostenexplosion, das sind leider Attribute, die in weiten Teilen den Politikstil in unserem Land prägen.
Mehr Rücksicht auf das historische Gebäude nehmen
Gebäude, die ungenutzt vor sich hingammeln, tun mir im Herzen leid. Dies gilt in besonderer Weise für historische Bauwerke und nicht unbedingt für jeden Betonkasten. Aber selbst so manches Werk des Brutalismus hat es nicht verdient, dass die Abrissbirne anrückt. Nun will niemand die Villa Berg dem Erdboden gleichmachen, doch die im Auftrag der Stadt Stuttgart vom Atelier Brückner erarbeiteten Entwürfe zur Erweiterung nehmen zu wenig Rücksicht auf das ursprüngliche Gebäude. Wenn diese Planungen Realität werden, dann raubt das der Villa Berg ihre Seele. Die als Sommerresidenz des württembergischen Thronfolgers Karl und späteren Königs von Württemberg und seiner Frau Olga, Tochter des russischen Zaren Nikolaus I., vom Architekten Christian Friedrich von Leins entworfene und zwischen 1845 und 1853 erbaute Villa steht seit fast 20 Jahren leer. Damals zog der SWR in ein neues Gebäude um, und die im Stil der italienischen Hochrenaissance errichtete Villa fristete ein immer traurigeres Dasein. 2016 kaufte die Stadt Stuttgart das Gebäude zurück, das sie bereits 1913 erstmals erworben hatte, und der Dämmerschlaf setzte sich leider fort. Um die Geschichte an dieser Stelle abzukürzen, gehe ich nicht auf das Intermezzo der Villa in den Händen von Immobilienentwicklern ohne Fortune ein.
Hätte die Stadt Stuttgart das zurückliegende Jahrzehnt sinnvoll genutzt, dann wäre die Villa längst saniert und könnte bespielt werden. Doch in meiner Geburtsstadt setzte man auf das Sammeln wohlfeiler Vorschläge und addierte diese auf, woraus sich ein Platzbedarf ergab, der nur mit Anbauten realisiert werden könnte. Die Beteiligung der Bürgerschaft bei solchen Projekten halte ich für gut und richtig, allerdings gilt dies nur, wenn nicht am Schluss eine Ideenskizze direkt in Quadratmeter umgesetzt wird. Die CDU-Fraktion im Stuttgarter Gemeinderat sieht dies inzwischen wohl auch so und fordert zurecht ein Überdenken der Gesamtplanung, die in beiden Varianten großflächige Erweiterungen der Bausubstanz vorsieht: „Beide Varianten würden das über allem stehende Ziel, Villa und Park in ihrer historischen Kombination wiederherzustellen, ad absurdum führen“, so die CDU-Gemeinderatsfraktion. Besser spät als nie, eine richtige Einsicht, besonders, wenn man berücksichtigt, dass durch Kriegseinwirkungen seitliche Flügel des Gebäudes verlorengegangen sind. Grüne, SPD, FDP und die Fraktion Puls wollen zwar keinen Planungsneustart, doch diesen Gruppierungen kamen inzwischen ebenfalls Zweifel an den opulenten neuen Flügeln. Die Villa Berg sollte in ihrem jetzigen Bauvolumen saniert und genutzt werden!
Auf das Machbare eindampfen
Selbstredend ist es für Politikerinnen und Politiker auf allen Ebenen schwierig, Vorschläge gerade auch aus einer Bürgerbeteiligung abzulehnen, doch letztendlich wird mit dem Geld der Bürger gebaut. Und die Folgekosten dürfen bei jedem Projekt nicht vergessen werden, ansonsten ergeht es den Baulichkeiten wie der Kunstinstallation Villa Moser. Mehr dazu in: ‚Stuttgart: Villa Moser – Kunst- oder Endstation? Wer spät saniert, vergeudet Steuergelder‘. Gehe ich in meine Studentenzeit zurück, da wurde in einer anderen Stadt eine Umfrage unter Jugendlichen durchgeführt, um mehr über deren Interessen zu erfahren Für das Jugendhaus wurde u. a. der Wunsch geäußert, Filme und Fotos selbst entwickeln zu können, und was geschah letztendlich? Nicht nur diese Einrichtung blieb ungenutzt, weit mehr Anklang fand die Möglichkeit, sich zum Gespräch zu treffen und etwas zu trinken. So banal und einfach ist häufig die Sachlage: Hochtrabende Ideen werden geäußert, das Angebot dann jedoch nicht genutzt. Ein zweites – anders gelagertes – Beispiel möchte ich aus einem größeren technologischen Projekt anführen. Für ein Automobilunternehmen sollte ein Prüf- und Technologiezentrum entstehen, und von den Fachleuten wurden zahlreiche Ideen für Prüfmodule zusammengestellt. Alle waren in sich technisch sinnvoll, doch die üppige Anforderungsliste wäre in Baden-Württemberg flächenmäßig nirgendwo umsetzbar gewesen. Was blieb anderes übrig, als die Vorschläge auf das Machbare einzudampfen. Genau daran fehlt es im öffentlichen Bereich zumeist! Viel zu lange gab die Politik grünes Licht für überzogene Vorhaben, wo bereits absehbar war, dass weder die Kosten noch die Bauzeit eingehalten werden können. Ein passendes Beispiel lässt sich nicht allzu weit von der Villa Berg besichtigen: Stuttgart 21. Der Hauptbahnhof verschwindet im Untergrund, und Stuttgart wird mit Ulm über eine Schnellbahntrasse verbunden. Dieses Projekt sehe ich in den Grundzügen überwiegend positiv, doch ist eine Bauzeit von 10 bis 15 Jahren mitten in einer Großstadt ein schlechter Scherz! Einige Anmerkungen zu diesem Thema finden Sie in ‚Stuttgart 21 hat endlich Fahrt aufgenommen. Infrastrukturprojekte: Wie wird man die rote Laterne los?‘
Die Sanierung der Villa Berg ist längst überfällig und sollte mit Nachdruck vorangetrieben werden. Alle Erweiterungen des Gebäudes sollten unterbleiben, denn dies spart nicht nur Steuergelder, sondern erhält den Charme der Villa Berg. Ein ‚Offenes Haus für Musik und Mehr‘ – so der Arbeitstitel – lässt sich gewiss auch auf 1 500 m³ realisieren! Zur Politik gehört es, das Wünschbare mit dem Machbaren zu verbinden und dabei die Budgets und die Folgekosten im Blick zu behalten! Stuttgart braucht keine Villa Größenwahn, sondern die historische Villa Berg mit neuer Nutzung.
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