Stur, sturer, Rajoy

Hochmut kommt auch in Spanien vor dem Fall

Wer möchte schon mit einem Misstrauensvotum aus dem Amt gejagt werden? Wohl niemand. Aber Mariano Rajoy hat jetzt genau dieses als spanischer Ministerpräsident erlebt. Äußerst knapp fiel die Entscheidung gegen ihn aus, doch eigentlich ging es nicht nur um den Korruptionssumpf in seiner Partei, der ihn in die Tiefe zog, sondern gerade auch sein unsensibles, man muss schon sagen bockiges und stures Verhalten in der Katalonien-Frage war ausschlaggebend. Er hätte besser auf Ausgleich gesetzt, doch stattdessen schickte er die Guardia Civil nach Barcelona und in andere Städte und ließ Unabhängigkeitsbefürworter vor den Augen der Weltöffentlichkeit verprügeln.

Buntes Mosaik m it vielen Blautönen, umgeben von Palmen.
Bunte Mosaiken finden sich nicht nur im Parc Güell, den Antoni Gaudi – der Schöpfer der Sagrada Familia – gestaltete, sondern im übertragenen Sinne sind Barcelona, Katalonien und ganz Spanien ein großes Mosaik. Ich hoffe sehr, dass der neue Ministerpräsident Pedro Sánchez den offenen Dialog gerade auch mit den Regionen, und hier insbesondere auch mit Katalonien, sucht. (Bild: Ulsamer)

Stimmen von Regionalparteien waren ausschlaggebend

Ganz folgerichtig kosteten Rajoy die Stimmen aus Katalonien und dem Baskenland das Amt. Sicherlich werde ich ihm keine Träne nachweinen, doch erschreckt es mich immer wieder, wie wenig führende europäische Politiker im eigentlichen Wortsinne zur Politik befähigt sind. So schreibt Andreas Wysling völlig zurecht in der ‚Neuen Zürcher Zeitung (NZZ)‘: „Die Spaltung der spanischen Gesellschaft kann man nicht allein Rajoy persönlich anlasten. Aber er war der falsche Mann, um sie zu verhindern oder zu reparieren.“ Nicht nur bei der Forderung zahlreicher Katalanen nach Unabhängigkeit ihrer Region fehlte es ihm an Einfühlungsvermögen, sondern auch beim sozialen Ausgleich nach der Finanz- und Wirtschaftskrise. Für Arbeitslose, Hausbesitzer, die ihr Heim verlassen mussten, oder eben die Katalanen hatte er keinerlei Verständnis. Nun bekam er die Quittung für seine irregeleitete Politik.

Rajoy im Anzug am Rednerpult im spanischen Parlament.
Mariano Rajoy hat bei der wirtschaftlichen und finanziellen Gesundung Spaniens sicherlich einige Meriten verdient, doch hat er sein Ansehen durch das überharte und politisch sinnlose Vorgehen in Katalonien verspielt. So musste er sich auch nicht wundern, dass sich eine Koalition gegen ihn bildete, in der gerade die baskischen und katalonischen Parteien das Zünglein an der Waage spielten. In der Politik braucht es – um mit Max Weber zu sprechen – „Leidenschaft und Augenmaß zugleich”. Vielleicht hatte Rajoy eine überzogene Leidenschaft für den Erhalt des Gesamtstaats, doch am richtigen Augenmaß hat es auf jeden Fall gemangelt. (Bild: Screenshot, „Facebook”, 5.6.18)

Die gesellschaftliche Spaltung „wurde zunächst ausgelöst durch die allumfassende Korruption, die unter der Herrschaft der Konservativen und der Sozialisten große Teile der Gesellschaft durchseucht und das Vertrauen in die politischen Institutionen untergraben hat, bis hinauf in die königliche Familie“, so nochmals die NZZ. Die Nachfolge Rajoys, der sich seit 2011 im Amt halten konnte, trat der Chef der Sozialisten, Pedro Sánchez, an. Er hat es verstanden, aus einer deutlichen Minderheitsposition heraus andere Parteien um sich zu scharen, um den ungeliebten konservativen Ministerpräsidenten loszuwerden.

Für Rajoy war Dialog ein Fremdwort

Aber zurück nach Katalonien. Betrüblich war nicht nur, mit welcher Sturheit Rajoy die Befürworter der Unabhängigkeit verfolgen und sogar in den Kerker werfen ließ, sondern auch die mangelnde Dialogbereitschaft. Denn selbst die strammen Anhänger um Carles Puigdemont versuchten immer wieder, den Gesprächsfaden mit der Zentralregierung in Madrid aufzunehmen, aber vergeblich. Für Rajoy war Dialog ein Fremdwort. So titelte die NZZ „Mariano Rajoy – der Mann mit dem Charme einer Schildkröte“. Der spanische Ex-Ministerpräsident mag so einsilbig wie eine Schildkröte sein, aber das freundliche Tier ist auf jeden Fall beweglicher als dieser.

