Wenn ein Wildtier in der Salbe landet
Murmeltiere dürfen in Deutschland zum Glück nicht geschossen werden, doch in Österreich und der Schweiz können deutsche Jagdreisende auf den eifrigen Tunnelbauer und Langschläfer anlegen. Auch in deutschen Haushalten landen erlegte Murmeltiere – zwar nicht auf dem Teller – dafür aber in Salben verschiedener Anbieter. Völlig abstrus sind die Aussagen der Jagdbefürworter, die zur Rechtfertigung der Jagd auf Murmeltiere verlauten lassen, Lämmer und Almbauern würden in die Öffnungen der Baue treten und sich verletzen. Und es sei gar schon einmal ein Gleitschirmflieger bei der Landung in einen Murmeltierbau gefallen und habe sich ebenfalls den Fuß gebrochen. Mit noch so abseitigen Geschichten soll der Abschuss von Wildtieren, hier den Murmeltieren, ‚legitimiert‘ werden. Das erinnert an die Aussagen von Jägern, man müsse Füchse schießen, um Feldhasen oder Rebhühner zu schützen, die dann gleichwohl ebenfalls flugs mit der Flinte erlegt werden. In Bayern werden bereits jetzt jährlich 10 000 Biber legal getötet, obwohl sie prinzipiell unter Schutz stehen, daher muss alles getan werden, dass sein nagender Kollege, das Murmeltier, nicht auch in Deutschland auf die Abschussliste gesetzt wird.
Wenn der Bauer ins Loch fällt
Der Lebensraum wird für Wildtiere immer mehr eingeschränkt, sei es durch Land- und Forstwirtschaft oder durch Urbanisierung und Flächenversiegelung. Deshalb ist es höchste Zeit, unseren wilden Mitlebewesen mehr Schutz zuzubilligen. Murmeltiere leben in alpinen Höhenlagen, in denen es im Grunde wenig Konflikte mit den Menschen geben sollte. Zwischen 900 und 3000 Höhenmetern tummeln sie sich, meist oberhalb der Baumgrenze, und nicht selten ist das Gelände mit Steinen und Felsbrocken durchzogen, höchstens mit kleinwüchsigen Latschenkiefern bewachsen und so auch wenig einladend für menschliche Nutzungen. Aber Jagdliebhabern ist keine Ausrede zu skurril, um den Abschuss von Murmeltieren politisch abzusichern, denn nicht nur in Südtirol mehren sich die kritischen Einwände, die ein Ende der Jagd auf die pelzigen Gesellen fordern. Auf der Internetseite der Zeitung ‚Südostschweiz‘ heißt es: „In Zermatt richten Murmeltiere grosse Schäden an.“ Und dann geht es mit kabarettistischem Tiefgang weiter: „Lämmer fallen auf der Weide in Bauten von Murmeltieren und verletzen sich. Auch Bauern straucheln und verunfallen dabei.“ Man mag es kaum glauben, jetzt plumpsen Schweizer Bauern doch tatsächlich in die Öffnungen von Murmeltierbauen! Und dann kommt es auch noch knüppelhart von oben: „Im bayerischen Allgäu musste ein Gleitschirmflieger auf den Operationstisch, weil er sich beim Landen in so einem Loch die Knochen brach“, berichtet ‚natuerlich-jagd.de‘. Wenn man dieser Denkweise folgen wollte, müsste man jedes Loch in der Natur zuschütten, und selbstredend jeden Tümpel, damit kein Gleitschirmflieger oder Bauer zufällig reinfällt und möglichst noch darin ertrinkt! In welcher Gesellschaft leben wir denn? Ist die Natur von manchen Zeitgenossen gänzlich abgeschrieben?
Für mich ist es auch ein Rätsel, wie man in Österreich einerseits die Großglockner Hochalpenstraße touristisch mit dem Murmeltier bewerben kann, wenn auf der anderen Seite jährlich 7 000 bis 8 000 Tiere abgeschossen werden. In der Schweiz sollen es rd. 5 000 sein, in Südtirol ca. 2 000. „Die Murmeltiere – Putzige Alpenbewohner am Großglockner“, so lautet der Titel der Seite ‚grossglockner.at‘. Ist es nicht ein Trauerspiel, dass andererseits in Österreich auf die ‚putzigen Alpenbewohner‘ geschossen werden darf? Nicht zu leugnen ist, dass Murmeltiere eifrige Baumeister sind und für ihre Tunnel Erde und Steine ans Tageslicht befördern. Allerdings leben Murmeltierfamilien über Generationen im gleichen Bau, und so reduziert sich auch der beklagte ‚Aushub‘. Wenn Murmeltiere buddeln, sieht so mancher Kommentator bereits die Kulturlandschaft mit ihren Almwiesen verschwinden, da sich die Bearbeitung für die Bauern nicht mehr lohne. Wenn sich Handarbeit oder der Einsatz kleinerer Mähgeräte heute nicht mehr lohnen sollte, dann liegt dies zuletzt am Murmeltier, sondern an einer fehlgeleiteten Agrarpolitik. Nun hat das Murmeltier Nage- und keine Reißzähne, doch gilt das Jammern auch dem Wolf, der die Beweidung der Alpen gefährde. Der Bergsteiger Reinhold Messner vertritt ebenfalls diese These, obwohl er ansonsten gerne vor großem Publikum über die Natur plaudert. Aber Natur braucht ihr Eigenleben, was für Murmeltier und Wolf, genauso wie für Biber oder Fischotter zutrifft. Im politischen Bereich dagegen finden unsere Wildtiere viel zu wenige Fürsprecher: Das wird doch nicht damit zusammenhängen, dass die Zahl der Jagdscheinbesitzer in der Politik recht hoch zu sein scheint? Und ganz nebenbei bemerkt: Nicht Murmeltier oder Wolf gefährden die Existenz der Almwirtschaft, sondern eine falsche Priorisierung bei den Agrarsubventionen!
Als Trophäe oder in die Salbe
So manchen deutschen Jäger zieht es zur Jagd auf Murmeltiere nach Österreich, da Reise und Abschuss überschaubare Kosten hervorrufen. „Die Jagd auf Murmeltiere ist quasi ein Einsteigerprodukt, um die faszinierende Bergjagd kennenzulernen“, so Kai-Uwe Kühl, Chef des Jagdreiseveranstalters K&K-Reisen gegenüber dem Berliner ‚Tagesspiegel‘. So wird das Murmeltier zum Löwen des ‚kleinen‘ Mannes. ‚Premium-Jagdreisen‘ weiß weitergehenden Rat: „Geschossen werden dürfen Murmeltiere nur mit der Kugel. Wir empfehlen Kaliber wie zum Beispiel .22 Hornet, .222 oder .223 Remington. Von stärkeren Kalibern raten wir ab, da man von der Trophäe noch etwas haben will und außerdem Murmeltiere eine schmackhafte Delikatesse sind“. Nun, ich muss gestehen, dass ich Murmeltiere lieber auf einer Alpenwiese sitzen oder in einem Bau auf einem krautigen Berghang eilig und pfeifend verschwinden sehe. Ein Blick ins Internet reicht, und schon erfahren wir, was aus getöteten Murmeltieren noch wird: Salbe! Ja, Salbe gegen Gelenk- und Muskelschmerzen. Auf Kosten eines Murmeltiers möchte ich auf jeden Fall meine Wehwehchen nicht pflegen. Werden Murmeltiere in manchen Veröffentlichungen vorschnell zum Plagegeist stilisiert, so wird das nicht durch Zahlen belegt, sondern es ist eher eine fadenscheinige ‚Begründung‘ für deren Abschuss. Weder in Deutschland noch in Österreich, der Schweiz oder in Südtirol gibt es verlässliche, wissenschaftlich abgesicherte Zahlen unabhängiger Institute zum Gesamtbestand der Murmeltiere, um so verwunderlicher ist es, dass sie vorschnell als nicht gefährdet eingestuft werden. Wie so oft in Bezug auf Wildtiere.
Sicherlich kann es– wie immer im Leben – eine Notwendigkeit für Eingriffe geben, wo menschliche Nutzungen geschützt werden müssen, doch dafür reichen Behauptungen über in Murmeltierbaue stürzende Bauern und wegen Unterhöhlung ins Tal rutschende Liftmasten nicht aus. „Murmeltieren sieht man es zwar nicht an, sie können aber teils große Schäden verursachen, indem sie beispielsweise Almhütten untergraben“, so der Südtiroler Bauernbund. Fast hätte ich ketzerisch geschrieben, dass man vielen Landwirten auch nicht ansieht, dass sie für den Rückgang von Insekten und Vögeln in Europa eine maßgebliche Mitverantwortung tragen, aber ich wollte ja beim Murmeltier bleiben. Der Südtiroler Bauernbund freut sich in seinen Mitteilungen, dass Murmeltiere gerade in „Schadgebieten“ und „Hauptverbreitungsgebieten“ erlegt werden sollen und betont „Im Zeitraum 2017 bis 2021 dürfen maximal fünf Prozent des Frühjahrsbestandes entnommen werden“. Wenn ich schon „entnommen werden“ höre, dann frage ich mich, wieviel Euphemismus, wieviel Beschönigung verträgt unsere Welt? „Entnommene“ Tiere – egal ob Murmeltier, Biber oder Wolf – sind hinterher im Regelfall tot. Mausetot! „Für die Entnahme gelten strenge Auflagen: Sie grenzen sowohl die für die Jagd zugelassenen Gebiete als auch die Höchstgrenzen ein“, schreibt der Südtiroler Bauerbund – und schon geht es wieder rd. 2 000 Murmeltieren an den Kragen. In Südtirol belegen Klagen von Tierschutzorganisationen und ein Urteil der Zentralsektion des italienischen Rechnungshofs, dass es auch kritische Einschätzungen zur Jagd auf Murmeltiere bzw. deren Begründung gibt. Wer als Tourist in Regionen reist, in denen Murmeltiere geschossen werden, der sollte seinen Unmut gegenüber Hoteliers und Restaurantbetreibern deutlich artikulieren, denn über die Tourismusverbände lässt sich der Druck auf die Politik erhöhen, die Murmeltiere zu schonen.
Überlebenskünstler braucht Schutz
Die Murmeltiere haben sich sehr gut an harte klimatische Verhältnisse und einen langen Winter gewöhnt. Für den Winterschlaf tragen sie in ihren Bau trockene Gräser und andere Pflanzen ein und verdichten diese auch mit Erde und Steinen zu einem langen Pfropfen in den Eingängen, um so die extreme Kälte draußen zu halten. Murmeltiere haben nur wenige Schweißdrüsen und müssen daher an besonders warmen Tagen im Bau bleiben. Wenn Hitzetage im Zuge des Klimawandels auch in den alpinen Höhenlagen zunehmen, fällt es den Murmeltieren zunehmend schwerer, sich den notwendigen Fettvorrat für den Winter anzufressen. Ohnehin sterben viele Jungtiere in der kalten Jahreszeit, da es ihnen nicht gelungen ist, genügend Fett anzusetzen. Beim Winterschlaf werden die Körperfunktionen im höchsten Maße herabgesetzt, die Körpertemperatur fällt auf bis zu fünf Grad ab. Dies auch über sechs oder sieben Monate durchzustehen ist eine besondere Leistung des Murmeltiers. Jungtiere überleben nur gemeinsam mit den älteren Tieren im Bau, wo sie sich aneinander kuscheln. 10 oder selbst mal 20 Tiere finden sich in einer sozialen Gemeinschaft zusammen, um den Winter zu überleben. „Früher wurden die hilflos schlummernden Murmeltiere ausgegraben, um Fleisch und Öl gegen Gicht und Rheuma zu gewinnen“, so der NABU.
Die Alpenmurmeltiere leben von Kräutern, Gräsern, Blüten, Blättern oder Wurzeln, eher selten verspeisen sie Insekten oder Körner. Bei dieser Kost ist es nicht verwunderlich, dass sie auch mal weidenden Rindern begegnen. Auf extensiv genutzten Viehweiden entsteht hier keinerlei Konkurrenz, sondern die Tiere kommen miteinander zurecht. Und das gilt sicherlich auch für die Mehrheit der Almhirten, denn nicht jeder stürzt ja in einen Murmeltierbau! Zu den natürlichen Feinden gehören Greifvögel wie der Steinadler, sowie Füchse und Marder. Der eigentliche Feind ist jedoch der Jäger auf zwei Beinen, denn nur dieser hat immer wieder Murmeltiere in ganzen Regionen ausgerottet.
Alpenmurmeltiere müssen in Deutschland weiter unter Schutz stehen, und in den anderen Alpenländern wie Österreich, Schweiz und im italienischen Südtirol muss die Jagd auf Murmeltiere verboten werden. Wer heute Murmeltiere schießt, der gefährdet zumindest längerfristig ihren Bestand, denn die Erderwärmung wird den alpinen Nagern weiter zusetzen und diese Tierart gefährden. Murmeltiere gehören weder in Salben noch als Trophäen ins Wohnzimmer, sondern in die raue Natur der Alpen!
Eine Antwort auf „Murmeltiere im Fadenkreuz“