Der Hambacher Forst wird von RWE geopfert
Als meine Frau und ich im Juli dieses Jahres das Rheinische Braunkohlerevier besuchten, wollten wir nicht glauben, dass sich seit 40 Jahren nichts geändert hat. Bewohner müssen ihre Dörfer verlassen, Tote werden umgebettet, Kirchen abgerissen – und dies alles für die Braunkohle. Und jetzt rücken auch noch tausende von Polizeibeamten an, um den Hambacher Forst von Umweltaktivisten zu ‚säubern‘ und den Weg für Vollernter und Motorsägen freizumachen. Besonders erschreckend ist für mich die Diskrepanz zwischen Klima-Heuchelei in der Bundesregierung oder der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen und dem realen politischen Handeln: Eifrig wird dem Pariser Klimaabkommen gehuldigt, doch die schmutzigste Energiegewinnung – die Verstromung von Braunkohle – wird nicht gestoppt oder zumindest kurzfristig eingedämmt. Während die Kohlekommission palavert, muss sich die Polizei im Hambacher Forst mit Exkrementen bewerfen lassen, und dies alles um die Profite von RWE zu sichern.
RWE: Keine Empathie für Mensch und Natur
Da sitzt der Chef von RWE, Rolf Martin Schmitz, bei Maybrit Illner im ZDF und meint ganz lakonisch: „Die Annahme, dass der Hambacher Forst gerettet werden kann, ist eine Illusion.“ Er setzt sich nicht nur für den weiteren Abbau der Braunkohle ein, sondern meint, man benötige den Abraum unter dem Hambacher Forst nach dem Abbau der Braunkohle auch für das Anlegen nicht zu steiler Abhänge, die in die ausgekohlten Tiefen führen. Das mag ja alles sein, und selbstredend wird jeder Firmenchef seine eigenen Unternehmensaktivitäten in den Mittelpunkt rücken, aber wenn so ganz die Empathie für Mensch und Natur fehlt, dann lässt dies sicherlich nicht nur mich traurig oder wütend zurück. Bei RWE scheinen die Uhren noch anders zu ticken.
Auch die Bundesregierung – und dies gilt für die Union in gleichem Maße wie für die SPD – hat in den letzten Regierungsperioden und bei der Regierungsbildung neue Ansätze verschlafen. So betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Besuch der CDU-Landtagsfraktion in Dresden: „Die Prämisse, unter der die entsprechende (Kohle-)Kommission arbeitet heißt: Erst Zukunftschancen, dann die Frage, wann wird ausgestiegen aus der Braunkohle.“ Dies ist im Sinne der betroffenen Mitarbeiter im Braunkohlebereich sicherlich richtig, aber ganz ehrlich: Hätte eine verantwortungsvoll handelnde Bundeskanzlerin nicht bereits in den zurückliegenden drei Amtszeiten hier den Startschuss geben müssen? Ich denke ja! Wie soll Deutschland seine Klimaziele erreichen, wenn ein Ausstieg aus der Braunkohle erst um 2035/40 angepeilt wird? Oder vielleicht noch später. Wie will die Bundesregierung den Autobesitzern vermitteln, dass hier etwas zu hohe Feinstaub- oder CO2-Werte zu Fahrbeschränkungen für relativ neue Fahrzeuge führen, andererseits aber bei der Braunkohle Jahrzehnte an Vorlauf bis zur Stilllegung benötigt werden.
Die Heimat – weggebaggert oder weggespült
Wie kann die Bundesregierung das Innenministerium um den Aufgabenbereich ‚Heimat‘ erweitern und zusehen, wie in unseren Tagen ganze Dorfgemeinschaften eben diese Heimat verlieren? Wie kann es die Bundeskanzlerin verantworten, dass für den Braunkohleabbau der Immerather Dom abgerissen wurde und auch die Kirche in Keyenberg auf der Abrissliste steht? Selbstverständlich ist die Energieversorgung für unser Industrieland von zentraler Bedeutung, doch frühzeitig hätte als Ergänzung zu den regenerativen Energien, die nun mal von Wind und Sonne abhängen, auf Großspeicher, moderne Gaskraftwerke und einen zügigen Ausbau der Stromnetze gesetzt werden müssen. Doch stattdessen graben sich weiterhin gigantische Schaufelradbagger mehrere hundert Meter in die Tiefe, und dann wird die Braunkohle in – zugegebenermaßen zumeist – modernen Kraftwerken zur Stromerzeugung verfeuert. Fortschritt und Umwelt- und Menschenschutz habe ich mir anders vorgestellt.
Aber nicht nur die Menschen im unmittelbaren Umfeld der Tagebaue verlieren ihre Heimat, sondern der Klimawandel fordert an vielen anderen Stellen in unserer Welt gleichfalls seinen Tribut: Die durch Klimagase hervorgerufene Erwärmung lässt das Eis auf unserer Erde schmelzen und die Meeresspiegel ansteigen. Das sich erwärmende Meerwasser führt zu heftigeren Stürmen und Starkregen, und Menschen verlieren an Küsten und am Ufer großer Flüsse ihre Lebensgrundlage. Es ist verantwortungslos, dass ausgerechnet eine wohlhabende und hochindustrialisierte Nation wie Deutschland zur Erderwärmung mit der Verstromung von Braunkohle beiträgt. Hier hätte ich mir eine Vorbildfunktion für unser Land gewünscht.
Der Ausstieg aus der Braunkohle ist überfällig
Verblüffend ist es für mich, dass der lokale Widerstand der Menschen, die seit langem im Rheinischen Braunkohlerevier leben, nicht größer ist. Doch in meinem Beitrag „Rheinisches Braunkohlerevier: Wenn die Heimat weggebaggert wird. Braunkohleabbau vernichtet Dörfer und schadet der Umwelt“ habe ich auch darauf hingewiesen, dass alle Klagen von Bewohnern der Gemeinden, die den Baggern zum Opfer fallen, bisher – auch höchstrichterlich – abgewiesen wurden. Und auch die Politik hat die Menschen alleine gelassen, selbst eine rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen konnte sich nur zu Modifikationen an den Abbaugebieten aufraffen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Umweltaktivisten im Hambacher Forst eher Zugereiste sind. Und wenn ich dort Antifa-Plakate sehe, dann erinnert mich dies eher an den Krawall während des G 20-Gipfels in Hamburg als an Umwelt- und Naturschutz. Die Polizei muss dann wieder – wie so oft in unserer Bananenrepublik – den Kopf für eine kurzsichtige Politik hinhalten.
Von einem Unternehmen wie RWE hätte ich erwartet, dass es beim Hambacher Forst zu einem Kompromiss in der Lage ist, doch Fehlanzeige. Hätte ich bei der politischen Vorbereitung und Realisierung eines Prüf- und Technologiezentrums in Immendingen an der Donau genau so agiert, dann wäre dieses gescheitert. Die RWE schüttet mit der Räumung und Rodung des Hambacher Forsts Öl – besser Braunkohle – ins Feuer und riskiert damit auch einen Imageverlust. Gleiches gilt für die beteiligten Politiker, so auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, der sich hinter der rechtlichen Zulässigkeit des Braunkohleabbaus unter dem Hambacher Forst verschanzte. Legal ist nicht immer legitim, und wer dies nicht sieht, der liefert den antikapitalistischen Kräften die Munition, um auf unser Gesellschaftsmodell zu schießen.
Die Bundesregierung muss das Heft des Handelns in die Hand nehmen und darf längst überfällige politische Entscheidungen nicht immer auf die lange (Kommissions-) Bank schieben. Es ist ein Trauerspiel, dass die in einer von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier geschmiedeten Zwangsehe vereinigte Union und die SPD vehementer und ausgiebiger über den Rauswurf oder die Beförderung des Verfassungspräsidenten Hans-Georg Maaßen streiten, als über den Ausstieg aus der Braunkohle zu debattieren. Manchmal frage ich mich schon, ob CDU, CSU und SPD wirklich nicht merken, wie stark sie sich von den Bürgerinnen und Bürgern entfremden? Wir alle dürfen – und dies gilt auch für die Braunkohle – eine offene und sachgerechte Debatte im XXL-Bundestag erwarten, aus der dann auch unmittelbar sachgerechte Entscheidungen resultieren. Der Ausstieg aus der Verstromung der Braunkohle ist überfällig, zumindest muss ihr Anteil in einem klaren Stufenmodell reduziert und dann auf Null zurückgefahren werden.
9 Antworten auf „Rheinisches Braunkohlerevier: Heimat ade, Braunkohleabbau tut weh“