Silvester: Tierfreunde böllern nicht

Wildgänse fliehen vor Feuerwerk

Pünktlich zum Jahreswechsel entbrennt in den Medien der jährliche Streit um das traditionelle Feuerwerk an Silvester, doch im Grunde ist es dann bereits zu spät. Denn Raketen und Böller liegen schon auf dem Ladentisch oder das Streichholz nähert sich der Zündschnur. So wollte ich mich nicht nochmals an dieser Diskussion beteiligen und nur auf vorherige Blog-Beiträge verweisen. Nun hat eine kürzlich veröffentlichte Studie erneut belegt, dass auch Wildgänse durch explodierende Böller und farbenfrohe Raketen aufgeschreckt und zu eiliger Flucht in größere Höhen und über weite Strecken getrieben werden. Wer wüsste nicht, dass sich Wild- und Haustiere bei lauten Explosionen und künstlichen Lichtblitzen fürchten, dennoch wird die Ballerei auch am Jahreswechsel 2022/23 ihren Tribut fordern. In den beiden Vorjahren war die lautstarke Knallerei als Folge von Corona in Deutschland und der EU eingeschränkt. Wenigstens hatte die Pandemie doch an einer Stelle ihr Gutes. Feinstaub hat zum Jahreswechsel stets Hochsaison, aber selbst die deutschen und europäischen Politiker, die gerne jedes Mikrogramm Feinstaub ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Folgen jagen, bleiben bei Rekordwerten an Silvester stumm. Und am Neujahrstag wird spätestens über die Müllberge geklagt, die manche Zeitgenossen auf Straßen und in Parks anhäufen und in Weinbergen und auf Äckern hinterlassen.

Raketen explodieren: Helle Sterne am Nachthimmel.
Die Einstellung der Deutschen zum Silvesterfeuerwerk ist seit Jahren zwiespältig. So bekannten in einer YouGov-Umfrage für dpa 84 % der Befragten, es sei schön, Feuerwerk zu betrachten, doch in einer Befragung für das Redaktionsnetzwerk Deutschland erklärten 57 % der Interviewten, sie seien für ein Verbot an Silvester.  Vorbildhaft: Bei den Haus- und Gartenmärkten von Hornbach werden keine Feuerwerkskörper verkauft! (Bild: Ulsamer)

Wildgänse auf der Flucht

Nun aber zurück zur neuesten Studie, in die Daten aus acht Jahren eingeflossen sind. 347 mit einem Sender ausgestattete Wildgänse insbesondere aus den Niederlanden, Deutschland und Dänemark haben diese Daten geliefert. Einbezogen in die Studie ‚Wild goose chase: Geese flee high and far, and with aftereffects from New Year’s fireworks‘ von A. Kölzsch, T.K. Lameris u.a. wurden die Erkenntnisse aus den Jahren 2014 bis 2021. Der im Oktober 2022 in ‚Conservation Letters‘ veröffentlichte Artikel belegt, dass Wildgänse durch Feuerwerk nachhaltig gestört werden: Aufgeschreckt vom starken Lärm und den grellen Lichtblitzen verlassen die Wildgänse ihre Schlafplätze und versuchen, in größere Höhen als üblich auszuweichen oder sich vom Unruheherd schnell und weit zu entfernen. Die besenderten Wildgänse flogen in der Silvesternacht jeweils 5 bis 16 km weiter als üblich. Einzelne Gänse flogen gar bis zu 500 km weit, nachdem sie durch das Feuerwerk aufgescheucht worden waren. Die Gänse flogen 40 bis 150 Meter höher als üblich und erreichten so Höhen von 150 bis 220 Metern. Die Fluchtreaktion trieb einige Wildgänse gar in Höhen von bis zu 700 Metern. Radarmessungen aus anderen Studien ergaben ebenfalls solche Höhenwerte für Wasservögel in der Silvesternacht. Ausgerechnet im Winter, wo Schmalhans ohnehin bei den Wintergästen Küchenmeister ist, müssen die Wildgänse zusätzliche Energie verbrauchen. Auf die Lebenssituation der Wildgänse bin ich in meinem Beitrag ‘Der Lebensraum von Wildgänsen schwindet‘ eingegangen.

Graugans auf einer grünen Wiese, dahinter eine Wasserfläche.
In die Studie des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Konstanz und des Niederländischen Instituts für Ökologie wurden besenderte Gänse einbezogen, die den Winter in den Niederlanden, Dänemark und Deutschland verbringen. Weißwangengänse, Saatgänse, Kurzschnabelgänse und Blässgänse lieferten Daten zur Untersuchung über das Verhalten bei und nach Feuerwerk. Die Ergebnisse lassen sich jedoch auch auf andere Gänsearten übertragen, die – wie diese Graugans – in Parks oder Grünanlagen leben oder Rast machen. (Bild: Ulsamer)

Die wissenschaftliche Untersuchung ‚Wild goose chase‘ zeigt auch, dass zahlreiche Gänse ihre Ruhezeit auf den Gewässern verkürzten und die Schlafplätze häufiger gewechselt wurden. Dies gilt im Übrigen sogar noch mehrere Tage nach Neujahr, ehe sich das Verhalten wieder normalisiert. Im Grunde unterstreicht die Studie von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Konstanz und des Niederländischen Instituts für Ökologie über Wildgänse nur meine eigenen Eindrücke: Beim Feuerwerk zu Silvester im irischen Dingle beispielsweise, das direkt auf der Hafenmole gezündet wurde, erhoben sich ringsum Seevögel, als die erste Rakete explodierte und suchten das Weite. Gleiches lässt sich im städtischen Bereich feststellen. Besonders bedrohlich ist die Situation für die angesprochenen Gänse, aber auch für andere Wild- und Haustiere dadurch, dass es an Silvester fast flächendeckend kracht und blitzt. Einige zentrale Feuerwerke würden sicherlich weniger Schrecken verbreiten und Schaden anrichten.

Graugänse grasen auf einer grünen Rasenfläche in der Nähe eines Weihers. Parkanlage in Stuttgart.
Ein Verbot von Feuerwerkskörpern würde Wildtieren am meisten helfen. Im Umfeld von Nationalparks oder Vogel- und Naturschutzgebieten ganz besonders, aber auch in und um Parks oder Grünanlagen sollten Böller und Raketen untersagt werden. (Bild: Ulsamer)

Ein ruhiges Silvester für die Tierwelt

Wildtiere haben es in einer häufig ausgeräumten und extensiv genutzten Landschaft oder im urbanen Bereich ohnehin nicht leicht. Insekten haben um bis zu 70 % abgenommen und darauffolgend machen sich sogar frühere ‚Allerweltsvögel‘ rar. Das Letzte, was unsere gefiederten Freunde brauchen, ist daher im Winter eine zusätzliche Störung durch von Menschenhand gezündete Böller und Raketen. Wildgänse finden nur noch wenige Wiesen und Äcker, auf denen sie nach Nahrung suchen können, wenn sie vor der Kälte nach Deutschland migrieren. Die Nahrung reicht häufig gerade so fürs Überleben. „Es ist schockierend zu sehen, wie viel weiter die Vögel in der Silvesternacht flogen“, sagt Andrea Kölzsch, Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und Erstautorin der Studie. „Einige Tiere legten Hunderte von Kilometer in einer einzigen Winternacht zurück, Distanzen, die sie normalerweise nur während des Zuges absolvieren.“ Die Wildgänse versuchen dem Lärm auszuweichen, indem sie weniger von Menschen besiedelte Gebiete anfliegen, und vermutlich wollen sie auch der hohen Feinstaubbelastung entgehen, die sich laut der Studie durch das Feuerwerk an den Schlafplätzen um bis zu 650 % erhöhte. Feststellen ließ sich, dass die Vögel in den zwölf Tagen nach Silvester in der Tat zehn Prozent länger fraßen und sich tagsüber deutlich weniger bewegten. „Die Tiere versuchen wahrscheinlich, die Energie zu kompensieren, die sie in der Nacht des Feuerwerks ungeplant aufwenden mussten“, sagt Bart Nolet, Wissenschaftler am Niederländischen Institut für Ökologie und Mitautor der Studie.

Buchfink auf einem Kiefernast mit etwas Schnee.
Mit oder ohne Schnee und Kälte, Vögel finden im Winter wenig Nahrung, es sei denn an Futterhäuschen. Mehr dazu in meinem Blog-Beitrag: ‚Vogelfütterung: Sonst bleibt der Schnabel leer. Verarmte Landschaft bedroht Vögel‘. Zusätzliche Störungen durch Feuerwerkskörper schrecken die Vögel in Gärten und Parks, auf Straßenbäumen oder in Hecken auf und die Flucht kostet Energie. (Bild: Ulsamer)

Die Politik wird sich in absehbarer Zeit wohl kaum für ein dauerhaftes Verbot von privatem Feuerwerk an Silvester erwärmen, daher kommt es auf alle Menschen, auf Jung und Alt, an: Wer auf Böller verzichtet, der hilft der Tierwelt und trägt zu einer saubereren Umwelt bei. Etwas mehr Engagement würde ich mir allerdings von der Politik durchaus wünschen, und dabei denke ich auch an die Prioritätensetzung: Die EU-Bürokraten und ihre deutschen Mitstreiter basteln an neuen Vorgaben zum Feinstaub in unseren Städten, wobei sie Grenzwerte anvisieren, die bereits einer natürlichen ‚Grundbelastung‘ nahekommen, doch Feuerwerk darf weiter gezündet werden! „Jährlich werden rund 2.050 Tonnen Feinstaub (PM10) durch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern freigesetzt, der größte Teil davon in der Silvesternacht“, so das Umweltbundesamt. „Diese Menge entspricht in etwa einem Prozent der gesamt freigesetzten Feinstaubmenge in Deutschland.“

Ein generelles Verbot von Feuerwerk wäre richtig, aber derzeit nicht realistisch. Doch zumindest im Umfeld von Nationalparks oder Vogel- und Naturschutzgebieten, aber auch in und um Parks oder Grünanlagen sollte das Abbrennen von Feuerwerkskörpern ebenso verboten sein wie in zahlreichen historischen Altstadtquartieren. Je weniger Böller gezündet oder Raketen in der Luft explodieren, desto besser ist das für Wild- und Haustiere und die Umwelt insgesamt. Wer ohne lauten Krach ins neue Jahr startet, der hilft den Wildgänsen, genauso wie den Amseln und Meisen in seinem Garten, den ‚Nutztieren‘ auf Bauernhöfen und selbstredend allen Haustieren.

 

Graugänse fressen auf einem Acker.
Wenn sich Wildgänse auf dem Acker auf Futtersuche begeben, erfreut dies die Landwirte nicht. Umso wichtiger wäre es, sie durch Böller und Raketen nicht zu Flügen zu zwingen. Die verbrauchte Energie muss wiederum auf Wiesen und Äckern beschafft werden. (Bild: Ulsamer)

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