Die Obere Donau: Kaum entsprungen, schon versunken
Meistens gewinnen Flüsse mit den zunehmenden Wassermassen an Bedeutung, die sie in Richtung ihres Deltas transportieren, aber zumindest bei der Donau bieten bereits die ersten Flusskilometer geologische und damit auch touristische Besonderheiten. Apropos Flusskilometer, da fangen die Unterschiede schon an: Die Länge der meisten Flüsse wird von der Quelle bis zum Meer oder zum nächst größeren Fluss gemessen, nicht so bei der Donau. Bis heute gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten über den Geburtsort der Donau, die immerhin nach der Wolga (3530 km) der zweitlängste Fluss Europas ist.
Die Donaueschinger sehen die Quellfassung zwischen dem Schloss derer von Fürstenberg und der Stadtkirche St. Johannes als den eigentlichen Ursprung der Donau an, obwohl sich an einem kleinen Tempel nur wenig Wasser aus dem Donaubach in die weit größere Brigach ergießt. Auf die stattliche Länge von 2783 Kilometern bringt es die Donau allemal, ab dem Punkt, wo der Volksmund betont: „Brigach und Breg bringen die Donau zu weg“. Und so hat sich auch die Donaukommission auf den Zusammenfluss als Zielort der Kilometrierung festgelegt. Und wenn man sich nur schwer auf einen Quellort einigen kann, dann zählt man die Flusskilometer eben – wie ausnahmsweise bei der Donau – von der Mündung zum Oberlauf zurück.
Die Donau – ein wirklich europäischer Fluss
Die Karstaufstossquelle der Donau – ja, so etwas gibt es – ist seit dem Besuch des römischen Feldherrn Tiberius im Jahre 15 vor Christus über den engeren Raum hinaus bekannt. Da sieht man mal wieder, wozu die alten Römer doch alles gut waren. Mag ihr Reich auch vergangen sein, zumindest viele geographische, kulturelle und politische Fixpunkte haben bis heute Bestand.
Nicht ganz so alt ist die Skulptur des Bildhauers Adolf Heer, die die Quellfassung überragt: Mutter Baar entlässt gewissermaßen ihre Tochter, die Donau, in die Welt. Und immerhin durchfließt sie insgesamt zehn Staaten: Deutschland, Österreich, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Rumänien, Bulgarien, die Republik Moldau und die Ukraine. Fast wären es 11, denn die Donau fließt natürlich auch durch den Freistaat Bayern, aber dank unseres föderalen Systems haben wir uns in deutschen Landen zusammengerauft.
Die Donau versinkt
Aber Anlass zum Streiten gab die Donau durchaus, und diese Streitigkeiten führten nicht nur zu Staatsverträgen zwischen Baden-Württemberg und Bayern, so z.B. über die Entnahme von Wasser im Jahre 1970, sondern bereits 1927 zu einem Rechtsstreit vor dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich. Hintergrund war jedoch nicht die Missgunst unterschiedlicher Landesherrn, damals Preußen und Württemberg contra Baden, sondern eine geologische Besonderheit. Kaum entsprungen, da versinkt die Donau an zahlreichen Tagen jedes Jahr zwischen Immendingen und dem zu Tuttlingen gehörenden Möhringen bzw. der Gemeinde Fridingen. Wenn man es einmal vor Ort erlebt hat, dann wird dieses Phänomen besonders plastisch.
Gerade plätschert die Donau in Zeiten mit wenig Wasserführung vor sich hin, da bilden sich trichterförmige Strudel und das Wasser verschwindet bis auf den letzten Tropfen in Schlucklöchern. Der Karst, der das Wasser aus der Quelle in Donaueschingen heraussprudeln lässt, der holt es sich bei Immendingen wieder. Im Badischen wird von Versinkung gesprochen, wenn die Donau im karstigen Untergrund verschwindet, im Württembergischen eher von Versickerung. Nun gut, das Wasser ist allemal weg, das Bett der Donau fällt trocken. Die Zahl der Tage, in denen die Donau komplett versinkt, schwankt zwar stark, doch zeigen sich in den letzten Jahren eher zunehmend Trockentage. Rd. 155 Tage sind zumeist zu verzeichnen, und der Klimawandel mit längeren Trockenperioden wird die Zahl eher erhöhen, aber bereits 1874 wurde erstmals ein Trockenfallen verzeichnet. 1921 wurde ein Rekordwert von 309 Tagen erreicht, kein Wunder, dass dann auch die Juristen zur Tat schritten.
