Wandlungsfähiger Energieproduzent im Norden Europas
Die Schotten haben so manches in ihrer Geschichte erlebt: mal wurden die Kleinbauern von den englischen Landherrn vertrieben, um Platz für großflächige Schafzucht zu schaffen, dann setzte ihnen die Londoner Zentralregierung einen Schnellen Brüter an die Nordküste, ihr schwankender Wunsch nach Unabhängigkeit wurde in Zeiten des Ölbooms abgeschmettert, doch die Schotten griffen immer wieder wirtschaftlich interessante Zukunftschancen auf. Mögen die Öl- und Gasquellen vor der schottischen Ostküste auch versiegen oder fossile Energieträger nicht mehr in die Zeit des Klimawandels passen, der Naturraum bietet wieder neue Perspektiven: statt Öl und Gas kommt zunehmend Windstrom aus dem Norden der britischen Hauptinsel. Die Bevölkerung ist gewachsen, allein dies ist für zahlreiche Schotten eine Trendumkehr, denn weite Regionen – gerade in den Highlands – waren entvölkert worden: viele Menschen sahen ihre einzige Chance in der Auswanderung nach Amerika. Bei unserer jüngsten Reise nach Schottland sprangen die Neubauviertel auch in ländlichen Kommunen ebenso ins Auge wie die Hinwendung zu regenerativen Energien. In Häfen, in denen ab den späten 1970er Jahren die Versorgungsschiffe für die Ölplattformen überwogen, lagern zunehmend Bauteile für Windkraftanlagen und ankern Spezialschiffe für die Errichtung der Offshore-Windparks. Nun ist das halbe Jahrhundert unserer Besuche in Schottland fast voll und die Veränderungen in fünf Jahrzehnten sind interessant, wobei gerade der fließende Übergang von einer Form der Energiegewinnung zur nächsten beachtlich ist. Daneben ist Platz geblieben für Tourismus, Landwirtschaft, Fischfang, Lachszucht, Whisky und viel Natur.
Zukunftsfähiges Stromnetz
Auffällig war bei unserem jetzigen Besuch, mit welchem Tempo die Verbesserung der Stromtrassen angegangen wird, die die Energie aus den Windparks in der Nordsee nach England transportieren sollen. Deutsche Planer würden sofort die Hand abwehrend heben und betonen, weite Leitungssektoren könnten im Meer verlegt werden und da gäbe es weniger Einsprüche als bei deutschen Südlink-Aktivitäten. Das erinnert ein wenig daran, dass Vertreter der Bundesregierung bei der Fahrt durch den Gotthardt-Basistunnel meinten, so ein Bahntunnel lasse sich leichter unter den Alpen hindurch buddeln als die Zulaufstrecken in deutschen Landen fertigstellen. Faule Ausreden – zum Fremdschämen – gibt es leider in unserem Land mehr als genügend, wenn es schleppend mit dem Ausbau der Infrastruktur vorangeht, doch Ausflüchte tragen nur dazu bei, dass Deutschland wirtschaftlich und technologisch zurückfällt. Nun aber wieder zurück nach Schottland und zwar nach Boddam bei Peterhead. Dort werden gewissermaßen in Sichtweite eines 1 180-MW-Gaskraftwerks die Konverter für die Umsetzung der Windenergie in Gleichstrom errichtet, da sich dieser verlustärmer über den ‚Eastern Green Link‘ rd. 500 km nach Drax ins englische North Yorkshire transportieren lässt. Das Leitungssystem ist auf zwei Gigawatt ausgelegt und soll den Strom für zwei Millionen Haushalte übertragen. Das Vereinigte Königreich und Deutschland haben ein ähnliches Problem, denn der Strom lässt sich in großen Mengen dort produzieren, wo wenig Bedarf ist, und daher müssen entsprechende Verbindungen in die Ballungszentren aufgebaut werden. Der ‚Eastern Green Link‘ wird 69 km über Land und 436 km unterseeisch verlaufen, wobei das Kabel dort zahlreiche Pipelines und andere Verbindungen von und zu den Ölplattformen in der Nordsee queren muss.
Die Eindrücke aus unseren Besuchen in Schottland im Zeitraum 1974 bis Ende der 1980er Jahre haben sich in einem 500-seitigen Buch niedergeschlagen, das einen Reiseführer zu historischen Orten und Zentren der Ölindustrie ebenso umfasst wie Kapitel zur englischen und schottischen Politik. Unser 1991 erschienenes Buch ‚Schottland, das Nordseeöl und die britische Wirtschaft. Eine Reise zum Rande Europas‘ ist nur noch antiquarisch erhältlich. Im Mittelpunkt standen bei unseren damaligen Recherchen die Auswirkungen der Offshore-Ölförderung auf das Festland. Fischerboote wurden damals aus manchen Häfen verdrängt, denn es wurde Platz gebraucht für die Versorgungsschiffe, die Material zu den Plattformen brachten. In Aberdeen entstand aus einem kleinen Regionalflughafen eine Drehscheibe für Helikopter, die die Mitarbeiter zu den Bohrinseln flogen. Aberdeen beherbergt seit 1988 den größten kommerziellen Heliport der Welt. 1967 hob der erste Helikopter in Aberdeen ab, um sich auf den Weg zu einer Ölplattform zu machen. Heute verzeichnen die Heliports in Aberdeen jährlich 35 000 Starts und Landungen von Hubschraubern, nach Spitzenzeiten mit 40 000 Flügen. Helikoptern kommt auch bei der Wartung von Windkraftanlagen im Meer eine große Bedeutung zu, so lässt sich das bisher gewonnene Know-how weiterhin einsetzen. Die Ölindustrie zog in ihren Boomjahren zahlreiche Arbeitskräfte an – aus Schottland und England, aber auch weit darüber hinaus.
Wie gefährlich einträgliche Jobs in der Ölindustrie sein können, mussten wir erfahren, als in der Nacht vom 6. auf den 7. Juli 1988 Explosionen die Bohrinsel ‚Piper Alpha‘ – 170 km nordöstlich von Aberdeen – erschütterten und 167 Menschen das Leben kosteten. Als uns diese Nachricht die Landlady in unserem B&B am nächsten Morgen überbrachte, bekamen die Recherchen für unser Buch einen bitteren Beigeschmack. Die Öl- und Gasförderung wurde trotz aller Risiken – für Mensch und Umwelt – zu einem wichtigen Standbein der schottischen Wirtschaft, obwohl die Zentralen der Ölunternehmen nicht in Aberdeen oder einer anderen schottischen Stadt residierten. Mit dem Ölboom kamen Beschäftigte mit entsprechenden Qualifikationen nach Schottland, denn lokal hätte sich der Arbeitskräftebedarf nicht decken lassen. Ganze Siedlungen wurden hochgezogen – wie z.B. die Holzhäuser in Cruden Bay -, um die Zuwanderer unterbringen zu können. Bis heute haben Serviceleistungen mit Bezug zur Öl- und Gasförderung in Häfen wie Aberdeen oder Peterhead große Bedeutung, doch viele Aspekte deuten darauf hin, dass die Chancen der Windkraft aufgegriffen werden. So ließe sich zumindest teilweise der rückläufige Bedarf an Beschäftigten in der Öl- und Gasindustrie ausgleichen. In der britischen Offshore-Ölindustrie sind rd. 200 000 Mitarbeiter beschäftigt.
Never put all eggs in one basket
Bereist man die schottische Ostküste, dann zeigt es sich, dass es kaum gelungen ist, produzierende Industrieunternehmen oder Dienstleister anzusiedeln, die nicht mit den vorhandenen Schwerpunkten – wie früher Fischfang, jetzt Öl- und Gasförderung – verbunden sind. Eine echte Diversifikation wurde immer wieder versucht, doch weitgehend vergeblich. Daher ist es wirtschaftlich betrachtet wichtig, die vorhandenen Qualifikationen möglichst ohne Brüche für die Windenergie einzusetzen. Ausflüge in andere Geschäftsfelder schlugen meist fehlt, so z. B. die in Invergordon errichtete Aluminiumhütte der British Aluminium Company. Bereits in den 1940er Jahren wurde Invergordon als möglicher Kristallisationspunkt für größere industrielle Ansiedlungen betrachtet, doch erst 1971 nahm die von Königin Elizabeth II. eingeweihte Aluminiumhütte ihre Produktion auf. 400 Mio. Pfund entpuppten sich allerdings als schlechtes Investment, denn der preisgünstige Strom aus dem Kernkraftwerk Hunterston ‚B‘ in North Ayrshire an der schottischen Westküste ließ auf sich warten. Schon ein Jahrzehnt später wurde dieser Industrialisierungsversuch aufgegeben: 900 Mitarbeiter der Aluminiumhütte und 700 Beschäftigte bei Zulieferern und in Servicebetrieben hatten ihren Job verloren. „Die wie eine metallen glänzende Trutzburg gegen Arbeitslosigkeit und Unterentwicklung geplante und gebaute Aluminiumhütte von Invergordon stellt sich heute dem Besucher als industrielle Ruine dar“, schrieben meine Frau und ich in unserem oben angeführten Buch. Nur noch ein langer Steg erinnert in der Bucht an das Förderband für die Bauxit-Anlandung. Die britische Premierministerin Margaret Thatcher war in ihrer Amtszeit von 1979 bis 1990 wenig geneigt, strauchelnde Unternehmen – ob Aluminiumhütte oder Bergwerk – mit Steuergeldern über Wasser zu halten, dies zeigte sie auch beim Zinnbergbau in Cornwall. Weitere Infos finden Sie in meinem Artikel ‚Cornwall: Die Burgen des Zinnzeitalters. Vom Industriestandort zum Eldorado für Touristen‘. Im Grunde macht es volkswirtschaftlich keinen Sinn, Betriebe zu erhalten, die nicht aus eigener Wirtschaftsleistung leben können, dies wird leider in unseren Tagen immer wieder vergessen. Man kann nur hoffen, dass sich der Staatseinstieg bei der Meyer Werft in Papenburg durch die inzwischen zerbrochene Bundesregierung aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen nicht zu einem Fass ohne Boden entwickelt. Mehr zu diesem Thema finden Sie in meinem Beitrag ‚Olaf Scholz als Kreuzfahrt-Kapitän. Übernahme der Meyer Werft ist ein wirtschaftspolitischer Irrweg‘. Nur wenige staatliche Fördermaßnahmen für Fabriken, die regionalpolitisch auf den ersten Blick interessant erscheinen, sind auf Dauer wirtschaftlich tragfähig. In Invergordon, wo die Schiffe einst Bauxit anlandeten, machen in unseren Tagen während der Saison fast täglich Kreuzfahrtschiffe fest, deren Passagiere per Bus das Cawdor Castle oder das Loch Ness besuchen. Nessi ist eben immer jung und anziehend geblieben und schlägt daher so manches kurzlebige Projekt, das nur mit Steuergeldern aufblühen konnte und dann schnell verwelkt.
„Never put all eggs in one basket“, ist ein Sprichwort, das aus dem Mund zahlreicher Einwohner Aberdeens und der ganzen Region zu hören ist. Mag es in der Literatur Miguel Cervantes, dem Autor des Don Quixote, im frühen 17. Jahrhundert zugeschrieben werden, so ist dieser Grundsatz sicherlich in allen Epochen nicht falsch. Nicht alles auf eine Karte zu setzen, war in Schottland bedeutsam, denn diverse von Politikern aus dem Ärmel geschüttelte ‚Asse‘, so manche feurige Idee – wie die Aluminiumöfen – pustete der Wind bald aus. Der Wind bläst im hohen Norden Europas meist heftiger, und so ist er die Basis der regenerativen Stromerzeugung, doch als Wind der Veränderung trennt er auch die Spreu vom Weizen. Gut beraten war, wer trotz des Ölbooms, der Invergordon oder Nigg am Cromarty Firth zu wichtigen Zentren für den Bau und die Unterhaltungsarbeiten von Ölplattformen machte, andere wirtschaftliche Möglichkeiten nicht aus den Augen verlor. Kreuzfahrttourismus gehört hier ebenso dazu wie die Fischerei, und dies trotz der schwindenden Fischschwärme. Ein Trawler in Fraserburgh ähnelte auf den ersten Blick eher der Luxusjacht eines Oligarchen, als dem Arbeitsinstrument einer Crew von Fischern. Aber auch die Whiskydestillerien oder die Herstellung von Shortbread, um nur diese beiden traditionellen schottischen Exporterzeugnisse zu nennen, tragen seit Jahr und Tag zur Sicherung von Arbeitsplätzen bei – und dies ohne staatliche Förderung. Viele Bürger in den ländlichen Regionen der Highlands and Islands könnten ohne Touristen, die den Spuren der Geschichte folgen oder die Natur suchen, ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten. Nicht alle ‚Eier‘ in denselben ‚Korb‘ zu legen, ist auf alle Fälle richtig, was sich auch in Schottland unschwer erkennen lässt.
