Wer spät saniert, vergeudet Steuergelder – in Stuttgart genauso wie überall.
„Man muss sich beeilen, wenn man etwas sehen will, denn alles verschwindet“, so der französische Maler Paul Cézanne. Auf einen Ort in Stuttgart trifft dies in besonderer Weise zu: die Kunstinstallation Villa Moser. Ich denke, jeder von Ihnen kennt solche Orte. Nun kann man trefflich darüber streiten, ob die Ruinen der im Zweiten Weltkrieg zerbombten Villa des „Bonboles-Fabrikanten“ Eduard Otto Moser auf Dauer Bestand haben müssen, doch die Reste der Villa des Schokoladenproduzenten und der verwilderte Garten wurden für die Internationale Gartenbauausstellung (IGA) 1993 durch eine Kunstinstallation des Architekten Hans-Dieter Schaal für interessierte Besucherinnen und Besucher erschlossen. Nach nicht einmal drei Jahrzehnten ist diese „Kunststation“ in einem derart traurigen Zustand, dass man eher an eine städtische Endstation denkt. Vermoderte Bretter, mit Graffiti verschmierte Wände und zur Absperrung Bauzäune, so sollten Kunst und Geschichte in meiner Geburtsstadt nicht enden!
Fehlende Instandhaltung kommt teuer
Trotz kritischer Anmerkungen aus der Bürgerschaft und in den Medien ließen die Stadtoberen – ob von den Grünen oder der CDU – die Kunststation Villa Moser über Jahre vergammeln und steckten nicht einen Cent in notwendige Erhaltungsmaßnahmen. Im November 2021 erwachten Gemeinderat und Stadtverwaltung aus dem Dämmerschlaf in Sachen Villa Moser, und es geschah, was passiert, wenn Kulturbanausen am Pranger stehen: sie ziehen die Spendierhosen an! Für ein Sanierungskonzept wurden 200 000 Euro bewilligt. Hätte dieses Budget über die letzten fast 30 Jahren in kleinen Häppchen zur Verfügung gestanden, dann wären jetzt weder ein Sanierungskonzept noch weitere Finanzmittel notwendig. Aber an der Villa Moser zeigt sich wieder mal geradezu ‚mustergültig‘, wie durch fehlende Erhaltung von Kunst im öffentlichen Raum oder auch Gebäuden ein Sanierungsstau entsteht, der letztendlich astronomische Ausgaben im Verhältnis zum Objekt hervorruft.
Welche Schäden entstehen, wenn es an der Instandhaltung von Gebäuden mangelt, zeigt sich in Stuttgart noch deutlicher bei der Oper im Schlossgarten und bei der Villa Berg im Osten der Stadt. Die Sanierung und Erweiterung des Operngebäudes inklusive einer Interimsspielstätte sollen eine Milliarde Euro verschlingen, bei der Villa Berg dürften sich die Kosten – einschließlich des Herrichtens der Parkanlagen – auf 100 Millionen Euro belaufen. Entstehen soll dort ein „offenes Haus für Musik und Mehr“. Ganz besonders spannend dürfte der Programmpunkt „Baby Singen“ sein, der sich im Nutzungskonzept für das frühere SWR-Gebäude findet. Wer auch immer nach 15 Jahren Leerstand in der Villa Berg wieder singen wird: wenn er auf die Zeit des Verfalls zurückblickt, dann kann er nur ein trauriges Lied anstimmen.