Fotos der neuen katalanischen Regionalregierung.
Carles Puigdemont gehört der neuen katalonischen Regionalregierung zwar nicht an, da er der Einkerkerung unter dem Ministerpräsidenten Rajoy die Flucht ins Ausland vorzog. Noch immer droht Puigdemont die Auslieferung aus Deutschland nach Spanien, doch sollte die deutsche Justiz nur die Fakten sprechen lassen: Dann allerdings wird eine Auslieferung kaum in Frage kommen, denn der Wunsch nach Unabhängigkeit sollte nicht vorschnell mit Rebellion und Gewalt gleichgesetzt werden, wie dies ein Teil der spanischen Politik und Justiz tut. (Bild: Screenshot, „Facebook”, 5.6.18)

Frühere Aussagen des neuen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez lassen zumindest die Hoffnung aufkeimen, dass sich auch in und für Katalonien auf gewaltfreiem Wege eine gute Lösung finden lässt. Sicherlich würde zur Beruhigung beitragen, wenn die Katalanen die gleiche Eigenständigkeit erhielten wie die Basken. Ansonsten droht die Gefahr, dass sich auch in Katalonien – wie früher im Baskenland – extremistische Gruppierungen bilden. Dies gilt es zu vermeiden, denn der Blutzoll des Kampfes zwischen der separatistischen ETA und den Sicherheitskräften war hoch. Lassen wir den Blick etwas nördlicher schweifen, dann ist auch in Irland zu hoffen, dass durch den Brexit keine neue harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland entsteht, denn auch dies könnte in Nordirland wieder zum Aufflammen alter – aber unter der Oberfläche noch virulenter – Konflikte führen. Theresa May, die britische Premierministerin, steht Mariano Rajoy allerdings in Halsstarrigkeit, fehlendem Einfühlungsvermögen und Verbohrtheit in nichts nach.

Demonstranten mit schottischen Fahnen fordern die Unabhängigkeit ihrer Region von Großbritannien.
„Freiheit für Puigdemont” fordert diese Facebook-Seite und greift den Wunsch zahlreicher Schotten nach Unabhängigkeit auf. Auch über die schottischen Bestrebungen sollte man nicht – wie es Theresa May, die britische Premierministerin gerne tut – achtlos hinweg gehen, sondern in diesem Bereich Europas brauchen wir gleichfalls mehr Dialog. Wer glaubt, den Wunsch nach Unabhängigkeit juristisch niederkämpfen zu können, der irrt gewaltig. Und Carles Puigdemont sollte keinesfalls nach Spanien ausgeliefert werden, denn dies würde den Konflikt nur verschärfen und die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland in Frage stellen. (Bild: Screenshot, „Facebook”, 5.6.18)

EU verpasst ihre Chance

Ein Trauerspiel war das Verhalten der EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker, aber auch das der deutschen Regierung mit Angela Merkel an der Spitze, als sich die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien auf den Straßen formierte. Lauwarme Freundschaftsbezeugungen in Richtung Rajoy waren alles andere als förderlich für den so wünschenswerten Dialog. Unter Freunden wäre es durchaus angebracht gewesen, die damalige spanische Regierung unter Ministerpräsident Rajoy um mehr Gesprächsbereitschaft zu ersuchen. Das Streben nach Unabhängigkeit lässt sich nicht mit dem Knüppel beiseite fegen, sondern nur durch die Gewährung von mehr Rechten in einem föderalen System abfangen.

Es brodelt nicht nur in Katalonien, sondern an allen Zipfeln der Europäischen Union. Schottland wünscht sich gerade auch Angesichts des Brexits wieder stärker die Eigenständigkeit und Norditalien betrachtet den Süden nur als Kostgänger, aber auch Flamen und Wallonen überlegen in Belgien immer wieder, ob die Gemeinsamkeit wirklich trägt. Ich hätte erwartet, dass in der EU Parlament und Kommission das Themenbündel ‚Unabhängigkeitsbestrebungen – Föderalismus – Regionalisierung‘ stärker in den Mittelpunkt rücken würden, statt sich in überzogenen Datenschutz, eine Agrarpolitik der Fehlanreize oder die Umverteilung der Schulden zu flüchten. Es ist in Spanien, aber auch den anderen betroffenen Staaten in der EU, höchste Zeit, den Willen der Bürgerinnen und Bürger nicht als Belastung zu empfinden, sondern diesen intensiv in die Politik einzubringen. Dies heißt nicht, dass die Kleinstaaterei – die Europa ohnehin kennzeichnet – weiter auf die Spitze getrieben werden muss, denn im Dialog lassen sich meist föderale Strukturen schaffen, in denen sich die Befürworter und Gegner von Unabhängigkeitsbestrebungen zu guter Letzt wohlfühlen können.

Mural / Wandbild im nordirischen Belfast mit dem Text "Ireland stands with Catalonia" und Händen, die ineinander greifen in den Nationalfarben.
Auch wenn der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Angela Merkel in der Katalonien-Frage auf die Vogel-Strauß-Politik setzten und hofften, die Unruhe würde wieder vergehen – es gärt längst in unterschiedlichen EU-Regionen: Dem Wunsch nach Unabhängigkeit kann nur durch ein Angebot an mehr Selbstbestimmung und nicht mit dem Polizeiknüppel wie in Spanien begegnet werden. Die Solidaritätsbekundungen – wie hier in der Falls Road im nordirischen Belfast – machen deutlich, dass sich auch die EU stärker mit dem Wunsch nach Unabhängigkeit befassen muss. In der von Katholiken bewohnten Falls Road ist das Ziel der Selbstbestimmung allerdings die Wiedervereinigung mit der Republik Irland. (Bild: Ulsamer)

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