Und die CDU setzt auf Weiter so
Wenn ich die Parteitage von SPD und CDU nochmals Revue passieren lasse, dann erschrecke ich über die unkonkreten Zukunftsentwürfe, das Klein-Klein des Politikbetriebs und das Erstarren der Pseudorevolutionäre im Angesicht der Parteitagsforen. Da schossen Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken vor dem Parteitag der SPD mit Haubitzen auf die GroKo, die sie als verantwortlich für den Niedergang ihrer Partei ausgemacht hatten. Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert, der beide mit in die erste Reihe bugsiert hatte, schlug mit dem großen Hammer auf die ungeliebte ‚Große Koalition‘ ein, die nach jetzigen Umfragewerten längst zur kleinsten ‚GroKo‘ aller Zeiten geworden ist. Und beim Parteitag, da verstummte der Ruf nach dem „GroKo-Aus zu Nikolaus“ vollends: Die linken Revolutionäre wollten ja mit einem achtbaren Ergebnis in ihre Ämter befördert werden! Wer nun glaubt, das sei gewissermaßen ein Charakterzug mancher Sozialdemokraten, der irrt sich gewaltig, denn auch bei der CDU kritisierten nicht nur Friedrich Merz und Wolfgang Reinhart die eigene Partei mit markigen Worten, doch beim Parteitag wurden aus Tigern, die zum Sprung ansetzten, Bettvorleger, über die die Delegierten hinweg schritten.
Revolution war gestern
Am 7. Dezember dümpelte die SPD in einer Forsa-Umfrage bei sage und schreibe 11 %. Die CDU lag mit 28 % zwar deutlich besser, aber weit entfernt von einer Mehrheitsfähigkeit. Nun gut, so könnte man sagen, wenn Parteien nicht mehr das Empfinden ihrer Wähler treffen, dann müssen sie eben weichen und anderen Kräften Platz machen. Musterbeispiel dafür ist die einstige italienischen Volkspartei Democrazia Cristiana, die zwischen 1945 und 1993 die wichtigste Partei in Italien war und nahezu alle Ministerpräsidenten stellte. Längst ist sie im Polit-Abgrund zerschellt. Doch für mich sind CDU und SPD zu wichtig, um ihnen einen gleichen Abgang von der Bühne des Polit-Theaters zu wünschen. Wer in der Politik weiter mitbestimmen möchte, der kann sich nur am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Dafür braucht es – in Anlehnung an Max Weber – Leidenschaft und Augenmaß zugleich. Mit Worthülsen und dem Beifall Gleichgesinnter ist es nicht getan. Auf Parteitagen zielen die Reden auf die Delegierten, die es zu gewinnen gilt, und das ist verständlich. Dabei geraten die Wähler und die gesamte Gesellschaft oftmals zu leicht aus dem Blick.
Durch die von Angela Merkel zur Perfektion gebrachte Beliebigkeit der politischen Inhalte ihrer Partei, die viele als Sozialdemokratisierung der CDU deuten, wurde es für die SPD in einer gemeinsamen Koalition immer schwerer, ihr eigenes Profil zu bewahren. Aber letztendlich haben sich CDU und SPD selbst über Jahre zu Wahlvereinen degradiert, die für einen Wahlsieg und eine Regierungsbeteiligung auch die eigenen Grundwerte verscherbeln. Der CDU-Fraktionsvorsitzende im baden-württembergischen Landtag meinte daher rechtzeitig zum anstehenden Parteitag: “Die CDU ist inhaltlich insolvent.” Die Schubladen mit neuen Konzepten seien leer, betonte Wolfgang Reinhart und seine CDU habe „keine Antennen und keine Agenda mehr“. Nun ist Reinhart keiner, der täglich solche Attacken reitet, daher sind seine Aussagen noch gewichtiger. Wer nun auf dem CDU-Parteitag eine kritische Diskussion erwartet hatte, sah sich allerdings getäuscht. Das vom ihm eingeforderte „Sanierungsprogramm“ konnte er wie aus dem Nichts erkennen und betonte, seine Kritik habe etwas in Bewegung gebracht. Diese erstaunliche Kehrtwende ist jedoch symptomatisch für viele Politiker, die kneifen, wenn es ernst wird. So hatte Friedrich Merz die Arbeit der Bundesregierung unter Angela Merkel im ZDF als „grottenschlecht“ bezeichnet, auf dem Parteitag reihte er sich dagegen in die Gruppe der Lämmchen ein.
Sozialistische Speerspitze der Schuldenmacher
In der SPD war Kevin Kühnert ein wortreicher Gegner der GroKo, der gerne auch mal wieder an Verstaatlichungen denkt, und letztendlich hat er für die Mehrheit von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans bei der Wahl zu den SPD-Vorsitzenden mit gesorgt. Und diese beiden Kandidaten aus der dritten Reihe der Partei bekamen ihre Chance nur, weil sie sich gegen die GroKo stellten, die ihr Kontrahent Olaf Scholz verkörperte. Über ihre kritische Einstellung zur Regierungskoalition in Berlin wurde von vielen SDP-Mitgliedern und -Delegierten ganz übersehen, dass kaum jemand in Deutschland die Bundestags-Hinterbänklerin Saskia Esken kennt. Auch die Tatsache, dass Walter-Borjans als Finanzminister in Nordrhein-Westfalen einen traurigen Rekord hält, wurde total in den Hintergrund gedrückt: er brachte das ‚Kunststück‘ fertig, drei Haushalte vorzulegen, die dann vom Verfassungsgerichtshof wegen zu hoher Verschuldung als verfassungswidrig kassiert wurden! Aber solche ‚Kleinigkeiten‘ scheinen in unserem Land nicht mehr zu zählen, denn der frühere Kurzzeit-SPD-Vorsitzende und langjährige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck wischte daraus resultierende Kritik bei Maybrit Illner unwirsch beiseite. Vielleicht leben wir doch in einer Bananenrepublik, wenn ein Politiker mehrfach vom Verfassungsgericht gerügt und zum Dank SPD-Vorsitzender wird!
Natürlich gibt es in jeder größeren Partei unterschiedliche Ausrichtungen, doch sollte wenigstens eine gemeinsame Wertebasis erkennbar sein. Daran mangelt es beiden geschrumpften Volksparteien, der SPD wie der CDU. Ein Verstaatlichungsfan wie Kevin Kühnert wird sich auch weiterhin für ein anderes Gesellschaftssystem einsetzen. Zur Verstaatlichung von Unternehmen sagte er der ‚Zeit‘: „Auf demokratischem Wege, ja. Mir ist weniger wichtig, ob am Ende auf dem Klingelschild von BMW “staatlicher Automobilbetrieb” steht oder “genossenschaftlicher Automobilbetrieb”, oder ob das Kollektiv entscheidet, BMW braucht es in dieser Form nicht mehr. Die Verteilung der Profite muss demokratisch kontrolliert werden. Das schließt aus, dass es einen kapitalistischen Eigentümer an diesem Betrieb gibt. Ohne eine Form der Kollektivierung ist eine Überwindung des Kapitalismus überhaupt nicht denkbar.“ Mit solchen Forderungen steht er einem Bodo Ramelow und der Linken näher als Sozialdemokraten, die sich als Nachfahren von Friedrich Ebert sehen. Es ist natürlich verständlich, warum Kevin Kühnert Saskia Esken unterstützt, denn sie lässt Nachfragen zu den sozialistischen Irrungen in der DDR oder auch in China oder der früheren Sowjetunion abprallen: „Wer Sozialismus negativ verwendet, hat halt einfach keine Ahnung. So.“ Da mögen alle bisherigen sozialistischen Regime in Unfreiheit abgeglitten oder wirtschaftlich kollabiert sein, das stört die Ko-SPD-Vorsitzende nicht.
Politische Irrläufer
Dass ausgerechnet in Deutschlands ältester Partei der Aufbruch „In die neue Zeit“ von Politikern eingeleitet werden soll, die in die marxistische Vergangenheit zurückmarschieren, zeigt für mich die Hilflosigkeit, die diese große alte Partei leider heute kennzeichnet. Sozialistischer Zuckerguss ersetzt noch keine Neuorientierung. Und Walter-Borjans möchte die Schuldenbremse kippen und die schwarze Null durch rote Schuldenziffern ersetzen. Wenn die SPD glaubt, dass ihnen auf solchen Irrwegen wieder mehr WählerInnen folgen, dann irren sich die neuen Vorsitzenden! Wenn sich Walter-Borjans auch noch an der „schwäbischen Hausfrau“ vergreift, wenn es um seine geliebte Schuldenmacherei geht, dann grenzt das echt ans Skurrile. Er fordert dazu auf, heute Schulden zu machen, um Staatsausgaben zu finanzieren, denn dies sei gerade wegen der Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) so günstig. Die besagte „schwäbische Hausfrau“ würde ihr Häuschen ja auch nicht erst bauen, wenn sie alles Geld zusammen habe, sondern sie gehe zur Bausparkasse. Der Vergleich hinkt auf dem linken Fuß, denn die „schwäbische Hausfrau“ hat selbst heute mit ihrer Familie Zinsen zu bezahlen und vor allem den Kredit abzustottern. Walter-Borjans und seine Freunde in den Spendierhosen erhöhen nur die Schulden des Staates, an das Zurückzahlen denken sie nicht. Und als früherer Finanzminister des bevölkerungsreichsten Bundeslandes hat Walter-Borjans überhaupt nichts dazu beigetragen, die Wirtschafts- und Finanzkraft von Nordrhein-Westfalen zu erhöhen. So gehört NRW noch immer im Länderfinanzausgleich zu den Nehmerländern!
Wenig tröstlich ist aber auch das Gesamtbild der CDU, die zwar noch reichlich doppelt so viel Wähler auf sich vereinigen kann als die SPD. Doch ganz ehrlich: Die CDU schmilzt gleichfalls in der Wählergunst dahin wie ein Eisberg wegen der Erderwärmung. Annegret Kramp-Karrenbauer hat es bisher nicht verstanden, der CDU mehr Drive zu vermitteln. Mit Witzen über das ‚dritte‘ Geschlecht, einsamen Vorstößen zu Syrien oder einer allgemeinen Dienstpflicht lässt sich der Abwärtstrend der Christdemokraten sicherlich nicht stoppen. Gerade bei der Dienstpflicht kann ich nur den Kopf schütteln, denn irgendwie erinnert dies an den Reichsarbeitsdienst in den schwärzesten Tagen unseres Landes. Zustimmung bei Umfragen gab es bei den älteren Jahrgängen, die nicht mehr zum Pflichtdienst herangezogen würden. Jeder politisch denkende Mensch sollte sich aber den Wählergruppen zuwenden, die der CDU immer stärker abhandengekommen sind. Dort konnte die CDU weder mit der Datenschutz-Grundverordnung noch dem neuen Urheberrecht punkten. Wer so handelt, der erlebt schon rein demografisch einen beständigen Niedergang. Kramp-Karrenbauer hatte in Debatten mit Friedrich Merz immer darauf hingewiesen, sie habe Regierungserfahrung und er nicht. Jetzt zeigt sich immer klarer, dass ein Posten als Ministerpräsidentin in einem Bundesland mit weniger als einer Million Einwohnern nicht unbedingt auf die deutsche und internationale Politik vorbereitet.
Zentrale Themenfelder nicht beackert
Vielleicht denke ich zu traditionell, denn ich kann mir die deutsche Politik nur schwer ohne die beiden Volksparteien SPD und CDU vorstellen. Sie haben maßgeblich zur Entwicklung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg beigetragen, und dabei haben ihre Politiker viel geleistet. Doch in den letzten Jahren haben beide Parteien zu wenig getan, um sich personell und inhaltlich zu festigen und neu auszurichten. Und bei der CDU konnte man erleben, wie eine ewige Kanzlerin und Dauerparteivorsitzende mit ihrer Mischung aus Behäbigkeit und Sprunghaftigkeit den Weg in die Zukunft verpasste. Bei der SPD gaben sich die Vorsitzenden zwar die Türklinke im Willy-Brandt-Haus in die Hand, wobei der Spruch wahr wurde: schlimmer geht immer.
Weiter so oder auch sozialistische Rückwärtssaltos helfen nicht, wenn dabei zu lange das Themenfeld Natur-Umwelt-Klima den Grünen überlassen wurde. Die Migrationspolitik der Bundesregierung vertrieb viele WählerInnen, die sich eine neue Heimat an den politischen Rändern suchten. Nach der Wiedervereinigung wurde der Schwerpunkt zu lange auf den Ausbau der Infrastruktur in den neuen Bundesländern gelegt, doch Menschen brauchen in gleichem Maße Einbindung und Wertschätzung. In Deutschland geht es uns besser als in zahllosen anderen Staaten, aber die Armut unter Kindern und Rentnern nimmt zu: und unwidersprochen raubt die Europäische Zentralbank auch noch die Zinsen auf das kleine Ersparte! Bei Mobilfunk und schnellen Datennetzen ist unser Land zurückgefallen. Bei der Bundeswehr fehlt warme Unterwäsche, aber Annegret Kramp-Karrenbauer philosophiert über weitere Auslandseinsätze. Endlich haben wir in Deutschland die Schuldenmacherei eingedämmt, und da kommt Norbert Walter-Borjans daher und will die Schuldenbremse kippen! Emmanuel Macron erklärt die NATO für „hirntot“, fordert ein „neues Europa“ und hebelt die politische Mitsprache des Europaparlaments aus, in dem er die in Deutschland erfolglose Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin durchdrückt. Bei SPD und CDU vermisse ich den konsequenten Kampf gegen die Überregulierung in Deutschland und Europa, welche innovative Erfinder und Unternehmer zum Verzweifeln bringt.
Mit Weiter so geht’s in die Bedeutungslosigkeit
Die lange Liste der Problemfelder, die nachhaltig zu beackern wäre, ließe sich endlos fortsetzen. Hier erwarte nicht nur ich innovative und zukunftsorientierte Lösungen, doch stattdessen gibt es Polit-Palaver bei SPD und CDU. Und Hartz IV überwinden, Mieten einfrieren, Sanktionen gegen Arbeitsunwillige abschaffen, das sind SPD-Splitter, die sich nicht zu einem gesellschaftspolitischen Zukunftsentwurf fügen. Selbstredend wurde auch der Dauerbrenner Vermögenssteuer wieder aus der Mottenkiste geholt und der Eindruck erweckt, als sei diese am politischen Gegner gescheitert. In Wahrheit hat das Bundesverfassungsgericht 1995 diese Steuer wegen der Ungleichbehandlung von Immobilienbesitz kritisiert. Das Herumbasteln an unserem Steuersystem ist unerträglich und führt ganz gewiss nicht zu mehr sozialem Ausgleich. Die Steuererklärung auf einem Bierdeckel werden wir in Deutschland niemals schaffen, aber ich wünschte mir einen Finanzminister wie Matthias Erzberger, der in den schwierigen Jahren 1919/20 eine komplett neue Steuerordnung entwickelte und umsetzte. Der von der SPD-Basis so sehr abgestrafte Olaf Scholz allerdings beschäftigt sich als Bundesfinanzminister lieber mit Kassenbons für jedes Brötchen und jede Brezel!
Wenn bei der SPD so manchem der Ewiggestrigen nichts mehr einfällt, dann wird der alte Hut ‚Sozialismus‘ wieder aufgesetzt. Den SPD-Vorturnern würde ich zu einem Besuch in der Heidelberger Gedenkstätte für Friedrich Ebert raten, der nie den Blick für das Wesentliche und die Menschen verloren hatte. Die CDU hat ebenfalls Orientierungsprobleme in unserer komplexen Welt, vielleicht sollten sich ihre Politiker auch mal damit befassen, welche Grundüberzeugungen sie an die Wählerschaft herantragen wollen. Was ist denn aus der von Ludwig Erhard mitgeschaffenen Sozialen Marktwirtschaft geworden?
Austauschbare Worthülsen werden CDU und SPD keinen Auftrieb geben. Und Taktierer, die vor den Parteitagen Revolutionsgesänge anstimmen, dann aber in den Chor der ‚Weiter-so-Sager‘ einstimmen, tragen nur zum Niedergang der Volksparteien bei. Sozialistischer Zuckerguss wird der SPD nicht aus dem Tal der Tränen helfen, denn eine Linkspartei haben wir ja bereits schon mit der SED-Nachfolgetruppe ‚Die Linke‘.
5 Antworten auf „SPD: sozialistischer Zuckerguss für „die neue Zeit““