Aachtopf: Die ergiebigste Karstquelle Deutschlands
Das Land Württemberg, das vor Gericht von Preußen – wegen dessen Provinz Hohenzollernsche Lande – unterstützt wurde, warf den Badenern vor, möglichst viel Wasser auf Immendinger Gemarkung aufzustauen, das dann versank und die Aachquelle – die in Baden liegt – mit reichlich Wasser versorgte. Außerdem wurde es den Anwohnern nicht mehr erlaubt, große Schlucklöcher bei Niedrigwasser mit Lehm zu verstopfen. Der Staatsgerichtshof traf keine endgültige Entscheidung, da es an wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Wasserführung der Donau mangle, doch sowohl Baden als auch Württemberg wurden verpflichtet, alles zu unterlassen, das einerseits zu einer erhöhten Versinkung beitragen, noch andererseits diese behindern könnte.
Und dass das Wasser der Donau nicht irgendwo versickert und für immer verschwindet, dies zeigt sich sowohl im weiteren Verlauf des Flusses, denn ein Teil des verschwundenen Nasses tritt wieder an die Oberfläche. Färbeversuche haben dazuhin bereits 1877 gezeigt, dass ein Gutteil des Wassers aus der Donau sich einen anderen Weg sucht und durch Klüfte und Höhlen im Karst zur 12 Kilometer entfernten Aachquelle gelangt. Mit einer durchschnittlichen Schüttung von 8000 Liter/Sekunde gilt der Aachtopf als Deutschlands ergiebigste Karstquelle. Das Wasser aus dem Aachtopf trieb Mühlen an, aber auch die Müller an der Donau brauchten das Wasser als Antriebskraft: Und somit wird sehr deutlich, warum schon damals gerichtlich um das Wasser gerungen wurde.
Mal Donau, mal Rhein
Das Wasser aus dem Aachtopf speist die Radolfzeller Aach, die durch die Niederungen des Hegaus fließt und bei Radolfzell in den Bodensee mündet. Und aus dem Bodensee macht sich somit auch das versunkene Wasser der Donau über den Rhein auf in die Nordsee. Die Flüsschen Brigach und Breg und das Wasser aus der Donaueschinger Donauquelle erreichen somit nicht nur das Schwarze Meer, sondern ein Teil fließt über den 1233 km langen Rhein in die entgegengesetzte Richtung. Das aus der Donau versinkende Wasser, das im Aachtopf wieder an die Oberfläche tritt, ‚unterwandert‘ damit auf natürliche Weise auch die Europäische Wasserscheide, die im Regelfall das Einzugsgebiet der Flüsse trennt, die auf der einen Seite der Nordsee und dem Atlantik zustreben, und auf der anderen Seite dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer.
Die Donau hat Glück, so kann man heute sagen, dass sie erst ab Kelheim schiffbar gemacht wurde, so dass viele der ersten 500 Flusskilometer noch etwas von ihrer Ursprünglichkeit behalten haben. Dort mündet auch der Main-Donau-Kanal, der eine durchgängige Wasserstraße von der Nordsee über Rhein und Main und dann über die Donau bis zum Schwarzen Meer geschaffen hat. Die bei der Planung des Kanals erhofften Transportmengen blieben jedoch hinter den Erwartungen zurück. Dies gilt auch für die Donau insgesamt, die zwar deutlich länger als der Rhein ist, doch das Transportvolumen auf dem Rhein beträgt jährlich rd. 330 Mio. Tonnen, auf der Donau ca. 40 Mio. Tonnen – und dies bei rückläufiger Tendenz. Vom Transportvolumen auf Binnenwasserstraßen entfallen in Europa 2/3 auf den Rhein. So heißt es im Jahresbericht 2016 „Europäische Binnenschifffahrt – Marktbeobachtung“: „Die Donau, mit einem gegenwärtigen Anteil von knapp 10 % am europäischen Verkehrsaufkommen, hat ihr Potenzial als Verkehrsachse zwischen West-, Mittel- und Südosteuropa bisher noch nicht in dem Maße ausschöpfen können, wie dies aus gesamteuropäischer Sicht wünschenswert ist.“
Auf Rhein und Donau tummeln sich heute auch Kreuzfahrtschiffe und bringen viele Touristen gewissermaßen fließend von einem europäischen Land ins andere. 340 Kreuzfahrtschiffe sind auf europäischen Binnenwasserstraßen unterwegs und dies mit einer Bettenkapazität von fast 50 000. ¾ der Schiffe sind auf Donau und Rhein im Einsatz und können auch zwischen beiden Flusssystemen wechseln.
Tradition und Innovation verbunden
Die Donau als Handelsweg, als Verbindungsglied zwischen Menschen, Kulturen und Religionen, als Energiequelle, dies sind nur einige Stichworte, die diesen europäischen Fluss charakterisieren. Als touristisches Ziel wurde über Jahre die obere Donau mit der Quelle in Donaueschingen, den aus dem Schwarzwald zuströmenden Breg und Brigach oder der Donauversinkung in Immendingen und dem Aachtopf unterbewertet. Nicht nur die Versinkungsstellen sind jedoch ein Anziehungspunkt, sondern auch die umliegende Landschaft mit den Hegau-Vulkanen oder dem Donaudurchbruch beim Benediktinerkloster in Beuron mit zahlreichen atemberaubenden Wanderwegen ist allemal einen Ausflug oder eine Urlaubswoche wert.
Ganz nebenbei kann man in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg auch sehen, dass ländliche Räume nicht generell wirtschaftlich zurückfallen müssen. Zwar erwecken manche Regionen in Deutschland diesen Eindruck, um sich gewissermaßen auf immer Fördermittel zu sichern, doch es kommt nicht auf Subventionen, sondern auf das wirtschaftliche und technologische Engagement der Bürgerinnen und Bürger an.
Ländliche Regionen müssen nicht ‚ausbluten‘, dies belegt der Landkreis Tuttlingen in Baden-Württemberg: Im 19. und bis ins 20. Jahrhundert dominierten hier Schuhindustrie und Messerschmieden. Aus letzteren und weiteren Impulsen entwickelte sich die Herstellung von chirurgischen Geräten – und letztendlich wurde Tuttlingen zum ‚Weltzentrum der Medizintechnik‘ mit rd. 600 medizintechnischen Unternehmen. Aber auch zahlreiche Automobilzulieferer und Maschinenbauunternehmen sind in der Region erfolgreich unterwegs. So ist in keinem baden-württembergischen Landkreis der Anteil des verarbeitenden Gewerbes höher als in Tuttlingen, wo er bei rd. 54 % liegt. Die Arbeitslosenquote lag im März 2018 bei 2,6 %!
Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag von Union und SPD ja mal wieder vorgenommen, die Lebensverhältnisse in den deutschen Regionen gleichwertiger zu gestalten, doch ehe ein neues Verteilsystem für Fördermittel zusammengebastelt wird, sollten sich die Politikerinnen und Politiker intensiv mit den positiven Beispielen – wie dem Landkreis Tuttlingen – beschäftigen.
Im Landkreis Tuttlingen, aber dies gilt für die ganze Region Schwarzwald-Baar-Heuberg, sind Gewerbe, Industrie und Handel so in Kommunen und Landschaft eingebunden, dass sie sich ohne Probleme mit dem Tourismus verbinden lassen. Hier trifft auf jeden Fall zu, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dort arbeiten, wo andere Urlaub machen. Und dazu trägt auch die obere Donau maßgeblich bei.
4 Antworten auf „Mutter Baar schickt ihre Tochter Donau durch Europa“