Die britische Premierministerin und die irische Grenze
Der Ausstieg der Briten aus der Europäischen Union (EU) wird viele Nachteile mit sich bringen – und dies auch für das Vereinigte Königreich -, aber in besonderer Weise stellt dies Irland vor große Herausforderungen. Über die Vorteile des Brexits bin ich mir nicht im Klaren, auch wenn die britische Premierministerin Theresa May die Zukunft für ihr Land in goldenen Farben ausmalt. Irgendwie kommt mir dies wie das Pfeifen im dunklen Keller vor! Bis heute sind Konkretisierungen zu Mays Sprüchen vom 17. Januar 2017 ausgeblieben: „… to shape a brighter future for our country“ oder „to build a truly Global Britain“. Wohlklingende Allgemeinplätze ersetzen keine sachorientierte Politik.
Über die Sinnwidrigkeit des Brexits habe ich in meinem Blog bereits mehrfach berichtet, und noch immer habe ich die Hoffnung nicht ganz verloren, dass es noch einen Exit vom Brexit geben kann. So hat das Oberhaus, die zweite – leider machtlose – Kammer des britischen Parlaments deutlich gefordert, in der Zollunion zu verbleiben und dort mehren sich auch die Stimmen, die letztendliche Entscheidung nach dem Abschluss der Brexit-Verhandlungen müsste im Parlament und nicht in 10 Downing Street, dem Amtssitz der Premierministerin, getroffen werden. Auch das Unterhaus vertrat mehrheitlich die Meinung, eine Form der Zollunion solle nach dem Austritt aus der EU erhalten bleiben.
Verwirrspiel bei der Grenzfrage
Aber nun zu den zahllosen Versprechungen, die Theresa May gemacht hat und die sie zunehmend einholen. Einerseits stellte sie im letzten Dezember gemeinsam mit dem Verschleierungskünstler Jean-Claude Juncker, seines Zeichens EU-Kommissionspräsident mit abgelaufenem politischen Verfallsdatum, ein ‚Joint Paper‘ vor, in dem die EU und die britische Regierung vereinbart hatten, eine harte Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland zu verhindern. Schon damals war mir die verfrühte Freude auch des irischen Premierministers Leo Varadkar ein Rätsel, der – wie viele andere Politiker – die Grenzfrage für geklärt hielt. Doch mit dem Austritt aus dem gemeinsamen EU-Markt und nach dem Verlassen der Zollunion wird es eine Grenze zwischen der Republik und dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland geben müssen.
Allerlei politische Nebelgranaten wurden inzwischen in London gezündet: Wie wäre es denn mit einer Grenze in der Irischen See, die Kontrollstellen zwischen Nordirland und der Republik Irland vermeiden würde? Doch wie erwartet, revoltierte die Democratic Unionist Party (DUP), die größte Partei der Protestanten in Nordirland. Nicht nur die DUP, sondern auch weitere Vertreter der Unionisten witterten Verrat, denn damit käme Nordirland ein Sonderstatus im Vereinigten Königreich zu. Und genau dies lehnen die Unionisten ab: Sie wollen alles verhindern, was die Bande zwischen den Protestanten in Nordirland und London schwächen könnte.
Theresa Mays Abhängigkeit von der DUP
Nur politische Irrlichter konnten auf die Idee kommen, dass die DUP einerseits die Regierungsmehrheit der Regierung May sichert und andererseits zuschaut, wie in ihrer Weltsicht ein Keil zwischen London und Belfast getrieben wird. Ein Ausflug in die Shankill Road, eine Hochburg der Protestanten in der nordirischen Hauptstadt Belfast, macht auf den ersten Blick klar, dass ein solches Schlupfloch von der DUP versperrt wird. Allein schon an solchen Vorschlägen wird erkennbar, dass Theresa May und ihre wenigen Getreuen verzweifelt versuchen, unbeschadet aus der Brexit-Zwickmühle herauszukommen. So heißt es auf einem Mural in der Shankill Road: „Belfast, Shankill Road, The Heart of the Empire“. Die DUP oder auch andere Parteien und Organisationen, die unionistische Protestanten vertreten, werden keinen Deal zulassen, der sie im Vereinigten Königreich an den Rand drängt. Und daran werden auch zusätzliche Budgetmittel für Nordirland nichts ändern. Theresa May blieb nach der von ihr aus Hybris vorgezogenen Parlamentswahl und dem desaströsen Wahlergebnis für die Konservativen nichts anderes übrig, als die DUP als Unterstützer der Regierung zu gewinnen, und sie ließ sich dies auch zusätzliche finanzielle Zuwendeungen für Nordirland kosten. Aber bei allen Fragen, die das Selbstverständnis der Protestanten – aber auch der Katholiken – in Nordirland betreffen, ist mit dem Geldsäckel nichts auszurichten. Dies mag in unseren Tagen schon fast altmodisch aussehen, aber es geht Unionisten und Republikanern wirklich um Herzensangelegenheiten – und dies macht selbstredend jeden Kompromiss schwierig.
Irgendwann wird Theresa May nicht umhinkommen, die Wahrheit zu sagen, die Realität anzuerkennen, und damit wird sie die eine oder die andere Seite enttäuschen. Sie kann es sich jedoch keinesfalls leisten, die Brexiteers in der eigenen Partei gegen sich aufzubringen oder die DUP als Bündnispartner zu verlieren, denn dann wäre ihre politische Karriere beendet. Bei den Tories gibt es ohnehin genügend ‚Parteifreunde‘, die sie lieber heute als morgen vom Thron stoßen würden. Die eifrigen Befürworter eines harten Bruchs mit der EU werden keine Formelkompromisse akzeptieren, die eine fiktive Grenze in der Irischen See vorgibt oder eine dauerhafte Mitgliedschaft in der Zollunion vorsieht. Bereits die Idee, an der nordirischen Grenze für die EU Zölle zu erheben und diese an die EU weiterzuleiten, führte zu Aufruhr. Allerdings lässt sich ein solcher Vorschlag für hartgesottene Brexiteers auch nicht mit dem gewünschten Ausstieg aus der EU vereinbaren. Ihnen müssen auch die Ohren klingeln, wenn Theresa May ihre Berater an neuen Formen einer Zollpartnerschaft arbeiten lässt. In ihrem eigenen Brexit-Komitee ist sie mit diesem Vorschlag unterlegen. Der unfreiwillige Abgang mehrerer Regierungsmitglieder – zuletzt Innenministerin Amber Rudd – hat ohnehin die Zahl der auf Partnerschaft statt Konfrontation setzenden Regierungsvertreter weiter reduziert.
Elektronik statt Grenzhäuschen?
Wenig Begeisterung bei den Befürwortern des Brexits lösen auch alle Vorschläge aus, die eine ‚hard border‘ durch technische Maßnahmen unnötig machen sollen. „Maximum faciliation“ ist der neu kreierte Überbegriff für mehr Elektronik statt bemannter Grenzhäuschen. Fahrzeuge zu überwachen, ohne sie an der Grenze zu stoppen, könnte eine Lösung sein, allerdings rechnen selbst die Regierungsberater damit, dass die Entwicklung der benötigten Technologie und deren Installation zu einer deutlichen Verzögerung des Ausstiegs aus der Zollunion führen könnte. So würde das Vereinigte Königreich zwar – wie geplant – im März 2019 – die EU verlassen, doch würden dann u.U. vier weitere Jahre bis zum Ausstieg aus der Zollunion vergehen. Die ohnehin vorgesehene Übergangsfrist von einem Jahr würde bei weitem überschritten. Brexit-Hardliner befürchten, dass sie dann bei der 2022 anstehenden planmäßigen Parlamentswahl von ihren Anhängern das Fell über die Ohren gezogen bekommen, denn der Brexit wäre noch nicht umgesetzt – und die Ausstiegsgegner hätten Zeit, sich neu zu formieren.
Ein Abkommen über den Ausstieg aus der EU wird es nur geben, wenn die Grenzfrage in Irland befriedigend geklärt ist, dies versicherte Michel Barnier, der EU-Chefverhandler für den Brexit, bei einem Besuch in Irland erneut. Damit unterstrich er allerdings eine Selbstverständlichkeit, denn das Ausstiegsabkommen muss von den verbleibenden 27 EU-Mitgliedsstaaten abgesegnet werden. Den Weg zu einer einvernehmlichen Lösung erleichtert Theresa May nicht durch allerlei „red lines“, die sie immer eifriger zieht, je näher das Austrittsdatum rückt. Eigentlich eine merkwürdige Vorgehensweise bei Verhandlungen, denn selbstredend startet jede Seite mit einer umfassenden Gesamtforderung, die dann im Laufe der Gespräche an der einen oder anderen Stelle abgeschliffen werden, um eine gemeinsame Position zu erreichen. Bei Theresa May ist es eher andersherum: Sie kommt immer mehr unter Druck, ihre Luftschlösser zerplatzen und ihr Rückhalt sinkt- und daraus resultiert die Verhärtung ihrer Positionen. Über ihren Macht- und Kontrollverlust kann auch das recht passable Ergebnis der Conservatives bei den Kommunalwahlen nicht hinwegtäuschen. Politische Auguren hatten einen deutlicheren Denkzettel für die Partei von Theresa May erwartet, doch der schwammige Kurs von Labour gerade auch beim Brexit verhinderte ein stärkeres Zurückfallen der Conservative Party.
Mays wacklige Mehrheit im Parlament
Sinn Fein, die republikanische Partei, die in der Republik Irland und Nordirland jeweils zur Wahl antritt, hatte bei der letzten Parlamentswahl sieben Sitze im britischen Unterhaus errungen und könnte dort die knappe Mehrheit von Theresa May noch kleiner werden lassen. Doch aus prinzipiellen Gründen nehmen die Abgeordneten von Sinn Fein ihre Sitze in Westminster nicht ein. Sie wollen weder einen Eid auf die Königin leisten, noch die rechtliche Hoheit Londons über Nordirland anerkennen. Ob die Präsidentin von Sinn Fein, Mary Lou McDonald und die Vizepräsidentin Michelle O‘Neill allerdings mit der historisch bedingten Abwesenheit ihrer gewählten Volksvertreter brechen können, das zeichnet sich bisher nicht ab. Sie könnten jedoch in London mit dazu beitragen, zumindest die Zollunion zu erhalten und damit eine Landgrenze zwischen Nordirland und der Republik verhindern.
Theresa May scheint bisher darauf zu setzen, dass die EU zu guter Letzt bei der Grenzfrage in Irland einknickt, um ein Aufflammen des Nordirlandkonflikts zu verhindern. Denn niemand kann Interesse daran haben, dass eine harte Grenze mit Kontrollen bei den Katholiken das Gefühl wieder verstärkt, der Herrschaft Londons und der protestantischen Unionisten ausgeliefert zu sein. Scheinheilige Formelkompromisse dürfen aber auch bei den protestantischen Unionisten nicht den Eindruck erwecken, sie würden der Republik Irland und der katholischen Seite ausgeliefert. Mögen solche Gedanken auch für viele Betrachter abwegig erscheinen, so sind sie doch historisch zu erklären.
Frieden nicht gefährden
Sollte es zu einer trennenden Grenze kommen, dann würde dies das Karfreitagsabkommen gefährden, das seit 1998 zu einer deutlichen Befriedung in Nordirland geführt hat. Wie dünn das Eis ist, auf dem die protestantischen und katholischen Parteien zu einer gemeinsamen Politik gefunden haben, beweist die Unfähigkeit, seit Januar 2017 eine Regierung bilden zu können. So ist das Stormont, das nordirische Parlament, verwaist, wichtige politische Entscheidungen fallen wieder in London. Das Karfreitagsabkommen brachte eine Machtteilung zwischen Protestanten und Katholiken, die letztere seit Jahrhunderten – zumindest in Nordirland – vermissen mussten. Hinderlich ist es natürlich auch, dass Theresa May sich im Londoner Unterhaus auf die protestantische Democratic Unionist Party stützt, die der britischen Premierministerin ihren Stuhl in 10 Downing Street sichert. Dies wird von der katholischen Seite als erneuter Beweis dafür gedeutet, dass die Politiker in London wenig Interesse an den Katholiken haben. Ein Besuch in der Falls Road und der Shankill Road, aber auch in Derry macht deutlich, dass die Gefühle der Menschen in den Verhandlungen über den Brexit nicht vernachlässigt werden dürfen.
Sollte Theresa May irgendwann zur Wahrheit zurückkehren und Realitäten anerkennen, und wenn eine Grenze zwischen Nordirland und der Republik vermieden werden soll, dann bleibt bei einem Austritt der Briten aus der EU nur eine Zollunion – wie immer diese benannt wird. Alles Schönreden und Fabulieren in London und das Produzieren obskurer ‚Joint Paper‘ à la Juncker und May bringt keine sachgerechte Lösung für die grüne Insel. Kritisch eingeschätzt hat die zweifelhaften Vorschläge aus London bereits im August 2017 der Chef der nordirischen Verwaltung, David Sterling. Sein Brief an den damaligen Sekretär der EU-Ausstiegsabteilung, wurde jetzt geleakt, und er macht deutlich, dass May & Co. beratungsresistent sind. Technische Spielereien an der Grenze werden das Problem auch nicht lösen, denn wenn alle Fahrzeuge – Lkw und Pendler-Pkw – digital verfolgbar würden, dann wird auch dies weder Datenschützer noch manchen Republikaner erfreuen, der sich in die Zeiten der britischen Überwachung zurückversetzt fühlen dürfte. Und man kann auch schlecht jedem Fahrradfahrer und Fußgänger einen Barcode auf die Stirn kleben!
Der Brexit ist ein Irrweg der Geschichte, dies wird sich noch zeigen, doch die Schuld liegt in gleichem Maße bei den britischen Regierungen unter David Cameron und Theresa May wie auch bei der EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker und den anderen EU-Staaten, die bei einer (zeitweiligen) Beschränkung der Freizügigkeit und der Migration innerhalb der Europäischen Union nicht gesprächsbereit waren. Auch Angela Merkel hat hier jegliches Problembewusstsein gefehlt, doch dies überrascht mich nicht: Das Verständnis für unsere britischen Nachbarn ist bei ihr nicht sonderlich ausgeprägt, und wer wie die Bundeskanzlerin Migrationswellen zulässt, der kann auch nicht verstehen, warum auch gebildete und im Herzen pro-europäische Briten für den Brexit stimmen konnten, weil sie die zunehmende Migration nicht hinnehmen wollten.
Die Politik auf beiden Seiten des Ärmelkanals und der Irischen See muss alles daransetzen, eine ‚hard border‘ in Irland zu verhindern, denn wer dies nicht tut, der gefährdet den Friedensprozess in Nordirland. Wie Theresa May ihren Brexiteers allerdings eine Form der Zollunion schmackhaft machen kann, das muss sich erst noch zeigen. Ohne ein gemeinschaftliches Zollgebiet wird unweigerlich eine trennende Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland entstehen und dies mit unabsehbaren Folgen. Ein Kompromiss ist gefragt und nicht Theresa Mays „red lines“.
6 Antworten auf „Theresa May in der Brexit-Zwickmühle“