Rammstein, Kollegah & Farid Bang und Elon Musk auf Abwegen
Immer häufiger habe ich den Eindruck, dass bei manchen unserer Zeitgenossen nicht nur das Geschichtsbewusstsein, sondern auch die Moral verkommen sind, denn sie nutzen die Terrorherrschaft der Nationalsozialisten als Basis für eigene PR-Aktivitäten. Jüngstes Beispiel ist die deutsche Band Rammstein, deren Mitglieder sich in einem Video in nachgeahmter KZ-Kleidung einschließlich eines gelben ‚Judensterns‘ am Galgen zeigen. Dies ist aus meiner Sicht nicht nur total geschmacklos, sondern es überschreitet moralische und politische Grenzen gleichermaßen. Wer wie Rammstein für die Vorstellung einer Single ausgerechnet mit dem Titel ‚Deutschland‘ in verantwortungsloser Weise die deutsche Geschichte für PR-Zwecke ausbeutet, der beleidigt die Menschen, die ein NS-Konzentrationslager überlebt haben, und die Nachfahren der dort Ermordeten in gleicher Weise. Aber nicht nur bei Rammstein, sondern auch bei den Rappern Kollegah & Farid Bang vermisse ich nicht nur geschichtliche Kenntnisse, sondern noch mehr jegliche Empathie mit den verfolgten Mitmenschen. Und bei Elon Musk, dem Chef von Tesla, der auf Elektromobilität setzt, ist der historische Funke überhaupt nicht übergesprungen: Historisch betrachtet herrscht bei ihm tiefste Dunkelheit, wenn er Adolf Hitler – verniedlichend – zum Fondsmanager umdeutet, der gegen Tesla wettet und dabei einen Verlust einfährt.
Rammstein: Moral dem Musikabsatz untergeordnet
Rammstein hat es verstanden, mit einem zuerst lancierten kurzen Videospot eine gewaltige Medienresonanz auszulösen, die sicherlich zur Verbreitung der Single ‚Deutschland‘ und des nachfolgenden Albums beitragen wird. Ich halte nicht nur den Trailer, sondern das ganze neunminütige Musikvideo für einen absoluten Fehltritt, der eigentlich auch nach einer juristischen Prüfung ruft. Der rote Faden durch zwei Jahrtausende deutscher Geschichte aus der verqueren Sicht der Rammstein-Macher ist pure Gewalt mit einem Schuss Okkultismus. Zwar kann man nicht leugnen, dass wir uns in unserer Geschichte nicht nur mit Ruhm bekleckert haben und mit der organisierten Vernichtung der jüdischen Mitbürger, der Ausbeutung und Misshandlung von Zwangsarbeitern und dem Zweiten Weltkrieg nicht nur die Menschenrechte mit Füßen getreten haben, sondern auch die Spitze der Unmoral erreicht hatten. Doch wir haben aus der NS-Diktatur die richtigen Schlüsse zu ziehen! Dies kann nur heißen, die moralische und historische Verantwortung zu übernehmen und dafür Sorge zu tragen, dass sich solche Verbrechen weder in Deutschland noch anderswo in unserer Welt wiederholen können.
Nicht ganz folgen kann ich Arno Frank, der im ‚Spiegel‘ meint: „Es ist, wenn man so will, ‚eine künstlerische Arbeit‘, die unter anderem den Holocaust als Teil der Geschichte aufruft. Klar, dass das 2019 in Deutschland ablehnende oder zwiespältige Gefühle hervorruft. Klar, dass der kalkulierte Tabubruch den Verkäufen der Platte dienen wird.“ Wird aber jeder Tabubruch legitimiert, wenn eine Band wie Rammstein mehr Tonträger verkaufen und mehr Menschen zum Hochladen ihrer Musik bewegen möchte? Ich glaube nein. Daran ändert es auch nichts, wenn Germania von einer schwarzen Schauspielerin dargestellt wird und in einer kurzen Sequenz KZ-Häftlinge die NS-Schergen erschießen. Ich rate allen, die vorschnell Verständnis für Rammstein äußern, sich das ganze Video bei YouTube anzuschauen: auch die ‚restliche‘ deutsche Geschichte lässt Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit der Rammstein-Mitglieder und mancher Fans aufkommen.
Kollegah & Farid Bang: Respekt vor den NS-Opfern verloren
Während meiner Arbeit für die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft ‚Erinnerung, Verantwortung und Zukunft‘ durfte ich zahlreiche frühere ZwangsarbeiterInnen kennenlernen und ich war ihnen sehr dankbar, dass sie mich offen aufnahmen. Dieses Zeichen der Versöhnung von jüdischen oder osteuropäischen Überlebenden, von Menschen aus vielen Regionen hat mich tief berührt. Gerade vor diesem Hintergrund ist es für mich beschämend, wenn eine deutsche Band wirtschaftliche und mediale Vorteile aus dem furchtbaren Leiden gerade auch unserer jüdischen und osteuropäischen Mitmenschen zieht.
Rammstein tritt gewissermaßen in die Fußstapfen von Kollegah & Farid Bang, die rappten: „Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen“. Dennoch erhielten letztere den Musikpreis Echo. Rap hat sicherlich nichts mit Feinsinnigkeit zutun, doch was hat eine solche Textzeile in einem in Deutschland vorgetragenen Song zu suchen? Zwar verstehe ich sicher den ‘tieferen Sinn’ dieses Satzes nicht, doch schon alleine die Art der Thematisierung des Massenmordes in Auschwitz in einem Rap halte ich für einen Skandal. Wen wundert es dann, wenn in Berlin israelische Flaggen verbrannt und Kinder in der Schule wegen ihres jüdischen Glaubens attackiert werden, wenn allen Ernstes auch noch ein sogenannter „Ethik-Beirat“ vor der Preisverleihung nicht einschreitet, sondern die Verleihung des „Echos“ an Typen ermöglicht, die antisemitisches Gedankengut absondern? Der Skandal wurde auch nicht kleiner, als die Echo-Verantwortlichen das Ende dieser Preisverleihungen verkündeten. Wer von den beiden Rappern hat sich denn eine solche Textzeile ausgedacht, Kollegah mit deutsch-kanadischen Wurzeln oder Farid Bang, ein deutscher Rapper marokkanischer Herkunft?
Oder muss ich in unserer ach so verständnisvollen Gesellschaft einen Satz der Rapper Kollegah & Farid Bang tolerieren, der da lautet: „Mache wieder mal ‘nen Holocaust / Komm‘ an mit der Molotow im Hennessy für meine Enemies“. Wer solche Texte schreibt und rappt, der sollte sich besser irgendwo vor Scham verkriechen, doch solche Typen gieren nach Öffentlichkeit! Kollegah besuchte nach einem Aufschrei vieler BürgerInnen das Konzentrationslager Auschwitz und gab sich kurzfristig nachdenklich, doch dann kehrte er zu seiner alten Linie zurück.
Elon Musk: Hitler als Fonds-Manager
Wer kann denn in Deutschland auf die Idee kommen, „Mach wieder mal ‘nen Holocaust“ zu singen? Wer solche Aufforderungen in die Welt rappt, der hat aus unserer deutschen Geschichte nichts gelernt! Und dies vereinigt nicht nur Kollegah & Farid Bang mit Rammstein, sondern auch noch mit einem irregeleiteten Unternehmenschef.
Wenig Verständnis kann ich dafür aufbringen, wenn Elon Musk per Twitter seinen ‚Adolf Hitler‘ als Fonds-Manager verbreitet, der, dem Wahnsinn nahe, sich darüber empört, dass Tesla 5000 Fahrzeuge die Woche produziert und so seine Pläne durchkreuzt. Musks Hitler hatte auf das falsche Pferd gesetzt und an der Börse gegen Tesla gewettet: „If Tesla doesn’t go bankrupt soon I’ll lose everything“, so die Untertitel zu Auszügen aus dem Film ‚Der Untergang‘. Bezeichnend ist es auch, dass Elon Musk nicht Stalin oder Mao Tse-tung für seine fragwürdige Parodie auswählte, sondern Adolf Hitler. Sein Angriffsziel ist die deutsche Automobilindustrie: Er sollte seine Attacke allerdings besser mit hohen Verkaufs- und Produktionszahlen vortragen als mit abstrusen Hitler-Persiflagen, die dem Unheil nicht gerecht werden, das Adolf Hitler über die Welt brachte.
Boris Johnson: Hitler und EU auf einer Ebene
Nicht nur über Elon Musks Anleihen im Nationalsozialismus oder Rammstein und Kollegah & Farid Bang kann ich den Kopf schütteln, sondern auch über Aussagen anderer Zeitgenossen, denen politisches und historisches Bewusstsein zu fehlen scheint. In den Brexit-Debatten gehen im Vereinigten Königreich manchen Abgeordneten der Conservative and Unionist Party die Pferde durch: Boris Johnson beispielsweise, einer der Brexit-Agitatoren, setzte die EU mit Adolf Hitlers Versuch gleich, das Vereinigte Königreich zu unterwerfen. “Napoleon, Hitler, various people tried this out, and it ends tragically“. Und der im Streit mit May aus dem Amt geschiedene Außenminister und hard Brexiteer fügte hinzu: „The EU is an attempt to do this by different methods.“ Leider steht Boris Johnson mit seinen Ausfällen nicht alleine in der Conservative and Unionist Party, die deutlich in die nationalistische Ecke gerückt ist.
Als Papst Franziskus Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos besuchte, betitelte er diese als Konzentrationslager und wiederholte den unpassenden Vergleich in einer Predigt in Rom: „Viele Flüchtlingslager sind Konzentrationslager – wegen der Menge an Menschen darin.” Nun ist Kritik an den Zuständen in manchen Flüchtlingszentren sicherlich angebracht, aber auch hier vermisse ich historisches Bewusstsein, denn die Zahl der Menschen in einem Lager ist sicherlich nicht das einzige Kriterium. Die Nationalsozialisten verschleppten Menschen aus ihrer Heimat, plünderten sie aus, zwangen sie zu Arbeit, um sie durch diese zu erniedrigen und zu töten und ermordeten gezielt alle jüdischen Insassen. Auch ost- und westeuropäische BürgerInnen anderen Glaubens wurden gleichfalls aus ihrem Leben gerissen und zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Viele starben unter elenden Bedingungen. Ein Vergleich eines Flüchtlingslagers in Griechenland mit einem KZ sollte sich daher auch für Papst Franziskus verbieten.
Lehren aus der Geschichte ziehen
Geschichte darf uns nicht den Blick in die Zukunft verstellen, dies betonten selbst die früheren NS-Zwangsarbeiter aus Osteuropa und die versklavten jüdischen KZ-Häftlinge, die ich getroffen habe. Sie sahen und begrüßten die Veränderungen in Deutschland, und gerade diese Sicht auf unser Land dürfen wir nicht gefährden. Daher müssen wir eindeutig Stellung beziehen gegen die Versuche, aus dem NS-Unrecht Vorteile zu ziehen: Wer wie Rammstein und Kollegah & Farid Bang auf Kosten des Schicksals jüdischer KZ-Häftlinge seine Musik in die Welt tragen möchte, der muss den Widerspruch von uns allen hören. Widerstand sollten wir aber auch in allen anderen Fällen leisten, wo die Geschichtsklitterung einen neuen Aufschwung erlebt.
In einer Zeit, in der Erinnerungskultur zu einem festen Begriff geworden ist und historische Orte viele Menschen anziehen, ist es bestürzend, wenn gerade die dunkelsten Zeiträume in Deutschland für kommerzielle Zwecke oder für irrwitzige Vergleiche missbraucht werden. Wir müssen die Lehren aus der eigenen Geschichte ziehen, nicht um im Rückblick zu verharren, sondern mit den positiven und negativen Erfahrungen und Erkenntnissen den richtigen Weg in die gemeinsame Zukunft beschreiten.
2 Antworten auf „NS-Terror ist keine legitime Basis für PR-Gags“