Silvester 2020:  Keine Raketen zischen in den Himmel

Natur, Umwelt, Tiere und Menschen werden die Stille schätzen

Die Corona-Pandemie bringt das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben in einer bisher ungewohnten Weise durcheinander, ja immer wieder zum Stillstand. Und Knallbegeisterte müssen nun an Silvester auch noch auf Böller, Raketen und Batteriefeuerwerk verzichten! Lärmempfindliche Tiere im Haus und in der Natur werden froh sein über einen stillen Abend, und der Umwelt bleiben mindestens 2 000 Tonnen Feinstaub und andere Emissionen erspart. Weniger Explosions-Verletzte werden in den Krankenhäusern landen, die mit Covid-19-Patienten ohnehin schon alle Hände voll zu tun haben. Ein Verbot des privaten Feuerwerks hätte ich mir schon viel früher gewünscht, doch erst eine weltweite Seuche vermochte für einen Silvesterabend ein Verbot durchzusetzen. Vielleicht kann dies auch Anlass sein, generell über den massenhaften Start von Raketen oder den Dauerbeschuss durch Batteriefeuerwerk für die kommenden Jahre nachzudenken.

Raketen explodieren: Helle Sterne am Nachthimmel.
Die gewohnten Raketen werden an Silvester 2020 nicht in den Himmel zischen, denn die Corona-Pandemie, ausgehend vom chinesischen Wuhan, brachte uns eine Ausgangssperre und ein Verkaufsverbot für Feuerwerksartikel. Ich würde mir wünschen, dass wir auch für die kommenden Jahre über eine Selbstbeschränkung bei Böllern und Raketen nachdenken! (Bild: Ulsamer)

Die Menge ist das Problem

Nun sehe ich Feuerwerk nicht allzu puristisch, denn ich kann mir schon vorstellen, dass Kinder an Silvester gerne mal einen Knallfrosch über den Gehweg hüpfen lassen oder mit Hilfe der Erwachsenen eine Rakete abfeuern wollen. Das habe ich in jetzt schon grauer Vorzeit ebenfalls getan, aber ich hätte mir die Dimensionen damals nicht vorstellen können, die das Silvesterfeuerwerk inzwischen erreicht hat. Nicht ein kleiner Kracher ist der Auslöser heutiger Probleme an Silvester, sondern der Griff zu relativ preisgünstigen Feuerwerksartikeln, die in der Werbung gleich 100 oder 200 „Schuss“ verheißen. Wahre Feinstaubwolken werden durch die immer umfänglicheren privaten Feuerwerke hervorgerufen. Manche Zeitgenossen feiern dazuhin nicht nur lautstark, sondern auch mit reichlich Alkohol, und schon heulen die Sirenen der Krankenwagen und die Operationssäle füllen sich. In einer Zeit, in der in unseren Ballungszentren zur Jagd auf das letzte Mikrogramm Feinstaub geblasen wird, werden durch das Silvesterfeuerwerk innerhalb einer Stunde um die 2 000 Tonnen Feinstaub in die Luft geschleudert, so das Umweltbundesamt. Frühere Berechnungen lagen sogar beim Doppelten, doch wie auch immer, Feinstaub sollte nicht vorsätzlich in unsere Umwelt geschossen werden. Und am nächsten Tag liegen dann zusätzlich noch viele Tonnen Müll auf Straßen und Plätzen.

Immer wieder weisen Interessenvertreter und Politiker, die Beschränkungen für das Feuerwerk verhindern wollen, darauf hin, dass in der Silvesternacht durch Raketen und Böller ‚nur‘ ein bis zwei Prozent der jährlichen Feinstaubmenge in unsere Umwelt gelangen. Aber mal ganz ehrlich: selbst ein Prozent der Jahresmenge an Feinstaub in mehr oder weniger einer Stunde, das ist zu viel! Ein Jahr umfasst 8760 Stunden. Schon überschlägig wird daran deutlich, welch gewaltiger Anteil ein oder zwei Prozent des Feinstaubs in einer Stunde sind. Dies gilt in ganz besonderer Weise in Städten mit Überschreitungen der EU-Vorgaben für Feinstaub und daraus resultierenden Fahrverboten. Da frage ich mich manchmal schon, ob es ‚bösen‘ und ‚guten‘ Feinstaub gibt? Der ‚böse‘ Feinstaub würde dann nach Meinung mancher Politiker wohl nur von Fahrzeugen freigesetzt oder aufgewirbelt.

