Meersenf als Insektenparadies

Der Überlebenskünstler ist zugleich ein Sandfänger

Was sich auf dem Europäischen Meersenf so alles tummelt, das durfte ich in diesen Tagen mal wieder erleben! Ein einziges Exemplar dieser krautigen Pflanzen zieht eine Vielzahl von Wildbienen und Schmetterlingen an. Die Strandrauke, wie der Meersenf auch genannt wird, liebt salzige Standorte und wächst gerne an Stränden und im Vorfeld von Dünen. Der Meersenf ist ein kleines Paradies für Pollensammlerinnen, was ihre gelben Pollen-Höschen beweisen. So nennen Imker die gelben Klümpchen an ihren Hinterbeinen. Von Juni bis Oktober bildet der Meersenf zahlreiche Blüten aus und sichert so über einen längeren Zeitraum die Nahrung für Insekten. Meersenf hilft aber nicht nur Insekten, sondern leistet auch einen Beitrag zum Küstenschutz.

Im Vordergrund Meersenf mit weißen Blütten an grünen Trieben, dahinter eine Pflanze mit zartvioletten Blüten. Im Hintergrund Sandstrand, Meer und dunkle Wolken am bläulichen Himmel.
Beim Europäischen Meersenf haben die Pflanzen weiße bzw. zartviolette Blüten. Manche ähneln eher einem Strauch mit einer Wuchshöhe um die 30 Zentimeter, aber durchaus auch mal etwas höher, andere Pflanzen halten sich eher ‚kriechend‘ in Bodennähe. (Bild: Ulsamer)

Mit Wind und Wellen unterwegs

Als Pionierpflanze trägt der Europäische Meersenf (Cakile maritima) zur Bindung von Flugsand und zur Dünenbildung bei. Sein Beitrag für die Sicherung von Dünen ist daher nicht zu unterschätzen, und gleiches gilt auch für den Strandhafer. Umso trauriger ist es, wenn manche Zeitgenossen ohne Rücksicht auf Pflanzen und Tiere Dünen erklettern und ganze Schneisen in den fragilen Bewuchs schlagen oder in deren Umfeld den Meersenf zertrampeln. Noch immer gibt es Strände, an denen sogar ganz legal oder zumindest geduldet zahlreiche Fahrzeuge parken, so z. B. am südirischen Inch Beach. Wenn als Folge der Erderwärmung der Meeresspiegel steigt, müssen wir noch konsequenter darauf achten, dass die Küsten und ihr Bewuchs geschützt werden. Dank des Meersenfs entsteht neuer Lebensraum für weitere Pflanzen.

Zwei Wildbienen auf Blüten des Meersenfs.
Wildbienen und Schwebfliegen haben es schwer in diesen Tagen, denn es fehlt an Blüten und Nistmöglichkeiten in unserer verarmten Landschaft. Schwebfliegen sind neben Bienen die wichtigsten Bestäuber, doch ihre Populationen gehen immer mehr zurück. Weitere Informationen hierzu finden Sie unter ‚Galoppierender Insektenschwund und lahmende Politiker. Rückgänge um bis zu 97 % bei Schwebfliegen’. (Bild: Ulsamer)

Die salztolerante Pflanze fühlt sich zwischen Spülsaum und Dünen an weitgehend naturbelassenen Stränden am wohlsten. Die Nährstoffe aus angeschwemmten und sich zersetzenden Algen nutzt der Meersenf. Daher kann er an Badestränden, an denen Pflanzenreste aus optischen Gründen entfernt werden, nicht existieren. Somit ist es wichtig, dass Müll abgesammelt, aber pflanzliches Schwemmgut liegengelassen wird. Der einjährige Meersenf trägt durch zweigeteilte Schoten dazu bei, dass am Wuchsort ein Samenteil zurückbleibt, der andere jedoch kann von Wind und Wellen weggetragen werden und anderswo eine neue Heimat finden. Dank einer lufthaltigen Struktur ist der Teil der Schote, der sich auf den Weg in die Welt macht, schwimmfähig und auch nach langem Aufenthalt im Salzwasser noch keimfähig. Auf der durch einen Vulkanausbruch 1963 aus dem Meer gewachsenen Insel Surtsey bei Island wurde 1965 als erste höhere Pflanze der Sea Rocket, so die englische Bezeichnung, entdeckt. Die Samen des Cakile arctica hatten vermutlich 18 km von Heimaey oder 32 km von Island zurückgelegt. Das schnelle Wurzelfassen des Meersenfs auf einer kurz zuvor entstandenen Vulkaninsel spricht für die Lebenskraft dieser Pflanze.

