Totholz ist voller Leben

Macht den Forst wieder zum Wald!

Selbst im Bundeswaldgesetz gehen die Begriffe Forst und Wald durcheinander, und so möchte ich hier keine allumfassende Begriffserläuterung abgeben, sondern mich eher an den eigenen Eindrücken bei Wanderungen orientieren. Ein Forst wäre für mich von Bäumen dominiert, die unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten angepflanzt wurden, und ein Wald würde aus sich heraus heranwachsen, die Bäume durch Sukzession die Fläche besiedeln, sprich Samen werden eingetragen und finden ein Plätzchen zum Wurzeln schlagen. Und hier spielt das Totholz eine große Rolle, denn das zerfallende Holz gibt die in ihm enthaltenen Nährstoffe wieder an den Boden ab, nicht selten wachsen kleine Bäumchen auf den verrottenden Vorfahren heran. Insekten, Eidechsen, aber auch Kröten oder Igel finden im Totholz einen Unterschlupf und vor allem Nahrung. Pilze und Schwämme entwickeln sich auf umgestürzten Bäumen, Spechte suchen in schwächelnden Stämmen nach Insekten oder deren Larven und zimmern in älteren Exemplaren Höhlen für sich und interessierte Nachmieter. Totholz ist somit nicht tot, sondern höchst lebendig und von größter Bedeutung für die Artenvielfalt und die Kreislaufwirtschaft Wald.

Vermodernde Stämme liegen übereinander.
Totholz muss im Wald verbleiben, denn es bindet Wasser, schafft Humus und bietet Quartier für zahlreiche Tiere. (Bild: Ulsamer)

Totholz gehört in den Wald

Lange Zeit wurde der Forst gewissermaßen ‚besenrein‘ gehalten, sogar in artenreicheren Wäldern tobte sich der Ordnungssinn aus: Nicht nur umgestürzte Bäume, sondern auch Astmaterial wurde abtransportiert, und ich erinnere mich an Gespräche mit Spaziergängern, die jeden zurückgelassenen Holzrest bekrittelten und den Wald mit ihrem Wohnzimmer zu verwechseln schienen. Es hat sich viel gebessert, denn immer häufiger bleiben ganze Stämme oder Holzabschnitte und Zweige auf dem Waldboden zurück und reichern diesen über Jahrzehnte an. Wir müssen jedoch aufpassen, dass Holzreste nicht wieder als Wertstoff aus den Wäldern und Forstarealen abgeholt werden, um aus ihnen Energie zu gewinnen. Geradezu abstrus sind Überlegungen, in Hamburger Kraftwerken Buschholz aus Namibia zu verfeuern! Wenn wir den Wert von Totholz in unseren eigenen Wäldern wieder anerkennen, können wir doch nicht den afrikanischen Busch leersammeln lassen und mit dem Brennmaterial in Deutschland Strom erzeugen! Und wenn wir wirklich in einer Welt leben, dann zählt ein Totholzast aus einem deutschen Forst gleich viel wie ein vertrockneter Zweig von einem namibischen Busch!

Informationstafel in weiß-grün zum Thema "Totholz. Schatzkammer des Waldes". Rings herum Bäume und Büsche im winterlichen braun.
Informationstafeln können besonders ‚ordnungsliebenden‘ Spaziergängern die Bedeutung des Totholzes für Wald und Forst erklären – wie hier im baden-württembergischen Schurwald. (Bild: Ulsamer)

