Eine verfehlte Agrarpolitik ist der Kern der Probleme
Seit Jahren rückt die afrikanische Schweinepest immer näher an Deutschland heran und ist jetzt auch erstmalig auf deutschem Boden bei einem Wildschwein nachgewiesen worden. Schweinemäster rufen nach dem Totalabschuss von Wildschweinen, die das für Schweine tödliche Virus übertragen können, doch viel zu wenig wird über die Anfälligkeit des gesamten landwirtschaftlichen Systems nachgedacht. Wer baut denn Mais auf immer großflächigeren Feldern an und verschafft so den wilden Borstenviechern gewissermaßen ein Schlaraffenland? Und nicht selten übertragen nicht Wildschweine die Seuche, sondern Zweibeiner, die achtlos ihr infiziertes Wurstbrot in die Landschaft werfen. So werden schnell weite Strecken per Lkw überwunden, die Wildschweine üblicherweise gar nicht zurücklegen. Aus diesen wenigen Hinweisen ergibt sich auch, dass wir den menschlichen Faktor in Blick nehmen müssen und nicht vorschnell auf die Liquidation von Wildsauen setzen dürfen. Wer wie der Deutsche Bauernverband 70% aller Wildschweine abschießen lassen möchte, der handelt populistisch und löst mal wieder kein Problem.
Riesige Maisfelder fördern die Wildschweinpopulation
Ernüchternd ist es, wenn Bauernverbände und Politiker dazu aufrufen, den Wildschweinen den Garaus zu machen, denn da kommen wir Verbraucher nicht in der Argumentation vor, sondern die Exporte nach China und in andere Staaten stehen im Vordergrund. Die Afrikanische Schweinepest ist für den Menschen ungefährlich, doch die chinesische Regierung will sich keine neue Virenwellen ins Land holen, denn dort hat diese Seuche bereits vor Jahren die Bestände dezimiert: 100 Mio. Schweine verendeten im vergangenen Jahr an der Afrikanischen Schweinepest oder mussten getötet werden. Deutsche Lieferanten sprangen mit ihren Schweinen ein: Nun habe ich nichts gegen ein exportstarkes Deutschland, aber ob wir gerade auf Schweinehufe und andere tierische Bestandteile setzen sollten, das wage ich doch zu bezweifeln. Jetzt hat die chinesische Regierung – wie zu erwarten – den Import von Schweinefleisch aus deutschen Schlachthöfen untersagt. In deutschen Landwirtschaftsbetrieben leben immer mehr Schweine in Massenställen, und die Sauen schon mal über Monate eingezwängt in den Kastenstand. Das Futter wächst längst nicht mehr überall auf dem Acker vor dem Stall, sondern es wird selbst aus Amerika über den Atlantik geschippert. Die Gülle verseucht bei uns derweil das Grundwasser! Wildschweine haben keinen Zugang zu den Massenställen, aber mögliche Restriktionen würden genau die Züchter betreffen, die ihre Schweine auch mal an die frische Luft – auf die Weide – lassen.
Die Statistik des Deutschen Jagdverbands weist jährlich hohe Zahlen für abgeschossene Wildschweine auf: für 2017/18 wurden 836 865 und 2018/19 knapp 600 000 Tiere erfasst. Diese Abschüsse machen auch deutlich, dass die Jagd nicht die Lösung des Problems sein kann, denn jetzt ist ein mit der Afrikanischen Schweinpest infiziertes Wildschwein in Brandenburg in der Nähe der polnischen Grenze verendet aufgefunden worden. In Tschechien sollen in sehr überschaubaren und dann eingezäunten Revieren hohe Abschussquoten bei der Eindämmung der Afrikanischen Schweinepest geholfen haben, doch gilt dies selbstredend nicht für ganze Flächenstaaten. So betont der Wildökologe Sven Herzog in der Stuttgarter Zeitung zurecht: „Man kann die Tiere zwar lokal intensiv bejagen, um einen lokalen Ausbruch im Keim zu ersticken, aber eine Jagd in der Fläche ist extrem schwierig.“ Professor Herzog weist auch darauf hin, dass gerade die Intensivierung der Jagd dazu führen könnte, dass Wildschweinrotten weitere Distanzen zurücklegen und so die Viren in weiträumige Regionen übertragen. „Die Wildschweindichte ist ein hausgemachtes Problem der Landwirtschaft“, führt Herzog weiter aus. „Da werden auf riesigen Flächen Monokulturen von Raps und Mais angebaut … Die Tiere finden also das ganze Jahr über sehr viel Nahrung auf großen Flächen, in denen sie kaum bejagt werden können.“ Und so fordert auch Professor Herzog ein „Umdenken in der Agrarpolitik“, von dem wir leider meilenweit entfernt sind.
Das Wurstbrot als Gefahrenquelle Nr. 1
Die Anfälligkeit der Tiere in Massenställen ist natürlich groß, und wenn das Virus der Afrikanischen Schweinepest eingetragen würde, dann müssten zehntausende von Schweinen getötet werden. Die heutige intensive Nutzung der Äcker und die massenhafte Haltung von Nutztieren an einzelnen Standorten schafft somit die Probleme selbst, die nun beklagt werden. Doch Schuld ist mal wieder nicht die geradezu irrwitzige EU-Agrarpolitik, sondern in diesem Fall die Wildschweine, was ebenso lächerlich ist wie die Schuldzuschreibung an den Wolf, wenn die Weidewirtschaft kränkelt. Dabei gingen die Rinder auf der Weide längst zurück, als es noch keinen einzigen Wolf in Deutschland gab. Diese Rückzugsgefechte einer an den selbst erzeugten Problemen leidenden Landwirtschaft dürfen wir nicht wortlos hinnehmen, sondern wir müssen die Fehler deutlich benennen – und dies gilt hier besonders für die Afrikanische Schweinepest.
Die Bundesregierungen unter Angela Merkel haben nicht nur eine Neuorientierung der Agrarpolitik verschlafen oder ganz bewusst hintertrieben, sondern auch bei der Afrikanischen Schweinepest nicht rechtzeitig gehandelt. Nach Medienberichten soll Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner mit der polnischen Regierung darüber gesprochen haben, ob diese nicht auf deutsche Kosten einen Wildschutzzaun auf ihrer Seite bauen könne, um ein Überspringen der Schweinepest nach Deutschland zu verhindern. Im Gegensatz zu Dänemark hatte die Bundesregierung wohl nicht den Mut, selbst einen Zaun gegen die Schweinepest zu errichten, denn man wollte mal wieder den europäischen Liebling geben, der natürlich keine Zäune baut. Die Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg oder Sachsen sind daher aktiv geworden, um das Schlimmste zu vermeiden.
Zäune mögen helfen, aber jedes Stück Schinken oder Wurst, das z. B. aus Polen infiziert nach Deutschland gelangt und unachtsam an einem Parkplatz entsorgt wird, kann mehr Schaden anrichten als ganze Rotten von Wildsauen. So schreiben beispielsweise Sandra Blome u.a. in ihrem Beitrag ‚Die Afrikanische Schweinepest in Osteuropa –eine Gefahr auch für deutsche Schweinebestände?‘: Es „geht ein vorherrschendes Einschleppungsrisiko des Erregers insbesondere von im Personen- und Güterreiseverkehr mitgeführten ASPV-kontaminierten Lebensmitteln bzw. Speiseabfällen aus. Weiterhin können kontaminierte und unzureichend desinfizierte Transportfahrzeuge, die aus betroffenen Gebieten zurückkehren, ein erhöhtes Einschleppungsrisiko darstellen“. Die Desinfektion von Fahrzeugen, Geräten und Schuhsohlen bringt oft mehr als der Feuerbefehl!
