Feuerwerk trotz Feinstaubalarms – bei einem grünen Oberbürgermeister
Eine galoppierende Widersprüchlichkeit in der Politik ist nicht nur im Bund oder in den Ländern zu beklagen, sondern auch in zahlreichen Kommunen. Leider gehört dazu auch meine Geburtsstadt Stuttgart. Da wird Stuttgart medial schon mal als „schmutzigste Stadt“ Deutschlands abgestempelt, da an einer vielbefahrenen Kreuzung am Neckartor die Immissions-Grenzwerte immer wieder überschritten werden. Aber kann es sein, dass in Stuttgart innerhalb eines von der Stadt ausgerufenen Feinstaubalarms ein Feuerwerk in der Innenstadt abgebrannt wird? Ja, und damit meine ich nicht die alljährliche Knallerei an Silvester, sondern aus Anlass einer ‚Langen Einkaufsnacht‘ am 3. November 2018. Da würde ich das grüne Stadtoberhaupt Fritz Kuhn schon gerne fragen, ob es im Stuttgarter Talkessel guten und schlechten Feinstaub gibt. Aber es scheint ohnehin zweierlei Emissionen zu geben, denn wenn Fahrzeuge bald an einem weiteren Fußgängerüberweg an der Hauptachse B 14 auf Höhe des Landtags anhalten müssen, dann drohe keine größere Zusatzbelastung, heißt es.
Die Feinstaub-Kracher
Zwar hat Stuttgart seine mediale Spitzenposition als „schmutzigste Stadt“ etwas eingebüßt, denn in vielen anderen deutschen und europäischen Städten gibt es nicht weniger Emissionen, sondern die Messstellen wurden nur an objektiveren Stellen platziert. Bei näherer Betrachtung lässt sich auch deutlich erkennen, dass die Immissionen, die bei den Anwohnern ankommen, in den letzten Jahren abgenommen haben. Apokalyptische Rechner machen sich dennoch ans Werk und ermitteln enorme Zahlen an Menschen, die wegen des Feinstaubs vorzeitig sterben, und dies obwohl die Lebenserwartung – auch in Kommunen mit Feinstaub – steigt. Und generell ist es für mich ein Rätsel, wie es Jürgen Resch mit seinem Mini-Verein Deutsche Umwelthilfe und einer Handvoll Verwaltungsrichtern gelingt, die ganze Republik vor sich herzutreiben. Klage für Klage wird so auch die Dieseltechnologie weiter in Misskredit gebracht, obwohl gerade durch sie bei Fahrzeugen weniger CO2, das klimaschädliche Kohlendioxid, anfällt. Mit dieser Aussage möchte ich nicht das illegale Herumtricksen an der Fahrzeugsoftware relativieren, aber wir sollten den Blick doch wieder etwas weiten.
Auf der anderen Seite produzieren die Deutschen jedes Jahr an Silvester rd. 5 000 Tonnen Feinstaub: Ist es nicht der Knaller, und dies im wahrsten Sinne des Wortes, wenn an Silvester innerhalb von sagen wir mal einer halben Stunde rd. 17 Prozent des Feinstaubs in die Luft gepustet wird, der ansonsten im ganzen Jahr durch den Verkehr in Deutschland entsteht? Nun gut, das ist eben Tradition, so verteidigen viele das Freuden-Feuerwerk. Aber wie kann es sein, dass in Stuttgart innerhalb eines von der Stadt ausgerufenen Feinstaubalarms ein Feuerwerk in der Innenstadt gezündet wird? Eigentlich sollte dies unter einem grünen Stadtoberhaupt gar nicht vorkommen. Und wie kann man dem Autobesitzer erklären, dass ab Samstag, dem 3. November 2018 ab 0 Uhr ein Feinstaubalarm gilt und man doch möglichst auf den ÖPNV umsteigen solle, wenn am gleichen Tag ab 21.45 auf dem Dach der Königsbaupassagen ein „Musikfeuerwerk“ zum Besten gegeben wird? Ich habe ganz gewiss nichts gegen ein Feuerwerk von Zeit zu Zeit, aber innerhalb einer Feinstaubalarm-Periode erscheint es mir doch ein Zeichen für eine unabgestimmte Stadtpolitik zu sein.
