Schwarzwald: Mehr Wölfe – weniger Lifte

Der Natur Freiräume lassen

Es ist schon ziemlich schräg: Auf dem Feldberg, Deutschlands höchstem Berg in einem Mittelgebirge, setzt ein Teil der Entscheidungsträger – wie Bürgermeister Johannes Albrecht – unverdrossen auf eine Vergrößerung der Liftkapazität und zusätzliche Schneekanonen, obwohl sich die schneereichen Winter im Zeichen des Klimawandels im Schwarzwald rarmachen. Es gelte die Touristen weiterhin mit einem solchen Winterangebot anzuziehen, so heißt es. Szenenwechsel: Da kommen sich ein Wolfsrüde und eine Fähe erstmalig seit zwei Jahrhunderten im Schwarzwald näher – schon ruft der baden-württembergische CDU-Landwirtschaftsminister Peter Hauk die „Alarmstufe Rot“ aus und sieht Touristen und ‚Kulturlandschaft‘ bedroht! Aber auch die grüne Umweltministerin Thekla Walter hatte sich bei ihrem Amtsantritt nicht als Freundin von Wolf & Co. geoutet: „Wenn ein Wolf zu nahe kommt … dann muss man den auch entnehmen“. Und für die FDP/DVP im baden-württembergischen Landtag meint Klaus Hoher: „Die unkontrollierte Ausbreitung des Wolfs in Baden-Württemberg ist also eine Zeitbombe.“ Im ganzen Bundesland sind bisher eine Handvoll Wölfe sesshaft, und es soll bereits „Alarmstufe Rot“ gelten, weil sich Isegrim angeblich zur „Zeitbombe“ entwickele? Eine wahrhaft skurrile ‚Argumentation‘! Nur wenige Politikerinnen und Politiker scheinen bereit zu sein, der Natur wieder Raum zu lassen: Lieber werden Liftanlagen und Schneekanonen gefördert, ein klotziges Parkhaus auf dem Feldberg zugelassen, anstatt der Natur ein Bisschen Freiraum zu gönnen. Wer bei wenigen zugewanderten Wölfen schon nach dem Todesschuss ruft – und dies ist die ‚Entnahme‘ nun mal -, der begreift noch immer nicht, was zu einer naturnäheren Landschaft und einem an der Ökologie orientierten Leben nun mal gehört. Die Naturferne bedroht uns zunehmend, und die Vorboten des Artensterbens sind Insekten- und Vogelschwund. Die Ausbeutung der Natur muss gestoppt und tierische Rückkehrer dürfen nicht mit der Flinte begrüßt werden, auch wenn sie auf vier Pfoten unterwegs sind und – wie die Mehrheit der Deutschen – nicht zu den Vegetariern gehören.

Blick auf die Pisten am Feldberg und einen der Lifte. Sehr wenig Schnee.
Lange war der Feldberg, der höchste Berg in Baden-Württemberg und allen deutschen Mittelgebirgen, noch relativ schneesicher. Doch wer heute weiterhin – wie der Bürgermeister der Gemeinde Feldberg, Johannes Albrecht – auf zusätzliche Liftanlagen und Schneekanonen setzt, der landet in der Sackgasse. Auch mit Schneekanonen lässt sich der Klimawandel nicht vertreiben! So manche Entwicklung in den Alpen toppt natürlich bei weitem den Schwarzwald, man denke nur an etliche, fragwürdige Skizirkusse auf den letzten Gletschern! Allerdings relativieren sich Schneekanonen auf dem Feldberg angesichts einer 640 Meter-Piste in der längsten Skihalle der Welt in Bottrop, die vom ‚alpincenter‘ im Ruhrgebiet ganzjährig betrieben wird. Das Biosphärengebiet Schwarzwald setzt das ganze Jahr darauf, den Ausgleich zwischen Natur und menschlichen Ansprüchen voranzutreiben, und bietet in Ferienzeiten auch zahlreiche Veranstaltungen für Jung und Alt an, genauso wie der Nationalpark, der trotz des problematischen Zuschnitts durchaus Vorteile für die Natur bringt. (Bild: Ulsamer)

„Alarmstufe Rot“ – Feuer frei?

Für so manchen Weidetierhalter oder Liftbetreiber im Schwarzwald ist der Titel dieses Blog-Beitrags sicherlich eine Provokation. Dessen bin ich mir bewusst. Aber wer beim Auftauchen eines Wolfs in unserer Landschaft nach einem Abschusskommando ruft und gleichzeitig wenig Bedenken gegen die Ausbeutung der Natur durch fragwürdige Liftanlagen oder den Pestizideinsatz bzw. Massenställe oder die Anbindehaltung von Rindern hat, der muss sich auch den Spiegel vorhalten lassen. Ich bin mir dabei der schwierigen Lage von Skischulen oder Ladenbesitzern bewusst, die vom Wintersport abhängen, und ich habe viel Verständnis besonders für familiengeführte bäuerliche Betriebe, die im Rahmen der EU-Agrarpolitik an den Rand gedrängt werden, doch es ist höchste Zeit, die Natur wieder mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Die Rückkehr des Wolfs nach Baden-Württemberg – oder auch in andere Regionen – hat von Anfang an gerade unter Weidetierhaltern wenig Begeisterung ausgelöst. Das ist verständlich. Wer jedoch dem Wolf die schwierige wirtschaftliche Situation zahlreicher Weidetierhalter anlastet, der hat übersehen, dass dieser landwirtschaftliche Bereich – auch in Deutschland – ein Stiefkind der Agrarpolitik war und ist. Als in anderen EU-Staaten längst Weidetierprämien bezahlt wurden, drückten sich die Bundesregierungen unter Angela Merkel, und die Landesregierungen überschlugen sich gleichfalls nicht bei der Einführung von Fördermitteln.

Ziegen im Biosphärengebiet Schwarzwald auf einer Weide am Waldrand. Sie halten den Aufwuchs niedrig und sichern so die Kulturlandschaft.
Wenn Wölfe Ziegen, Schafe oder auch Rinder reißen, dann sind sie zumeist ungeschützt. Die baden-württembergische grün-schwarze Landesregierung unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann fördert den Schutz der Weidetiere in Regionen, in denen ein residenter Wolf lebt. Aus meiner Sicht müsste der geförderte Schutz früher ansetzen, damit kein Wolf auf den Geschmack kommt. (Bild: Ulsamer)

“Wer die biologische Vielfalt im ländlichen Raum fördern, die Nutzung von Grünland sichern und die Kulturlandschaft auch in Zukunft pflegen will, muss den Abschuss auffälliger Wölfe schnell und unbürokratisch genehmigen und den Gesamtbestand des Wolfes regulieren“, so Bernhard Krüsken, der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands in ‚top agrar‘. Kurios ist es schon, dass einer der Wortführer der industrialisierten Landwirtschaft von „biologischer Vielfalt“ faselt, die nun mal gerade durch zahlreiche seiner Mitgliedsbetriebe vernichtet wird. Und wenn Krüsken von „regulieren“ spricht, geht es eher um das Ausrotten. Beim Wolf soll der finale Todesschuss helfen, gegen Insekten das komplette chemische Arsenal aus der Giftküche der einschlägigen Industrie. Die schützenswerte „Kulturlandschaft“ wird immer dann aus dem politischen Hut gezaubert, wenn der Deutsche Bauernverband und so manche Partei bis zur AfD gegen den Wolf ziehen wollen, denn der Wolf soll dort leben „wo keine Interessenskonflikte zu erwarten sind“, so Ralf Stadler, der agrarpolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag. Der bereits zitierte Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Peter Hauk, betonte gegenüber der Schwäbischen Zeitung: Für uns bedeutet der Nachweis einer Wolf-Fähe Alarmstufe Rot für Mensch, Weidetier und die Biodiversität im Schwarzwald.“ Ist „Alarmstufe Rot“ nicht der freundliche Hinweis, dieses Wolfspärchen müsse weg? Nun gut, oder schlecht, ein Vorgänger des Wolfsrüden wurde bereits erschossen und in den nahegelegenen Schluchsee geworfen: Erwischt wurde der Täter – wie zu erwarten in ‚The Länd‘ – nicht!

Grau-brauner Wolf schaut aus Brombeergebüsch.
„In ganz Deutschland lebten nach den aktuellen Angaben der DBBW (Stand 25.11.2022) im Monitoringjahr 2021/2022 insgesamt 161 bestätigte Rudel, 43 Paare und 21 territoriale Einzeltiere. Die Anzahl der Totfunde ist im Vergleich zum Vorjahr angestiegen. Waren es im Monitoringjahr 2020/2021 noch 138 tote Tiere, so sind nun 148 Totfunde gemeldet worden, davon 102 nach Verkehrsunfällen, aber auch durch illegale Tötungen“, so das Bundesumweltministerium. Diese Bestandszahlen machen deutlich, dass wir weit davon entfernt sind, an jeder Ecke auf einen Wolf zu treffen, obgleich Wolfsgegner uns dies gerne glauben machen. Den hier abgebildeten Wolf habe ich im Gehege des Bayerischen Nationalparks fotografiert. (Bild: Ulsamer)

Mit der Natur und nicht gegen sie

In Deutschland setzen sich viele Mitbürger für den Erhalt von Löwen oder Elefanten in Afrika ein, auch wenn diese mal den Ziegen nachstellen oder landwirtschaftliche Kulturen einheimischer Bauern zertrampeln. Doch kaum taucht in hiesigen Gefilden ein Wolf auf und reißt auch noch ungeschützte ‚Nutztiere‘, da bricht sich bei dem ein- oder anderen Zeitgenossen unglaubliche Wut Bahn: Sollen sich doch die Menschen auf anderen Kontinenten um den Artenschutz kümmern, selbst wenn diese in wirtschaftlich schwierigeren Umständen leben! Merkwürdig mutet es bei der lautstarken Wehklage deutscher Tierhalter an, dass es in Italien oder Rumänien noch Weidetiere gibt, obwohl dort deutlich mehr Wölfe und Bären seit Jahr und Tag unterwegs sind. Und selbst wenn – wie in Baden-Württemberg – in Gebieten, in denen ein Wolf sechs Monate anwesend ist, Maßnahmen gegen Wolfsattacken finanziell gefördert werden, erklären (Nebenerwerbs-) Landwirte, sie würden aufgeben, denn der Schutz sei ihnen zu aufwendig. Dafür habe ich wenig Verständnis, denn jeder Beruf bringt Probleme mit sich. Aber Aufgabe der Weidewirtschaft wäre in manchen Fällen tatsächlich die beste Lösung, denn dann würden Flächen frei, die letztendlich im Sinne des Naturschutzes und der ‚Kulturlandschaft‘ genutzt werden könnten. Investitionen für Zäune etc., die Erstattung von Arbeits- bzw. Unterhaltskosten für Herdenschutzhunde, ein erhöhter Aufwand für das Weidemanagement können gefördert werden. Und kommt es trotz der Abwehrmaßnahmen zu Rissen von Nutztieren, gibt es Entschädigungen. Solche Unterstützung sollte nicht kleingeredet werden! Ich fühle auch mit jedem Nutztierhalter, der seine Schafe, Ziegen oder Rinder nicht tot auf der Weide vorfinden möchte. Mir standen nicht selten die Tränen in den Augen, wenn ein Schaf gestorben ist, ein Lämmchen tot zur Welt kam – auf unserer Wiese. Und ganz ohne Wolf. Wer jedoch Tiere züchtet, um sie letztendlich zum Schlachter zu geben, der sollte auch bedenken, was sie dort erwartet.

Ein Luchs sitzt inmitten grüner Pflanzen.
Die „Alarmstufe Rot“ rief der baden-württembergische Minister für den ländlichen Raum, Peter Hauk, aus, als sich eine Wolfs-Fähe und ein Rüde trafen und damit die Chance oder die ‚Gefahr‘ bestand, dass sich eine Wolfsfamilie – ein Rudel – bilden könnte. Liegt es Minister Hauk wirklich am Herzen, wenn er andererseits den Luchs-Kudern jetzt Katzen ‚zuführen‘ möchte, um die Luchspopulation in Baden-Württemberg zu stärken, oder möchte er nur von seinen verbalen Attacken auf Wölfe ablenken? Der abgebildete Luchs lebt im Alternativen Wolf- und Bärenpark in der Schwarzwaldgemeinde Bad Rippoldsau-Schapbach. Dort finden Wildtiere eine Zuflucht, die oft jahrelang unter untragbaren Zuständen gehalten wurden. Unsere ganze Familie – von 9 bis 70 Jahren – war begeistert, dass misshandelte Wildtiere dort ihren Lebensabend verbringen können. (Bild: Ulsamer)

Folgen wir den Zahlen der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf, so wurden 2020 bzw. 2021 jeweils rd. 4000 Nutztiere von Wölfen gerissen. In Deutschland werden jährlich für die Lebensmittelproduktion sage und schreibe 760 Millionen Tiere getötet, so die ‚Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt‘. Hunderttausende von sogenannten Nutztieren sterben in Massenställen, bevor der Schlachttermin naht. Ich möchte solche Zahlen nicht aufrechnen, doch sie zeigen, dass mit Zweierlei Maß gemessen wird, wenn es um den Wolf geht. Dieser kann leider nicht beim Discounter einkaufen, wo das Fleisch aus der Massentierhaltung ganze Kühltheken füllt! Nicht nur, wenn Wölfe durchs Land ziehen, melden sich die Kritiker, sondern auch beim Biber oder Fischotter. Als Bruno der Bär sich nach Bayern vorwagte, da knallte ein Schuss, und ein solcher streckte ebenso ‚Nasz Zubr‘ in Brandenburg nieder, einen Wisent, der jahrelang friedlich und unbehelligt durch polnische Dörfer getrottet war. Wie weit haben sich manche Mitbürgerinnen und Mitbürger in deutschen Landen von der Natur entfernt? Viele Politiker und Bürokraten sind nicht bereit, der Natur wenigstens etwas Freiraum zu gewähren! Und damit bin ich auch wieder beim Titel meines Beitrags ‚Mehr Wölfe – weniger Lifte‘! Es ist symptomatisch, dass die Natur – oder das, was davon übriggeblieben ist – für den Wintersport intensiv genutzt wird, doch wehe es verirrt sich ein alter Bekannter zurück in die sogenannte ‚Kulturlandschaft‘. Es ist dann völlig gleichgültig, ob es sich um einen Wolf, einen Bären, einen Fischotter oder einen Biber handelt. ‚Entnahme‘ erklingt der vielstimmige Aufschrei, und schon knallen die Büchsen!

Haus der Ntur auf dem Feldberg. Davor wehen verschiedene Fahnen.
Zu jeder Jahreszeit ist das Haus der Natur auf dem Feldberg mit seiner interessanten Dauerausstellung und vielfältigen anderen Angeboten einen Besuch wert. (Bild: Ulsamer)

Wir brauchen aber mehr Freiraum für Wildtiere und weniger technische Bauten und Eingriffe in unsere Natur. „Alarmstufe Rot“ trifft ins Schwarze, allerdings nicht als Angriffsbefehl auf die wenigen Wölfe, sondern als Beschreibung des Zustands unserer Natur! Weidetierhalter müssen nachhaltig gefördert werden, und zwar bevor der erste Wolf auftaucht und durch den Riss ungeschützter Nutztiere auf den Geschmack kommt. Daher müssen Schutzmaßnahmen nicht erst ergriffen werden, wenn ein Wolf sechs Monate in einer Region verbleibt. Wer aber nicht mitwirken möchte an einer Landwirtschaft, die möglichst naturnah arbeitet, der sollte sich eine andere Aufgabe suchen. Zumeist sind die lautstärksten Wolfskritiker ohnehin in einem anderen Hauptjob tätig und haben infolgedessen – verständlicherweise – wenig Zeit für ihre Nutztiere. Statt an Liftanlagen und Schneekanonen festzuhalten, sollten alle Ressourcen genutzt werden, um alternative und naturnahe Angebote auszubauen. Der Streit um den Wolf ist im Grunde ein Kampf um die Natur: Und da stehe ich eindeutig auf Seiten der Natur!

 

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Eine kleine Gruppe von Wölfen, umgeben von grünen Bäumen und Büschen.Da treffen sich ein Wolfsrüde und eine Fähe in freier Wildbahn – und für einige Politikerinnen und Politiker oder bäuerliche Verbandsvertreter scheint nun das Ende der Weidewirtschaft angebrochen zu sein. Diese ist allerdings durch schlechte Erzeugerpreise, eine verfehlte deutsche Agrarpolitik und einseitige EU-Agrarsubventionen weitaus stärker gefährdet – seit Jahren! Tauchen Wölfe auf, fühlen sich manche Zeitgenossen wie Rotkäppchen. Und ganz vergessen haben sie wohl, dass dieses Märchen keine Realityshow ist, sondern Klein und Groß daran erinnern soll, den richtigen Weg nicht zu verlassen. Die abgebildeten Wölfe habe ich im Alternativen Wolf- und Bärenpark Schwarzwald aufgenommen. (Bild: Ulsamer)

 

 

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