… und der Klimawandel schuld sein soll
Wer in Stuttgart vom Schlossplatz in Richtung Landtag geht, dem fällt ein Kupferknäuel auf, das im niedrigen Eckensee auf einem Podest ruht und eher bei Gänsen Interesse findet als bei Spaziergängern. Da liegt es nun, das im Juni 2021 vom Opernhaus hinabgewehte Dach. Ausgetüftelt haben sich diese fragwürdige ‚Skulptur‘ der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz von den Grünen und die SPD-Politiker Martin Körner und Martin Rivoir. Nun kann man trefflich über Kunst, Kultur oder aufrüttelnde Objekte im öffentlichen Raum streiten, doch für mich ist die Argumentation von Minister Bayaz leicht absurd: „Uns ist es ein Anliegen, als sichtbares Zeichen im Kampf gegen den Klimawandel einen der prominentesten Plätze der Stadt zur Verfügung zu stellen.“ Ja, Sturmböen rissen einen Teil des Kupferdachs in die Tiefe, aber war wirklich ein Sturm der tiefere Grund für das abfliegende Operndach? Als Ursache dürfte eher die sträfliche Vernachlässigung notwendiger Instandhaltungen zu sehen sein. Das Dach galt auch nach Medienberichten bereits vor dem Sturm als marode. Ich neige diesem Grund zu, denn Stadt und Land wollten eine Milliarde Euro aufbringen, um die Oper zu sanieren und zu erweitern. Nach neueren Schätzungen können es gut 500 Mio. Euro mehr sein. Vor diesem Hintergrund muss mal wieder der Klimawandel herhalten, in dessen Gefolge ein Sturm einen Teil des Kupferdachs abhob, um die Folgen mangelnder Sanierungsmaßnahmen zu kaschieren. Auf allen umliegenden Gebäuden entstand im Übrigen kein ‚Dachschaden‘!

Opernhaus mit Dachschaden
Was würde ein Politiker wie Bayaz wohl sagen, wenn man sein Auto, das nach jahrzehntelanger Nutzung während eines Starkregens mit Motorschaden liegengeblieben ist, als mahnendes Kunstwerk für die Erderwärmung auf dem Podest im Eckensee ausstellen wollte, obwohl man es nie zur Inspektion oder Wartung gebracht und sich auch noch um alle TÜV-Termine herum gemogelt hatte? Auf den Zustand des ‚Großen Hauses‘ der Württembergischen Staatstheater bin ich bereits im Blog-Beitrag „Stuttgart: Opernhaus, Villa Berg und Villa Moser – erst vergammeln lassen, dann teuer sanieren“ ausführlich eingegangen, daher an dieser Stelle nur einige kurze Anmerkungen. Das Opernhaus ist ein Musterbeispiel für unzureichende Instandsetzungsarbeiten, die wir alle auch von holprigen Straßen und maroden Brücken kennen. Wenn sich dann die Mängel häufen, holt die Politik zum ‚Befreiungsschlag‘ aus und schießt über das Ziel hinaus. So soll beim denkmalgeschützten Littmann-Bau gleich noch eine Fassade verschoben werden, und ohne eine Interimsspielstätte geht es selbstredend nicht. Mit Steuergeldern gehen viele Politiker eben anders um als mit dem selbst verdienten Geld. Kaum jemand würde sein eigenes Haus so vernachlässigen, wie es bei zahlreichen öffentlichen Gebäuden der Fall ist, oder diese gar nach 40 Jahren Nutzung ganz einfach wieder abreißen – wie den ‚Altbau‘ des Landratsamts in Esslingen am Neckar.

Bemerkenswert ist es schon, wenn sich der Stuttgarter CDU-Oberbürgermeister Frank Nopper, die grüne Bezirksvorsteherin und abgestürzte OB-Kandidatin Veronika Kienzle sowie der Gemeinderat bei einer solchen Zurschaustellung des Operndachs aufgeschlossen zeigen, ohne wohl auch nur einen Moment die Frage aufzuwerfen, warum es denn seinen Dienst versagte? Vermutlich kam allen Beteiligten der Vorschlag von Finanzminister Bayaz ganz gelegen, der beim Schlossgarten, einer Landesfläche, ohnehin der Hausherr ist. Sie mussten sich nicht länger fragen lassen, ob sie vielleicht eine Mitschuld am Dachsturz tragen, weil sie nicht rechtzeitig die notwendigen Mittel für kontinuierliche Sanierungen bereitgestellt hatten. „Aufgrund des denkmalrechtlichen Status des Oberen und Mittleren Schlossgartens wird ein dauerhaftes Mahnmal im Eckensee nicht möglich sein“, so der Minister laut Stuttgarter Zeitung. Das wäre aber auch noch mal schöner, wenn ein Blechknäuel zum „Mahnmal“ des Klimawandels gemacht würde, obwohl es eher an mangelnde Sanierung und Instandhaltung erinnern sollte. Zum Glück ist in Stuttgart beim fliegenden Operndach kein Mensch zu Schaden gekommen. Allerdings erinnert die Argumentation an die katastrophalen Überschwemmungen im Ahrtal: Menschliches Versagen bei der Alarmierung, bei der Bebauung oder der Nutzung flussaufwärtsliegender Areale sollte dort durch den Verweis auf den Klimawandel überdeckt werden.

Zu sparsam für eine Hinweistafel
Wir müssen unser persönliches und gesamtgesellschaftliches Engagement gegen den Klimawandel und die damit einhergehenden Folgen wie heftigere Stürme, vermehrtem Starkregen und verlängerten Dürreperioden intensivieren, das ist für mich keine Frage. Die Politik sollte aber damit aufhören, eigenes Versagen mit der Aufschrift ‚Klimawandel‘ zu übertünchen und zu entschuldigen. Und ganz nebenbei: eine erklärende Hinweistafel zum Kupferknödel hätte am Ufer des Eckensees nichts geschadet, Passanten hatten überwiegend nicht die geringste Ahnung, warum plötzlich dieses Metallobjekt als Landeplatz für Gänse bereitgelegt wurde.

„STOP. Besteigen verboten“, so lautet das einzige mit blauem Klebeband befestigte Kleinplakat an der Skulptur. Nun gut – auch eine Information, die vielleicht für manchen Bürokraten auszureichen scheint. Oder haben sich der Ex-Investmentbanker und qua Amt Hausherr Bayaz und seine Ministerialen doch nicht getraut, dem Klimawandel vor Ort die Schuld in die Schuhe zu schieben? Deshalb fallen Diskussionen am Eckensee aus, und das Knäuel aus Kupferblech bleibt unbeachtet. So hätte man sich den Aufwand gleich sparen können. Wenn schon eine „Mahnung“, dann diese: Zukünftig muss mehr in die Instandhaltung öffentlicher Gebäude investiert werden, und sie müssen auch besser auf die Folgen des Klimawandels vorbereitet werden.
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Für mich ist dieser Kupferknäuel weniger ein Mahnmal für den Klimawandel als ein Symbol für die Vernachlässigung öffentlicher Gebäude und mangelnder Instandhaltung der Infrastruktur. (Bild: Ulsamer)
Eine Antwort auf „Stuttgart: Wenn das Operndach als Knäuel endet“