Fußgängerfurt statt filigraner Brücke
Nicht nur bei diesem Feuerwerk, sondern in weit grundsätzlicheren Fragen, die Verkehr und Emissionen betreffen, kann ich keine klare Linie innerhalb der Stadtpolitik, insbesondere des Oberbürgermeisters, erkennen. Einerseits soll der Verkehr auf der Bundesstraße B 14, die mitten durch die Stadt führt, verflüssigt werden, um die Fahrzeugemissionen zu reduzieren. Dazu sollen auch abgestimmte Ampelphasen und ein Tempolimit mit 40 km/h beitragen. Wie dazu allerdings ein Gemeinderatsbeschluss passt, einen weiteren Überweg für Fußgänger an dieser vielbefahrenen Bundesstraße einzurichten, das erschließt sich mir nun wirklich nicht. Der grüne Oberbürgermeister Fritz Kuhn stimmte mit Grünen, SPD und SÖS/Linke-plus für diesen Rückschritt. Kein Wunder: In Stuttgart bewegt sich viel zu wenig in Sachen Kulturmeile. Größer denkende Entwürfe, die meist eine Untertunnelung für den Durchgangsverkehr vorsehen, wurden bisher immer zerredet. Dies gilt aber auch für die Amtszeit des CDU-Vorgängers Wolfgang Schuster.
Ein stärkeres Zusammenwachsen der Kultureinrichtungen in diesem Bereich Stuttgarts würde für alle Seiten Vorteile bringen. Das Staatstheater mit den Schwerpunkten Oper, Ballett und Schauspiel, das StadtPalais-Museum für Stuttgart, das Hauptstaatsarchiv, die Württembergische Landesbibliothek, das Haus der Geschichte Baden-Württemberg, die Alte und die Neue Staatsgalerie, die Staatliche Hochschule für Musik und darstellende Kunst usw. reihen sich wie Perlen an der Schnur der B 14 auf – und nicht zu vergessen, der Landtag von Baden-Württemberg. Zwar gibt es auf Höhe des Staatstheaters eine Unterführung (die allerdings in wenig ansprechendem Zustand ist!) und beim StadtPalais bereits eine Fußgängerfurt, doch gerade die Staatsgalerie am anderen Ende der Kulturmeile klagt über eine schlechte Verbindung zur Innenstadt, nicht zuletzt spielt hier auch die Baustelle für Stuttgart 21 eine Rolle.
Nicht durchgesetzt hat sich bisher der Vorschlag einer modern gestalteten und optisch zurückhaltenden Fußgänger- und Fahrrad-Brücke, die beide Seiten der Kulturmeile besser vernetzen würde und die dazuhin auch noch schwäbisch-sparsam kalkuliert ist – weil rückbaubar, sollte jemals die ‚große Lösung‘ Tunnel wahr werden! So keimt in mir der Verdacht, den Befürwortern des zusätzlichen Fußgängerüberwegs geht es weniger um eine bessere Anbindung als um eine weitere Möglichkeit, den Straßenverkehr zu reglementieren. Wiederholtes, mutwillig herbeigeführtes Stopp-and-Go trägt wahrlich nicht zu weniger Feinstaub- und Stickoxid-Produktion bei. Erwähnt werden muss, dass es um Stuttgart keine Ringstraße gibt, was bedeutet, dass viele Autofahrer keine Chance haben, Stuttgart zu umgehen. Etwas skurril ist es, wenn der grüne Stuttgarter Baubürgermeister Peter Pätzold laut Stuttgarter Zeitung ausrichten lässt: „Nach Angaben von Baubürgermeister Pätzold ist der Anstieg der Stickoxidwerte am Übergang nicht signifikant.“ Aha, es gibt also doch gute und schlechte Emissionen! Wenn Autofahrer an Überwegen für Fußgänger an der Ampel warten, bremsen und anfahren, dann ist dies für grüne Politiker kein Problem, aber wenn sie am Neckartor dasselbe tun, dann läuten die Alarmglocken. Dort gibt es im Übrigen eine Brücke für Fußgänger – allerdings eine heute kaum noch erstrebenswerte blockige Betonkonstruktion.
Abluft mal schnell ausblasen
Bei einer Wanderung um Stuttgart stießen meine Frau und ich jüngst in der Nähe des Dornhaldenfriedhofs auf ein mit Holzschindeln an den umgebenden Wald angepasstes Bauwerk. Es erhebt sich hinter dem seit Jahren auf eine Nutzung harrenden Garnisonsschützenhauses aus dem Jahre 1893. Die Holzschindeln können nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier die Abluft aus dem Heslacher Tunnel in die Atmosphäre geblasen wird. Nun sind wir beide nicht nur Fußgänger, sondern auch Autofahrer und haben gewiss nichts gegen den Heslacher Tunnel, der die B 14 weiter in Richtung der Autobahn A 81 / A 8 führt. Uns stört höchstens, dass die Stadt es ganz bewusst unterlassen hat, das Nadelöhr Tunnel auf vier Fahrstreifen zu erweitern. Und auch dies nicht aus einem nostalgischen Gefühl für die „autogerechte Stadt“, sondern um den sich in die Stadt ergießenden Verkehr flüssiger und somit weniger belastend für die Bewohner und die Umwelt insgesamt zu gestalten. Vor und hinter dem Tunnel verteilten sich die Fahrzeuge auf vier Fahrbahnen, kein Wunder, dass es so zu Staus kommt. Aber die Luft aus dem Tunnel muss natürlich raus, besonders bei Staus mit höheren Emissionswerten. Ich habe mich schon immer gewundert, dass in verkehrsbelasteten Kommunen nicht intensiver versucht wird, die Abluft aus Verkehrsbauwerken zu reinigen, um auch so Emissionen für die Stadt und die Umgebung zu verringern.
Auf der Internetseite der Stadt Stuttgart heißt es bei ‚Klima Luft Lärm‘ zum 2,3 km langen Tunnel im Stadtbezirk Heslach, dieser habe die „Funktion einer Umfahrungsstraße, wobei der Autoverkehr ‚eingehaust‘ ist und die Anwohner vor Schadgasen und Lärm schützt.“ Dies ist richtig so, aber was sollen die Emissionen dann wenig oberhalb im Wald? „Die mit Autoabgasen belastete Luft wird von Strahlventilatoren zu einem zentralen Abluftkamin geleitet, der 80 m über dem Tunnel am Rande eines Waldgebietes beim Dornhaldenfriedhof endet. Hier wird die Abluft über den nur wenige Meter über die Baumwipfel ragenden Kamin mit hoher Geschwindigkeit (ca. 20 m/s) ausgeblasen. Durch den Auftrieb und die starke Vermischung mit der Außenluft ist in der Umgebung des Abluftkamines nur mit geringen Zusatzbelastungen zu rechnen. Dies ergaben auch Luftmessungen des Amtes für Umweltschutz vor und nach der Inbetriebnahme des Tunnels.“ Na, dann ist ja alles gut! Oder? Hätte bei einem 1991 in Betrieb genommenen Tunnel nicht auch an eine Reinigung der Abluft gedacht werden können? Ich denke schon. Da es sich um eine Bundesstraße handelt, könnten entsprechende Maßnahmen auch vom Bund ausgehen. Bei der Zertifizierung eines Fahrzeugs wird es die Kontrollinstitutionen kaum befriedigen, wenn der Hersteller betont, die „Abluft“ werde mit „hoher Geschwindigkeit ausgeblasen“. Haben wir es hier wieder mit den guten und den schlechten Emissionen zu tun, die es für die Politik zu geben scheint?
Wir brauchen mehr Zukunftsorientierung
Das Feuerwerk während eines Feinstaubalarms passt ebenso wenig in unsere Zeit wie eine Fußgängerfurt an einer vielbefahrenen Straße, wenn es auch eine andere, wesentlich elegantere Lösung gibt. Zwar heißt es an der Unterführung für Fußgänger auf Höhe des Staatstheaters „Ob Sonnenschein, ob Sternenfunkel: Im Tunnel bleibt es immer dunkel.“ Da hat Erich Kästner in gewohnt subtiler, aber dennoch sehr direkter Weise ein wichtiges Thema angesprochen: Viele Menschen mögen keine meist unansehnlichen Unterführungen, aber eine gut gestaltete Brücke – wie vom Lehrstuhlinhaber des Stuttgarter Instituts für Nachhaltiges Bauen, Werner Sobek, vorgeschlagen – wäre hier weit zukunftsorientierter als eine den Verkehr zusätzlich stoppende Fußgängerfurt.
Wer jedoch etwas gegen den Feinstaub und andere Emissionen tun will, der sollte sich auch intensiver um die Abluft aus Verkehrsbauten kümmern und diese nicht nur in die Umwelt „blasen“. Irgendwie erinnert mich dies an die Ableitung von Abwässern aus einem Schnellen Brüter im hohen Norden Schottlands. Dort wurde ganz besonders hervorgehoben, die Leitung ins Meer sei verlängert worden, um so der Umwelt zu dienen. Zum Glück wird dieser Atommeiler inzwischen abgerissen!
Ich würde mir eine in sich konsistentere Politik wünschen, die eine klare Zukunftsorientierung beinhaltet. Und dies gilt für Stuttgart – und natürlich auch weit darüber hinaus.
2 Antworten auf „Stuttgart: Gibt es guten und schlechten Feinstaub?“