Der Potentat am Bosporus spielt mit dem freien Westen
Eigentlich konnte es sich doch nur um eine Fake News handeln? Die NATO erklärte ihre Solidarität mit der Türkei, obwohl diese in Syrien einen Angriffskrieg führt! Jedes Menschenleben ist wertvoll: Dies gilt für die türkischen Soldaten, die in Syrien durch die Truppen der syrischen Regierung oder deren russische Unterstützer getötet wurden, ebenso wie für Flüchtlinge aus Idlib. Aber wie kann die NATO durch ihren Generalsekretär Jens Stoltenberg ihre „solidarity with our Ally Turkey“ in den Mittelpunkt stellen, wenn die türkischen Soldaten auf fremdem Boden und ohne Mandat der UN getötet werden? Die europäischen NATO-Staaten, und allen voran Deutschland, haben Angst, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hunderttausende oder gar Millionen von Flüchtlingen aus Syrien gen Westen in Marsch setzt. Und er hat die Tür schon mal einen Spalt breit geöffnet, obwohl er das Gegenteil zugesagt hatte – und dafür auch mit Millionen Euro belohnt wird. Erdogan spielt mit den Europäern sein Spielchen, und so haben die NATO-Partner bereits kraftlos zugesehen, als das türkische Militär die kurdischen Dörfer entlang der türkischen Grenze besetzte.
Flüchtlinge als Druckmittel
Die Kurden haben maßgeblich den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) getragen und hohe Opfer gebracht, doch dann ließ der demokratische Westen sie im Stich: US-Präsident Donald Trump machte den Weg frei und schon rollten die türkischen Panzer nach Syrien. Freunde macht sich Europa so keine. Allerdings reichte Erdogan die Besetzung einer Grenzzone nicht, er schickte seine Soldaten weiter in Richtung Idlib, aber nicht, um den dort festsitzenden Zivilisten zu helfen, sondern um den islamistischen Milizen beizustehen. Diese Islamisten dürften auf verlorenem Posten stehen, denn Baschar al-Assad ist dabei, mit Hilfe seiner russischen Verbündeten auch die Region um Idlib wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Assad, Erdogan und Putin kämpfen um Machtpositionen. Deutschland und der gesamte Westen schauen zu. Es reicht nur noch zur Rolle eines lamentierenden Betrachters, denn gerade Deutschland hat seine früheren Netzwerke im Nahen und Mittleren Osten leider längst verloren. Da mag Heiko Maas (SPD) Reden halten so viel er möchte, gefragt wird er bei wichtigen internationalen Vorgängen ohnehin nicht. Es ist ein einziges Trauerspiel, wie desolat die deutsche Außenpolitik unter dem jetzigen Bundespräsidenten und früheren Außenminister Frank-Walter Steinmeier und seinem Nachfolger Heiko Maas geworden ist.
Jetzt zeigt sich aber auch, dass das fragwürdige Flüchtlingsabkommen, das Bundeskanzlerin Angela Merkel federführend mit Erdogan schloss, wertlos ist: Erdogan hat den Schlüssel zum Tor in der Hand, durch das er Migranten den Weg nach Griechenland und – bevorzugt – weiter nach Deutschland öffnen kann. So ist das: die einen – wie Erdogan oder Putin – führen ihre Kriege, und die demokratischen europäischen Staaten sind dann für die Hilfsmaßnahmen zuständig! Es ist an der Zeit, dass wir den egomanischen Machtpolitikern zeigen, dass sie zwar ihre Panzer rollen und Flugzeuge Bomben abwerfen lassen können, dass sie dann aber auch für die Folgen haftbar gemacht werden. Politisch und eben auch wirtschaftlich müssen wir unsere Netzwerke flechten und unsere Potentiale ausspielen, wenn wir nicht ständig am Katzentisch der Geschichte sitzen wollen. Ansonsten werden wir immer mehr zum Spielball von Machtpolitikern, Despoten und Potentaten.
Kein klares Konzept
Das Gegenteil ist allerdings der Fall: Die NATO erklärt ihre Solidarität mit der Türkei, wenn deren Soldaten bei einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf dem Boden eines anderen Landes getötet werden. Und wir bauen fleißig an der Erdgasleitung ‚Nord Stream‘, um so unsere Abhängigkeit von Russland zu erhöhen, obwohl Wladimir Putin nicht daran denkt, die Krim an die Ukraine zurück zu geben. Deutschland und die EU sind zu politischen Zwergen geworden, die es nicht verstanden haben, auch machtpolitische Positionen und Potentiale aufzubauen. Geradezu abstrus ist es dann, wenn die Noch-CDU-Vorsitzende und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer über zusätzliche Auslandseinsätze philosophiert oder ohne jede Absprache mit den Partnern – leider erfolglos – eine Schutzzone für die Kurden ins Gespräch bringt.
In Afghanistan schließen die USA mit den Taliban ein Abkommen, um einen langen und sinnlosen Krieg zu beenden. Wo sind denn die nachhaltigen Friedensinitiativen Deutschlands und der EU gewesen? So wie wir im Geleitzug mit den USA in den Krieg in Afghanistan hinein gestolpert sind, so werden wir uns wieder vom Acker machen, wenn die US-Truppen abziehen. Dabei war doch längst erkennbar, dass Trump alles tun wird, um das Afghanistan-Debakel zumindest auf dem Papier vor der anstehenden Wiederwahl zu beenden. Ein wenig riecht dies nach Vietnam, wo sich die USA auch aus dem Staub machten, als der Krieg in der Heimat nicht mehr politisch verkäuflich war. Deutschland, der EU, aber auch der NATO fehlt im Grunde ein zukunftsorientiertes Konzept!
Keine Solidarität mit Erdogans Angriffskrieg!
An die betroffenen Menschen denken Machtpolitiker wie Putin, Erdogan oder Assad bei ihren Feldzügen nicht. Putin will sich am Mittelmeer festsetzen, und da kommt ihm Syrien gerade recht. Erdogan sucht die Ausdehnung der Macht in die syrische Grenzzone zur Türkei, und Assad führt einen blutigen Krieg gegen sein eigenes Volk. Wir werden Zeuge wie das Völkerrecht gebrochen und die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, und der Aufschrei bleibt im Westen verhalten. Als türkische Truppen die aufkeimende kurdische Selbstverwaltung niederwalzten, da erklärte die damals geschäftsführende Bundesregierung aus Union und SPD, es gäbe beim Einmarsch türkischer Truppen in Syrien „legitime türkische Sicherheitsinteressen an der Grenze zu Syrien“. Und jetzt erklärt sich die NATO mit ihrem Partner Türkei solidarisch, wenn diese in Syrien ihre Machtposition mit militärischer Gewalt ausbaut. Geht es eigentlich noch würdeloser?
Eine direkte Eingriffsmöglichkeit haben wir realistisch betrachtet in Syrien derzeit nicht, aber dies bedeutet doch nicht, dass wir uns auch noch zum willfährigen Knecht der beteiligten Machthaber machen lassen müssen. Die NATO muss klarstellen, dass sie für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit steht und sich nicht zum Erfüllungsgehilfen bei Angriffskriegen machen lässt. Wir müssen Präsident Erdogan deutlicher als bisher spüren lassen, dass wir uns nicht mit Flüchtlingswellen erpressen lassen. Bei aller Kritik an Erdogan und seinen Gefolgsleuten ist für mich klar, dass wir auch zukünftig auf gute Beziehungen zum türkischen Volk setzen müssen, denn bekanntermaßen stehen bei weitem nicht alle Türken hinter ihm, im Gegenteil. Der Stern Erdogans wird sinken, und dann müssen wir auf Seiten der demokratischen Türken und der nach Autonomie strebenden Kurden stehen! Wenn wir uns von Erdogan & Co. zum Spielball machen lassen, dann verlieren wir unsere Würde!
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