Vorgenutzte Areale innovativ mit Leben füllen
Fährt man durch Deutschland, dann fällt die ausufernde Bebauung an den Ortsrändern ebenso auf wie leerstehende Gebäudekomplexe, die gerne mal ein Jahrzehnt und mehr vor sich hingammeln. Nicht mehr zu sehen sind die hunderttausenden von Wohnungen, die Mangels Mietern gerade in den neuen Bundesländern abgerissen wurden und der Druck, auch noch die letzte Baulücke in den Innenstädten zu schließen – trotz der deutlichen Warnungen vor zunehmender Erwärmung in den urbanen Kernzonen. Immobilienpreise schnellen in die Höhe und Mieten explodieren. Die Politik scheint ratlos in einem Zielkonflikt gefangen, denn einerseits wird die Erhöhung der Wohnungsbauzahlen vorangetrieben und gleichzeitig soll der Flächenfraß gestoppt werden. Da wird schon mal zum Sturm auf die Einfamilienhäuser geblasen und das hohe Lied der lange verpönten Wohnmaschinen angestimmt – vor allem von Politikern, die nicht in einem Wohnblock residieren. Keine einzige Wohnung mehr schafft auch der in Berlin so gerne propagierte ‚Mietendeckel‘. Einfache Lösungen wird es nicht geben, um die Bedürfnisse der Menschen und der Natur zu verbinden, doch das Herumdoktern an kleinräumigen Veränderungen wird allein nicht helfen: Wir brauchen eine innovativere Regionalpolitik, die bereits vorgenutzte Flächen bundesweit stärker in den Mittelpunkt rückt. Und dies gilt ganz gewiss nicht nur für die neuen Bundesländer, denn auch andere Landstriche leiden unter einer starken Abwanderung.
Regionale Ab- und Zuwanderung gestalten
Der Zuzug in die wirtschaftlich prosperierenden Regionen ist im Grunde ein positives Zeichen für eine Gesellschaft, denn die Bürgerinnen und Bürger sind mobil und wollen im Regelfall auch von ihrer Arbeit leben können. Die Kehrseite der Medaille ist jedoch das Ausufern mancher Städte und Gemeinden, die Zersiedelung und steigende Mieten für Bewohner und Gewerbetreibende. In anderen Kommunen dominiert dagegen der Leerstand, und ganze Wohnquartiere und Industrieanlagen werden abgerissen (bestenfalls!) oder verwandeln sich in Ruinen, obwohl sie noch sanierungsfähig gewesen wären. In den neuen Bundesländern wurden nach der Wende „rund 370.000 nicht mehr nachgefragte Wohnungen“ abgerissen, so das Demografieportal des Bundes. Dies ist eine direkte Folge der Abwanderung. Bevor ganze Wohnquartiere dauerhaft verrotten, ist es besser, die Gebäude abzureißen, aber eine solche Vernichtung von Wohnraum – und damit auch grauer Energie – hätte zumindest teilweise durch eine innovative Regionalpolitik verhindert werden können. Wurde nicht von den Bundes- und Landesregierungen immer wieder versprochen, wirtschaftliche Kristallisationszentren dort zu initiieren, wo es an zukunftsgerichteten Arbeitsplätzen fehlt? Passiert ist meist nichts, was Schlimmes für die Regionen befürchten lässt, in denen der Braunkohleabbau wegen des Klimaschutzes eingestellt wird.
Trotz des Abrisses von Wohn- und Gewerbegebäuden stehen in Deutschland, in Ost und West, Süd und Nord, und gewiss nicht nur in den neuen Bundesländern viele Baulichkeiten leer. Ausblutende Regionen gibt es in allen Flächenländern. Nicht nur Görlitz in Sachsen ist ein Beispiel für einen dramatischen Einwohnerverlust, sondern auch Goslar in Niedersachsen. Goslar zählte 1975 über 66 000 Mitbürger, Mitte 2021 lag die Einwohnerzahl bei 50 070. Görlitz an der polnischen Grenze zählte statt 78 794 im Jahre 1989 im Dezember 2021 – trotz Eingemeindungen – nur noch 56 445 Einwohner. Dies wird überdeutlich am noch nicht renovierten Wohnungsbestand. Sehr treffend bemerkte Christian Hunziker in der ‚Welt am Sonntag‘: „Salopp gesagt: Es gibt heute zu viel Stadt für zu wenige Menschen.“ Weiter möchte ich diesen Aspekt hier nicht vertiefen, denn Informationen hierzu finden Sie in meinem Blog-Beitrag „Ein dickes Geldsäckel löst die Wohnungsnot nicht. Nur eine innovative Regionalpolitik wird helfen“. Ab- und Zuwanderung innerhalb Deutschlands ist kein Schicksalsschlag, sondern kann politisch gestaltet werden. Dafür scheint allerdings der politische Wille zu fehlen.
Investoren ohne klare Strategie
Wohnraum oder zumindest bereits vorher bebaute Flächen – „brownfields“ – wären in vielen Regionen nutzbar, doch es fehlt an der wirtschaftlichen Zugkraft jener Kommunen oder ganz einfach an kommunalen Haushaltsmitteln, um rechtzeitig Fabrikgelände, Kurkliniken oder Hotels ankaufen zu können. Immer wieder werden daher auch Vorkaufsrechte nicht wahrgenommen. Zum Zug kommen dann ‚Investoren‘ aus dem östlichen Europa oder China, die sich häufig anschließend nicht mehr blicken lassen. So mancher mag das Interesse am jeweiligen Objekt verloren haben oder die eigenen Kassen sind inzwischen leer. An der Schwarzwaldhochstraße verrotten seit Jahren, nicht selten Jahrzehnten, Hotels – sogar ausgerechnet an besonders markanten Örtlichkeiten. Bereits 2017 habe ich über diese Missstände berichtet: „Schwarzwaldhochstraße im Tief?“ Natürlich sind nicht nur mir solche Hotelruinen aufgefallen, die den Blick in die Zukunft versperren – weit über das Touristische hinaus. So kam der von der Project M GmbH im Auftrag der Landkreise Rastatt, Ortenau und Freudenstatt entwickelte Masterplan für eine Belebung der Schwarzwaldhochstraße zu dem Schluss: „Ein unmittelbarer Bedarf an zusätzlichen Übernachtungskapazitäten kann auf Grund der aktuellen Angebots- und Nachfragestrukturen nicht zwingend abgeleitet werden.“
Und damit komme ich zu meinem zentralen Anliegen: Vergammelnde Hotels oder Kurkliniken werden sich zumeist nicht für den früheren Bestimmungszweck nutzen lassen, denn die Zeit ist über sie hinweggegangen. Im österreichischen Bad Gastein macht sich die Münchner Hirmer-Gruppe daran, zu beweisen, dass historische Hotels wieder zu alter und neuer Anziehungskraft finden können, allerdings liegen diese alle im Ortskern. Mehr dazu in meinem Blog-Beitrag “Bad Gastein: Mit neuen Investoren zurück in die Belle Époque. Klappt die Wiederbelebung der Geisterhotels?“ Häufig wird jedoch an einer ähnlich gelagerten Nachnutzung bei vereinzelt stehenden Hotels festgehalten, ohne zusätzliche Chancen zu erkennen. Initiativen verschiedener Bürgermeister scheinen an der Schwarzwaldhochstraße seit 2015 immer wieder versandet zu sein, es bedarf neuer überregionaler Impulse, denn hier ein Wildgehege und dort ein Vesperstübchen wird es nicht richten. Ich hatte Guido Wolf auf die „Hotelbrachen“ angesprochen, den damaligen baden-württembergischen Minister für Justiz und Europa, der auch für Tourismus zuständig war und er verwies auf die bereits angesprochenen Aktivitäten, die auch über das EU-Programm ‚Leader‘ unterstützt werden. „Grundsätzlich kann die Lenkungsgruppe jedoch nur den Anstoß zu Projekten geben. Bei deren konkreter Umsetzung ist man auf private Investoren bzw. Fördermittel angewiesen“, so Guido Wolf. Lange Zeit hätte ich hier zugestimmt, doch bin ich inzwischen zur Überzeugung gelangt, dass es von staatlicher Seite mehr Engagement zumindest in einer Übergangszeit bedarf. Alle Beteiligten müssen über den Tellerrand hinausschauen und neue Ideen kreieren. Ein Hotel muss nicht immer ein Beherbergungsbetrieb bleiben oder notgedrungen mit einer öffentlichen Einrichtung ‚befüllt‘ werden. Förderprogramme wie „FreiRäume“ der baden-württembergischen Landesregierung helfen kulturelle Angebote „vor allem auf dem Land zu schaffen“ und haben so auch ihre Berechtigung. Aber „The Länd“ braucht mehr „Um Kultureinrichtungen für neue Angebote zu öffnen oder leerstehende Gebäude durch künstlerische und soziokulturelle Nutzungen wiederzubeleben“. Langfristig helfen nur sich selbst tragende Initiativen, denn ansonsten bleibt es bei kurzfristigen Belebungen alter Gemäuer.
Kleinere Gemeinden sind häufig mit den leerstehenden Immobilien überfordert, denn eine Sanierung und Nutzung für andere Aufgaben würden die Kapazitäten in finanzieller und personeller Hinsicht sprengen. Und es fehlen die Budgetmittel, um die Liegenschaft zu übernehmen. Ziehen wir ein Beispiel aus der Gemeinde Bad Rippoldsau-Schapbach im baden-württembergischen Landkreis Freudenstadt heran: Dort steht eine in manchen Medien als „Schwarzwaldklinik“ bezeichnete frühere Kurklinik mit fast 300 Betten leer, die allerdings nichts mit der erfolgreichen TV-Serie gemein hat. Als wir von der Schwarzwaldhochstraße kommend in Richtung Wolfach fuhren, sprang der dunkle Gebäudekomplex direkt ins Auge, der die Hälfte des engen Tals einnimmt. An der Bushaltestelle gegenüber dem historischen Sanatorium fand sich noch als krönender Abschluss der „Bad“-Geschichte der Text: „Im Dezember 1977 erfolgte die Einweihung des heutigen Kurzentrums mit Mineral- und Thermalbewegungsbad. Die Klinik Bad Rippoldsau mit Privatsanatorium ‚Villa Sommerberg‘ mit 300 Betten verfügt über modernste medizinische und therapeutische Einrichtungen.“ Da sieht man mal wie schnelllebig unsere Zeit ist: Seit der Eröffnung erlebte dieses ‚Kurzentrum‘ nicht nur einen Großbrand, die Pleite der Betreiber und den Ausverkauf der Einrichtungsgegenstände, sondern auch noch den Erwerb durch einen chinesischen Investor. Aus dessen geplantem 5-Sterne-Hotel ist nichts geworden, so dass niemand mehr das Wasser der Mineral- und Thermalquellen nutzt, und die Gebäude stehen seit einem Jahrzehnt leer. Die derzeitigen Erschütterungen des chinesischen Immobilienmarkts – Evergrande Group – oder die Pleite des Flughafens Hahn im Hunsrück unter chinesischer Ägide zeigen überdeutlich, dass es fürwahr kein Allheilmittel ist, Immobilien von überregionaler Bedeutung nach China zu verscherbeln. Bei vielen Käufern von Immobilien scheint eine klare Strategie und noch mehr das Durchhaltevermögen zu fehlen, um Schlüsselimmobilien einer neuen Aufgabe zuzuführen.
Kommunen benötigen Unterstützung
Kurkliniken stehen nicht nur im Schwarzwald seit Jahren leer, und eines ist sicher, niemand wird sie für die früheren Zwecke jemals wieder benötigen. Fabrikanlagen geht es manchmal ähnlich, so z. B. einer ehemaligen Papierfabrik im bayerischen Sinzing, Ortsteil Alling. Würde man dem Internet glauben, würde es dort – in der Nähe von Regensburg – nur so von gewerblichen Nutzern wimmeln. Aber verwahrlost ist noch ein freundlicher Begriff für diesen Gebäudekomplex, egal ob dort noch Pilze gezüchtet werden oder nicht. Auf der Internetseite der Gemeinde finden sich Äußerungen von Bürgern, die den traurigen Zustand der einst stolzen Fabrikanlage beklagen. Sicherlich sind auch Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, solche Gebäudekomplexe schon allenthalben aufgefallen, die laut nach einer neuen Nutzung rufen.
Natürlich gibt es zahllose gelungene Revitalisierungen von militärischen und gewerblichen Flächen oder Wohn- und Industriekomplexen. Ich selbst war an der Konversion eines Bundeswehrstandorts in ein Prüf- und Technologiezentrum für die damalige Daimler AG beteiligt und erlebte, ja ‚erlitt‘ manchmal die Komplexität der Anforderungen, die sich bei solchen Umwidmungen stellen. Dabei bin ich nicht der Meinung, dass in Deutschland die gesetzlichen Anforderungen in Sachen Umwelt und Natur gesenkt werden sollten – auch nicht für Windkraftanlagen -, doch muss sichergestellt werden, dass kleinere Kommunen die Unterstützung erfahren, die sie mangels eigener personeller und finanzieller Ressourcen benötigen. Eine offene und frühestmögliche Einbeziehung der Bürgerschaft ist unerlässlich, und damit meine ich aller interessierten Bürgerinnen und Bürger und nicht einer per Zufallsauswahl zusammengestellten Gruppe von ca. 40 Personen. Letzteres propagiert ausgerechnet die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg, obwohl die Grünen einst Bürger- und Volksentscheide auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Bürgerbeteiligung droht dann zum Deckmäntelchen zu werden. Wünschen würde ich mir auch, dass Umweltverträglichkeitsprüfungen bei entsprechenden Projekten in allen Bundesländern in gleicher Weise umgesetzt werden. Hieran zweifle ich z. B. bei der Tesla-Fabrik in Brandenburg, wo eine Kartierung von Eidechsen in der kalten Jahreszeit vorgenommen wurde, wo sich diese nun wirklich nicht blicken lassen.
Neue Ideen für alte Gemäuer
Die jetzigen Besitzer verrottender Immobilien können oder wollen das Ächzen der alten Mauern wohl nicht hören oder sie residieren zu weit weg auf unserem Globus, um das Stöhnen zu vernehmen. Nun bin ich ein überzeugter Vertreter einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft, doch diese stößt an ihre Grenzen, wenn sich Eigentümer nicht um ihre Liegenschaften kümmern und den Grundsatz „Eigentum verpflichtet“ – Grundgesetz, Artikel 14 – nicht ernstnehmen. Im Oktober 2021 hat auch der Bundesgerichtshof Eigentümer von Immobilien an deren Verpflichtung zur Instandhaltung erinnert. Es ist an der Zeit, dass die Politik die rechtlichen Möglichkeiten dafür schafft, hervorgehobene Immobilien, die über Jahre oder gar Jahrzehnte verrotten, enteignen zu können – selbstredend im Sinne des Grundgesetzes mit einer Entschädigung. Vielfach wäre das aber nicht nötig, denn Investoren, denen die Puste oder die Ideen ausgegangen sind, würden die Gebäude abgeben, wenn ein entsprechender Kauf mit Nachdruck angeboten würde. Ob die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) oder Landesinstitutionen für eine Koordination und entsprechende Budgets vorstellbar wären, muss die Politik klären. Und wirtschaftlich schwächere Kommunen oder Landkreise dürfen bei der Sicherung von Immobilien, die das ‚Ortsbild‘ prägen, nicht allein gelassen werden.
Eine neue Nutzung wird sich für viele Immobilien oder bereits bebaute Flächen nur finden lassen, wenn eine innovative Regionalpolitik neue technologische oder wirtschaftliche Kerne schafft. Und diese könnten in früher gänzlich anders genutzten Gebäuden Platz finden. Wer darauf wartet, dass aus Hotels oder Kurkliniken wieder ‚Beherbergungsbetriebe‘ werden, der wartet nicht selten vergeblich. Warum aus einer Ex-Kurklinik wie im Schwarzwald nicht ein Technologiezentrum für Künstliche Intelligenz machen? Oder ein Cluster mit Start-ups in einem solchen Gebäudekomplex schaffen? Bei der entsprechenden Größe könnten sogar Wohnen und Arbeiten zusammenfallen, was auch eine zusätzliche Verkehrsbelastung vermeiden könnte. Wer den überhöhten Mieten in den urbanen Zentren entfliehen möchte, der würde sich sicherlich mit einer solchen Location anfreunden können. Voraussetzung wären selbstredend eine optimale Anbindung an die Datenwelt über Glasfaserkabel und ein anziehendes Umfeld von der Kita über den Kindergarten bis zur Schule.
Immobilien, die seit Jahren ohne Nutzung sind, müssen schnell wieder revitalisiert werden oder es kann zu spät sein. Hier müssen alle politischen Ebenen zusammenarbeiten, doch bisher scheint sich niemand verantwortlich zu fühlen. Das Gejammer über die Versiegelung von bisherigen Grünflächen, Wiesen und Äckern – ‚greenfields – klingt in meinen Ohren hohl, wenn nicht alles getan wird, um alte Industrie- und Gewerbeanlagen, Hotels, Kurkliniken oder Einkaufszentren und Wohngebäude schnell und sachgerecht einer neuen Nutzung zuzuführen. Wir müssen uns ernsthaft von dem Glauben verabschieden, dass sich die Wohnungsnot in prosperierenden Großstädten durch das ‚Füllen‘ von Baulücken und das Planieren der letzten Streuobstwiese lösen lässt! Städte sind eben auch mal voll, und dann muss eine zukunftsorientierte Regionalpolitik an den Orten für anziehende Arbeitsplätze und ein positives gesellschaftliches Umfeld Sorge tragen, an denen vereinfacht gesagt noch Platz ist! Und genau dabei müssen leerstehende Immobilien eine weit größere Rolle als bisher spielen. Wir brauchen mehr gute, neue Ideen für alte Gebäude!
4 Antworten auf „Mehr Einfallsreichtum bei der Flächennutzung“