Matthias Erzberger: Anwalt der kleinen Leute

Ein kämpferischer Demokrat und Patriot

Wer auf der Schwäbischen Alb geboren wird und sich in die Berliner Politik wagt, der tut sich bis heute allemal schwer: Dies galt auch für Matthias Erzberger, der 1875 in Buttenhausen im damaligen Königreich Württemberg zur Welt kam. Aber mit großem Fleiß arbeitete er sich – aus einfachen Verhältnissen kommend – in Journalismus und Politik nach oben. Sein Wirken für die Demokratie geriet in der Bundesrepublik Deutschland lange in Vergessenheit, und in Geschichtsbüchern wurde er höchstens als Unterzeichner des Waffenstillstandsabkommens im Wald von Compiègne erwähnt, mit dem das Morden im Ersten Weltkrieg zu Ende ging. Seine deutlichen Worte gegen die deutsche Kolonialpolitik im Kaiserreich, seine Friedensresolution im Jahre 1917 oder auch seine grundlegende Finanz- und Steuerreform in der Weimarer Republik hätten ihm einen hervorgehobenen Platz in unserer Erinnerungskultur sichern müssen. Ein kleines Zeichen der Anerkennung war die Benennung eines Gebäudes des Deutschen Bundestags nach Erzberger 100 Jahre nach der leider folgenlosen Friedensresolution.

Aus der dörflichen Enge erarbeitete sich Matthias Erzberger seinen Weg in die Politik durch nicht nachlassenden Fleiß und die Hinwendung zum Mitmenschen. Heute findet sich in seinem kleinen Geburtshaus in Buttenhausen, einem Ortsteil der Stadt Münsingen, eine interessante Dauerausstellung. Zwar sind von Erzberger nur wenige persönliche Gegenstände erhalten geblieben, doch in der Ausstellung an diesem historisch bedeutsamen Ort, die vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg entwickelt wurde, wird sein Leben und Wirken in eindrucksvoller Weise herausgearbeitet. Über Anfahrt und Öffnungszeiten können Sie sich im Internet informieren: www.erzberger-museum.de Die Gedenkstätte ist auf jeden Fall einen Besuch wert. (Bild: Ulsamer)

Aus Buttenhausen nach Berlin

Bemerkenswert ist es, wie zielstrebig Matthias Erzberger seinen Weg in die Politik ging. Als ältestes von sechs Kindern eines Schneiders und Postboten in einem kleinen Häuschen in dem Dorf Buttenhausen geboren, wurde ihm nicht in die Wiege gelegt, ein führender Zentrumspolitiker zu werden. Ganz im Gegenteil: Bis zu seiner Ermordung nutzten seine politischen Gegner die Herkunft aus bescheidenen Verhältnissen, seinen schwäbischen Dialekt und seine religiöse Einstellung für Angriffe gegen ihn aus.

Im katholischen Lehrerseminar in Saulgau legte er die Prüfung zum Volksschullehrer ab: Für diese Ausbildung musste kein Schulgeld bezahlt werden, und sie war für ihn damit eine der wenigen Chancen, sich beruflich zu entwickeln.

Das Dorf Buttenhausen, heute zur Stadt Münsingen gehörend, zeichnete sich durch eine außergewöhnliche religiöse Zusammensetzung aus: Etwa die Hälfte der Bewohner waren Juden, die andere Hälfte Protestanten – und Erzbergers Familie gehörte zu den wenigen Katholiken. Die friedliche und vielfältige Dorfgemeinschaft wurde erst durch die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten zerstört. Der jüdische Friedhof und ein Museum im ehemaligen Realschulhaus, das die jüdische Geschichte Buttenhausens wachhält, erinnern noch heute an die Zeit, in der Juden und Christen das Leben gemeinsam prägten.

In Buttenhausen wird auch in herausragender Weise ein anderer Teil unserer deutschen Geschichte in einem Museum in der ehemaligen Bernheimer’schen Realschule lebendig, das auf das Zusammenleben christlicher und jüdischer Einwohner eingeht. Bis zum Terror und der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten bestand die Dorfgemeinschaft rund zur Hälfte aus Juden bzw. Protestanten, nur einige Familien waren katholischen Glaubens. Zu diesen zählten auch die Erzbergers. Das übernächste Gebäude zu seinem Geburtshaus beherbergte die Synagoge, die von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Wenn Sie nach dem Besuch der Gedenkstätte der kleinen Straße den Berg hinauf folgen, dann erreichen Sie den jüdischen Friedhof, der bis heute erhalten blieb. (Bild: Ulsamer)

Politische Arbeit als Hilfe für die „kleinen“ Leute

Erzberger war als Volksschullehrer tätig, doch begann er bald als Redakteur für das „Deutsche Volksblatt“ zu arbeiten. Er versuchte, mit seinen Aktivitäten in katholischen Arbeitervereinen und bei der Gründung Christlicher Gewerkschaften einen Gegenpol zu sozialistischen Bestrebungen seiner Zeit zu bilden. Als Arbeitersekretär stand er Hilfesuchenden bei Fragen zur Alters- und Krankversicherung mit Rat und Tat zur Seite. Sein Wunsch, ein Anwalt der „kleinen“ Leute zu sein, bildete sich hier heraus und prägte sein gesamtes Wirken.

Als jüngster Abgeordneter wurde Erzberger 1903 in den Reichstag gewählt: Zwar war sein Wahlkreis, der u.a. Biberach, Leutkirch, Waldsee und Wangen umfasste, dem Zentrum sicher, doch sein Ergebnis von mehr als 92 % der abgegebenen Stimmen war dennoch eine besondere Auszeichnung. Er zog mit seiner Familie nach Berlin und sicherte sich durch das Schreiben politischer Beiträge für zumeist süddeutsche Zeitungen ein Einkommen, da die Abgeordneten noch nicht an Diäten im heutigen Sinne und in entsprechender Höhe zu denken wagten.

In der Gedenkstätte in Münsingen-Buttenhausen findet sich auch dieses Foto, das Matthias Erzberger mit Georg Baumgartner sowie Monsignore Franz Vogt in Weissbad (v. links n. rechts) im Juli 1920 zeigt. Obwohl Erzberger seinen Wohnsitz nach Berlin verlegt hatte, um hier am parlamentarischen und politischen Leben teilnehmen zu können, war er auch in seiner heimatlichen Region präsent. (Bild: Stadtarchiv Münsingen)

Im Gegensatz zu den Bundestagsabgeordneten unserer Tage konnte der in Berlin wohnende Erzberger nur ein- bis zweimal jährlich seinen Wahlkreis besuchen. Dabei stand der intensive Austausch mit seinen Wählerinnen und Wählern im Mittelpunkt, deren Anliegen er aber auch unterm Jahr in schriftlicher Form aufnahm und bearbeitete. So wurde Erzberger zu einem der ersten Berufspolitiker, der zugleich den Reichstag als politisches Forum nutzte und dennoch den Kontakt zur Bürgerschaft niemals vernachlässigte.

Ein Freund klarer Worte

Wenig Freunde machte sich Erzberger als er im Reichstag Korruption und Misswirtschaft in der Kolonialverwaltung anprangerte. Seine Kritik führte u.a. dazu, dass ein Verwandter von Kaiser Wilhelm II., der Erbprinz zu Hohenlohe-Langenburg, seinen Hut nehmen musste. „Ein schwäbischer Volksschullehrer hatte einen Erbprinzen gestürzt.“* Rechte und nationalistische Gruppierungen stellten sich gegen ihn, und ihr Hass begleitete ihn bis zu seiner Ermordung.

Zwar ließ sich Erzberger zu Beginn des Ersten Weltkriegs von der nationalen Begeisterung mitreißen, doch früher als andere Politiker erkannte er, dass der Krieg verloren und nur noch die Einleitung von Friedensverhandlungen sinnvoll war. So initiierte er 1917 im Reichstag eine Friedensresolution, die eine Mehrheit fand, aber sie blieb ohne Wirkung bei Kaiser, nationalistischen Organisationen und der Militärführung. Auch mit Hilfe der Zensurbehörden versuchte die Militärführung des Reichs Matthias Erzberger mundtot zu machen, der sich weiter für einen Verständigungsfrieden einsetze.

Erzberger als „Bauernopfer“ der Militärs

Eine Perversion ist es, dass ausgerechnet die Militärführung unter Feldmarschall Paul von Hindenburg und die Regierung Erzberger mit den Waffenstillstandsverhandlungen beauftragten: Die kriegslüsternen Mitglieder der Obersten Heeresleitung, die Friedensverhandlungen zu einem früheren Zeitpunkt hintertrieben hatten, schoben nun die undankbare Aufgabe, den Waffenstillstand nach einem verlorenen Krieg zu unterzeichnen, einem demokratischen Politiker zu. Als Erzberger im Wald von Compiègne das Waffenstillstandsabkommen akzeptierte, da unterschrieb er gewissermaßen auch sein eigenes Todesurteil. Die nationalistischen Kräfte sahen in ihm ihren Hauptgegner, dem sie nach dem Leben trachteten.

Da von Matthias Erzberger kaum persönliche Gegenstände erhalten geblieben sind, mussten die Museumsgestalter zu künstlerischen Mitteln greifen. So z.B. im Raum „Antirepublikanische Hetze“: Hier wird deutlich mit welch infamen und aus der Luft gegriffenen Anschuldigungen rechtsextremistische und nationalistische Gruppierungen versuchten, Matthias Erzberger aus der Politik zu drängen. Als dies nicht gelang, gaben sie ihn zum ‚Abschuss‘ frei. Erzberger widerstand all diesen Anfeindungen, aber er spürte auch die Bedrohung: „Die Kugel, die mich treffen soll, ist schon gegossen.“ Leider hat er Recht behalten. (Bild: Ulsamer)

„Der nationale Leidensweg nach Compiègne war das Schwerste und Bitterste, was mir in meiner amtlichen Tätigkeit auferlegt worden ist“, so Erzberger 1921.* Bereits beim ersten Zusammentreffen machte der französische General Ferdinand Foch als Leiter der französisch-englisch-amerikanischen Delegation klar, dass es keine Verhandlungen geben werde, sondern Deutschland könne nur die Bedingungen des Waffenstillstandsabkommens annehmen oder ablehnen – und damit eine Fortsetzung des Kriegs mit der Besetzung Deutschlands auslösen.

Die „Dolchstoß“-Lüge

Der neue Reichskanzler Friedrich Ebert und Hindenburg forderten Erzberger auf, das Abkommen auf jeden Fall zu unterzeichnen, doch in der Folgezeit wurde Erzberger als „Verräter“ gebrandmarkt, der das Deutsche Reich an den Gegner verkauft habe. Und dies, obwohl Erzberger einige Erleichterungen aushandeln konnte, die z.B. einen geordneten Rückzug der deutschen Truppen ermöglichten. Nicht die Generäle trugen die Last und Verantwortung für den verlorenen Krieg – oder Kaiser Wilhelm II. -, sondern wie immer in solchen Fällen die Bürgerinnen und Bürger sowie Politiker wie Erzberger.

Das aufkeimende Pflänzchen der Demokratie wurde so völlig zu Unrecht mit den Folgen des Waffenstillstands und des nachfolgenden Versailler Vertrags mit seinen drakonischen Reparationen belastet. Der Start der Weimarer Republik stand damit von Anfang an unter einem schlechten Stern. Nationalistische Kräfte versuchten mit der „Dolchstoßlegende“ die Schuld für den verlorenen Krieg den Kräften zuzuschieben, die sich bereits ab 1917 für den Frieden eingesetzt hatten. Zwar ist die „Dolchstoßlegende“ eine einzige Lüge, doch sie eignete sich damals zum Kampf gegen die demokratischen Kräfte.

„Aller Hass meiner Gegner macht mich nicht irre in der Überzeugung, dass damals nur die Unterzeichnung des Friedens der Weg zur Rettung des deutschen Volkes war“, so Erzberger 1920 in seinen Erinnerungen.*  Sowohl durch seine Unterschrift unter das Waffenstillstandsabkommen als auch durch seine Befürwortung der Unterzeichnung des Versailler Vertrags tat Erzberger alles, um eine Besetzung oder Aufteilung des Deutschen Reiches zu verhindern, aber die nationalistischen Kreise dankten ihm dies nicht. Ihre Wut auf Erzberger wurde nur umso größer.

Steuerreform in neun Monaten

Unverdrossen arbeitete Erzberger auch in der Weimarer Republik als Finanzminister mit und schuf innerhalb von nur neun Monaten eine Finanz- und Steuerreform, die bis heute die Basis unseres Steuersystems ist.

Ich würde gerne mal erleben, dass in der Bundesrepublik Deutschland das Steuersystem in so kurzer Zeit übersichtlicher und bürgernäher gestaltet würde. Noch heute warte ich auf die Steuererklärung, die auf einen Bierdeckel passt, und die immer mal wieder versprochen wurde. Aber außer heißer Luft hat sich in den letzten 20 Jahren wenig in unserem Land in Sachen Steuervereinfachung getan.

Es fehlt eben ein neuer Erzberger!

„Die nach Reichsfinanzminister Matthias Erzberger benannte Finanz- und Steuerreform von 1919/20 war das bedeutendste Ereignis der deutschen Finanzgeschichte des 20. Jh.“, so die Chronik des Bundesministeriums für Finanzen (BMF). „Die immense Verschuldung des Deutschen Reiches aus dem Ersten Weltkrieg sowie hohe innere und äußere Kriegsfolgelasten erzwangen einen völligen Umbau der Finanzverfassung und des Steuersystems.“ Im Jahre 2011 benannte das BMF in einer Gedenkveranstaltung den repräsentativen Großen Saal des Detlev-Rohwedder-Hauses in Berlin in „Matthias-Erzberger-Saal“ um. (Bild: Bundesministerium der Finanzen/Jörg Rüger)

Von der Diffamierung zum Mord

Mit allen Mitteln versuchte die nationalistische Rechte, aber auch bürgerliche Kräfte beteiligten sich daran, Erzberger zu diffamieren. „Nieder mit Erzberger, dem Reichsverderber, dem Helfer unserer Feinde“, so Heinrich Frenzel in einer Hetzschrift. Karl Helfferich, ein deutschnationaler Politiker und Vizekanzler im Kaiserreich, überzog Erzberger mit übelsten Verleumdungen und bekam vor Gericht eine „Strafe“, die sich als Freispruch las. Bei einer Veranstaltung der „Bayerischen Mittelpartei“ wurde er gar als „der Erzbergertöter“ angekündigt. Aber auch der „Kladderadatsch“ würdigte Erzberger in einer Karikatur als „die kopfnickende ewig lächelnde Pagode des Marschalls Foch“ herab.

So kam, was denn wohl kommen musste, da ein großer Teil der Politik, der Medien und der Justiz nicht rechtzeitig einschritten: Im August 1919 wollten Landjäger Erzberger lynchen, 1920 schoss ein entlassener Offiziersanwärter auf den Reichsfinanzminister und am 26. August 1921 ermordeten zwei Mitglieder der nationalistisch-antisemitischen Organisation „Consul“ Matthias Erzberger mit acht Schüssen bei einem Spaziergang im Schwarzwald bei Bad Griesbach. Sein Parlamentskollege Carl Diez, der Erzberger begleitet hatte, überlebte schwer verletzt. Zu den weiteren Opfern der nationalistischen Terrororganisation zählte 1922 der Außenminister der Weimarer Republik, Walther Rathenau.

Ein Gedenkstein erinnert an der Aufstiegsstraße von Bad Griesbach zur Schwarzwaldhochstraße an den am 26. August 1921 ermordeten Reichsfinanzminister Matthias Erzberger. Damals befand sich der Tatort noch an einem Wanderweg, heute steht der Gedenkstein etwas verloren und ohne ordentliche Parkmöglichkeit innerhalb einer steilen Haarnadelkurve. Eigentlich hätte ich auch ein Hinweisschild an der Straße erwartet: Manchmal bin ich überrascht, auf welche ‚Sehenswürdigkeiten‘ hingewiesen wird, aber nicht auf diesen wichtigen Erinnerungsort der deutschen Geschichte. Auch eine kleine Informationstafel könnte beim Gedenkstein für diejenigen Menschen nichts schaden, die näheres wissen wollen. Sicherlich würde es sich dann auch anbieten, klarere Worte zu finden, denn natürlich ist Erzberger an dieser Stelle verstorben, aber ermordet würde die Sachlage doch besser treffen. (Bild: Ulsamer)

Auf der extremen Rechten brach Jubel aus: „Nun danket alle Gott, für diesen braven Mord. Den Erzhalunken, scharrt ihn ein, heilig soll uns der Mörder sein, die Fahne schwarz-weiß-rot.“* Ganz anders die Reaktion bei Reichskanzler Joseph Wirth, der in Anwesenheit von 30 000 Trauergästen in Biberach betonte: „Wir wollen über den Toten den Schild halten, aber nicht in stummem Schmerz, sondern wir wollen handeln, denn das Vaterland ist in Gefahr.“ Wie wahr seine Aussage leider wurde, dies wissen wir heute. Und er fuhr fort: „Gott segne, lieber Freund, dein Werk, die Verfassung des Deutschen Reiches, den demokratischen Volksstaat.“

Hindenburgs „Rückfahrkarte“ für Mörder

Erzbergers Mörder, Heinrich Schulz und Heinrich Tillessen, setzten sich ins Ausland ab und konnten nach einer Amnestie von Reichspräsident Hindenburg wieder nach Deutschland zurückkehren, um unter dem diktatorischen NS-Regime neue Funktionen zu übernehmen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie zwar verurteilt, doch vom letzten badischen Ministerpräsidenten Leo Wohleb nach wenigen Jahren begnadigt.

Die Hetze gegen Matthias Erzberger im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und gipfelnd in den Hetztiraden von Nazischergen wie Josef Goebbels hallten auch in der Bundesrepublik Deutschland nach. Matthias Erzberger geriet geradezu in Vergessenheit, statt seiner wurden die Steigbügelhalter der Nationalsozialisten – wie Reichspräsident Hindenburg – weiterhin mit der Benennung von Straßen geehrt: Eigentlich wäre es an der Zeit, die verbliebenen Hindenburg-Schilder abzuhängen und die Straßen Matthias Erzberger zu widmen. Aber: „Matthias Erzberger ist, verglichen mit anderen Politikern seiner Generation wie Friedrich Ebert oder Konrad Adenauer, seit jeher ein Stiefkind der Erinnerungskultur.“**

 Lieber spät als nie

Der damalige Präsident des Deutschen Bundestags, Norbert Lammert, unterstrich in seiner Rede zur Benennung zweier Gebäude des Deutschen Bundestags nach Matthias Erzberger und dem früheren SPD-Vorsitzenden, Otto Wels, der sich in einer Rede 1933 vehement gegen das Ermächtigungsgesetz gestemmt hatte: „… dass wir Persönlichkeiten ehren, die in ihrem Kampf um Demokratie und Parlamentarismus scheiterten oder dafür sogar mit dem Leben bezahlten, ist keine deutsche Besonderheit – der Schleier des Vergessens aber, der vielfach über diesen Wegbereitern unserer Demokratie liegt, schon. So gibt es in Berlin einen Hindenburgdamm, aber bis heute keine Straße und keinen Platz, der an Matthias Erzberger erinnert.“

Im März 2017 benannte der Deutsche Bundestag ein von ihm genutztes Gebäude nach Matthias Erzberger. In dem 1961 erbauten Stahlbeton-Skelettbau residierte einst das Ministerium für Volksbildung der DDR. Ein spätes Gedenken an diesen wichtigen Zentrumspolitiker, der rechtsradikalen Organisationen wegen seiner demokratischen Gesinnung als erklärter Feind galt. Seine Bereitschaft, nach dem Ersten Weltkrieg den Waffenstillstand zu unterzeichnen, geriet zu seinem eigenen Todesurteil. Weder die Staats- noch die Militärführung hatten den Mut diesen Schritt zu tun, um eine Besetzung Deutschlands zu verhindern und weiters Blutvergießen zu vermeiden. (Bild: Deutscher Bundestag / Axel Hartmann Fotografie)

Wenn ich auf Erzbergers Wirken zurückblicke, dann kann ich nur Hochachtung empfinden. Er hat die Fahne der parlamentarischen Demokratie in Zeiten hochgehalten, in denen extremistische Kräfte bereits alles daransetzten, deren Aufblühen zu verhindern. Er brachte das Opfer, den Waffenstillstand nach einem Krieg zu unterzeichnen, den Kaiser, nationalistische Kräfte und Heeresleitung – trotz seiner Friedensresolution – nicht beenden wollten. Früher als andere sah er die Sinnlosigkeit des Krieges ein und forderte zur Umkehr auf. Die Justiz befand sich aber bereits im Griff nationalistischer Kräfte und tat nichts, um demokratische Politiker wie Matthias Erzberger zu schützen.

Matthias Erzbergers Kampf für Demokratie und Rechtsstaat sollte uns allen Vorbild sein.

 

 

 

*Matthias Erzberger. Ein Wegbereiter der deutschen Demokratie. Buch zur Dauerausstellung der Erinnerungsstätte Matthias Erzberger in Münsingen-Buttenhausen, hrsg. vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Stuttgart 2011

**Paula Lutum-Lenger: „Ein Märtyrer für die Sache der deutschen Republik.“ – Die Erinnerungsstätte für Matthias Erzberger in Münsingen-Buttenhausen, in: Orte des Gedenkens und Erinnerns in Baden-Württemberg, hrsg. Von Konrad Pflug, Ulrike Raab-Nicolai, Reinhold Weber, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Stuttgart 2007