Ein Sechsfleck-Widderchen auf weißen Meersenfblüten. Auf jedem der schwaren Flügel hat das Insekt sechs rote Flecken, daher auch der Name Blutströüfchen. Gut sichtbar ist der lange schwarze Rüssel, mit dem das Widderchen Nektar saugt.
Blütenreiche Wiesen oder Brachflächen sind zunehmend aus unserer Landschaft verschwunden und die Saumbereiche an Wegen wurden nicht selten zu Tode gepflegt bzw. sind an Feldern kaum noch erkennbar. Damit ist der Lebensraum der Widderchen immer kleiner geworden. In Deutschland ist daher ein starker Bestandsrückgang zu verzeichnen gewesen, der z. B. in Niedersachsen zurecht zur Einstufung als gefährdet geführt hat. Das Sechsfleck-Widderchen ist zwar ein Nachtfalter, doch gerne bei Sonnenschein unterwegs. Dieser Falter, der wegen der roten Flecken auf den Flügeln auch Blutströpfchen genannt wird, saugt hier mit seinem langen Rüssel Nektar an einer Blüte des Meersenfs. (Bild: Ulsamer)

Jede Blüte zählt

Der Europäische Meersenf ist am Strand – ob Sand oder Kiesel – ein wahrer Überlebenskünstler und ein kleines Paradies für Wildbienen, Schwebfliegen und Schmetterlinge. Selbst nachts kommen noch Besucherinnen vorbei, so z. B. die Strand-Erdeule. An den Blättern des Meersenfs knabbern die Raupen des Falters gerne bei Nacht und verstecken sich tagsüber im Sand. Die Raupen der Strand-Erdeule, die in Deutschland in der Roten Liste als stark gefährdet geführt wird, überwintern erwachsen in Erdhöhlen und verpuppen sich zumeist im Mai. Früher wurden die Blätter des Meersenfs häufig wegen ihres Gehalts an Vitamin C auch von Menschen gegessen, er galt gar als eine Arznei gegen Skorbut. Heute sollten wir den Meersenf besser den Insekten überlassen, die für jede ergiebige Blüte dankbar sind.

Ein Schmetterling, Tagpfauenauge, sitzt mit geöffneten Flügeln auf hellen Meersenfblüten.
Dieses Tagpfauenauge gesellte sich zu einer Vielzahl anderer Insekten, die Pollen und Nektar beim Europäischen Meersenf finden. Jede Blüte zählt, wenn wir den katastrophalen Insektenschwund stoppen wollen. Hinter den Dünen beginnt Grünland für Rinder und Schafe mit wenig Blüten. Im irischen Kerry, wo diese Aufnahmen entstanden, bieten zumindest die langgezogenen Hecken mit Fuchsien, Weißdorn, Brombeeren oder Stechginster noch Blüten an. (Bild: Ulsamer)

Der Entomologische Verein Krefeld, der sich seit über 100 Jahren der wissenschaftlich orientierten Insektenkunde widmet, hat von 1989 bis 2016 einen Rückgang der Biomasse von Fluginsekten von über 75 % festgestellt – und zwar in über 60 Naturschutzgebieten! Das Insektensterben ist auch kein rein deutsches oder europäisches Phänomen. So haben australische Autoren 73 Studien ausgewertet, in denen es um Insekten ging und ihre Zusammenfassung in der Zeitschrift ‚Biological Conservation‘ veröffentlicht: Der Rückgang der Kerbtiere lasse sich weltweit feststellen, und deren Biomasse nehme jährlich um rd. 2,5 Prozent ab. Die Autoren Francisco Sánchez-Bayo und Kris A.G. Wyckhuys kommen in ihrer Studie ‚Worldwide decline of the entomofauna: A review of its drivers‘ zu dem Schluss, dass 40 % aller Insektenarten in den nächsten Jahrzehnten verschwinden könnten. Mehr zum Verschwinden der Insekten finden Sie, liebe Leserinnen und Leser, u.a. in meinem Blog-Beitrag ‚Insekten verlieren ihre Heimat. Schmetterlinge, Hummeln, Bienen und Käfer sind akut bedroht‘. Der dramatische Rückgang der Insekten lässt sich selbstredend nicht mit einigen ‚Pflänzchen‘ aufhalten, doch im Grunde zählt jede Blüte, und da hat gerade der Meersenf einiges zu bieten.

Zwei kleinere Insekten an und in einer weißen Meersenfblüte.
Das Nahrungsangebot lockt auch an windigen Tagen zahlreiche Insekten zum Meersenf. (Bild: Ulsamer)

Für Insekten wäre mit Nektar und Pollen der Tisch in unserer Natur reichlich gedeckt, wofür der Europäische Meersenf ein gutes Beispiel wäre, wenn die menschlichen Eingriffe in der Landwirtschaft, aber natürlich auch im urbanen Raum, vermindert und an Ökologie und Nachhaltigkeit ausgerichtet würden. Gleiches gilt für Küsten und Meere, die deutlich besser geschützt werden müssen gegen Müll, Gifteinträge und überzogene menschliche Nutzung.

 

Kleine Meersenfpflanze zwischen flachen Steinen. Die grüne Pflanze hat einige weiße Blüten.
Mag der Sand auch von zahllosen Steinen bedeckt sein, der Meersenf kämpft sich dennoch durch. Eine Voraussetzung ist, dass der Strand weitgehend naturbelassen und unverschmutzt ist, sich zersetzende Algen Nährstoffe bieten und die Besucher Rücksicht auf die Pflanzen nehmen. (Bild: Ulsamer)

 

Eine Hummel sitzt an einer Meersenfblüte. Der grüne TRieb kriecht fast auf dem Sand.
Manche Triebe des Meersenfs schlängeln sich geradezu am Boden entlang, doch auch ihre Blüten werden eifrig besucht. Hier scheint die ‚Pollenernte‘ zwar mit etwas Akrobatik verbunden zu sein, zumindest aber lässt sich Nahrung finden. Das Insektensterben ist vielerorts auf Herbizide zurückzuführen, die mögliche Futterpflanzen vernichten, allerdings auch auf den Einsatz von Insektiziden. Mehr zur prekären Lage der Insekten finden Sie in meinem Blog-Beitrag ‚Schmetterlinge und Wildbienen benötigen Hilfe. Mehr Natur für Insekten in Stadt und Land‘. (Bild: Ulsamer)

 

Ein Weißling sitzt an einer Meersenfblüte. Der Schmetterling hat einen leichten Gelbton.
Schmetterlinge – wie dieser Weißling – und Wildbienen fliegen den Europäischen Meersenf gerne an, denn er verspricht Pollen und Nektar in einer ansonsten oft kargen Landschaft. (Bild: Ulsamer)

 

Eine Wildbiene mit einem dicken Pollen-Höschen auf einer weißen Meersenfblüte.
Der Meersenf bietet mehr Pollen als Grünland hinter der Düne, das reichlich gedüngt längst kein Blütenparadies mehr ist. (Bild: Ulsamer)

 

Eine dunkle Wildbiene sitzt auf einer Meersenfblüte, gewissermaßen kopfüber in der Blüte.
Insekten benötigen wieder mehr Blüten in unserem Land und der ganzen EU. Voraussetzung dafür ist ein pfleglicher Umgang mit unserer Natur, und dazu gehört auch eine Neuorientierung der EU-Agrarsubventionen. (Bild: Ulsamer)

 

Große Meersenfpflanze, grüne Triebe und weiße Blüten auf Sandboden.
Manche Meersenfpflanzen sitzen wie auf einer kleinen Erhebung, da sie den Flugsand festhalten. Meersenf, Strandhafer oder Salzmiere tragen zum Küstenschutz bei und werden dennoch oft achtlos zertreten oder gar von Fahrzeugen überrollt. Gerade in Zeiten steigender Meeresspiegel durch die Erderwärmung muss mehr zum Erhalt der erodierenden Küsten getan werden. (Bild: Ulsamer)

 

Zum Beitragsbild

Eine Hummel hat Pollen gesammelt, der an ihrem Bein haftet. Ein sogenanntes Pollen-Höschen. Sie sitzt auf einer weißen Blüte des Meersenfs.Das gelbe Pollen-Höschen dieser Hummel belegt, dass der Meersenf reichlich Nahrung bietet. Gerade an Blüten mit Pollen und Nektar mangelt es in unserer zunehmend ausgeräumten Landschaft. Und so ist es nicht verwunderlich, dass immer weniger Wildbienen in Deutschland zu sehen sind. Dieser negative Trend gilt selbst für Länder mit stark ländlich geprägten Regionen.  Mehr dazu in: ‚Auch in Irland werden Hummeln und Schmetterlinge weniger. Kahlschlag statt Blütenparadies am Straßenrand‘. (Bild: Ulsamer)

 

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