Graffitischmierer in der Bonboles-Villa
Nun zurück zur Kunstinstallation Villa Moser, die ebenfalls seit Jahren unter städtischer Ägide vor sich hin bröselt. Immer häufiger hat sich bei mir der Eindruck verdichtet, dass der Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, Joachim Dorfs, den Nagel auf den Kopf trifft: „Offenbar hat sich in Stuttgart das Jahrzehnt als kleinste Zeiteinheit für Veränderungen etabliert.“ In der Stadtverwaltung geht alles gemächlich seinen Gang, notwendige Gelder für rechtzeitige Sanierungen werden nicht vom Gemeinderat bewilligt, und wenn der Unmut in der Öffentlichkeit zu laut wird, greift man eben in die Tasche des Steuerzahlers und rettet, was noch zu retten ist. So kurzsichtig und leichtfertig sollte mit dem Geld von uns Bürgern nicht umgegangen werden. Die Ruinen der Villa Moser, die seit 1955 einschließlich des sie umgebenden Leibfriedschen Gartens Eigentum der Stadt Stuttgart sind, bleiben bis heute schutzlos Vandalen und Graffitischmierern ausgeliefert. Aber auch der Zahn der Zeit nagte insbesondere an den Holzplanken der Kunststation. Der Anblick der Gesamtanlage ist seit Jahren ein Trauerspiel!
Nur wenige Jahre bewohnte der Schokoladenfabrikant Eduard Otto Moser die eigens für ihn von 1872 bis 1875 erbaute Villa, da er bereits 1879 überraschend mit 60 Jahren verstarb. Das von Johann Wendelin Braunwald entworfene Gebäude hat Anklänge an die Villa Berg, doch hat der Architekt durchaus ein eigenständiges bauliches Werk im Stil der Neorenaissance geschaffen. Die dreigeschossige Villa, die an kleine Landsitze in der Toskana erinnert, wurde ergänzt durch Stallungen mit Remise, ein Geflügel- sowie ein Gewächshaus. Mit einer eigenen dampfbetriebenen Anlage wurde das Wasser aus einem Brunnen ins höhergelegene Reservoir gepumpt, aus dem das ganze Anwesen versorgt wurde. Das Wasserreservoir fiel der Aufschüttung für den Aussichtspunkt ‚Bastion Leibfried‘ zum Opfer, von dem man einen schönen Blick auf Stuttgart hat, wenn man es schafft, den versammelten Müll auszublenden. Völlig unleserlich sind die dort angebrachten Hinweistafeln, die die umliegenden Stadtquartiere erklären.
Hinfällige Kunstinstallation
Als Marie Friederike Moser 1903 kinderlos verstarb, vererbte sie das Gesamtareal an ihre Großnichte Rose Leibfried, die mit ihrem Ehemann für Villa und Gartenanlagen sorgte. Der Park wurde in den kommenden Jahrzehnten durch den Bau einer Straßenbahn von Stuttgart nach Feuerbach und der Verbreiterung von Straßen beschnitten. Die heutige, extrem geschäftige Verkehrssituation am Pragsattel hatte sich damals bereits angekündigt, und so ist der Leibfriedsche Garten in unseren Tagen nahezu vergleichbar mit einer zu groß geratenen Verkehrsinsel. Nach dem Tod des Ehepaares Leibfried versuchte die Stadt Stuttgart das Gelände zu kaufen, doch der Sohn lehnte dies ab. Einer Beschlagnahme entging die Villa Moser 1943 nur durch eine Vermietung: Das Unternehmen Bosch richtete dort sieben Zweizimmerwohnungen für Mitarbeiter ein. Bei mehreren Bombenangriffen brannte 1944 die Villa Moser aus. Die äußeren Mauern blieben – wie Nachkriegsfotos belegen – zuerst noch stehen, ehe sie zum Abbruch freigegeben wurden. 1955 erwarb die Stadt nach mehrmaligen Anläufen das Anwesen. Wer sich für Details zur Geschichte der Villa Moser interessiert, dem möchte ich gerne die Bachelorarbeit von Simon Otto Volk empfehlen.
Die Reste der Ruinen und der einstige englische Landschaftsgarten blieben über Jahrzehnte weitgehend unbeachtet und wegen der Topografie und der Umschließung durch Verkehrswege auch unbebaut. Damit endete die Geschichte der Villa Moser jedoch nicht, denn zur Internationalen Gartenbauausstellung im Jahre 1993 gestaltete der Architekt Hans-Dieter Schaal eine Kunstinstallation, die die Überbleibsel der Villa und den verwilderten Garten einbezog: Eine umfangreiche Konstruktion aus einem turmartigen Gebäudeteil in Beton und Metallstegen mit Holzauflage machte das schon fast verwunschene Kleinod wieder für Besucher „zugänglich“. Und damit komme ich auch zu meinem zentralen Kritikpunkt: Selbstredend können nicht alle Grundmauern früherer Villen konserviert werden, aber wenn man keine Lust hat, daraus entstandene Kunstwerke zu erhalten, dann hätte sich die Stadtverwaltung eigentlich das Geld für die Umgestaltung im Rahmen der Internationalen Gartenbauausstellung 1993 sparen können! In Parkanlagen sollten keine Relikte kostenintensiver Großveranstaltungen zerfallen, die Ziel lichtscheuer Elemente sein oder in Müllkippen verwandelt werden könnten.
Zweiklassengesellschaft historischer Orte
Zwar beschäftigten sich Verwaltung und Gemeinderat hin und wieder mit der Villa Moser, doch wann immer uns unsere Stadtwanderungen vorbeiführten, das gleiche Bild: Graffiti, leere Flaschen und anderer Unrat. Und als Antwort der Stadt gab’s noch zusätzliche Bauzäune zur Absperrung der zerfallenden Kunstinstallation. Wenn die Stadtverwaltung nun 200 000 Euro ausgeben wird, nur um neue Pläne für die Villa Moser und den Leibfriedschen Garten zu entwickeln, dann hoffe ich sehr, dass sorgsamer mit diesem Ensemble umgegangen wird als in früheren Jahrzehnten, besonders damals im Vorfeld der IGA. Dabei beziehe ich mich nicht nur auf die vorhandenen Objekte von Menschenhand, sondern gerade auch auf die Natur, die sich aus den angelegten Zier- und Obstgärten entwickelt hat. Die Eidechsen, die sich an den sonnigeren Plätzen des Leibfriedschen Gartens angesiedelt haben, sollten nicht die nächsten Opfer der Umgestaltung werden.
Überraschend ist es für mich immer wieder, wie unterschiedlich mit historischen Orten umgegangen wird: Für ein kleineres technisches Vorhaben in der Entwicklungszone des früheren Truppenübungsplatzes Münsingen, heute überwiegend Kernzone des Biosphärengebiets Schwäbische Alb, machte ich mich gemeinsam mit Vertretern des Landesdenkmalamts und anderer Vertreter von Behörden und Verbänden auf die Suche nach einem kleinen Betonmäuerchen und einem nicht mehr existenten Sportplatz der französischen Truppen aus der Nachkriegszeit. Mögliche Bodendenkmäler schützten wir durch die Anlage einer Messstrecke auf einem eigens aufgeschütteten Damm. Für mich als Nebenfachhistoriker war dies völlig okay. Aber warum die Ruinen der Villa Moser und des Leibfriedschen Gartens nicht umfassend geschützt werden, frage ich mich schon. Selbst zur IGA 1993 wurden noch Bauteile abgebrochen oder versetzt, um für andere Zwecke Platz zu schaffen. Wird hier mit zweierlei Maß an historische Orte herangegangen? Die Untere Denkmalschutzbehörde residiert im Amt für Stadtplanung und Wohnen der Landeshauptstadt Stuttgart: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt?
Die Ruinen der Villa Moser wären sicher auch ein Ort des Gedenkens an die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs. So lässt sich eine gedankliche Verbindung zum Monte Scherbelino ziehen, der aus Trümmern zerstörter Häuser aufgeschüttet wurde. Leider mangelt es dort gleichfalls an sachkundiger Information, worauf ich bereits in meinem Blog eingegangen bin: „Monte Scherbelino – eine steinerne Mahnung zum Frieden“. Und wie könnte es anders sein, die Graffitischmierer hatten dort ebenfalls schon vorbeigeschaut!
