NATO: Solidarität trotz Erdogans Angriffskrieg

Der Potentat am Bosporus spielt mit dem freien Westen

Eigentlich konnte es sich doch nur um eine Fake News handeln? Die NATO erklärte ihre Solidarität mit der Türkei, obwohl diese in Syrien einen Angriffskrieg führt! Jedes Menschenleben ist wertvoll: Dies gilt für die türkischen Soldaten, die in Syrien durch die Truppen der syrischen Regierung oder deren russische Unterstützer getötet wurden, ebenso wie für Flüchtlinge aus Idlib. Aber wie kann die NATO durch ihren Generalsekretär Jens Stoltenberg ihre „solidarity with our Ally Turkey“ in den Mittelpunkt stellen, wenn die türkischen Soldaten auf fremdem Boden und ohne Mandat der UN getötet werden? Die europäischen NATO-Staaten, und allen voran Deutschland, haben Angst, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hunderttausende oder gar Millionen von Flüchtlingen aus Syrien gen Westen in Marsch setzt. Und er hat die Tür schon mal einen Spalt breit geöffnet, obwohl er das Gegenteil zugesagt hatte – und dafür auch mit Millionen Euro belohnt wird. Erdogan spielt mit den Europäern sein Spielchen, und so haben die NATO-Partner bereits kraftlos zugesehen, als das türkische Militär die kurdischen Dörfer entlang der türkischen Grenze besetzte.

Facebook-Post von Jens Stoltenberg. NATO-Fahne und weitere Flaggen. Im Text betont Stoltenberg die Solidarität der NATO mit der Türkei.
Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärt für die NATO ihre „solidarity with our Ally Turkey”, und dies obwohl die türkischen Truppen unter Präsident Erdogan in Syrien einen Angriffskrieg führen, der im schroffen Gegensatz zum Nordatlantikvertrag steht. (Bild: Screenshot, Facebook, 28.1.20)

Flüchtlinge als Druckmittel

Die Kurden haben maßgeblich den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) getragen und hohe Opfer gebracht, doch dann ließ der demokratische Westen sie im Stich: US-Präsident Donald Trump machte den Weg frei und schon rollten die türkischen Panzer nach Syrien. Freunde macht sich Europa so keine. Allerdings reichte Erdogan die Besetzung einer Grenzzone nicht, er schickte seine Soldaten weiter in Richtung Idlib, aber nicht, um den dort festsitzenden Zivilisten zu helfen, sondern um den islamistischen Milizen beizustehen. Diese Islamisten dürften auf verlorenem Posten stehen, denn Baschar al-Assad ist dabei, mit Hilfe seiner russischen Verbündeten auch die Region um Idlib wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Assad, Erdogan und Putin kämpfen um Machtpositionen. Deutschland und der gesamte Westen schauen zu. Es reicht nur noch zur Rolle eines lamentierenden Betrachters, denn gerade Deutschland hat seine früheren Netzwerke im Nahen und Mittleren Osten leider längst verloren. Da mag Heiko Maas (SPD) Reden halten so viel er möchte, gefragt wird er bei wichtigen internationalen Vorgängen ohnehin nicht. Es ist ein einziges Trauerspiel, wie desolat die deutsche Außenpolitik unter dem jetzigen Bundespräsidenten und früheren Außenminister Frank-Walter Steinmeier und seinem Nachfolger Heiko Maas geworden ist.

Post des griechischen Ministerpräsidenten zur Grenzschließung.
Der türkische Präsident Erdogan öffnet nach eigenem Bekunden die Tore für Flüchtlinge nach Europa, und die griechische Regierung hat wieder den ‚Schwarzen Peter‘ in einem unwürdigen Machtspiel. Deutschland und die ganze EU haben sich leichtfertig auf einen Deal mit einem Machtpolitiker wie Erdogan verlassen. (Bild: Screenshot, Twitter, 1-3.20)

Jetzt zeigt sich aber auch, dass das fragwürdige Flüchtlingsabkommen, das Bundeskanzlerin Angela Merkel federführend mit Erdogan schloss, wertlos ist: Erdogan hat den Schlüssel zum Tor in der Hand, durch das er Migranten den Weg nach Griechenland und – bevorzugt – weiter nach Deutschland öffnen kann. So ist das: die einen – wie Erdogan oder Putin – führen ihre Kriege, und die demokratischen europäischen Staaten sind dann für die Hilfsmaßnahmen zuständig! Es ist an der Zeit, dass wir den egomanischen Machtpolitikern zeigen, dass sie zwar ihre Panzer rollen und Flugzeuge Bomben abwerfen lassen können, dass sie dann aber auch für die Folgen haftbar gemacht werden. Politisch und eben auch wirtschaftlich müssen wir unsere Netzwerke flechten und unsere Potentiale ausspielen, wenn wir nicht ständig am Katzentisch der Geschichte sitzen wollen. Ansonsten werden wir immer mehr zum Spielball von Machtpolitikern, Despoten und Potentaten.

Türkische Fahnen in rot mit weißem Halbmond und Stern.
„Die Parteien dieses Vertrags bekräftigen erneut ihren Glauben an die Ziele und Grundsätze der Satzung der Vereinten Nationen und ihren Wunsch, mit allen Völkern und Regierungen in Frieden zu leben. Sie sind entschlossen, die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten. Sie sind bestrebt, die innere Festigkeit und das Wohlergehen im nordatlantischen Gebiet zu fördern. Sie sind entschlossen, ihre Bemühungen für die gemeinsame Verteidigung und für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit zu vereinigen.” Die Präambel des Nordatlantikvertrags, der am 4. April 1949 unterzeichnet wurde, ist auch heute noch aussagekräftig. Und sie passt so ganz und gar nicht zu einer Solidaritätserklärung der NATO mit der Türkei, die in Syrien einen Angriffskrieg führt. Doch nach meiner Meinung hat die NATO ihre Bedeutung für Deutschland nicht verloren, auch wenn der französische Präsident Emmanuel Macron schon mal den „Hirntod der NATO” diagnostizierte und sie US-Präsident Donald Trump mehrfach für „obsolet” erklärte. (Bild: Screenshot, Instagram, 1.3.20)

Kein klares Konzept

Das Gegenteil ist allerdings der Fall: Die NATO erklärt ihre Solidarität mit der Türkei, wenn deren Soldaten bei einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf dem Boden eines anderen Landes getötet werden. Und wir bauen fleißig an der Erdgasleitung ‚Nord Stream‘, um so unsere Abhängigkeit von Russland zu erhöhen, obwohl Wladimir Putin nicht daran denkt, die Krim an die Ukraine zurück zu geben. Deutschland und die EU sind zu politischen Zwergen geworden, die es nicht verstanden haben, auch machtpolitische Positionen und Potentiale aufzubauen. Geradezu abstrus ist es dann, wenn die Noch-CDU-Vorsitzende und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer über zusätzliche Auslandseinsätze philosophiert oder ohne jede Absprache mit den Partnern – leider erfolglos – eine Schutzzone für die Kurden ins Gespräch bringt.

Tweet mit Fotos von der Grenze zwischen Türkei und Syrien.
Zuerst okkupieren türkische Truppen kurdische Gebiete in Syrien, dann marschieren sie gen Idlib. Und der freie Westen schaut zu. Es ist eine Schande, dass wir die Kurden wieder im Stich gelassen haben, die auch für uns den Islamischen Staat niederrangen. Natalie Amiri, die Leitern des ARD-Büros im Iran und Moderatorin des Weltspiegels, sprach die absurde Situation deutlich an. (Bild: Screenshot, 12.10.19)

In Afghanistan schließen die USA mit den Taliban ein Abkommen, um einen langen und sinnlosen Krieg zu beenden. Wo sind denn die nachhaltigen Friedensinitiativen Deutschlands und der EU gewesen? So wie wir im Geleitzug mit den USA in den Krieg in Afghanistan hinein gestolpert sind, so werden wir uns wieder vom Acker machen, wenn die US-Truppen abziehen. Dabei war doch längst erkennbar, dass Trump alles tun wird, um das Afghanistan-Debakel zumindest auf dem Papier vor der anstehenden Wiederwahl zu beenden. Ein wenig riecht dies nach Vietnam, wo sich die USA auch aus dem Staub machten, als der Krieg in der Heimat nicht mehr politisch verkäuflich war. Deutschland, der EU, aber auch der NATO fehlt im Grunde ein zukunftsorientiertes Konzept!

Erdogan am Rednerpult.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan spielt als Machtpolitiker auf dem ganzen Klavier seiner Möglichkeiten, aber besonders frappierend ist es für mich, dass er prozentual bei Wahlen unter in Deutschland lebenden Türken mehr Zustimmung erhält als in Istanbul, Ankara oder Izmir. Da muss wirklich etwas mit der Integration mancher Türken in Deutschland schiefgelaufen sein! Erdogan hat im Übrigen 14,7 Millionen Follower bei Twitter, dies belegt, dass er auch die sozialen Medien intensiv nutzt. (Bild: Screenshot, Twitter, 1.3.20)

Keine Solidarität mit Erdogans Angriffskrieg!

An die betroffenen Menschen denken Machtpolitiker wie Putin, Erdogan oder Assad bei ihren Feldzügen nicht. Putin will sich am Mittelmeer festsetzen, und da kommt ihm Syrien gerade recht. Erdogan sucht die Ausdehnung der Macht in die syrische Grenzzone zur Türkei, und Assad führt einen blutigen Krieg gegen sein eigenes Volk. Wir werden Zeuge wie das Völkerrecht gebrochen und die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, und der Aufschrei bleibt im Westen verhalten. Als türkische Truppen die aufkeimende kurdische Selbstverwaltung niederwalzten, da erklärte die damals geschäftsführende Bundesregierung aus Union und SPD, es gäbe beim Einmarsch türkischer Truppen in Syrien „legitime türkische Sicherheitsinteressen an der Grenze zu Syrien“.  Und jetzt erklärt sich die NATO mit ihrem Partner Türkei solidarisch, wenn diese in Syrien ihre Machtposition mit militärischer Gewalt ausbaut. Geht es eigentlich noch würdeloser?

Das Auswärtige Amt kritisiert den türkischen Angriff in einem Post.
Leider vergessen viele Politiker zu schnell: Wie steht es denn mit unserer Solidarität mit den bedrängten Kurden, die von Erdogans Truppen im Grenzbereich überrollt werden? „Wir verurteilen die türkische Offensive im Nordosten Syriens auf das Schärfste. Wir rufen die Türkei dazu auf, ihre Offensive zu beenden und ihre Sicherheitsinteressen auf friedlichem Weg zu verfolgen”, betonte der deutsche Außenminister Heiko Maas. Zum Zeitpunkt dieser Aussage hatte die Bundesregierung noch nicht einmal die deutschen Waffenexporte in die Türkei gestoppt. Und was folgte? Nichts! Deutschland steht am Spielfeldrand und die hineingerufenen Parolen interessieren leider keinen der Spieler! Wir haben unseren politischen Einfluss im Nahen und Mittleren Osten verloren. (Bild: Screenshot, Facebook, 10.10.19)

Eine direkte Eingriffsmöglichkeit haben wir realistisch betrachtet in Syrien derzeit nicht, aber dies bedeutet doch nicht, dass wir uns auch noch zum willfährigen Knecht der beteiligten Machthaber machen lassen müssen. Die NATO muss klarstellen, dass sie für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit steht und sich nicht zum Erfüllungsgehilfen bei Angriffskriegen machen lässt. Wir müssen Präsident Erdogan deutlicher als bisher spüren lassen, dass wir uns nicht mit Flüchtlingswellen erpressen lassen. Bei aller Kritik an Erdogan und seinen Gefolgsleuten ist für mich klar, dass wir auch zukünftig auf gute Beziehungen zum türkischen Volk setzen müssen, denn bekanntermaßen stehen bei weitem nicht alle Türken hinter ihm, im Gegenteil. Der Stern Erdogans wird sinken, und dann müssen wir auf Seiten der demokratischen Türken und der nach Autonomie strebenden Kurden stehen! Wenn wir uns von Erdogan & Co. zum Spielball machen lassen, dann verlieren wir unsere Würde!

Eine Antwort auf „NATO: Solidarität trotz Erdogans Angriffskrieg“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert