Der Bauer darf nicht zum Folterknecht degradiert werden
Gleich zu Beginn muss ich mich outen: Ich esse gerne Käse, meist von der Kuh, aber auch von Schafen und Ziegen – und ich möchte hin und wieder nicht auf ein Fleischküchle oder schwäbische Maultaschen verzichten. Aber dennoch, nein, gerade deswegen setzte ich mich dafür ein, dass unsere ‚Nutztiere‘ ein gutes Leben führen können. Vor diesem Hintergrund halte ich die industrielle Landwirtschaft für einen politischen Irrweg! Dabei trifft aber nicht die Bauern, die sich auch noch als solche fühlen, meine Kritik, sondern die EU-, Bundes- und Landespolitik, die es zulässt, dass Milchkühe zu reinen Produktionsmaschinen degradiert werden. Da werden Kälbern die Mütter weggenommen, kaum dass sie geboren worden sind, und die Ansätze für Hörner weggebrannt, es werden kleinen Ebern ohne Narkose die Hoden entfernt, Hähnchen geschreddert oder Mastschweine und Hühner in überbesetzte Ställe gesperrt. Für mich ist es unglaublich, dass es Agrarlobbyisten – wie dem Deutschen Bauernverband – innerhalb der Europäischen Union wiederum gelingen könnte, eine Neuorientierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) zu verhindern.
Dass die industrielle Landwirtschaft mit Massentierhaltung nicht der einzige Weg in die Zukunft ist, belegen viele bäuerliche Betriebe, die sich an ökologischen Kriterien orientieren und gerade deswegen gute Absatzmöglichkeiten finden. Die am Subventions-Gängelband geführte industrielle Landwirtschaft dagegen klagt immer wieder über niedrige Milchpreise oder Absatzprobleme beim Fleisch, wogegen deutsche Ökobetriebe die Nachfrage der Handelsketten nicht befriedigen können.
Kuhhörner bald nur noch auf Postkarten?
„Der Hornzapfen ist ein durchbluteter und von Nerven durchzogener Knochen, komplett mit dem Schädel verwachsen und über Hohlräume mit den Stirn- und Nasennebenhöhlen verbunden. Das Horn ist warm, auf Berührung empfindlich und lebendig!“ Dieser Satz stammt natürlich nicht vom Deutschen Bauernverband, sondern von der Schweizerischen Hornkuh-Initiative. Diese wurde im Übrigen nicht von einer städtischen Umweltinitiative ins Leben gerufen, sondern vom Bergbauern Armin Capaul. Und ganz Schweizer setzt Capaul mit seiner Initiative nicht auf Zwang, sondern finanzielle Anreize für Bauern, die auf die Enthornung verzichten. Mit solchen Zuschüssen sollen mögliche Zusatzkosten, z.B. für geräumigere Ställe, abgegolten werden. Tiere, die bisher in Anbindehaltung leben, sollten zukünftig in Laufställen gehalten werden und so häufig wie möglich auch auf die Weide gehen können.
Die Hörner sind wichtig für die Körperpflege, sie sind mit dem Verdauungssystem verbunden und dienen auch der Kommunikation zwischen den Tieren. Aber den Agrarpolitikern in der Schweiz und der EU scheint das Wohlbefinden der Kühe und ihrer Artgenossen mit Hörnern nicht sonderlich am Herzen zu liegen: „Sowohl die Postkartenschweiz als auch die idyllische Werbung voll behornter Tiere gaukeln uns was vor. In der Schweiz gibt es nur noch rund 10% horntragende Kühe“, so die vom Bauern Armin Capaul ins Leben gerufene Initiative gegen das Enthornen. Die Gegenargumente des Schweizerischen Bundesrats könnten auch von EU-Bürokraten nicht ‚besser‘ vorgetragen werden. „Für Bundesrat und Parlament würde die Initiative dem Tierwohl mehr schaden als nützen. Ein Beitrag für Tiere mit Hörnern könnte dazu führen, dass wieder mehr Ställe gebaut werden, in denen die Tiere angebunden sind. Bei horntragenden Tieren ist diese Haltungsform einfacher. Zudem erhöhen Tiere mit Hörnern das Verletzungsrisiko.“ Im Sinne des Tierwohls müsste eigentlich die vom Schweizerischen Bundesrat ins Feld geführte Anbindehaltung gleich mit abgeschafft werden.
Wenn der Lötkolben ausgepackt wird
Zurück nach Deutschland: 90 Prozent der Rinder sind bereits ohne Hörner unterwegs, denn sie haben den Vorteil, dass mehr Tiere auf gleicher Stallfläche untergebracht werden können. Aber auch in Bio-Bauernhöfen sind rd. 50 bis 70 % der Rinder schon hornlos. Der Bio-Verband Demeter lehnt dagegen das Enthornen oder das Züchten genmanipulierter Kühe ohne Hörner ab. In der industriellen Landwirtschaft werden die Tiere den Ställen angepasst, und da sind Hörner im Weg. Generell muss uns das Tierwohl jedoch eine größere Stallfläche Wert sein. Die Folgekosten durch etwas höhere Milch- oder Fleischpreise müssten auch für uns Deutsche erträglich sein. Derzeit schreibt Demeter nach eigenen Angaben als einziger Verband die Haltung von Kühen mit Hörnern vor.
Wer von uns möchte schon, dass ihm der Landwirt mit einem auf 600 Grad Celsius erhitzten ringförmigen Lötkolben zu Leibe rückt? Eben dieses ist aber das Fall bei der überwiegenden Mehrheit der Kälber, denen mit einem solchen Gerät die Hornknospen ausgebrannt werden. Heute mit einer örtlichen Betäubung – verabreicht durch den Tierhalter! Und bis vor kurzem waren weder Beruhigungs- noch Schmerzmittel vorgesehen. Da sind Sie sicherlich froh, kein Kalb zu sein. Ich auch! Aber dies sollte uns dennoch nicht ruhen lassen: Bauern, die Tiere mit Hörnern halten, sollten bei allen EU-Agrarsubventionen bessergestellt werden – und natürlich die Horn-Ausbrenner-Fraktion im Gegenzug schlechter.
Eimer statt Euter
Natürlich bin ich mir bewusst, dass Hörner bei großen Tieransammlungen und in engen Ställen auch Verletzungsrisiken für die dort aktiven Landwirte und Mitarbeiter mit sich bringen. Wenn sich tausende von Kühen vor Melk-Karussellen drängen, dann wird es im wahrsten Sinne des Wortes eng – auch für Vieh und Mensch. Doch ist dies für mich kein wirkliches Argument für die Enthornung, sondern bestärkt mich in der Forderung, die Massentierhaltung einzuschränken.
Im Zuge eben dieser Massentierhaltung werden auch die Kälbchen schon nach Stunden der Mutterkuh weggenommen, um die Milchproduktion nicht zu gefährden. Die Milch wird in den Markt gepumpt, um anschließend über schlechte Preise zu klagen. Die Kälber müssen dann eine Mischung aus Milchpulver und Wasser trinken, und möglichst schnell werden sie auf festes Futter umgestellt. Eimer statt Euter, so lautet das Motto. Mutterkuhhaltung ist in Deutschland dagegen zu einer Randerscheinung geworden. Leider! Und dies gilt selbst für Tiere, die zur ‚Fleischerzeugung‘ gehalten werden. Ich bin mir natürlich bewusst, dass ein Milchbauer nicht dauerhaft auf die Milch seiner Kühe für den Verkauf verzichten kann, doch das Zeitfenster, in dem Kälber die Milch der Mutter trinken dürfen, sollte verlängert werden. Auch die Ammenkuhhaltung sollte nicht vorschnell beiseitegeschoben werden: Hier teilen sich zwei oder drei Kälber eine Ammenkuh, und die Kühe ohne Kalb können dann wieder gemolken werden.
Milchpulverberge bedrohen afrikanische Bauern
Systemfehler in der EU-Landwirtschaftspolitik müssen dringend behoben werden: Es macht wahrlich keinen Sinn durch entsprechende Subventionen Massentierhaltung mit Hochleistungskühen zu stärken, um dann Milchpulverberge anzuhäufen. So wurde, um ab 2015 den Milchpreisverfall zu stoppen, aus der Überschussproduktion Milchpulver hergestellt. Von den 380 000 Tonnen Milchpulver wurden bis Herbst 2018 wiederum die Hälfte in den Markt eingebracht. Auf der einen Seite sollen Kühe immer mehr Milch geben, und dies auch zu Lasten der Kälber, und auf der anderen Seite gibt es immer wieder eine Überproduktion. Mit einem echten Marktgeschehen hat dies nichts zu tun. Auf der anderen Seite lassen sich Öko-Milch und Öko-Fleisch zu deutlich besseren Preisen absetzen, aber die am EU-Gängelband geführte industrielle Landwirtschaft ist noch zu selten bereit, den Sprung in Richtung Ökologie zu wagen.
Skandalös ist es auch, wenn zu Billigstpreisen das EU-Milchpulver in afrikanische Märkte gedrückt wird, um bei uns die Lagerhallen zu leeren. Milchbauern in vielen afrikanischen Ländern haben höhere Erzeugerpreise, da ihre Tiere eine weit geringere Milchleistung haben und häufig auch die klimatischen Verhältnisse eine Viehzucht im mitteleuropäischen Maßstab nicht zulassen. Wer aber die lokalen Märkte schädigt, und dies gilt u.a. auch für Exporte von Tomaten in Dosen oder Hühnerschlegel aus der EU, der muss sich auch nicht wundern, wenn Menschen ohne wirtschaftliche Perspektiven den Weg nach Europa suchen.
Ohrmarken für EU-Bürokraten
Wem das Tierwohl nicht egal ist, der sollte sich auch mal mit dem Thema Ohrmarken beschäftigen. Es ist an der Zeit, in Deutschland und allen EU-Staaten auf die Barrikaden zu gehen: Schafen, Ziegen und Rindern sollten statt der Ohrmarken auch Mikrochips eingesetzt werden dürfen, um sie mit einer individuellen Kennung zu versehen. Hier brauchen wir Ansätze für eine fortschrittliche EU-Politik der kleinen Schritte und nicht ständig das Palaver über Emmanuel Macrons EU-Visionen. Die uns Menschen anvertrauten Tiere brauchen jetzt Verbesserungen und keine visionären Ergüsse.
Und so richtig auf den Keks gehen mir Einwände von Besserwissern, denen das Leid der Tiere egal ist, und die dann ins Feld führen, wenn ein Wiederkäuer im Schlachthof landet und der Mikrochip nicht gefunden wird, dann sei das Fleisch für den menschlichen Verzehr nicht mehr zugelassen. Bei allen Kennzeichnungsmethoden kann man ein Haar in der Suppe finden, doch auch die Schafe, Ziegen und Rinder sollten uns am Herzen liegen! Wenn alles gutes Zureden nicht hilft, dann sollten alle Bürokraten, die Ohrmarken für unverzichtbar halten, diese mal selbst beim Fußball- oder Handball, beim Wasserball oder Judo, beim Skifahren oder unter dem Fahrrad- oder Motorradhelm selbst tragen. In Windeseile wären dann die Ohrmarken Schnee von gestern!
EU-Agrarreform verfehlt eigene Ziele
Zwar spielte in Jean-Claude Junckers letzter Rede zur Lage der Europäischen Union die Agrarpolitik keine Rolle, doch die EU hatte es sich zum Ziel gesetzt, die Europäische Agrarpolitik stärker an ökologischen Kriterien zu orientieren. Zweifel an den hehren Aussagen mancher EU-Politiker hatte ich ohnehin, doch sie werden nun durch eine Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs untermauert. „Despite the Commission’s ambitions and calls for a greener CAP, the proposal does not reflect a clear increase in environmental and climate ambition.“ Als überzeugter Europäer finde ich es sehr schade, dass wieder eine Chance vergeben wird, die europäische Agrarpolitik am Wohl von Menschen, Natur und Tieren auszurichten.
Und so heißt es in einer Presseinformation des Europäischen Gerichtshofs weiter: „Die Prüfer stellen fest, dass sich viele der vorgeschlagenen politischen Optionen nur unwesentlich von der derzeitigen GAP-Regelung unterscheiden. Insbesondere würde es sich beim größten Teil des Haushalts nach wie vor um Direktzahlungen an Landwirte auf der Grundlage einer bestimmten Anzahl eigener oder genutzter Hektarflächen handeln. Mit diesem Instrument können jedoch zahlreiche Umweltbelange nicht berücksichtigt werden, und es stellt auch nicht die wirtschaftlichste Art und Weise dar, um ein angemessenes Einkommen zu unterstützen.“ Der müde EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hätte sich besser einer neuen Europäischen Agrarpolitik gewidmet statt über Zölle auf Blue Jeans zu philosophieren oder die Entscheidung über die Aufgabe der Zeitumstellung an die EU-Staaten zurück zu delegieren.
Hornkuh-Initiative als Impuls für neue EU-Agrarpolitik
Die Schweizer Hornkuh-Initiative sollte auch für uns in Deutschland und der ganzen EU einen Anstoß geben, unseren Rindviechern die Hörner zu erhalten. Und damit meine ich die Vierbeiner auf Weiden und in Ställen. Das Beharrungsvermögen im landwirtschaftlichen Bereich ist für mich geradezu erschreckend: Ökologische Komponenten spielen weiterhin eine zu geringe Rolle, das Wohl der Tiere wird vernachlässigt und die industrielle Massentierhaltung dominiert. Es ist an der Zeit für eine Neuausrichtung der Landwirtschaft an Nachhaltigkeit und Ökologie. Schluss muss auch sein mit wohlfeilen Ablenkungsmanövern. Ein Musterbeispiel ist die Vernachlässigung der Weidewirtschaft durch die Politik: Eine Weidetierprämie wurde im Bundestag von Union, SPD und FDP abgelehnt, dafür werden die wenigen Wölfe in Deutschland zum Sargnagel der Weidetierhaltung stilisiert.
Aber auch wir Verbraucher müssen unseren Beitrag zur Neuorientierung der Landwirtschaft beitragen und gerade den bäuerlichen Betrieben eine Chance geben. Manche Handelsunternehmen sind bereits auf den richtigen Weg eingebogen, doch die KäuferInnen müssen am Regal im Laden zum richtigen Produkt greifen – auch wenn es mal einige Cent mehr kostet. Erst eine Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik kann jedoch die Grundlage dafür bilden, Preissteigerungen bei einer ökologischeren Landwirtschaft gering zu halten: Es macht keinen Sinn, Fleischberge und Milchseen am deutschen Markt vorbei zu produzieren und dabei Billigprodukte in die Läden zu bringen. Diese EU-Subventionen müssen umgesteuert werden, um mehr Ökologie und Tierwohl bei weitgehend stabilen Preisen zu erreichen. Die Hornkuh-Initiative ist ein wichtiger Impuls, der uns zum Handeln im Agrarbereich auffordert.
3 Antworten auf „Schweiz: Jedes Rindvieh braucht Hörner“