Der Trümmerberg in Stuttgart erinnert an das Leiden im Zweiten Weltkrieg
Als geborener Stuttgarter kenne ich den Birkenkopf – den „Monte Scherbelino“ – schon seit meiner Kindheit, doch er behält seinen Erinnerungswert auch beim Besuch mit den Enkelkindern. 1,5 Mio. Kubikmeter Schutt aus dem zerbombten Stuttgart ließen den Birkenkopf um rd. 40 Meter wachsen: Und noch immer sind Fassadenteile steinerne Zeugen eines fürchterlichen Krieges und Völkermords an den europäischen Juden, der unter den Nationalsozialisten von deutschem Boden ausging. Wir Deutschen haben mehrheitlich unsere Lektion verstanden, denn wer die Fackel des Krieges in die Welt trug, der musste erkennen, dass die Feuersbrunst auch in den eigenen Städten loderte. Nach 53 Bombenangriffen waren 45 % meiner Geburtsstadt zerstört und 67 % der Wohngebäude unbewohnbar. Der Monte Scherbelino – so der Volksmund – soll nicht nur an den Terror des Krieges vor 80 Jahren und seine Opfer erinnern, sondern muss ebenfalls als Mahnung für unsere Tage verstanden werden, als Aufruf, für Frieden und Freiheit einzutreten.
Historische Orte aufwerten
Wer zur Spitze des Birkenkopfs spaziert, der hat einen fantastischen Blick auf das in einem Talkessel liegende Stuttgart und steht doch auf der traurigen Geschichte, die noch keine 80 Jahre zurückliegt. Wenn Zeitzeugen zunehmend von uns gehen, die noch aus eigenem Erleben über die damaligen Ereignisse berichten könnten, dann bekommen historische Orte wie der Monte Scherbelino eine noch größere Bedeutung. Pläne, dies zu unterstreichen, ließ die Stadt Stuttgart bereits vor Jahren entwickeln, aber im Rathaus tut man sich zunehmend schwer mit der Umsetzung von Projekten. So schrieb Joachim Dorfs, Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung: „Offenbar hat sich in Stuttgart das Jahrzehnt als kleinste Zeiteinheit für Veränderungen etabliert.“ Und dies gilt für die Bebauung der durch Stuttgart 21 freiwerdenden Flächen ebenso wie für das lange baulich vernachlässigte Opernhaus oder eine sachgerechte Information zur Geschichte des Monte Scherbelinos. So erinnern nur zwei Inschriften am Beginn des Aufstiegs und am Gipfel an die Entstehung des Trümmerbergs. „Dieser Berg, nach dem Zweiten Weltkrieg aufgetürmt aus den Trümmern der Stadt, steht den Opfern zum Gedächtnis, den Lebenden zur Mahnung“, so der Text am Gipfel, und am Fuß des Birkenkopfs einige dürre Infos zur Trümmermenge. Ein wenig mehr Information könnte nicht schaden.
Beim Kreuz auf dem Birkenkopf steht der Besucher auf 511 Metern Höhe und damit nahezu 300 Meter über dem Niveau des Neckars. Allerdings müssen nur die letzten Meter von einem Parkplatz aus in 15 bis 20 Minuten zurückgelegt werden. Die noch sichtbaren Trümmer bilden hier ein Halbrund, das an ein Amphitheater erinnert und sich in Richtung Stadtzentrum nach Nordosten öffnet. An klaren Tagen reicht der Blick bis zur Schwäbischen Alb mit der Burg Hohenzollern und zum Nordschwarzwald weit im Westen.
Trümmerabfuhr per Straßenbahn
In zahlreichen Städten gibt es Trümmerberge. So auch in Frankfurt: Beim dortigen Monte Scherbelino handelt es sich um eine Deponie, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg bestand und von 1925 bis 1968 zu einem 50 Meter hohen Berg anwuchs. Nur zu einem geringen Teil wurden nach dem Krieg Trümmer aufgebracht. Das Gelände ist – nach einer zwischenzeitlichen Freizeitnutzung – abgesperrt, da Schadstoffe aus dem Boden freiwerden. Dort soll sich nun eine urbane Wildnis – hinter dem Zaun – entwickeln, während in Stuttgart zurecht auch Bäume und Büsche gestutzt werden, um den Charakter des Berges im oberen Bereich und die Rundumsicht zu erhalten. Zumindest erwähnen möchte ich noch den Trümmerschutt auf dem Wallberg bei Pforzheim, der die Reste der zerbombten Stadt aufgenommen hat. Die Rheydter Höhe in Mönchengladbach – der Monte Klamott – entstand aus Trümmern, doch wurde auf ihr auch Hausmüll abgekippt. In Leipzig zeugt die Trümmerkippe Bauernwiesen – Fockeberg genannt – von den Trümmern des Zweiten Weltkriegs, in Dresden gibt es gleich mehrere solcher Trümmerberge.
Wo immer möglich wurden für den Wiederaufbau viele Gebäudereste – wie Backsteine – recycelt, so auch in Stuttgart, wo rd. fünf Millionen m³ an Trümmern angefallen waren. Der Birkenkopf bot sich nach Meinung der Stadtverwaltung als Ablageort an, da dort am Ende des Krieges eine Flakbatterie gesprengt worden war, und dies hatte den Wald stark geschädigt. Trümmerloks mit Loren und die Straßenbahn trugen zum Abtransport der Trümmer bei, weil Lkw Mangelware waren. Selbst bis zum Birkenkopf lagen Straßenbahngleise: einst für Ausflügler gelegt, dienten sie nach dem Krieg zum Abtransport von Trümmern, Schutt und Scherben – und so kam der Birkenkopf zu seinem neuen Namen „Monte Scherbelino“. In den 1930er Jahren rollten die Straßenbahnen von Gablenberg über Hauptbahnhof und Schlossplatz zum Leipziger Platz und dem Westbahnhof, um dann noch den Anstieg zur Endhaltestelle Charlottenbuche am Birkenkopf zu bewältigen.
Für Frieden und Freiheit
Der Monte Scherbelino in Stuttgart und ähnliche Orte in Deutschland oder anderen Ländern sind wichtige Orte der Erinnerung gerade auch für die nachwachsenden Generationen, die keine Zeitzeugen mehr treffen können. Die NS-Diktatur verübte in deutschem Namen nicht nur den Völkermord an den deutschen und europäischen Juden, sondern führte einen erbarmungslosen Krieg gegen die Nachbarstaaten und letztendlich die ganze freie Welt. Millionen Menschen wurden als Sklaven- und Zwangsarbeiter geschunden. Trümmerberge – wie der Monte Scherbelino – erinnern daran, dass wir uns für den Frieden einsetzen müssen, denn dieser ist niemandem garantiert.
Es gilt, Frieden und Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie früh zu verteidigen – und zwar gegen alle extremistischen Bestrebungen! Völkerverständigung statt Hass zwischen Kulturen, Ethnien, Regionen und Staaten, dies ist eine Aufgabe für uns alle! Der Monte Scherbelino regt die Besucher dazu an, nicht nur über die Geschichte nachzudenken, sondern sich dafür zu engagieren, dass weder in Deutschland noch anderswo politische oder religiöse Extremisten die Macht an sich reißen können. Der Trümmerberg auf dem Birkenkopf ist ein Beleg dafür, dass die Nationalsozialisten nicht nur unermessliches Leid über die Welt brachten, sondern auch nicht davor zurückschreckten, das eigene Volk mit in den Abgrund zu ziehen. Wir können als Nachgeborene nur dankbar sein, dass zumindest die westlichen Alliierten nicht wie nach dem Ersten Weltkrieg im Wald von Compiègne auf Rache und Reparationen setzten, sondern auf den Aufbau einer funktionierenden Demokratie.
2 Antworten auf „Monte Scherbelino – eine steinerne Mahnung zum Frieden“