Infrastrukturprojekte: Wie wird man die rote Laterne los?
Es ist schon gespenstisch, wenn man sieht, wie in Deutschland im Schneckentempo Infrastrukturprojekte vorankommen: Der Berliner Großflughafen BER hinkt zehn Jahre hinter dem Zeitplan her, und in der baden-württembergischen Landeshauptstadt protestieren unverzagt Ewiggestrige gegen Stuttgart 21. Der unterirdische Durchgangsbahnhof und die Schnellbahntrasse von Stuttgart nach Ulm haben inzwischen zum Glück an Tempo zugelegt und fahren baulich auf der Zielgeraden. Ja, teurer wird auch dieses Projekt: Wen wundert’s, wenn man zwei Jahrzehnte lang herumdoktert. Aber beim 10-fachen der ursprünglichen Kalkulation sind die Projektverantwortlichen bei Stuttgart 21 noch nicht angelangt. Das ist fast schon eine gute Nachricht bei öffentlichen Baumaßnahmen, denn die Elbphilharmonie in Hamburg kostete letztendlich statt der geplanten 77 Mio. stattliche 866 Mio. Euro. In der Endphase dieses Projekts war unser heutiger Bundesfinanzminister am Hamburger Ruder, doch er hat heute sein Lieblingskind im Kassenbon für jedes Brötchen entdeckt. Und für einen von den Berlinern als „Kulturscheune“ bezeichneten schlichten Museumsbau hat der XXL-Bundestag 450 Mio. Euro vorgesehen. Die Endstufe der Kostenrakete dürfte hier allerdings noch nicht gezündet sein, denn das verantwortliche Architekturbüro Herzog & de Meuron hat auch die Elbphilharmonie entworfen. Und nur einen ‚Steinwurf‘ entfernt soll die baulich vernachlässigte Stuttgarter Oper mit einer Milliarde Euro wieder auf Vordermann gebracht werden. Da ist das komplexe Bahnprojekt Stuttgart 21 mit 7,7 Mrd. Euro schon beinahe ein ‘Schnäppchen’.
Umsetzungswille schwächelt
Zwar wird uns Schwaben immer vorgeworfen, wir seien besonders knauserig, dennoch ist uns allen klar, dass Infrastrukturprojekte nun mal Geld kosten. Dennoch hätte ich mir eine beschleunigte Anlaufphase gewünscht. Völlig perplex bin ich allerdings, wenn ich bei jedem Besuch in meiner Geburtsstadt das Hüttchen „Umstieg 21“ gegenüber dem Hauptbahnhof sehe: denn mal ganz ehrlich, wer glaubt denn ernsthaft, dass die weitgehend fertiggestellten Tunnel und die Baugrube für den Bahnhof noch umgewidmet werden können? Irgendwie schäme ich mich immer, wenn Besucher aus der Schweiz dieses Spektakel erleben, denn die Schweizer entscheiden über Großprojekte wie beispielsweise den Gotthardbasistunnel – und dann bauen sie auch! Vermutlich werden irgendwann, wenn seit Jahr und Tag Züge im neuen Stuttgarter Hauptbahnhof anhalten, noch einige mumifizierte Projektgegner Wache schieben.
Hätte es einen vergleichbaren Dauerwiderstand wie gegen Stuttgart 21 schon beim Bau des Schwabtunnels gegeben, dann wäre dieser nicht 1896 eingeweiht worden. Der Schwabtunnel war der erste Tunnel, durch den in Deutschland ein Auto fuhr. Und – man glaubt es kaum – er wurde so projektiert, dass in den Jahren von 1902 bis 1972 auch noch die Straßenbahn durchfahren konnte. Damit war er sogar der erste Straßenbahntunnel der Welt! Dieser Tunnel wurde vorausschauend projektiert, heute dagegen hecheln Bauwerke eher hinter der verkehrstechnischen Entwicklung her. Wir brauchen wieder mehr Innovationsgeist und Umsetzungswillen!
Schieneninfrastruktur dynamisch ausbauen
Die Diskussion über notwendige Infrastrukturvorhaben nimmt in Deutschland skurrile Züge an. Da betonte die Union in ihrem Bundestagswahlprogramm 2017: „Deutschland ist weltweit Vorzeigeland für seine Infrastruktur.“ Da habe ich mich immer gefragt, ob die Union und ich in zwei verschiedenen Ländern leben. Denn eines ist sicher, die Infrastruktur – und dies gilt in besonderer Weise für den Verkehrsbereich – ist in den alten Bundesländern desolat. In den neuen Bundesländern sieht es teilweise anders aus. Doch die Brücken bröseln, müssen manchmal gesperrt werden. Dem Ausbau der Schieneninfrastruktur fehlt jede Dynamik, so dass wir die deutschen Zulaufstrecken für den Gotthardtunnel der Schweiz nicht fristgemäß fertigstellen können. Und der Netzausbau für die Durchleitung des Windstroms von der Nordsee nach Süddeutschland hat ebenfalls einen Wackelkontakt. Wenn nichts klappt, dann kommen SPD, Linke und Grüne auf die glorreiche Idee, die öffentlichen Hände sollten sich endlich mal wieder tüchtig verschulden, um den Ausbau der Infrastruktur zu stemmen. Soll man da lachen oder weinen? Geld ist genügend in den Kassen – auch bei der EU -, aber es fließt wegen fehlender Planungsmitarbeiter, nicht vorhandener Baukapazitäten oder der Verzögerungstaktik der Ausbaugegner gar nicht ab.