Wirtschaft und Gesellschaft internationaler
Nicht erst mit der Förderung von Öl und Gas in der Nordsee zeigte es sich, dass selbst eher abgelegene Regionen in Schottland über wirtschaftliche Beziehungen international vernetzt waren. In Dundee gehen – wie in Invergordon oder im Firth of Forth – Kreuzfahrtschiffe vor Anker, Komponenten von Windkraftanlagen werden bereitgestellt, um mit Spezialschiffen zu den im Aufbau befindlichen Windparks transportiert zu werden, wobei internationale Lieferanten und Dienstleister tätig sind. Schiffe, die in der britischen Nordsee Ölplattformen versorgen, schippern nach Libyen oder Australien, um dort ähnlichen Service anzubieten.
Weit über Schottland oder die britischen Inseln gingen die wirtschaftlichen Aktivitäten in Dundee bereits in früheren Jahrhunderten hinaus: Walfang und Schiffbau, die Fertigung von Leinengewebe und später von Juteprodukten schufen Wohlstand. Flachs kam aus Russland, den baltischen Staaten und den Niederlanden, ab 1830 wurde zunehmend Jute importiert, um daraus Säcke, Matten oder Seile herzustellen. Um 1900 arbeiteten in Dundee 93 % aller britischen Jutespinnereien, und 65 % aller Jutewebstühle liefen in Dundee. Als Indien als damaliger Teil des britischen Kolonialreichs die Juteverarbeitung selbst vorantreiben konnte, mauserte sich Kalkutta zur führenden Stadt der Produktion von Juteartikeln. Preislich konnten die Spinnereien in Dundee nicht mehr mithalten und verloren ihre weltweiten Märkte. Dundee hatte den Grundsatz, nicht alle Eier in einen Korb zu legen, zu wenig beachtet und erlebte einen wirtschaftlichen Niedergang. Wirtschaftliche Impulse konnten die Öl- und Gasfelder in der Nordsee vermitteln, wobei Versorgungsschiffe dominierten, aber der Bau von Komponenten für Plattformen nicht reüssierte. Bei der Windkraft wird es nicht nur in Dundee darauf ankommen, ob zunehmend Komponenten in der eigenen Region gefertigt werden oder der Hafen nur ein Umschlagplatz ist, über den Teile aus anderen Ländern transportiert werden.
Der wirtschaftliche Aufschwung durch die Förderung von Öl und Gas gab dem Wunsch nach Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich bei vielen Schotten neuen Auftrieb: ‚It’s Scotland’s Oil‘. Die britischen Regierungen in London verstanden es, das Streben nach einem eigenen schottischen Staat immer wieder zu bremsen, und als 2014 mit Zustimmung aus London ein Referendum durchgeführt werden konnte, stimmte eine Mehrheit von 55,3 % gegen die Loslösung Schottlands von Britannien. Durch den von Premierminister Boris Johnson durchgedrückten Brexit bekam der Wunsch nach Eigenständigkeit neuen Aufschwung, da die Schotten mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt hatten, und sie hofften, als schottischer Staat in die EU zurückkehren zu können. Inzwischen hat die Scottish National Party (SNP) durch Skandale und Personalwechsel an der Parteispitze viele Anhänger eingebüßt. Nicht unterschätzt werden darf, dass mit der Zuwanderung aus anderen Landesteilen der harte Kern an nach Unabhängigkeit strebenden Schotten ‚verwässert‘ wurde. Wer ganze Wohnquartiere an den Ortsrändern hochwachsen sieht, der erkennt leicht, dass sich Schottland auch von der Sozialstruktur her verändert hat. Der Wunsch nach einem eigenen schottischen Staat hat an Sprengkraft verloren.
Die Zukunft liegt beim Wind
Der Ausbau der Windkraft schiebt an verschiedenen Orten die Sanierung und Umwidmung von Flächen und Gebäuden an, die ursprünglich für den Bau von Förderplattformen oder entsprechenden Komponenten genutzt wurden. So entsteht bei Ardersier in der Nähe von Inverness auf 180 Hektar Fläche ein Hafen mit einem 650 Meter langen Kai. Der Projektentwickler Haventus – im Besitz der Quantum Capital Group – hat rd. 400 Mio. Pfund von Investoren und an Zuschüssen eingeworben, um einen Hafen speziell für den Umschlag von Bauteilen für Windkraftanlagen zu errichten. Der Vorteil dieses Vorhabens ist die Nutzung einer Industriebrache – brownfield -, denn in den 1970er Jahren war dort eine Plattformwerft des Unternehmens McDermott entstanden. In den Hochzeiten wurden 4 500 Menschen in der Plattformwerft beschäftigt, die 2001 geschlossen wurde. Die Auswirkungen auf die Natur fallen bei der Reaktivierung des Geländes relativ gering aus. Mit jedem zusätzlichen Hafen steigt natürlich der Konkurrenzdruck, und es wird sich erst langfristig zeigen, welche Häfen sich als Dienstleister für die Windenergie dauerhaft etablieren können. Zu bedenken ist beim Vergleich der Öl- und Gasförderung mit Windparks, dass für die Instandhaltung von Windkraftanlagen deutlich weniger Mitarbeiter benötigt werden als für den Betrieb von Öl- und Gasplattformen. Sollten keine weiteren wirtschaftlichen Betätigungsfelder hinzukommen, dann hätte dies Auswirkungen auf das Arbeitsplatzangebot und den benötigten Wohnraum in den betroffenen Regionen. Der Ausbau der Windkraft ist zumindest so lange gesetzt, wie keine neuen Formen der Gewinnung von regenerativer Energie breit zum Einsatz kommen. Auflaufende Wellen, eine kaum erkennbare Dünung oder die Gezeitenströme mit Ebbe und Flut bieten interessante Ansatzpunkte für die Stromerzeugung aus Meeresenergie. Einzelne Projekte – auch vor den schottischen Küsten – haben bewiesen, dass die Ozeane einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten können – nicht nur als Standort für Windräder. Mehr zu diesen bisher unterschätzten Formen der Energiegewinnung finden Sie in meinem Beitrag ‚Ebbe und Flut als Energieträger. Die Kraft des Meeres naturverträglich nutzen‘.
Neue Nutzungen für ausgebeutete Öl- und Gasfelder könnte die Einlagerung von klimaschädlichem CO2 sein, wobei aus meiner Sicht noch viele Fragen beim Carbon Capture and Storage (CCS) ungeklärt sind. Einerseits haben die Öl- und Gasunternehmen Erfahrung, denn sie leiten seit 50 Jahren bei der Aufbereitung von Erdgas anfallendes CO2 in die Bohrlöcher, um weiteres Gas und Öl herauszupressen, doch andererseits haben die zahlreichen Bohrungen den Meeresboden durchlöchert und das Verpressen großer Mengen von Klimagasen könnte zu zusätzlichen Rissen führen, aus denen dann die Gase wieder austreten könnten. Die Vereinigung ‚Offshore Energies UK (OEUK)‘ betont, das Vereinigte Königreich habe die besten Voraussetzungen dafür, der größte Markt für das Einlagern von CO2 in Europa zu werden, denn es ließen sich 78 Gigatonnen an Klimagasen verpressen, und dies entspräche nahezu dem britischen Ausstoß in 200 Jahren. Generell ist der sichere Rückbau von Fördereinrichtungen eine umfangreiche Aufgabe, so sind die Unternehmen dabei, im schottischen Sektor jährlich 200 aufgelassene Öl- und Gasquellen zu verschließen. Das Ölzeitalter mag sich seinem Ende zuneigen, doch die Einstellung der Fördermaßnahmen muss so erfolgen, dass sich daraus keine negativen Folgen für Natur und Umwelt ergeben.
Aber auch beim Aufbau und Betrieb von Offshore-Windparks muss stärker als in der Vergangenheit auf das Meer und dessen Bewohner oder überfliegende Vögel geachtet werden. An manchen Stellen kann man vor lauter Windrotoren und Schiffen kaum noch ein freies Fleckchen sehen, und da kommen mir durchaus Zweifel, ob der Zubau von Windkraftanlagen ungebremst so weitergehen kann. Selbstredend wird es ohne Windstrom derzeit keine Energiewende geben, doch Rücksicht auf die Natur darf nicht zur Nebensächlichkeit werden. Die Ozeane sind durch die Einleitung von Abwässern, unsachgemäße Entsorgung von Müll und Überfischung ohnehin bereits bedroht. Mehr dazu in ‚Seevögel in Not. Leergefischte und vermüllte Meere zerstören die Vogelwelt‘.
Vorteile des Naturraums genutzt
Schottland hat Vorteile aus dem Nordseeöl gezogen, so z. B. durch eine verbesserte Infrastruktur oder den Zuzug qualifizierter Arbeitnehmer und deren Familien, und ich kann nur hoffen, dass der Übergang zum Wind als neuer Energiequelle die positive Situation sichern kann. Die volatile Entwicklung bei der Öl- und Gasförderung überstanden die Schotten in den zurückliegenden 50 Jahren recht gut, denn sie haben die angestammten Wirtschaftsbereiche nicht vernachlässigt. In diesem Beitrag stehen die wirtschaftlichen Veränderungen an der schottischen Ostküste im Vordergrund, doch es handelt sich meist um punktuelle Eingriffe, denn außerhalb der Zentren gibt es noch immer viel Landschaft mit wenig Menschen. Das ist wohltuend. In den Highlands, aber auch in den Küstenregionen der Lowlands von Dundee über Montrose nach Aberdeen und weiter nach Peterhead und Fraserburgh hat die Natur ihren Platz behalten. Im Fowlsheugh Nature Reserve bei Stonehaven, um nur dieses zu erwähnen, brüten mehr als 115 000 Seevögel.
Mit der Windenergie ziehen die Schotten nach Öl und Gas einen weiteren Vorteil aus dem Naturraum Nordsee. Sie packen die Chancen der regenerativen Energie beim Schopfe und sind dabei, die Netze für die Weiterleitung des Stroms nach England und Kontinentaleuropa auszubauen.
Zum Beitragsbild
Halbtaucher-Plattformen warten im Cromarty Firth auf einen neuen Einsatz auf Öl- und Gasfeldern. Der Rohrleger ‚Deep Energy‘– das rote Schiff – passiert gerade die erste Plattform. Dieses Schiff kann flexible Pipelines bis in eine Meerestiefe von 3 000 Metern legen. Der Schiffseigner TechnipFMC hat sein Portfolio – aus dem Öl- und Gassektor kommend – um die Energiegewinnung aus Wind, Wellen oder Gezeiten sowie um die Erzeugung von grünem Wasserstoff und dem Verpressen von CO2 in den Untergrund erweitert. Das blaue Schiff neben den aufrechtstehenden Turmteilen für Windturbinen, die ‚Siemens Gamesa‘, bringt Komponenten zu einem im Aufbau befindlichen Windpark. Am Kai liegt ungenutzt die ‚EnQuest Producer‘, ein Schiff, das Öl speichern und für den Weitertransport aufbereiten kann. (Bild: Ulsamer)