Polizei: Internetwache als toter Briefkasten

Werden in Berlin Bürgerhinweise ernstgenommen?

Unser Ziel war einmal mehr die East Side Gallery in Berlin. Vom Bahnhof Warschauer Straße hatten wir uns – über Kippen-Teppiche hinweg spazierend – zur East Side Gallery aufgemacht. Kaum dort eingetroffen, ertönten von der anderen Seite der vierspurigen Mühlenstraße klirrende Geräusche, begleitet von dumpfem, wütendem Geschrei. Ein Zeitgenosse mit bloßem Oberkörper und einem kleinen Rucksack machte sich an einem Geldautomaten zu schaffen. Zuerst warf er einen Betonstein mehrfach nach dem freistehenden ATM-Gerät, traktierte es mit den Füßen, dann hob er den Stein auf und schlug direkt auf die Frontseite ein. Ein anderer Zeuge rief bereits die Polizei und beschrieb die Situation, während ich einige Fotos aufnahm. Wir warteten einige Zeit, doch kein Polizeifahrzeug erschien. Nun gut, an Zeugen schien kein Interesse zu bestehen, dennoch meldete ich mich nach unserer Rückkehr nach Esslingen über die sogenannte „Internetwache“ der Berliner Polizei, nahm Bezug auf die kriminelle Attacke und bot die Übermittlung von Fotos mit dem Täter an. Auch nach zwei Wochen keine Reaktion. Da frage ich mich schon, ob Recht und Ordnung in Berlin noch Bedeutung haben.

Ein großer ovaler roter Aufkleber auf dem Steinboden mit einer gezeichneten Maske. Text: "Bitte Mund-Nase-Bedeckung tragen. Danke. Please cover mouth and nose. Thank you."
Überall Hinweise auf die Maskenpflicht im ÖPNV, doch mindestens ein Viertel der Mitfahrer hielt sich nicht daran. Wie steht es mit dem Rechtsbewusstsein? Und mit der Gleichbehandlung? (Bild: Ulsamer)

Missachtung des Rechts

Diese Frage stellte sich mir gleichfalls bei Fahrten mit U- oder S-Bahn in Berlin. Beständig wurde per Bandansage mehrsprachig darüber informiert, dass im ÖPNV FFP2-Masken zu tragen seien. Gut 75 % der Mitfahrer hatten Mund- und Nase auch brav bedeckt, so auch wir. Doch das letzte Viertel fand – über die fehlende Maske hinaus – mein soziologisches Interesse, denn bemerkenswert war es, dass unter den Zeitgenossen ohne Masken sicherlich 95 % Männer waren. Zumindest wirkten sie äußerlich so. Ich hoffe mit diesem Satz werde ich den Anforderungen des Genderzeitalters gerecht. Ich bin mir bewusst, dass ich in ein Wespennest steche, wenn ich die soziologische Analyse weiter vorantreibe, denn der weit überwiegende Teil der Nichtmaskenträger hatte leicht erkennbar einen Migrationshintergrund. Und so manchem Macho machte es sichtlich Spaß, gerne als Trio oder größere Gruppe, die Ablehnung der Masken-Vorgabe – und nicht nur diese – der Welt kundzutun. Selbstredend trugen auch viele Mitbürger mit Migrationshintergrund eine Maske, vor allem Frauen. Bedeutsam wäre es jedoch, stärker auf die migrantischen Bevölkerungsteile zuzugehen, um sie für die Einhaltung rechtlicher Regeln zu gewinnen. In Berlin erlebten wir mal wieder hautnah, was manche Mitbürgerinnen und Mitbürger davon abhält, sich dem ÖPNV anzuvertrauen. Zu einer Fahrscheinkontrolle rückten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorsichtshalber gleich zu zehnt an. Dafür habe ich volles Verständnis.