Süße Geschichte vernachlässigt
Die Villa Moser würde sich auch anbieten, um die Stadtgeschichte mit ‚süßen‘ Themen anzureichern. Eduard Otto Moser lernte Konditor in Stuttgart und zog dann nach Paris, um mit vielen neuen Kenntnissen in seine Heimatstadt zurückzukehren und eine Bonbon- und Schokoladeproduktion mit schließlich 250 Beschäftigten aufzubauen. Nicht nur Moser gehörte zu den kreativen Schokoladeherstellern, die ab Mitte des 19. bis ins 20. Jahrhundert hinein in Stuttgart ihre Unternehmen schufen, sondern auch Wilhelm Roth, der 1894 mit der Firma Moser fusionierte. Die Schokoladenmarke Moser-Roth existiert immer noch. In diese Reihe bekannter Schokoladehersteller gehören auch die Brüder Waldbaur (einstmals am Feuersee zuhause), sowie Ernst Staengel und Karl Ziller, die die Marke Eszet schufen, und natürlich nicht zu vergessen Clara und Alfred E. Ritter, die 1912 in Cannstatt – heute ein Stadtteil von Stuttgart – ins Schokobusiness einstiegen. Ritter Sport ist zwar jetzt in Waldenbuch ansässig, doch mit all diesen kreativen Süßwarenproduzenten könnte sich Stuttgart im Rahmen eines Villa-Moser-Projektes schmücken. Apropos schmücken: Es findet sich noch nicht einmal eine Informationstafel zum Leibfriedschen Garten und der Villa Moser, und wenn es eine gäbe, dann wäre sie mit Graffiti verschmiert.
Der öffentliche Raum gehört nicht Randalierern, Vandalen und Schmierfinken! Es ist an der Zeit, dass die Stadtgesellschaft wieder die Oberhand gewinnt. Es kann doch nicht sein, dass der Schlossplatz in Stuttgart an Silvester mit Bauzäunen abgeschrankt wird, um Fröhlichkeit und Ruhe vor antisozialen Hooligans zu schützen! Müssen wir tatenlos zusehen, wie unsere Städte in Müll und Wandschmierereien versinken? Haben Kunstinstallationen wie die Villa Moser keinen Bestand mehr? Dürfen sich unsoziale Zeitgenossen ihres Mülls an Altglascontainern entledigen, ohne dass dagegen vorgegangen wird? Der Leibfriedsche Garten mit den Resten der Villa Moser ist zum Opfer von Vandalen, aber auch der Vernachlässigung durch die Stadtverwaltung geworden. Vielleicht wäre es an der Zeit, dass Oberbürgermeister Frank Nopper und die Gemeinderäte mal öfter durch die Straßen und Parks gehen, dann erleben sie aus erster Hand wie das Stadtbild verschandelt wird!
Der Leibfriedsche Garten und die Villa Moser haben ein sanftes Erwachen aus dem tristen und unwürdigen Alptraum verdient, in den sie im letzten Jahrzehnt gestoßen wurden!
Zum Beitragsbild
Was haben die Villa Moser und die Villa Berg auf der anderen Seite des Talkessels in Stuttgart gemeinsam? Bauzäune versperren seit Jahren den Zugang, da die Kunstinstallation bzw. das Gebäude vernachlässigt wurden. Und dazu gesellt sich die leerstehende Villa des Bildhauers, Malers und Grafikers Otto Herbert Hajek am Hasenberg. Dieser Eingangsbereich der Kunstinstallation von Hans-Dieter Schaal sollte die Grotte bildlich aufgreifen, die sich unterhalb der Villa befindet. (Bild: Ulsamer)
Hallo.Wir haben als Kinder in den 70 er immer dort gespielt.Schade das man diese Kunst nicht mehr erhalten könnte.Schade das niemand Interesse zeigt um das zu erhalten.😞