Im Forst entsteht im Regelfall wenig Totholz, es sei denn, Stürme führen zu Windbruch oder der Borkenkäfer macht sich über ganze Fichtenplantagen her. Die meisten Stämme im Forst werden schon geerntet, ehe sie ihr natürliches Lebensende erreichen, und daher sind abgestorbene Bäume eher selten. Diese wären aber gerade für Spechte interessant. Auch verrottende Baumstümpfe sind für die Natur wichtig, denn sie verhindern mit ihrem Wurzelwerk weitere Bodenerosion, und so mancher Ameisenhügel wird um einen Baumstumpf errichtet, der der Königin zusätzlichen Schutz bietet. Sehr alte, zum Teil auch schon absterbende Bäume stehen heute als sogenannte Biotopbäume unter Schutz. „Für zahlreiche spezialisierte Tier-, aber auch Pflanzenarten sind sie wichtiger Lebensraum. Flechten, Moose, Pilze, Käfer, Schnecken, Vögel und Säugetiere stellen 11 000 Arten in den Wäldern Deutschlands“, so der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland. „20 bis 50 % dieser Arten sind auf das Vorhandensein von Totholz angewiesen.“ Wichtig ist es, dass nicht nur einige verstreute Äste übrigbleiben, sondern immer wieder auch ein Ensemble aus Stämmen, Ästen usw., denn dort finden beispielsweise Eidechsen Unterschlupf oder Igel, wenn sie nicht ohnehin längst in den Siedlungsraum ausgewandert sind. In FSC-zertifizierten Wäldern verbleiben zumindest die Äste und die Krone eingeschlagener Bäume auf der Fläche, um das Totholz als Wasserspeicher und Humus für die nächste Generation zu nutzen. Totholz gehört in den Forst oder Wald und eben nicht ins Kraftwerk.

Dieser Ameisenhügel ist direkt an einen gefällten Baumstamm angebaut worden.
Ameisen legen ihren Hügel gerne an einem Baumstumpf an, der zusätzliche Sicherheit für die Ameisenkönigin und die Brut bietet. (Bild: Ulsamer)

Artenvielfalt im Wald stärken

Naturnahe Wälder bieten natürlich bessere Chancen für den Anfall von Altholz, da dies zum normalen Kreislauf eines Baumes gehört, wenn der Mensch nicht eingreift. Nach der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt aus dem Jahr 2007 hätten auf möglichst naturnahe Wälder bereits 2020 mindestens 5 % der Landesfläche entfallen müssen, doch der Anteil solcher Waldgebiete liegt noch unter 3 Prozent. Großflächige Wildnisgebiete, die sich gewissermaßen wieder einem Urwald annähern sollen, bringen es gerademal auf rd. 0,6 %. Dies wirft ein bezeichnendes Licht auf das politische Handeln in unserem Land. Nun bin ich mir der Landnutzung durchaus bewusst, daher ist keine Rückkehr in frühere Jahrhunderte möglich, und nicht selten ging es seinerzeit dem Wald durch Raubbau noch schlechter als heute. Es sind in unseren Tagen jedoch weit umfassendere Bemühungen notwendig, wenn wir die Artenvielfalt im Wald stärken wollen: Ohne weitere Flächen mit naturnahem Wald und weniger Forstplantagen wird das nicht möglich sein. So betont der NABU zurecht: „Gerade diese Naturwälder haben jedoch einen hohen Nutzen für den Naturschutz. Hier dürfen die Bäume ungestört alt werden und auch in abgestorbenem Zustand im Wald bleiben. So entstehen jede Menge verschiedene Lebensräume von denen seltene und von alten Wäldern abhängige Arten wie Mittelspecht, Grauschnäpper oder Bechsteinfledermaus profitieren.“

An einem noch stehenden, aber bereits abgestorbenen Baum sitzen ein Buntspecht und ein deutlich kleinerer Kleiber.
Im Totholz ist für viele Vögel der Tisch reichlich gedeckt. (Bild: Ulsamer)

Absterbendes oder sogenanntes Totholz ist für viele Pflanzen und Tiere die Lebensgrundlage, und letztendlich gehört es zum Kreislauf des Wachsens und Vergehens in unseren Wäldern. Wenn der Mensch hier eingreift, zerstört er die Grundlage für eine gedeihliche Entwicklung des Waldes, und die Anfälligkeit mancher Forstplantagen zeigt heute leider mehr als deutlich, dass die zu intensive und nicht nachhaltig orientierte Nutzung des Forsts ein Irrweg ist. Diese Einsicht hat sich natürlich längst auch bei zahlreichen Forstverantwortlichen durchgesetzt, aber die Politik in Bund, Land und Kommunen muss noch konsequenter eine Wende bei der Waldnutzung einleiten, und die Privatwaldbesitzer dabei mitnehmen. Wenn die zurückliegenden Dürrejahre Wald und Forst dramatisch zugesetzt haben, dann liegt dies überspitzt gesagt an der falschen Nutzung und einer einseitigen Aufforstung. Fichten in Monokulturen haben eben an vielen Standorten bei zunehmenden Temperaturen und stark wechselnden Regenmengen keine Überlebenschance. Wir brauchen Mischwälder statt forstlicher Monokulturen, denn dies minimiert die Gefahr eines Totalausfalls auf einer bestimmten Fläche durch den Klimawandel oder durch Befall.

