Medien stilisieren Marienkäfer zur Plage
In den letzten Tagen habe ich so viele Marienkäfer gesehen wie sonst in einem ganzen Jahr nicht. Die kleinen gepunkteten Krabbler spüren, dass es kälter wird und machen sich auf die Suche nach einem Quartier für den nahenden Winter. Ganze Schwärme scheinen auch in südlichere Regionen zu ziehen. Betrachtet man die Marienkäfer näher, so wird schnell klar, dass die asiatischen Eindringlinge – Harlekin-Marienkäfer -, die als Nützlinge in Gewächshäusern eingesetzt werden, immer häufiger auftreten. Sie setzen den angestammten heimischen Siebenpunkt-Marienkäfern – Coccinella septempunctata – zu, da sie neben Blattläusen und Larven von Gallmücken auch die Larven anderer Marienkäfer fressen. Der Harlekin-Marienkäfer (Harmonia axyridis) verdrängt relativ schnell die angestammten Glücksbringer: „Vor einigen Jahren hatten sich erste Exemplare in die freie Natur abgesetzt, heute ist der Harlekin dank seiner enormen Vermehrungsfreudigkeit vielerorts bereits häufiger als die alteingesessenen Marienkäferarten“, so der NABU. Ohne Ansehen der ursprünglichen Herkunft fliegen nun im Herbst ganze Schwärme von Marienkäfern durch die Lande und suchen ein Plätzchen für die Wintertage.
Marienkäfer zur Plage degradiert
Marienkäfer in Massen scheinen manche Mitbürger zu erschrecken, und der ein- oder die andere fragt sogar beim Lieblingsradiosender nach, woher die kleinen Käfer denn plötzlich alle kommen. Im SWR kam hierzu ein Vertreter des Naturkundemuseums in Karlsruhe zu Wort und, anstatt die positiven Eigenschaften der Marienkäfer hervorzuheben, meinte er, man könne die Marienkäfer auch mit dem Besen von der Wand fegen und zum nächsten Acker fahren. Da war ich dann doch kurz sprachlos! Marienkäfer nehmen sich im nächsten Jahr wieder die ungeliebten Blattläuse vor, wenn sie denn ein Winterquartier finden. Wie passt da der Tipp, sie einzusammeln und auf einen Acker zu fahren, wo doch so manche landwirtschaftliche Fläche für Insekten eher zum Todesstreifen werden kann. Marienkäfer, die jetzt einen Laubhaufen suchen oder nach Ritzen im Holz oder in Gebäuden als Versteck Ausschau halten, wollen sicherlich ungern auf einem umgepflügten braunen Acker landen.
Aber nicht nur in den Stuttgarter Nachrichten oder im Göttinger Tagblatt und weiteren Publikationen wurden Marienkäfer vom Glücksbringer zur „Marienkäfer-Plage“. Und weiter hieß es: „Jedes Jahr überrollt deutsche Haushalte erneut die Marienkäfer-Plage. Warum das so ist und was Sie alles gegen Marienkäfer in der Wohnung tun können, erfahren Sie hier.“ Nun habe ich Marienkäfer noch nie als Plage empfunden, sondern ganz im Gegenteil als Helfer gegen die Läuse. Völlig abwegig ist es, wenn in den Medien schon mal zum Einsatz des Staubsaugers geraten wird, gegebenenfalls mit einem Strumpf, um sie einzusaugen und vor die Tür zu setzen. Marienkäfer gehören natürlich ins Freie, denn sie mögen warme und trockene Luft in den menschlichen Behausungen nicht. Aber gleich zum Staubsauger zu greifen, das ist wohl ein weiterer Schritt weg von der Natur. Ein leeres Glas zum Einsammeln reicht allemal oder man lässt die gepunkteten Freunde einfach auf die Hand krabbeln und bringt sie vors Haus oder auf den Balkon. Im Wohnzimmer würden die Marienkäfer ohnehin verhungern, da Läuse und Milben im Regelfall Mangelware sind.
Winterquartier – dringend gesucht
Das Winterquartier sollte möglichst nicht zu kalt, jedoch feuchter als Innenräume sein, daher bieten sich Stellen unter den Dachsparren oder in anderen Hohlräumen an. Diese sind in modernen vollgedämmten Gebäuden eher selten geworden. Marienkäfer wollen den Winter ungern alleine verbringen und bilden daher Gruppen oder sie finden sich zu Schwärmen zusammen. So steht im Frühjahr schneller ein Partner in der Nähe zur Verfügung. Auch in Baumhöhlen oder Spalten in der Rinde kuscheln sich die Marienkäfer gerne aneinander. Alte Bäume sind daher allemal auch für die Marienkäfer von Bedeutung, denn in Plantagen mit schnellwachsenden Bäumen, die früh gefällt werden, gibt es keinen Unterschlupf. Insektenhotels bieten sich bei entsprechender Konstruktion ebenfalls an, wenn sie nicht nur Röhrchen für Einzelinsekten enthalten. „Die kalte Jahreszeit übersteht Coccinellidae, je nach Art, in Form von Winterschlaf oder -starre. Fällt die Umgebungstemperatur auf ungefähr 12 °C, verlangsamen sich Atmung und Herzschlag der kleinen Käfer und sie fallen in den Winterschlaf. In die Winterstarre erst, wenn die Außentemperatur auf null Grad Celsius und darunter fällt. Die Körpertemperatur beträgt dann so um die null Grad und alle wichtigen Organe arbeiten auf „Sparflamme“. Arten, die nicht in die Winterstarre verfallen, schützen sich durch Fettpolster vor den frostigen Temperaturen. Außerdem rücken sie eng aneinander, um sich gegenseitig zu wärmen“, so Plantopedia, ein Garten- und Pflanzenlexikon im Internet.
Als eifrige Helfer des Menschen sollten wir wirklich alles tun, um den Marienkäfern im Garten, auf dem Balkon oder am Haus über den Winter zu helfen. Dafür lassen sich die Marienkäfer ab dem Frühjahr Blatt- oder Schildläuse schmecken, verputzen aber auch Spinnmilben oder Larven von Blattwespen. So frage ich mich schon, wie Mitbürger auf die irrwitzige Idee kommen können, Marienkäfer als Plage zu empfinden. Schon als Larve knöpft sich ein Marienkäfer rd. 3000 Läuse vor. Wir standen vor wenigen Tagen mitten in einem Schwarm der gepunkteten Käfer, doch ich hätte sie nie als Belastung empfunden, ganz im Gegenteil.
Asiatische Marienkäfer als Bedrohung
Seit den 1980er Jahren werden in Gewächshäusern asiatische Marienkäfer zur biologischen Schädlingsbekämpfung eingesetzt, da sie einen deutlich größeren Hunger auf andere Insekten haben als die einheimischen Artgenossen. Seit sie den Gemüseanbau verlassen haben, machen sie sich leider auch über die europäischen Kollegen her, indem sie deren Eier und Larven fressen. Und die asiatischen Zuwanderer haben nicht nur den größeren Appetit, sondern gleichzeitig einen unglaublichen Vermehrungswillen: Viermal pro Jahr gibt es Nachwuchs, der einheimische Siebenpunkt-Marienkäfer bringt jährlich nur eine neue Generation hervor. Der asiatische Marienkäfer hat jedoch nicht nur fünfmal mehr Hunger und viermal mehr Nachwuchs, nein, er kann auch die Eier und Larven seines europäischen Konkurrenten ohne Probleme verzehren, andersherum wird nichts daraus. Warum dies so ist, erklärte Professor Andreas Vilcinskas im SWR: “Der asiatische Marienkäfer kann ohne Probleme die Larven der einheimischen fressen. Wenn aber ein einheimischer Zweipunkt die Eier des asiatischen frisst oder die Larven, dann stirbt er daran. Wir konnten zeigen, dass der asiatische Marienkäfer voll ist mit Parasiten. Das ganze Blut ist voll mit sogenannten Mikrosporidien, das sind pilzähnliche Parasiten.”
Am Beispiel der Marienkäfer lässt sich mal wieder ablesen, dass die Einfuhr von Tieren aus anderen Regionen nicht unproblematisch ist: Schnell können einheimische Arten verdrängt werden. Genau dieses zeichnet sich auch beim europäischen Marienkäfer immer stärker ab. So können wir nur hoffen, dass er in Nischen überlebt, so z. B. in naturnahen Wiesen und Wäldern. Gerade die europäischen Marienkäfer befinden sich im Überlebenskampf und sollten mit naturnahen Gärten und Parks unterstützt werden. Eine Plage sind sie aus meiner Sicht nicht, selbst wenn sie und die Zuwanderer mal in Schwärmen auftreten. Und wer von einer Plage spricht, der hat wohl den Bezug zur Natur völlig verloren.