Die Zauneidechse ist „Reptil des Jahres 2020“
Wenn man das Gejammer mancher Bauträger ernst nehmen würde, dann müssten wir fürchten, dass Eidechsen alle Infrastrukturprojekte zum Stillstand brächten. „So bremst die Zauneidechse die Deutsche Bahn aus“, titelte die ‚Schwäbische Zeitung‘ und bezog sich dabei auf die Schnellbahntrasse von Stuttgart nach Ulm. In der baden-württembergischen Landeshauptstadt kann man den Eindruck gewinnen, die Stuttgart 21 Gegner hätten sich mit den Vierfüßlern verschworen, um das Jahrzehnte-Projekt zu behindern. Aber nicht nur im Süden, sondern in der ganzen Republik schlängeln sich die Kriechtiere mit Vorliebe auf potentiellen Bauflächen. So z. B. bei der Autobahn 143, der Westumfahrung von Halle, oder sie behindern gar die Umsetzung eines Lenin-Metall-Kopfes in Berlin. Interessant ist die Vorgeschichte der baulichen Vorhaben, die zumeist eine jahrzehntelange Spur durch die Bürokratie ziehen, und wenn nichts vorangeht, dann sind Eidechsen oder Haselmäuse, gerne auch mal Fledermäuse, an den Verzögerungen ‚schuld‘.
Den Eidechsen werden Planungsmängel untergeschoben
Bekanntlich sind Eidechsen nur an wärmeren Tagen unterwegs, daher kann man sie schlecht in der kalten Jahreszeit aufspüren. Skurril war daher die Vorgehensweise beim Ausbau der Senne-Bahn in Nordrhein-Westfalen, wo – nach einem Bericht der ‚Neuen Westfälischen Zeitung’ – „die Mauereidechsen mit Wärmebehandlungen aus dem Winterquartier gelockt werden sollten“. Geplante Gleisarbeiten konnten verspätet angegangen werden. Nun mal ganz ehrlich: Wer hatte es denn verpennt, sich im Vorjahr um die Eidechsen zu kümmern, und legt sich dann im Februar und März auf die Lauer? Die wärmeliebenden Eidechsen mit Hitze an kalten Tagen aus ihren Verstecken zu locken, das geht gar nicht! Eidechsen ruhen meist von September bis Mitte März in ihrem Unterschlupf für den Winter. In Stuttgart schleppte sich der Ausbau des Hauptbahnhofs und der Schnellbahntrasse von Stuttgart nach Ulm Jahrzehnte durch die politischen Gremien, auch der Bauprozess hätte sicherlich noch Optimierungsbedarf. Und bei Verzögerungen wird dann gerne die Eidechsen-Karte gezogen. Dass sich Eidechsen im Schotterbett wohlfühlen, das ist nun wirklich keine Neuigkeit. Daher hätte man hier weit vorausschauender aktiv werden müssen, denn die Vorbereitung geeigneter Habitate ist zeitaufwendig.
Ein dringend notwendiges Infrastrukturvorhaben ist der Bau einer zweiten Rheinbrücke zwischen Wörth und Karlsruhe. 20 Jahre hat dieses Projekt schon auf dem Buckel, aber nur wegen politischer Fehlentscheidungen und ganz gewiss nicht wegen der Eidechsen! Mal sehen, ob sich die zuständigen Behörden rechtzeitig um die Eidechsen kümmern, wenn es dann doch noch zum Schwur kommt? Zumindest die ‚Verkehrsrundschau‘ hat schon auf das Thema hingewiesen: „Am Rande: Eidechsen müssen wegen Rheinbrücke umziehen.“ Wer rechtzeitig aktiv wird, der findet auch für Eidechsen ein neues Plätzchen. Daher halte ich die Aussage der ‚Welt‘ schlichtweg für falsch: „Eidechsen sind uns wichtiger als Großprojekte“. Nein, kann ich da nur sagen: Wir brauchen Infrastrukturprojekte, aber wir müssen gleichzeitig die Natur schützen. Viel zu oft werden Eidechsen und andere geschützte Tiere vorgeschoben, um von Planungsmängeln und zögerlicher Umsetzung abzulenken.
Vorausschauend um Eidechsen kümmern
Aus eigener Erfahrung bei der Realisierung eines Prüf- und Technologiezentrums der Daimler AG in Immendingen an der Donau muss ich sagen, dass ich Horrorstorys über Bauverzögerungen durch Eidechsen für Nebelkerzen halte. Abgelenkt werden soll zumeist von planerischen Schwächen oder verzögerter Reaktion auf die naturschutzfachliche Kartierung, die die Grunddaten über Flora und Fauna liefert. Wir hatten uns in einem frühen Stadium mit den Natur- und Umweltverbänden – NABU, BUND und Landesnaturschutzverband – zusammengesetzt und konnten so die bei der Kartierung zu erfassenden Pflanzen und Tiere oder Biotope gemeinsam festlegen. Die naturschutzfachlichen Aufgaben wurden von Baader Konzept, einem umweltfachlichen Planungsunternehmen, koordiniert, doch die Datenaufnahme erfolgte überwiegend durch sachkundige Personen, die den Naturschutzverbänden nahestehen und sich in der Region auskennen. Ein solches oder ähnliches Vorgehen verhindert auch unliebsames Erwachen, wenn die Bagger rollen sollen.
