Die Deutsche Bahn (DB) und ihre Gewerkschaften
Wenn Warnstreiks den Schienenverkehr in ganz Deutschland lahmlegen oder dies beabsichtigen, dann frage ich mich schon, ob sich bei der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) alle Vorstände ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft bewusst sind. Ich habe mein Arbeitsleben überwiegend in der Metall- und Elektroindustrie zugebracht. Dort ist ein relativ hoher Organisationsgrad zu verzeichnen und die IG Metall zeigte sich immer kampfstark. Auf der Internetseite der IG Metall heißt es: „Warnstreiks sind befristete Arbeitsniederlegungen von einigen Stunden.“ Das sollte auch die EVG-Spitze mal lesen! Warnstreiks sind ein wichtiges Mittel der Gewerkschaften, um die Arbeitgeber zu einem besseren Angebot zu bewegen, doch darf per Warnstreik der Bahnverkehr in ganz Deutschland lahmgelegt werden? Im Regelfall laufen im gleichen Zeitraum die Tarifverhandlungen auf Hochtouren. Ganz anders bei der EVG, die sich gerne Zeit lässt bis zur nächsten Verhandlungsrunde mit den Bahnvertretern. Und ein richtiger ‚Warnstreik‘ geht bei der EVG nicht Stunden, sondern Tage. Es ist ein Armutszeugnis, dass die EGV den geplanten 50stündigen ‚Warnstreik‘ erst nach Gesprächen mit einer Arbeitsrichterin – zumindest für die Deutsche Bahn – abgesagt hat. Tarifautonomie ist ein hohes Gut – wie das Streikrecht -, und daher sollten die Vertreter der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber in der Lage sein, sich ohne zu großen Flurschaden zu einigen. Die EVG-Führung erinnert mich an Gewerkschaftler, die im Vereinigten Königreich in den 1970er und 1980er Jahren versuchten, Politik und Gesellschaft in Geiselhaft zu nehmen – bis sie die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher in die Schranken verwies.
Im Chaos vereint: EVG und DB
Mit der Deutschen Bahn und der EVG scheinen zwei Kontrahenten bei Tarifverhandlungen aufeinander zu treffen, die sich zwar eifrig beharken, aber dennoch recht gut zusammenpassen: Fehlleistungen auf Kosten der Bahnfahrer statt Erfolgsgeschichten! Wer in Deutschland mit der Bahn unterwegs ist, der kann was erleben – mit und ohne Streiks. Das möchte ich an dieser Stelle nicht vertiefen und verweise gerne auf meinen Blog-Beitrag ‚DB: Inkompetenz auf Schienen. Ein Tag mit der Chaos-Bahn‘. Erwähnen möchte ich jedoch noch zwei Fahrten meiner Enkeltöchter ins gleiche Schullandheim auf Amrum. Bei der ersten Klassenfahrt wurde nicht gestreikt, doch der Zubringerzug zum ICE in Stuttgart kam zu spät an und die Reiseplanung wurde über den Haufen gefahren: Viel zu spät wurde deshalb natürlich die Fähre in Dagebüll erreicht, die die Schülerinnen und Schüler zwar noch auf die Insel schipperte, doch in der Juhe gab es wegen der späten Stunde nicht einmal mehr ein Abendessen. Dieses Jahr – noch ohne Streikankündigung – fuhr die nächste Enkeltochter los, nein, die Klasse wollte starten – aber der Zug nach Stuttgart fiel ganz aus! Sehr vorausschauend hatten die Lehrer bereits ein üppiges Zeitpolster vorgesehen, und der ICE gen Norden wurde in Stuttgart gerade noch erreicht. Dann kam die Streikankündigung der EVG für den Tag der Rückfahrt sowie den nachfolgenden Tag, und die Schule zog die Rückkehr um zwei Tage vor. Nachts um 1 Uhr 30 erreichte die Klasse endlich nach allerlei holprigen Verbindungen wieder Stuttgart, und dort holten die Eltern ihre Kinder ab, denn um diese Zeit fuhr kein Zug mehr in die nahegelegene Universitätsstadt. Ob man mit einer solchen Gesamtleistung vom Unternehmen Bahn und der Gewerkschaft EVG die Bahnfahrerinnen und Bahnfahrer der Zukunft gewinnen kann, das wage ich zu bezweifeln!