Reste einer Eiche, die vor über 100 Jahren vom Blitz gefällt wurde. Daneben eine Informationstafel, die dies erklärt.
Holz zersetzt sich langsam und bringt somit über lange Zeiträume Nährstoffe in den Boden ein. Und damit wird – im Gegensatz zur Verbrennung – das gebundene CO2 nur langsam frei, was die Reste dieser Eiche, die bereits vor 115 Jahren einem Blitzschlag zum Opfer fiel, belegen. Wer der Erderwärmung entgegenwirken will, der muss auf die Reduzierung der ausgestoßenen Klimagase setzen und mehr Bäume pflanzen bzw. natürlich nachwachsen lassen. (Bild: Ulsamer)

Nachhaltigkeit sicherstellen

Wer in Wald und Forst rigoros das Totholz wegräumt, Tümpel trockenlegt, zu stark an die Einnahmen von heute und weniger an unser aller Wohlergehen in der Zukunft denkt, der orientiert sich nicht an Nachhaltigkeit und Ökologie. Die politisch Verantwortlichen sollten nicht vergessen, dass der Gedanke der Nachhaltigkeit von Hans Carl von Carlowitz 1713 geprägt wurde, als dieser in Zeiten der Holznot schrieb: „Wird derhalben die größte Kunst/Wissenschaft/Fleiß und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen / wie eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen / daß es eine continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weiln es eine unentberliche Sache ist / ohne welche das Land in seinem Esse (in seinem Wesen, Anm. des Verfassers) nicht bleiben mag.“ Wichtige Signale heutzutage sind unter Schutz gestellte Flächen in Nationalparks oder Biosphärengebieten, sowie in Naturschutzgebieten, die allerdings leider meist recht kleinräumig zugeschnitten sind. Zur Nachhaltigkeit können wir jederzeit auch als Kunden beitragen, wenn wir bei Holzprodukten nach deren Herkunft und einer Zertifizierung fragen.

Über einem kleinen Bach liegen kleine umgestürzte Bäume mitten im Wald.
Totholz, Moose, Moore und Tümpel helfen Wald und Forst in zunehmenden Dürreperioden. Bei Starkregen wiederum nehmen sie viel Wasser auf und mindern die Hochwassergefahr. Apropos Hochwasser: Der Biber als Landschaftsgestalter trägt mit seinen Dämmen ebenfalls zum Artenreichtum bei und verlangsamt den Abfluss des Regenwassers. (Bild: Ulsamer)

Und als Bürger müssen wir uns lauter als bisher gegenüber der Politik für den Schutz unserer Wälder einsetzen und mit dazu beitragen, dass selbst aus Forstarealen wieder Wälder werden. Die Aufforstung kann nur das zweitbeste Mittel sein, denn vorzuziehen ist die Sukzession, wenn Wälder sich wieder aus sich heraus erneuern! Einen unerlässlichen Beitrag dazu leistet das Totholz, das in Wald und Forst verbleiben muss.

 

Verschiedene Pilze, braun bzw. fast weiß, an einem vermodernden Baumstamm.
Totholz ist der richtige Nährboden für viele Pflanzen, wie für die Austernpilze auf dem alten Buchenstamm hier im Bild. (Bild: Ulsamer)

 

Wurzelteller eines großen Baums mit hellen eingelagerten Steinen. Dahinter wachsen Fichten hoch.
Der alte Riese ist gefallen, die nachwachsende Generation ist aus den Samen entstanden, und dies ohne menschliches Eingreifen – wie hier im Nationalpark Bayerischer Wald. (Bild: Ulsamer)

 

Wassertropfen an einem bräunlich-roten Schwamm, der am einem abgestorbenen Baum lebt.
Manche Schwämme entwickeln sich an Totholz zu kleinen Kunstwerken. (Bild: Ulsamer)

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