Bei vielen Projekten werden die Hinweise kompetenter Umweltberater nicht oder zu spät aufgegriffen. Diesen Fehler haben wir vermieden und selbstredend in alle Phasen nicht nur die Behörden, sondern auch die Naturschutzverbände – und den Schwarzwaldverein – einbezogen. Die Fläche in Immendingen umfasste immerhin 500 Hektar, das Vorhaben machte den Bau von Straßen und anderen Verkehrsflächen notwendig. Und – wie könnte es anders sein – es ließen sich natürlich Zaun- und Waldeidechsen blicken! In Abstimmung mit den Behörden und Verbänden wurden Ausweichquartiere identifiziert und für die Eidechsen vorbereitet, die eingefangen und umgesetzt werden konnten. Nach der Bauphase wurden die Amphibienschutzzäune wieder entfernt, denn der weit überwiegende Teil der Projektfläche steht Tieren und Pflanzen zur Verfügung. Ziel der Planung beim Prüf- und Technologiezentrum war, die Eingriffe in den Naturraum möglichst gering zu halten, denn Abfangaktionen für Eidechsen können nur das letzte Mittel sein. Wer sich früh um Eidechsen und andere Bewohner – wie z.B. auch die Haselmaus oder Greifvögel – kümmert, der kann einen Ausgleich zwischen den technischen Anforderungen und den Bedürfnissen der Tiere suchen – und finden!
Zauneidechse ist gefährdet
Zauneidechsen bekommen wir an wärmeren Tagen eher zu sehen als die Waldeidechse, dennoch gilt sie in Deutschland als gefährdet. So ist es auch zu begrüßen, dass die Zauneidechse, die zur Gattung der Smaragdeidechsen gehört, von der Deutschen Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde (DGHT) zum „Reptil des Jahres 2020“ gewählt wurde. „Zauneidechsen sind relativ anpassungsfähige Reptilien (= Kriechtiere), die eigentlich keine hohen Ansprüche an ihre Lebensräume stellen“, so der NABU. „Sie bewohnen strukturreiche Flächen im Offenland, Saum- und Übergangsbereiche an Wald- und Feldrändern, als Kulturfolger auch gerne Lebensräume in naturnahen Gärten oder entlang von Straßen, Bahnstrecken und Zäunen – daher ihr deutscher Name.“ Die Anpassungsfähigkeit der Zauneidechse ist zwar groß, aber die ausgeräumte Agrarlandschaft, in welcher Hecken oder Gebüschinseln bzw. Steinhaufen mit einem Sonnenplätzchen ebenso rar geworden sind wie Trockensteinmauern, bietet immer weniger Lebensraum. Auf der bundesweiten Roten Liste ist die Zauneidechse noch in der Vorwarnliste, doch ist diese Aufstellung bereits zehn Jahre alt. In aktuelleren Roten Listen in den meisten Bundesländern wird die Zauneidechse inzwischen als „gefährdet oder sogar stark gefährdet eingestuft“, so der NABU.
Nicht nur die Veränderungen in der Landschaft machen den Eidechsen vermutlich zu schaffen, sondern auch der Rückgang der Insekten, die sie sich gerne schmecken lassen. Spinnen, Heuschrecken und Raupen finden sie sehr lecker, Ameisen werden ebenfalls nicht verschmäht. Selbst hin und wieder ein Regenwurm reichert das Nahrungsspektrum an. Aber gerade Heuschrecken sind auf vielen Wiesen, die häufig gemäht werden, zur Mangelware geworden. Dies gefährdet die Nahrungsgrundlage für Vögel und eben auch für Eidechsen.
Lebensraum für Waldeidechsen schwindet
Wenn die Waldeidechsen – die im Norden auch Mooreidechsen und im Süden Bergeidechsen heißen – in ihrem Bestand glücklicherweise als nicht bedroht gelten, so ist es dennoch wichtig, ihren Lebensraum zu erhalten. Die Waldeidechse ist im Übrigen die einzige in Deutschland lebende Eidechsenart, die ihre Jungen lebend zur Welt bringt. Das Waldeidechsenweibchen wandert mit den Eiern im Bauch der Sonne nach, und daher kann die Waldeidechse auch in kälteren Bergregionen leben und sich fortpflanzen.
Zu schaffen macht den Waldeidechsen das Trockenlegen von Mooren, das Verschwinden von Heideflächen, Feldhecken und Brachflächen. Mit manchen Tümpeln sind gleichzeitig Sträucher, Totholz und mäßig gemähte Flächen verschwunden. Und so manches Bauprojekt trägt indirekt zum Verschwinden von Lebensraum für Waldeidechsen bei: Kiesgruben und Steinbrüche werden mit Aushub verfüllt. Gebremst werden muss besonders die Aufräumwut im Wald, denn verrottende Baumstümpfe und Totholz sind wichtig für den Erhalt der Art. Bei allen Änderungen in der Forstwirtschaft, die sich auch durch den Klimawandel ergeben, dürfen wir die Eidechsen nicht gefährden.
Zauneidechsen brauchen Wärme und Unterschlupf
Die ausgeräumte Landschaft, in der sich einheitliche Felder bis an den Horizont erstrecken, ist schon für Menschen keine Augenweide, doch den Eidechsen raubt sie ihren Lebensraum. Wenn bis zum Wirtschaftsweg geackert wird, dann fehlen die Wegränder mit Lesesteinen oder Hecken, die Unterschlupf für Eidechsen bieten könnten. Wenn unmittelbar an Wegen oder nahe am Wald hochwüchsige Energiepflanzen Schatten werfen, können dort keine Zauneidechsen leben, die auf Wärme angewiesen sind. Der Erhalt von Magerwiesen bietet auch Chancen für Eidechsen, wenn sich dort Totholzstapel oder Steinhaufen befinden, die sich beispielsweise als Winterquartier eignen. Die Deutsche Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde betont, Zauneidechsen „reagieren … sehr empfindlich auf Beweidung“, doch beim Projekt in Immendingen legten die Naturschutzverbände großen Wert auf die Beweidung. Diese sei für Eidechsen weit weniger gefährlich als das Offenhalten von Flächen mit Freischneidern oder schwererem Gerät. Dies sehe ich auch so, und wer extensiv bewirtschaftete Wiesen offenhalten möchte, muss natürlich mähen oder Schafen und Ziegen die Arbeit überlassen.
Monokulturen mit eng gepflanzten Fichten lassen keine Sonnenstrahlen auf den Waldboden: Beim anstehenden Waldumbau ist es wichtig, durch die Baumarten und ihre Pflanzdichte das Leben von Waldeidechsen nicht zu behindern. Bei natürlicher Sukzession auf Sturm- oder Kahlschlagflächen gibt es zumindest zeitweise freie Stellen, die sich als Sonnenplatz eignen. Gestufte Waldränder dürfen weder Bäumen noch dem Ackerbau geopfert werden. Hecken und Steinhügel bieten auch in Gärten und Parks Unterschlupf für Eidechsen, wenn dort nicht zu viele Katzen unterwegs sind. Wichtig ist für Eidechsen die Chance, an kälteren Tagen Sonnenplätze aufsuchen zu können, und in heißen Perioden eine Rückzugsstelle zu finden. Wenn die Erderwärmung voranschreitet, dann dürfen Kleingewässer nicht fehlen. Oft genügen Eidechsen für die Wasseraufnahme der Tau am Morgen oder auch Regentropfen. Wenn aber beides fehlt, dann sollten sie einen Tümpel oder einen Bach finden.
Sympathieträger Zauneidechse
Zauneidechsen sind zurecht als „Reptil des Jahres 2020“ ausgewählt worden. Sie sind zunehmend durch unseren Umgang mit der Kulturlandschaft und der Natur gefährdet. Hoffentlich führt diese Benennung dazu, dass sich Planer und politische Entscheider bei Infrastrukturprojekten früher mit dem Schutz und notfalls der Umsiedlung von Zauneidechsen beschäftigen. Für mich sind die Eidechsen mit ihren grünen und braunen Farbtönen Sympathieträger. Sie zeigen uns auch, dass sie mit uns leben können, wenn wir ihnen zumindest ihren kleinen Lebensraum zubilligen. Wünschen würde ich mir, dass bei Infrastrukturvorhaben, die von Planern, Ausführenden oder Entscheidern ‚verbockt‘ werden, nicht immer die Eidechsen als Grund für Verzögerungen oder Kostensteigerungen genannt würden.
Wir sollten durch eine ökologische EU-Agrarpolitik und eine bessere Berücksichtigung der Wildtiere und Pflanzen im städtischen Bereich alles tun, um einen echten Ausgleich zwischen den menschlichen Wünschen und den Bedürfnissen der Natur anzustreben. Bei den Zauneidechsen sollte dies vielen Menschen leichter fallen als bei Wolf oder Bär, denn Eidechsen dürften niemand in Angst und Schrecken versetzen.
6 Antworten auf „Verhindern Eidechsen den Bau von Straßen, Schienen und Häusern?“