Ungenügende Vorbereitung auf Seuchen
Und wieder ist der Mensch bei der Afrikanischen Schweinepest die größte Gefahr, wenn er seine Speisereste nicht sachgemäß in geschlossenen Müllbehältern entsorgt. Wer Parkplätze in Deutschland und den angrenzenden Ländern kennt, der weiß, dass die bisher verteilten Handzettel für Fernfahrer und Reisende oder allgemeine Warnungen nur sehr begrenzt Wirkung zeigen. Der freie Warenverkehr und insbesondere offene Grenzen in Europa sind für uns alle ein wichtiges Gut, doch wir bezahlen dafür auch einen hohen Preis – und dies gilt für eingeschleppte Neophyten, die heimische Pflanzen verdrängen, ebenso wie für das Corona-Virus, das wir frei Haus aus dem chinesischen Wuhan bekamen. Ich möchte offene Grenzen nicht missen, aber wir müssen diese in Einklang bringen mit den Bedürfnissen des Seuchenschutzes. Hier hat die Bundesregierung entsprechende Vorbereitungen sträflich vernachlässigt, was sich auch bei Covid-19 zeigte, denn wissenschaftliche Warnungen lagen seit 2013 vom Robert-Koch-Institut und der Fraunhofer-Gesellschaft vor.
Feuer frei auf alle Wildschweine – dies wird Seuchen wie die Afrikanische Schweinepest nicht langfristig eindämmen: Wir brauchen eine Neuorientierung der EU-Agrarpolitik, die abgeht von der Flächenförderung und stattdessen Ökologie sowie Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellt. Großflächige Monokulturen mit Mais müssen reduziert werden, denn sie bieten Wildschweinen ein allzu üppiges Futterangebot und vor allem Schutz vor Entdeckung. Leicht pervers ist es auch, wenn der Mais nicht an die eigenen Schweine verfüttert wird, sondern in die Biogasanlage wandert, um dann importiertes Sojamehl in den Trog zu schütten. Als mir dies vor einigen Jahren ein baden-württembergischer Schweinzüchter so schilderte, war ich wirklich perplex. Aber auch immer gigantischere Ställe für Schweine sind keine wirkliche Lösung: wir müssen uns auf kleinere Einheiten und insgesamt weniger Schweine in Deutschland einstellen. Wir sind ein Industrieland – noch? – und sollten uns auf innovative Technologien konzentrieren und nicht auf die Optimierung der Schweineproduktion! Und schon gar nicht auf den Export von Schweinefleisch! Es ist höchste Zeit, dass die von Angela Merkel geführte Bundesregierung und insbesondere Agrarministerin Julia Klöckner einsehen, dass eine ständige Intensivierung der Landwirtschaft und Viehzucht nur Probleme mit sich bringt und Natur und Umwelt zerstört. Wer heute nur auf den Abschuss von Wildschweinen setzt, der löst kein Problem, sondern ist selbst Teil des Problems!
Sehr geehrter Herr Dr. Ulsamer,
wie recht Sie doch haben, das Problem sind nicht die Wildschweine, zumindest nicht allein, sondern die Strukturen in der Landwirtschaft.
Die Wildschweine sind wohl zu den Hauptschuldigen definiert worden, getreu nach Asterix bei dem zu Lesen ist, “man bestimme einen Schuldigen:”
Der Kreis schließt sich zu Ihren Beiträgen, in denen Sie zu mehr Rücksicht mit Natur und Umwelt aufrufen.
Das weggeworfene Vesper richtet vielleicht mehr Schaden an, als der nicht errichtete Zaun und die nicht geschossenen Wildschweine. Selbstverständlich bin ich mir dabei bewusst, dass der Bestand an Schwarzkitteln zu groß ist und reduziert werden muss.
Ein Blutopfer spiegelt Tatkraft wieder löst aber das Problem nicht. Dazu ist die von Ihnen angesprochen Änderung in der Landwirtschaft notwendig.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Walter; Immendingen
Herzlichen Dank für Ihre zustimmenden Worte, sehr geehrter Herr Walter. Ich hoffe sehr, dass die Politik auch entsprechend handelt.