Ein Mann mit nacktem Oberkörper und einem kleinen Rucksack schlägt mit einem Betonstein gegen einen Geldautomaten am Straßenrand.
Mein Hinweis an die Berliner Polizei über deren „Internetwache“ blieb ohne Resonanz. Angebotene Fotos, auf denen der Täter gut zu erkennen ist, wurden nicht angefordert. Ich habe das Gesicht bewusst unkenntlich gemacht, denn nicht selten zählt der Persönlichkeitsschutz des Täters mehr als das Recht auf Berichterstattung. Ganz nebenbei: Hunderte von herumstehenden E-Scootern verschandeln das Stadtbild  nicht nur in Berlin. (Bild: Ulsamer)

Nun aber schnell zum ATM-Automaten zurück. Der Betonstein-Aktivist hatte sich schon mal oben freigemacht, damit keine falschen Zuordnungen vorgenommen werden: er war weiß! Damit bin ich auch aus dem Schneider, denn ansonsten hätte vielleicht mancher Leser meinen Beitrag – bewusst – falsch verstehen können. Es geht nicht um eine vorschnelle Zuordnung von Fehlverhalten zu bestimmten gesellschaftlichen Gruppen oder Schichten, sondern um die generelle Frage, warum rechtliche Vorgaben teilweise auf wenig Gegenliebe treffen und das Eigentum anderer wenig Achtung genießt. Gesetze und Verordnungen gelten nach meiner Ansicht für alle! Wenn sich auf den ersten Blick feststellen lässt, dass diese Meinung nicht von allen geteilt wird, dann muss ohne Scheuklappen den Gründen nachgespürt werden, was besonders für unsere Hauptstadt zutrifft, wo kriminelle Clans viel zu lange ihr Unwesen treiben konnten, ohne dass das Recht durchgesetzt wurde.

Unzählige Zigarettenstummel liegen in einem Metallgitter mit kleinen Quadraten.
Das Wegschnippen von Zigarettenstummeln ist für manche Zeitgenossen eine Art Volkssport. Bußgelder greifen nicht! Eine Studie von Amy L. Roder Green u.a. in Berlin ergab 2,7 Zigarettenstummel pro Quadratmeter, wobei die Zahlen an den untersuchten Orten auch auf bis zu 48,8 hochschnellten. Dies klingt viel, doch hätten die Autoren der Untersuchung ‚Littered cigarette butts as a source of nicotine in urban waters‘ den im Bild gezeigten Quadratmeter im Bereich des S- und U-Bahnhofs Warschauer Straße in Berlin analysiert, dann wäre die Zahl der umweltgefährlichen Zigarettenreste noch weiter in die Höhe geklettert. (Bild: Ulsamer)

Rechtsbewusstsein stärken

Ein einziges Rätsel ist es für mich, warum bei der Attacke auf den ATM-Automaten trotz der Alarmierung keine Polizisten auftauchten, und wenn man Fotos zum Geschehen anbietet, auf denen der Täter gut zu erkennen ist, wird die „Internetwache“ der Berliner Polizei zum toten Briefkasten. Vielleicht kommt Sachbeschädigungen aus der Sicht einer in Berlin sicherlich gestressten Polizei keine Bedeutung mehr zu. Schlimm genug! Als vor vielen Jahren in Esslingen ein Fahrzeug in unseren Gartenzaun rauschte und verschwand, da zweifelte der zuständige Polizeibeamte die Sinnhaftigkeit einer Anzeige an, denn man werde den Fahrer ohnehin nicht finden. So kann man in der Kriminalstatistik für niedrige Zahlen sorgen. Ob dies allerdings im Sinne unserer Gesellschaft ist, wage ich zu bezweifeln. Oder sind wir in Deutschland auf dem Weg zu italienischen Verhältnissen? Wir hatten unser Auto in Süditalien vor einer kleinen Kapelle abgestellt, um ganz in der Nähe an den Strand zu gehen. Ruckzuck zertrümmerte ein mobiles Autoknacker-Kommando zwei Scheiben, raffte zusammen, was sich in der Schnelle greifen ließ und verschwand. Wir glaubten, unser Fahrzeug sei noch fahrbereit, doch die Diebe hatten zusätzlich zwei Reifen angestochen, so holperten wir nur bis zum nächsten Ort. Freundliche Anwohner riefen die Polizei und erklärten mir dann auf Englisch, dass die Polizisten am Telefon geantwortet hatten, wir sollten doch mal eben auf der Wache vorbeikommen. Der Hinwies der hilfsbereiten Bürger, unser Auto sei nicht fahrbereit, hatte keinen Erfolg. Resigniert warteten wir auf den Abschlepper, der uns zur Werkstatt brachte. Mit einem Ersatzfahrzeug kamen wir am Abend in unser Hotel, und wer saß dort? Ein ganzer Tisch mit Polizeibeamten in echt dekorativen Uniformen. So hat jeder seine Prioritäten!

Wandgemälde an der East-Side-Gallery in Berlin. Links im Hintergrund abgestorbene Pflanzen, links blühende Pflanzen und darüber ein Text: "Viele kleine Leute die in vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern."
Da kann ich nur zustimmen: Jeder kann etwas tun, um die Welt zum Besseren zu verändern. Dies gilt für den Umwelt- und Naturschutz, aber auch für das Stadtbild. Zigarettenstummel und anderer Müll gehören nicht auf Straßen und Plätze, in Parks oder Flüsse, sondern in Sammelbehälter. Das Mural habe ich an der East Side Gallery in Berlin aufgenommen. Eine Gesellschaft kommt nur voran, wenn sich die Menschen an die verabredeten Regeln halten. (Bild: Ulsamer)

Als der Betonstein-Werfer genug gewütet hatte, wandte er sich der Palette mit gleichen Steinen zu und legte seine Angriffswaffe ganz adrett wieder zurück. Gewiss eine gute Voraussetzung dafür – wenn er denn doch noch erwischt worden sein sollte – auf verminderte Schuldfähigkeit zu plädieren. Es ist ja geradezu in Mode gekommen, ohne Rücksicht auf andere seinen negativen Gefühlen lautstark oder handgreiflich Luft zu machen, Menschen ganz bewusst zu schädigen oder anzugreifen oder gar zu überfahren – wie während unseres Aufenthalts am Kurfürstendamm. Mit Messern oder Macheten, aber auch mit Schusswaffen, trachtet so mancher nach dem Leben seiner Mitmenschen: Sehr schnell wird dann ein psychischer Ausnahmezustand diagnostiziert. Täter und Gesellschaft scheinen auf diese Weise aus dem Schneider zu sein, denn dafür kann nun vorgeblich niemand etwas. In nicht wenigen Fällen hätte ein früheres Eingreifen viel Leid verhindern können.

Ausriss aus einem Formular: Angaben zum Hinweis. Es wird erwähnt. dass der Hinweis an die zuständige Dienststelle der Polizei weitergeleitet wurde.
Wenn die Polizei Hinweise der Bürger nicht aufgreift, dann kann sie sich die „Internetwache“ auch gleich sparen. „Sollten Sie dies wünschen, dann kann ich Fotos übermitteln, auf denen der Täter gut zu erkennen ist“, so endete mein Text, der Orts- und Zeitangaben zur Attacke auf den Geldautomaten enthielt. Keine Antwort ist auch eine Antwort! (Ausriss aus dem automatisch erstellten Ausdruck der Internetwache der Berliner Polizei)

Das Rechtsbewusstsein scheint bei manchen Mitbürgern zu schwinden oder sie haben gänzlich andere Bewertungen von Recht und Ordnung, die auch kulturell bedingt sein können. Wenn aber sachorientierte Hinweise aus der Bevölkerung von der Polizei – wie im vorliegenden Fall in Berlin – nicht beachtet werden, wachsen die Zweifel am gesamten Rechtssystem. Ohne möglichst weitgehende Übereinstimmungen bei der Unterscheidung von Recht und Unrecht, kann eine Gesellschaft dauerhaft nicht überleben. Wir müssen das Rechtsbewusstsein wieder stärken, und dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert