Die Natur bügelt forstwirtschaftliche Fehler aus
Der Nationalpark Bayerischer Wald ist eine Erfolgsstory, und zwar für Natur und Mensch! Bei seiner Gründung im Jahr 1970 entstand im Bayerischen Wald der erste Nationalpark in Deutschland, wo die Zauderer lange ein solches Schutzgebiet verhindert hatten. Da waren die US-Amerikaner deutlich früher dran, und dies obwohl in den USA bis heute Natur und Umwelt häufig bei politischen Entscheidungen zu kurz kommen: Bereits 1872, also ein knappes Jahrhundert vor den Bayern, wurde der Yellowstone National Park zum Schutzgebiet. Aber auch in Europa hinkte Deutschland in Sachen Nationalpark hinter den Schweden her, die 1909 in Lappland den Sarek Nationalpark schufen. Lieber spät als nie, könnte man sagen, was tatsächlich auf Baden-Württemberg zutrifft, wo der Nationalpark Schwarzwald erst 2014 nach erheblichen Geburtswehen das Licht der Welt erblickte. Der Nationalpark im Bayerischen Wald hatte selbstredend zahlreiche Gegner, die wirtschaftliche Nachteile befürchteten und glaubten, die früheren Forstkulturen würden dem Borkenkäfer geopfert und der Wald dauerhaft verschwinden. Der Borkenkäfer schlug zwar immer wieder zu, denn Monokulturen mit Fichten sind nun mal die Lieblingsspeise des Buchdruckers, doch kahle Flächen verschwanden innerhalb weniger Jahre, und es entwickelten sich naturnahe Mischwälder. Im Nationalpark Bayerischer Wald zeigt sich auch in aller Deutlichkeit, dass forstwirtschaftliche Fehler der letzten 200 Jahre, in denen einseitig auf die Fichte gesetzt wurde, von der Natur behoben werde können: Vielfältige Naturverjüngung statt Monokulturen mit Fichtensetzlingen aus Baumschulen! Wer klimaresistentere Wälder statt anfälliger Monokulturen möchte, der muss der Natur Freiraum und Zeit geben. Dies entspricht dem Motto „Natur Natur sein lassen“, des ersten Leiters des Nationalparks Bayerischer Wald, Dr. Hans Bibelriether. Wie aus Forstflächen Wald und Wildnis werden, lässt sich im Nationalpark Bayerischer Wald bei jeder Wanderung eindrucksvoll erkennen.
Sturmwürfe bleiben liegen
Zwar wimmelt es in Deutschland von ‚geschützten‘ Flächen unterschiedlicher Kategorien, seien es Landschafts- oder Naturschutzgebiete, Naturparks und Biosphärengebiete, die alle ihre Berechtigung haben, doch nur beim Nationalpark ist eine Mindestfläche von 10 000 Hektar vorgeschrieben, von denen nach spätestens 30 Jahren 75 % auf das Kerngebiet entfallen müssen. Dort wird eine natürliche Entwicklung zugelassen. Auf die große Bedeutung und die teilweise fragwürdigen Zuordnungen von Schutzgebieten bin ich bereits eingegangen: ‚Schutzgebiete dürfen keine Mogelpackung sein. Weltnaturgipfel: 30 % des Landes unter Schutz stellen‘. Der Nationalpark Bayerischer Wald umfasst nach zwei Erweiterungen knapp 25 000 Hektar Fläche und bildet mit dem 1991 gegründeten über 68 000 Hektar großen Nationalpark Sumava auf tschechischer Seite die größte zusammenhängende Waldschutzfläche in Mitteleuropa. Gerade für Wildtiere, die große Distanzen überwinden und Reviere beanspruchen, wie z. B. Luchs und Wolf, bieten sich somit gute Chancen im Bayerischen Wald und im Böhmerwald zu wandern. Wandern können jedoch nicht nur die vierbeinigen Wildtiere, sondern auch die menschlichen Besucher über 350 Kilometer markierte Wege, Radfahren ist auf 200 km langen Routen erlaubt, im Winter werden 80 km Loipen gespurt. So ist es kein Wunder, dass pro Jahr 1,3 Mio. Gäste den Nationalpark besuchen. Der Nationalpark Bayerischer Wald ist damit zu keiner Bremse der wirtschaftlichen Entwicklung geworden, sondern hat sich zu einem touristischen Anziehungspunkt gemausert, wo im touristischen Bereich 1 000 Vollzeitarbeitsplätze geschaffen wurden und rd. 200 Beschäftigte zählt dazuhin die Nationalparkverwaltung inklusive Rangern und Wissenschaftlern. Die touristischen Betriebe in den 12 Gemeinden des Nationalparks verzeichneten im Jahr 2022 über eine Million Übernachtungen. In einigen Gemeinden würde es ohne den Nationalpark wohl düster aussehen, denn gerade auch in der Glasindustrie ist in den letzten Jahren so mancher Ofen erloschen. In ihrem Beitrag ‚Der Bayerische Wald und sein gläsernes Herz‘ schrieb Eva Dignös 2019 in der Süddeutschen Zeitung: „In den 70er Jahren hatte die Glasindustrie in Niederbayern noch 8000 Mitarbeiter. Mittlerweile sind es weniger als 2000, erst 2018 wurde wieder ein Betrieb geschlossen, noch einmal 80 Arbeitsplätze weniger im Ort Frauenau, der sich selbst als das ‚gläserne Herz‘ des Bayerischen Waldes bezeichnet.“ Der Nationalpark Bayerischer Wald vermittelt somit wirtschaftliche Impulse, zieht Urlauber aus Deutschland und dem Ausland an und erlaubt zugleich dem Wald, sich naturnah zu entwickeln, hie und da sogar zum ‚Urwald‘ zu werden.
Nun aber zurück in den Wald. Einschneidende Auswirkungen hatte ein heftiges Gewitter am 1. August 1983, denn die stürmischen Böen legten auf einer Fläche von 90 Hektar so viele Bäume um, dass 30 000 Festmeter Holz wie ein gewaltiges Mikado am Boden lagen. Dr. Hans Eisenmann, damaliger Staatsminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in der bayerischen Landesregierung, fällte die weitsichtige Entscheidung, den Windwurf liegen zu lassen und nicht mehr in die natürliche Entwicklung einzugreifen. „Wir wollen hier einen Urwald für unsere Kinder und Kindeskinder“, so Minister Eisenmann. Die Begeisterung in manchen Gemeinden, die am oder im Nationalpark liegen, hielt sich in Grenzen, denn nicht wenige Betrachter erwarteten, dass wie früher mit der Aufforstung begonnen würde. Nicht nur nach diesen Sturmschäden wurde erkennbar, dass sich auf den Flächen eines früheren Fichtenforsts ein naturnaher Mischwald entwickelte. Als in den 1990er Jahren auf mehr als 7 000 Hektar die Fichtenbestände abstarben, war der Verursacher für zahlreiche Gäste und Anwohner schnell gefunden: der Borkenkäfer! Vom Lusen breitete sich die massenhafte Vermehrung des Borkenkäfers in den geschwächten Monokulturen mit Fichten in Richtung Rachel aus. Auf den ersten Blick war das für viele Betrachter ein erschreckendes Ereignis, doch bald zeigte es sich, dass auf diesen Flächen ein Mischwald aus eigener Kraft heranwuchs. Auch uns hat die schnelle Veränderung beeindruckt, und die Sukzession macht deutlich, dass der Wald schon für sich selbst sorgen kann, wenn man ihn lässt. Dem bereits zitierten Credo von Hans Bibelriether „Natur Natur sein lassen“, folgen heute zahlreiche Projektverantwortliche nicht nur in Nationalparks. Leider wird dieser Grundsatz im Nationalpark Harz nach meiner Meinung noch zu wenig berücksichtigt, wo vom Sturm gefällte oder von Borkenkäfern angegriffene Stämme nicht großflächig liegen bleiben, sondern abtransportiert werden. Mehr zu der Thematik finden Sie, liebe Leserinnen und Leser, in meinem Blog-Beitrag ‚Harz: Der Forst stirbt, ein Wald wächst. Die Kraft der Natur nutzen‘. Es gibt noch immer zu viele Förster und Waldbesitzer, die meinen, sie seien schlauer als die Natur. Leider. Wer auf Wald statt Forst setzt, der sollte so wenig wie möglich in das natürliche Wachsen und Werden eingreifen.
Totholz schafft Leben
Sogenanntes Totholz und ausreichend Wasser sind für das Überleben eines naturnahen Waldes oder gar eines ‚Urwalds‘ besonders wichtig. Wer mit schwerem Gerät noch den letzten Baumstamm oder das Geäst aus dem Forst oder Wald schleppt, der raubt den nachwachsenden Bäumen die Lebensgrundlage. Es nutzt dann wenig, wenn man auf ‚leergefegten‘ Flächen den einen oder anderen Stammabschnitt mit einem Schild ‚Biotopbaum‘ versieht. Sich zersetzendes Holz bietet Nährstoffe für die kleinen und großen Pflänzchen, die nicht selten direkt auf dem zerfallenden Totholz heranwachsen. Wer nach einem andauernden Regenschauer schon mal mit der Hand auf moderndes Holz drückt, der kann spüren, dass in der weichen oder – je nachdem – noch festen braunen Masse sehr viel Wasser gespeichert ist. Dies kommt an trockenen Tagen natürlich den nachwachsenden Bäumchen und dem gesamten Waldklima zugute. Mehr hierzu in ‚Totholz ist voller Leben. Macht den Forst wieder zum Wald!‘ Regenwasser wurde in den letzten Jahrzehnten mit zahllosen Gräben und dicken Betonrohren möglichst zügig aus dem Forst abgeleitet, und Feuchtstellen oder Tümpel gerne zugeschüttet, um sie als Holzlagerplatz zu nutzen. Solange regelmäßig Regen und Schnee für die notwendige Bewässerung und den Aufbau des Grundwassers sorgten, erschien überschüssiges Wasser schon fast als Feind des Forstwirts. In Zeiten der Erderwärmung und langer Dürreperioden als Folge des Klimawandels aber muss mehr dafür getan werden, das Regenwasser im Wald gehalten wird. Mäandrierende Bäche, Tümpel und Feuchtwiesen sind dabei von großem Wert. Gerade die Bäche, die noch munter und unbeeinflusst durch den Nationalpark Bayerischer Wald plätschern oder rauschen, sind für mich ein positives Zeichen: Die Natur hat hier wieder ihren Platz!
„Zu den typischen Lebensräumen des Nationalparks Bayerischer Wald zählen drei natürliche Waldgesellschaften, für deren Entstehung große Höhenunterschiede und raues, niederschlagsreiches Klima mit schneereichen Wintern verantwortlich sind: Bergfichtenwälder in den Hochlagen ab etwa 1 200 Metern, Bergmischwälder mit Fichte, Tanne, Buche und Bergahorn in den wärmebegünstigten Hanglagen und Aufichtenwälder in den nassen Talmulden mit nächtlichem Kaltluftstau“, so die Nationalparkverwaltung. „Außerdem sind im Nationalpark Moorflächen und einst bewirtschaftete Hochweiden, die im Bayerwald Schachten genannt werden, zu finden.“ Diese Vielfalt spiegelt sich auch bei den Tier- und Pflanzenarten wider: 14 000 Arten, damit 22 % aller in Deutschland bekannten, lassen sich vermutlich im Nationalpark Bayerischer Wald finden, über 7 300 Arten wurden bereits bestimmt. Unter ihnen sind Wildkatze, Luchs und Wolf, Fischotter und Biber, dem Baumeister der Natur, aber auch mehrere Urwaldreliktkäfer, die nur in naturnahen Wäldern vorkommen. Diesen genannten Tieren werden wir auf den Wanderwegen kaum begegnen, in den Gehegezonen der Nationalparkzentren Lusen und Falkenau allerdings kann man dagegen fündig werden. Nun habe ich immer Probleme, wenn ich Wildtiere in Gehegen sehe, doch gerade bei Luchs, Wolf oder Bär und Wisent sind sie relativ großzügig bemessen. Als wir die Wisent-Herde sahen, wünschte ich mir, dass sie auch in Deutschland dauerhaft in Freiheit durch den einen oder anderen Wald mit entsprechenden Freiflächen ziehen könnten.
Natur Natur sein lassen
Im Nationalpark Bayerischer Wald hat es sich gezeigt, dass die Natur es am besten selbst schafft, auf ehemals forstwirtschaftlich genutzten Flächen wieder einen artenreichen Mischwald wachsen zu lassen. Windwürfe und der Borkenkäfer, die Schrecken so manchen Försters, haben ihren Beitrag dazu geleistet, dass Monokulturen verschwinden und Wälder entstehen, die besser mit dem Klimawandel zurechtkommen. Die Natur braucht Freiräume im Sinne des „Natur Natur sein lassen“, dann schafft sie Artenreichtum bei Pflanzen und Tieren. Wälder werden nur wieder zur Wildnis, wenn man ihnen Zeit lässt und nicht als Handelnder ständig eingreift, sondern als Betrachter und Wanderer unterwegs ist. Natürlich können nicht alle Forstflächen in Deutschland zur Wildnis werden, doch mehr Natur würde allen Wäldern guttun!
Als Baden-Württemberger wünschte ich mir, dass mit dem gleichen Elan, den die bayerische Landesregierung bei der Gründung und Erweiterung des Nationalparks Bayerischer Wald an den Tag gelegt hat, auch der Lückenschluss zwischen den beiden Teilen des Nationalparks Schwarzwald vorangebracht würde! Wir brauchen mehr echte Schutzflächen für die Natur in Deutschland!
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Alte oder kranke Bäume sterben, doch Naturverjüngung schafft neuen Wald. Unsere Wälder können sich aus sich selbst heraus entwickeln, wenn man sie nur lässt. Menschliche Eingriffe sind im Regelfall kein Segen für einen naturnahen Wald, sondern dessen Degradierung zum Forst. Mehr dazu in: ‚Ausverkauf im deutschen Wald? Wenn das Holz gen China und USA schippert‘. (Bild: Ulsamer)
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