Stuttgart: Wenn das Operndach als Knäuel endet

… und der Klimawandel schuld sein soll

Wer in Stuttgart vom Schlossplatz in Richtung Landtag geht, dem fällt ein Kupferknäuel auf, das im niedrigen Eckensee auf einem Podest ruht und eher bei Gänsen Interesse findet als bei Spaziergängern. Da liegt es nun, das im Juni 2021 vom Opernhaus hinabgewehte Dach. Ausgetüftelt haben sich diese fragwürdige ‚Skulptur‘ der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz von den Grünen und die SPD-Politiker Martin Körner und Martin Rivoir. Nun kann man trefflich über Kunst, Kultur oder aufrüttelnde Objekte im öffentlichen Raum streiten, doch für mich ist die Argumentation von Minister Bayaz leicht absurd: „Uns ist es ein Anliegen, als sichtbares Zeichen im Kampf gegen den Klimawandel einen der prominentesten Plätze der Stadt zur Verfügung zu stellen.“ Ja, Sturmböen rissen einen Teil des Kupferdachs in die Tiefe, aber war wirklich ein Sturm der tiefere Grund für das abfliegende Operndach? Als Ursache dürfte eher die sträfliche Vernachlässigung notwendiger Instandhaltungen zu sehen sein. Das Dach galt auch nach Medienberichten bereits vor dem Sturm als marode. Ich neige diesem Grund zu, denn Stadt und Land wollten eine Milliarde Euro aufbringen, um die Oper zu sanieren und zu erweitern. Nach neueren Schätzungen können es gut 500 Mio. Euro mehr sein. Vor diesem Hintergrund muss mal wieder der Klimawandel herhalten, in dessen Gefolge ein Sturm einen Teil des Kupferdachs abhob, um die Folgen mangelnder Sanierungsmaßnahmen zu kaschieren. Auf allen umliegenden Gebäuden entstand im Übrigen kein ‚Dachschaden‘!

Gebäude von 1912 mit Säulen. Das Dach wird neu eingedeckt.
Vielleicht hätten etwas mehr Fürsorge und Instandhaltung dem Großen Haus in Stuttgart 2021 einen Dachschaden erspart. Erbaut wurden das Große und das Kleine Haus in Stuttgart 1909 bis 1912 nach Plänen von Max Littmann. Nach dem Sturm wurde ein Notdach errichtet, dann zur größeren Reparatur geschritten, und das davongeflogene Kupferdach soll jetzt im Stuttgarter Eckensee als „Mahnmal“ an die Folgen des Klimawandels erinnern. Hätten die Politiker, die jetzt von einem „Mahnmal“ reden, in den letzten Jahrzehnten mehr Budgetmittel bereitgestellt, dann wäre das Dach vermutlich auch nicht im Segelflug auf den Vorplatz gekracht. (Bild: Ulsamer)

Opernhaus mit Dachschaden

Was würde ein Politiker wie Bayaz wohl sagen, wenn man sein Auto, das nach jahrzehntelanger Nutzung während eines Starkregens mit Motorschaden liegengeblieben ist, als mahnendes Kunstwerk für die Erderwärmung auf dem Podest im Eckensee ausstellen wollte, obwohl man es nie zur Inspektion oder Wartung gebracht und sich auch noch um alle TÜV-Termine herum gemogelt hatte? Auf den Zustand des ‚Großen Hauses‘ der Württembergischen Staatstheater bin ich bereits im Blog-Beitrag „Stuttgart: Opernhaus, Villa Berg und Villa Moser – erst vergammeln lassen, dann teuer sanieren“ ausführlich eingegangen, daher an dieser Stelle nur einige kurze Anmerkungen. Das Opernhaus ist ein Musterbeispiel für unzureichende Instandsetzungsarbeiten, die wir alle auch von holprigen Straßen und maroden Brücken kennen. Wenn sich dann die Mängel häufen, holt die Politik zum ‚Befreiungsschlag‘ aus und schießt über das Ziel hinaus. So soll beim denkmalgeschützten Littmann-Bau gleich noch eine Fassade verschoben werden, und ohne eine Interimsspielstätte geht es selbstredend nicht. Mit Steuergeldern gehen viele Politiker eben anders um als mit dem selbst verdienten Geld. Kaum jemand würde sein eigenes Haus so vernachlässigen, wie es bei zahlreichen öffentlichen Gebäuden der Fall ist, oder diese gar nach 40 Jahren Nutzung ganz einfach wieder abreißen – wie den ‚Altbau‘ des Landratsamts in Esslingen am Neckar.

Eine bunte Nilgans sitzt auf den grün-braunen Kupferplatten, die zerknüllt sind.
Ganz eifrig putzte sich eine Nilgans, die auf dem Kupferknäuel im Eckensee Platz genommen hatte. Sie weiß eben, dass sie ohne eifrige Gefiederpflege nicht weit kommen wird. So ist es auch mit der Instandhaltung öffentlicher Gebäude – wie dem Opernhaus. (Bild: Ulsamer)

Bemerkenswert ist es schon, wenn sich der Stuttgarter CDU-Oberbürgermeister Frank Nopper, die grüne Bezirksvorsteherin und abgestürzte OB-Kandidatin Veronika Kienzle sowie der Gemeinderat bei einer solchen Zurschaustellung des Operndachs aufgeschlossen zeigen, ohne wohl auch nur einen Moment die Frage aufzuwerfen, warum es denn seinen Dienst versagte? Vermutlich kam allen Beteiligten der Vorschlag von Finanzminister Bayaz ganz gelegen, der beim Schlossgarten, einer Landesfläche, ohnehin der Hausherr ist. Sie mussten sich nicht länger fragen lassen, ob sie vielleicht eine Mitschuld am Dachsturz tragen, weil sie nicht rechtzeitig die notwendigen Mittel für kontinuierliche Sanierungen bereitgestellt hatten. „Aufgrund des denkmalrechtlichen Status des Oberen und Mittleren Schlossgartens wird ein dauerhaftes Mahnmal im Eckensee nicht möglich sein“, so der Minister laut Stuttgarter Zeitung. Das wäre aber auch noch mal schöner, wenn ein Blechknäuel zum „Mahnmal“ des Klimawandels gemacht würde, obwohl es eher an mangelnde Sanierung und Instandhaltung erinnern sollte. Zum Glück ist in Stuttgart beim fliegenden Operndach kein Mensch zu Schaden gekommen. Allerdings erinnert die Argumentation an die katastrophalen Überschwemmungen im Ahrtal: Menschliches Versagen bei der Alarmierung, bei der Bebauung oder der Nutzung flussaufwärtsliegender Areale sollte dort durch den Verweis auf den Klimawandel überdeckt werden.

Mit blauem Klebeband befestigtes Schild "STOP. Besteigen verboten."
Eine Informationstafel zum Kupferknäuel haben wir vergeblich gesucht. Deshalb scheinen die Passanten auch keinen Gedanken daran zu verschwenden, dass der grüne Finanzminister Danyal Bayaz und die SPD-Politiker Martin Rivoir und Martin Körner das zerdellte Operndach als „Mahnmal“ für die Folgen des Klimawandels im Eckensee aufstellen ließen. Aber vielleicht reicht in Deutschland ja auch ein Verbot des Besteigens als Info. (Bild: Ulsamer)

Zu sparsam für eine Hinweistafel

Wir müssen unser persönliches und gesamtgesellschaftliches Engagement gegen den Klimawandel und die damit einhergehenden Folgen wie heftigere Stürme, vermehrtem Starkregen und verlängerten Dürreperioden intensivieren, das ist für mich keine Frage. Die Politik sollte aber damit aufhören, eigenes Versagen mit der Aufschrift ‚Klimawandel‘ zu übertünchen und zu entschuldigen. Und ganz nebenbei: eine erklärende Hinweistafel zum Kupferknödel hätte am Ufer des Eckensees nichts geschadet, Passanten hatten überwiegend nicht die geringste Ahnung, warum plötzlich dieses Metallobjekt als Landeplatz für Gänse bereitgelegt wurde.

Im Vordergrund ein Knäuel aus grün-braunen Kupferplatten auf einem Podest in einem See. Dahinter das Opernhaus aus dem Jahr 1912.
Das während eines Sturms im Juni 2021 teilweise abgerissene Dach des Opernhauses soll jetzt im Eckensee in Stuttgart als „Mahnmal“ verstanden werden, „das uns alle an die Bedeutung des Klimaschutzes erinnert“, so Martin Rivoir, kulturpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, im SWR. Wir müssen mehr tun, um die Erderwärmung und somit den Klimawandel zu verlangsamen, dies ist für mich keine Frage, doch darf auch nicht jeder Sturmschaden flugs dem Klimawandel zugeschrieben werden. „Das Dach stammt aus dem Jahr 1911 und galt bereits vor dem Sturm im vergangenen Juni als marode“, so war in t-online zu lesen. Und Tilmann Häcker, der zuständige Abteilungsleiter im landeseigenen Betrieb Vermögen und Bau und zuständig auch für die Oper, betonte gegenüber dem SWR unter Bezugnahme auf den ‚Dachschaden‘: “Es ist bestimmt ein Motor, weil man sieht, das Haus hat einen Sanierungsbedarf.“ So ist es: Wer lange nicht saniert und die Instandhaltung einschränkt, der muss mit Schäden rechnen – was nicht nur in Zeiten des Klimawandels gilt. (Bild: Ulsamer)

„STOP. Besteigen verboten“, so lautet das einzige mit blauem Klebeband befestigte Kleinplakat an der Skulptur. Nun gut – auch eine Information, die vielleicht für manchen Bürokraten auszureichen scheint. Oder haben sich der Ex-Investmentbanker und qua Amt Hausherr Bayaz und seine Ministerialen doch nicht getraut, dem Klimawandel vor Ort die Schuld in die Schuhe zu schieben? Deshalb fallen Diskussionen am Eckensee aus, und das Knäuel aus Kupferblech bleibt unbeachtet. So hätte man sich den Aufwand gleich sparen können. Wenn schon eine „Mahnung“, dann diese: Zukünftig muss mehr in die Instandhaltung öffentlicher Gebäude investiert werden, und sie müssen auch besser auf die Folgen des Klimawandels vorbereitet werden.

 

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Ein großer Knäuel aus grün-braunem Kupferblech in einem See.Für mich ist dieser Kupferknäuel weniger ein Mahnmal für den Klimawandel als ein Symbol für die Vernachlässigung öffentlicher Gebäude und mangelnder Instandhaltung der Infrastruktur. (Bild: Ulsamer)

 

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