Während man sich in Stuttgart seit zwei Jahrzehnten am Bahnprojekt Stuttgart 21 abarbeitet, ist mit der Schnellbahntrasse zwischen München und Berlin eine neue Verkehrsachse entstanden: Der ICE rauscht jetzt aus der bayerischen Hauptstadt in vier Stunden in die Bundeshauptstadt und macht Flugreisen auf dieser Strecke weniger attraktiv. Von Stuttgart nach Berlin dauert es über 5 ½ Stunden. Selbstredend brauchen wir daher nicht nur Stuttgart 21, sondern auch einen konsequenten Ausbau des deutschlandweiten Schienennetzes für Personen und Güter. Aber das Fatale ist, dass diejenigen, die lautstark für mehr Schienenverkehr eintreten, sich nicht selten als Demonstranten wiederfinden, wenn neue Gleisverbindungen realisiert werden sollen. So wird das nichts mit dem Ausbau des Gütertransports auf der Schiene! Und wie sollen die Bürger aus dem eigenen Auto in die Bahn geholt werden, wenn sie dort nur noch Stehplätze vorfinden? Selbst außerhalb der Stoßzeiten dürfen wir dies vermehrt bei der Fahrt nach Stuttgart mit S-Bahn oder Regionalzug erleben. Ohne einen umfassenden Ausbau des Schienennetzes und der Erweiterung des rollenden Materials dürfte bald drangvolle Enge im ÖPNV herrschen. Und um so mehr, wenn die Engpässe bei Zugführern und anderen Mitarbeitern nicht aufgelöst werden.
Politische Hängepartie
Ein Gräuel war für mich, dies muss ich zugeben, die Kommunikation zu Stuttgart 21. Über Jahre haben sich weder die Deutsche Bahn noch Stuttgart, das Land Baden-Württemberg oder die Region mit Ruhm bekleckert. Und das hat im Übrigen nichts oder wenig damit zu tun, dass nun mit Winfried Kretschmann ein grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg regiert und ein gleichfalls grüner Oberbürgermeister – Fritz Kuhn – im Rathaus residiert. Und dann noch der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann, stöhnen viele! Der engagiere sich lieber für die Reaktivierung von Bahnstrecken, über die längst das Gras wächst, als für S 21. Aber mal ganz ehrlich, war es denn in den CDU-Jahren wirklich anders in der Villa Reitzenstein und im Rathaus? Ich zumindest hatte nicht den Eindruck! Dieser erhärtete sich durch viele Gespräche, die ich beruflich zum Mobilitätsthema geführt habe. Nach der Volksabstimmung von 2011, die im ganzen Land, aber auch in Stuttgart, zugunsten des Bahnprojekts ausging, engagierte sich Ministerpräsident Kretschmann durchaus für Stuttgart 21. So ist es doch zumindest ein Bisschen wie in der Schweiz: wenn abgestimmt ist, dann wird die Entscheidung umgesetzt.
Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass man Stuttgart 21 kritisch gegenübersteht, obwohl ich immer die Chancen höher bewertet habe als die Risiken: Stuttgart erhält neue Flächen für die innerstädtische Entwicklung, der Zeitverlust im Kopfbahnhof fällt weg, die Fahrt mit der Bahn über die Schwäbische Alb wird beschleunigt. Als störend habe ich es immer empfunden, in welch konfrontativer Art über das Bahnprojekt gestritten wurde. Zielführende Debatte geht anders! Ein Millimeter mehr Gefälle der Bahnsteige im Durchgangsbahnhof geriet in den Aussagen der Dauerkritiker zur Apokalypse! Eidechsen wurden zum Verzögerungsgrund stilisiert, obwohl die Schuld bei Planern und Entscheidern lag. Kommunikationsfehler reihten sich aneinander. Die Bereitschaft, Projektfortschritte auch mit der Bürgerschaft zu teilen, hat erst in den letzten Jahren zugenommen, und dies ist überaus begrüßenswert.
Infrastruktur auf Weltstandard heben
Wenn die Kritiker, die sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite des ‘Bonatzbaus‘ – der erhalten bleibt – eingenistet haben, auch die Gelegenheit wahrnehmen würden, an den Tagen der offenen Baustelle den Gestalt annehmenden neuen Bahnhof zu besichtigen, dann würde ihnen vielleicht auffallen, dass es für einen „Umstieg“ längst zu spät ist. Wenn ich schon „Umstieg 21“ höre: Die Zeit, in der man noch Champignons in den Tunneln hätte züchten und die Baugrube zu einem Megaschwimmbad umwidmen können, sind längst vorbei. Jetzt geht es darum, Stuttgart 21 zügig weiter umzusetzen und den Kostenrahmen nicht zu sprengen. Ich freue mich schon darauf, mit der Bahn von Stuttgart nach München zu fahren, allerdings ohne den historisch interessanten Albaufstieg aus dem Jahre 1850 zu nutzen. Diese sogenannte Geislinger Steige war damals eine ingenieurtechnische Meisterleistung, denn hier werden auf weniger als sechs Kilometern 112 Höhenmeter überwunden! Die notwendigen engen Kurven sind allerdings für einen ICE weniger geeignet, um so ‚gemütlicher‘ wird sich dann eine Fahrt mit dem Regionalzug gestalten!
Wenn unser Land wirklich mal wieder zum „Vorzeigeland für seine Infrastruktur“ werden soll, dann ist es höchste Eisenbahn – um im Bild zu bleiben. Unsere teilweise marode Infrastruktur muss wieder auf Weltstandard gebracht werden, ansonsten werden wir auch im wirtschaftlichen Wettbewerb weiter zurückfallen. Wir sollten alles tun, um die rote Laterne in Sachen Infrastruktur an andere weiter zu reichen.
8 Antworten auf „Stuttgart 21 hat endlich Fahrt aufgenommen“