Bahnfahren ist sicherlich ökologisch richtig, darum habe ich die DB auch oft geschäftlich genutzt, doch es ist bitter, dass seit Jahr und Tag keine Besserung bei der Pünktlichkeit erzielt wird. Einzelfälle soll man sicherlich nicht verallgemeinern, die DB gehört in Europa allerdings zu den unpünktlichsten Bahnen, was alle Statistiken belegen – leider! An zahlreichen Mängeln im deutschen Schienennetz tragen weder die DB-Vorstände noch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder die Gewerkschaften eine Schuld, denn es flossen zu wenige Investitionen in die Bahn. Nicht leugnen lässt sich auch, dass viele Politiker und Interessenvertreter das hohe Lied der Schiene singen, doch wenn neue Gleise gelegt werden sollen, dann machen sich die Fürsprecher rar: Der Unmut mancher Zeitgenossen, die ‚Not in my Backyard‘ brüllen, scheint oft mehr zu zählen als der dringend notwendige Ausbau des Schienennetzes. Ein Musterbeispiel ist die sogenannte ‚Rheinschiene‘. Von Rotterdam nach Genua sollen die Bahnverbindungen ertüchtigt werden, und die Beteiligten werkeln eifrig, nur in Deutschland regiert das Schneckentempo. Dies ist aber gerade das eigentliche ‚Deutschland-Tempo‘, das Bundeskanzler Olaf Scholz damit schönreden möchte, dass einige Terminals für Flüssiggas zügig gebaut werden, wobei ein Teil vermutlich nie gebraucht wird.
Politisierung von Tarifverhandlungen führt ins Abseits
Nicht nur die Streikfreude der EVG erinnert an das Großbritannien der 1970er Jahre, sondern auch die Aufsplitterung der Gewerkschaftsszene bei der DB. Mal streiken die Lokführer, die sich als Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) im Deutschen Beamtenbund organisiert haben, dann legt sich die EVG ins Zeug und bringt in unserem ganzen Land den Schienenverkehr zum Stillstand. Und natürlich geistert auch noch ver.di durch Bahnhöfe und über Gleisanlagen. Wenn sich solche Konstellationen durchsetzen sollten, wird es wie in englischen Zeitungsdruckereien früherer Jahre zugehen: mal streikten die Setzer, dann die Elektriker oder andere Berufsgruppen – und Zeitungen konnten nicht erscheinen. Da ist man bei aller Härte der Tarifauseinandersetzungen in der Metall- und Elektroindustrie besser dran. Gleichzeitig ist es völlig abwegig, wenn die EVG und Ver.di sich bei Streiks mit Fridays for Future verbünden und dies alles noch mit der Ökologie begründen. „Wir sind dabei, denn ihr Streik für mehr Gehalt ist auch ein Streik für Klimagerechtigkeit“, betont der deutsche Ableger von Fridays for Future auf seiner Internetseite. Ob alle Veranstaltungsteilnehmer am 27. März bei einem ganztägigen und bundesweiten ‚Warnstreik‘ der EVG zu Fuß oder mit dem Fahrrad anreisten? Oder – bei Fridays for Future – vielleicht doch im SUV von Mama und Papa kutschiert wurden? Ganz übersehen haben diese beiden Gewerkschaften, dass politische Streiks in Deutschland verboten sind. So mancher Aktivist scheint eh nach dem alten Spontimotto ‚Legal, illegal, scheißegal‘ zu leben. Die Aufladung von Tarifauseinandersetzungen mit anderen politischen Themen erleichtert es nicht, einen für beide Seiten tragbaren Kompromiss zu erreichen – und darum sollte es ja gehen!
Selbstverständlich muss gute Arbeit auch gut bezahlt werden, und dies gilt für den Zugbegleiter oder Mechaniker in der Instandhaltung ebenso wie für Führungskräfte, doch daraus muss sich gleichfalls eine Gesamtleistung für Kundschaft und Gesellschaft ergeben. Hier zweifle ich nach meinen eigenen Erfahrungen allerdings auf allen Ebenen. Mehr Hinwendung zum Kunden und zur Gesellschaft, die letztendlich gemeinsam die Löhne und Investitionen bezahlen, könnte nicht schaden! Wer wie die EVG Warnstreiks zum Kampfinstrument umdeutet, die ohne Rücksicht auf Verluste eingesetzt werden, der gefährdet nicht nur die eigene Gewerkschaft, sondern auch das Unternehmen Deutsche Bahn und weitere Bahnbetreiber. Bei EVG und GDL zeigt sich eine alte Wahrheit: Je kleiner die Gewerkschaft, desto rabiater die Vorgehensweise. Die EVG bringt es auf 185 000 Mitglieder, die GDL gerade mal auf 37 000. Im Vergleich dazu zählt die IG Metall – trotz Verlusten in den vergangenen Jahren – ca. 2,15 Mio. Mitglieder, ver.di fühlen sich 1,86 Mio. Menschen zugehörig. Darf sich eine Gesellschaft auf Dauer von zwei gewerkschaftlichen Zwergen auf der Nase herumtanzen lassen? Wer sich – wie ich – für das Streikrecht einsetzt, der muss auch die Frage stellen, wie wieder mehr gesellschaftliche Verantwortung bei EVG und GDL einziehen können?
Ich möchte diesen Beitrag nicht ohne den Aufruf beenden, jetzt endlich konsequent die Bahninfrastruktur auszubauen. 2022 überreichte die Beschleunigungskommission Schiene ihren Bericht Bundesverkehrsminister Volker Wissing, doch es droht die Gefahr, dass die Dynamik in Politik und Bahn nicht für die Umsetzung der Vorschläge ausreicht. Seit Jahren fehlt es an Finanzmitteln für die Sanierung des Bestands und den Neubau von Strecken. Und die Digitalisierung hinkt – wie in weiten Bereichen Deutschlands – hinterher. Bauprojekte – wie Stuttgart 21 mit dem Tiefbahnhof in Stuttgart und der Neubaustrecke nach Ulm – die ich sehr begrüße – ziehen sich wie Kaugummi und werden nicht zuletzt aus diesem Grund immer teurer. Die Situation der DB zeigt auch deutlich, dass es nicht nur an Geld, sondern gleichermaßen an einer Neuorientierung des Denkens fehlt. Ich vermisse bei der Bahn – einschließlich der Gewerkschaften – auch einen zukunftsorientierten Spirit, eine Geisteshaltung, die danach drängt, das Unternehmen wirklich voranzubringen. Mit Vergleichen ist das immer so eine Sache, aber die Deutsche Bahn ähnelt in den Abläufen dem Beschaffungsamt der Bundeswehr: Verkrustete Strukturen müssen aufgebrochen werden, ansonsten verschwinden zusätzliche Milliarden Euro nur in einem schwarzen Loch. Als Bürger und Bahnfahrer kann ich lediglich hoffen, dass Politik und Bahn gemeinsam mit der Gesellschaft das Ruder herumwerfen können, denn ohne eine leistungsfähigere Bahn ist die propagierte Verkehrswende nur eine Worthülse.
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Der Prellbock scheint mir ein treffendes Symbolbild für die Deutschen Bahn und die Gewerkschaften EVG bzw. GDL zu sein. Eigentlich schade! Die Verkehrswende bietet viele Chancen für Bahnbetreiber und deren Mitarbeiter, doch die Fahrt in die Zukunft wird eher behindert. (Bild: Ulsamer)
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