Viele Hunde und Katzen verkriechen sich in den Wohnungen, wenn es kracht, Rehe suchen das Weite, wenn Böller und Raketen das Regiment übernehmen, Vögel flattern in der Dunkelheit auf und enden nicht selten an Hindernissen. So manches Haus fing schon Feuer, unvorsichtige Menschen landen jedes Jahr mit Verbrennungen oder Gehörschäden im Krankenhaus: „In Deutschland erleiden jährlich zirka 8.000 Menschen zu Silvester Schädigungen des Innenohrs durch Feuerwerkskörper. Viele dieser Menschen behalten bleibende Schäden“, so das Umweltbundesamt. Doch die ‚Knallerei‘ geht weiter! In Deutschland gaben die Bundesbürger für Feuerwerksartikel bis zum Corona-Stopp jährlich 120 bis 130 Mio. Euro aus. Ganz ohne laute Explosionen wird es wohl auch Ende 2020 nicht gehen: zwar startete der Verkauf von Feuerwerksartikeln in Deutschland nicht wie gewohnt, doch manche Mitbürger deckten sich vor Ort oder per Internet in Polen ein. Hoffentlich werden die sogenannten ‚Polenböller‘ wegen der Ausgangsbeschränkung jetzt nicht auf den Balkonen gezündet, denn dann dürfte die Verletzungsgefahr noch größer sein. Von einer EU-weiten Lösung ist auch beim Thema Feuerwerk und Corona nichts zu erkennen! Dies ist nicht verwunderlich, denn noch steht ja gleichfalls ein gemeinsamer Vorschlag für die Zeitumstellung aus.

Leergeschossenes Batteriefeuerwerk. Die kartonähnlichen Gebilde liegen auf einem Gehweg und im Gras.
Die Müll-Flut nach der Silvesterknallerei wird uns dieses Mal erspart bleiben. Viele Zeitgenossen hielten es in zurückliegenden Jahren nicht für nötig, die Reste ihres Batteriefeuerwerks wegzuräumen. (Bild: Ulsamer)

Wohlstand hat auch Schattenseiten

Gerne wird in Diskussionen über das Feuerwerk zu Silvester auf das Brauchtum Bezug genommen, und dies gerade von Zeitgenossen, die sich den Rest des Jahres von Traditionen nicht beeinflussen lassen. So vermeldete das Hamburger Abendblatt vor einigen Jahren speziell an Kinder gerichtet: „Das Verbrennen von Feuerwerk ist schon bei den alten Germanen beliebt gewesen.“ Nichts gegen unsere germanischen Urahnen, aber das ‚Vertreiben böser Geister‘ mit unterschiedlichen Handlungen kann man wohl kaum mit dem Dauerbeschuss aus Batteriefeuerwerk vergleichen. Das Schwarzpulver und daraus resultierendes Feuerwerk stammt nicht von den Germanen, sondern wurde vor rd. 1 000 Jahren in China erfunden, da hatten sich die Germanen schon in anderen Völkerschaften aufgelöst. So ist das oft mit den ‚althergebrachten‘ Bräuchen, die Wurzeln sind meist jünger. Und Bräuche können auch völlig überdreht werden, wie dies bei der massenhaften Verwendung von Feuerwerkskörpern seit Jahren der Fall ist.

Wohlstand hat seine Schattenseiten, was nicht nur für die Dimension heutiger privater Feuerwerke gilt, sondern in gleichem Maße für den Fleischkonsum. Früher gab es den besagten Sonntagsbraten und nicht jeden Tag Schnitzel, Steak oder Bratwurst ‚satt‘. Genauso ist es beim Feuerwerk: Wer würde Kindern einige kleine Knaller verdenken, doch das „Jugendfeuerwerk ‚Pyro-Mix for Kids‘‘‘ startet gleich mal mit 165 Teilen – für sage und schreibe 2.99 Euro! Wir brauchen ein Umdenken in unserer Gesellschaft, das den Mittelweg wieder anpeilt. Immer mehr von allem – sei es Feuerwerk oder Fleisch – bringt die kleine und die große Welt aus dem Gleichgewicht. Selbstbeschränkung muss das Ziel sein, und dies gilt besonders für das Feuerwerk an Silvester, auch in Jahren ohne Corona aus dem chinesischen Wuhan. Wir hoffen alle, dass wir die Corona-Pandemie bald in den Griff bekommen und beispielsweise Ausgangsbeschränkungen an Silvester wegfallen, doch eine gesellschaftliche Debatte über Sinn und Unsinn von privatem Feuerwerk würde ich mir schon wünschen, und mein Ziel ist eine deutliche Reduzierung von Böllern und Raketen! Tiere und Umwelt sowie emissionsgeplagte Bürger wären für eine deutliche Reduzierung der Silvester-Knallerei auch in Zukunft dankbar.

2 Antworten auf „Silvester 2020:  Keine Raketen zischen in den Himmel“

  1. Sehr geehrter Herr Dr. Ulsamer,
    vielen Dank für Ihren erhellenden Beitrag.
    Das schöne am Brauchtum ist, dass es sich ändern lässt. Vielleicht ist die Coronazeit der richtige Moment, das Böllern zu reduzieren und mit den gesparten Kosten, einen Beitrag für sinnvollere Dinge zu leisten. Die Auswahl an gemeinnützigen Organisationen, die auf Unterstützung angewiesen sind, ist groß genug.
    Dieser Wandel schädigt die Feuerwerksindustrie und begünstigt andere. Jeder Wandel hat notwendigerweise Gewinner und Verlierer.
    Für das kommende Jahr wünsche ich Ihnen und Ihrer Familie alles Gute.
    Mit freundlichen Grüßen aus Immendingen
    Gerhard Walter

    1. Sehr geehrter Herr Walter,
      herzlichen Dank für Ihre freundliche Rückmeldung.
      Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie ein gesundes und erfolgreiches Jahr 2021.
      Mit besten Grüßen
      Ihr
      Lothar Ulsamer

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert