Persönlichkeiten gewinnen Landtagswahlen – nicht Wahlprogramme
Im Grunde konnten sich in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg die CDU-Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt abstrampeln wie sie wollten, denn schon einige Wochen vorher wurde immer klarer, dass Malu Dreyer für die SPD und Winfried Kretschmann für die Grünen das Rennen machen würden. Christian Baldauf in Rheinland-Pfalz und Susanne Eisenmann in Baden-Württemberg hatten keinen Rückenwind aus Berlin, denn fehlende Impfstoffe, schleppende Testaktionen und einige geldgierige, maskierte Unions-Abgeordnete machten ihnen das Leben schwer. Doch auch ohne diese Querschläger aus der Bundespolitik war ein Sieg der CDU schon vorher in weite Ferne gerückt: Zugkräftige Spitzenleute wie Dreyer oder Kretschmann scheinen längst wichtiger geworden zu sein als inhaltliche Aussagen der jeweiligen Partei. So war es nicht verwunderlich, dass die baden-württembergischen Grünen ihre Plakate stets mit dem Zusatz „Grün wählen für Kretschmann“ beendeten. Früher hätte da vielleicht gestanden: für den Natur- und Umweltschutz. Nun gut, so verändern sich die Zeiten. Und in Rheinland-Pfalz gab die SPD das Motto aus „Wir mit ihr“. Da können andere Parteien nur neidisch werden, die anscheinend nicht über ebenbürtige Politikerinnen und Politiker verfügen, um hier Paroli bieten zu können.
Der Niedergang der CDU
Geradezu frappierend ist das Tempo, mit welchem die CDU in Baden-Württemberg innerhalb eines guten Jahrzehnts an Boden verloren hat. In Rheinland-Pfalz, wo einst der Saumagenliebhaber Helmut Kohl in den 1970er Jahren volksnah auf dem Chefsessel Platz genommen hatte, schwächelt die CDU ebenfalls vor sich hin. Weit über dem Bundestrend sind vor allem Malu Dreyer für die SPD und Winfried Kretschmann für Bündnis90/Die Grünen in den höheren Politsphären unterwegs. Daraus erwachsen auch Gefahren, denn spätestens nach dieser Legislaturperiode von fünf Jahren wird der alte und neue Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, wohl seinen Hut nehmen, denn im Mai wird er 73 Jahre alt. Doch wenn wir uns den 78jährigen Joe Biden anschauen – ohne mein heimatliches Baden-Württemberg mit den USA vergleichen zu wollen! – dann ist noch Luft nach oben! Aber Reiner Ruf schrieb in der Stuttgarter Zeitung: „Kretschmann verwandelt sich schon jetzt in das Denkmal seiner selbst.“ Und Kretschmann ist sich sicherlich dieser Problematik bewusst, denn Denkmäler haben es schwer in unseren Tagen.
In Baden-Württemberg verlief der Abstieg der CDU noch schneller als im benachbarten Rheinland-Pfalz. Als sich 2005 Günther Oettinger nach vorne drängelte und Erwin Teufel die Tür zur Villa Reitzenstein versperrte, hatte er seinem Nachfolger, Stefan Mappus, schon mal vorgemacht, wie man als Jungdynamiker einen älteren Ministerpräsidenten aus der eigenen Partei an den Rand drängt. 2011 erreichte der wenig beliebte Ministerpräsident Mappus bei der Landtagswahl ‚nur‘ noch 39 %, dennoch lag die CDU auf Platz eins. Grüne und SPD machten allerdings gemeinsame Sache und die CDU fand sich auf den ungewohnten Oppositionsbänken wieder. Die Christdemokraten rissen das Ruder in der Folge nicht herum, und so sank das Parteischiff über 27 % im Jahre 2016 – mit Guido Wolf – auf jetzt 24,1 % mit Susanne Eisenmann. Und die Grünen, in der Hauptsache Winfried Kretschmann, zogen immer mehr bürgerliche Wähler in ihren Bannkreis. Gegen Kretschmann hätten auch andere CDU-Politiker wohl keine echte Chance gehabt, wie der CDU-Landeschef Thomas Strobel, aber eine Kultusministerin in den Kampf zu schicken, das ist nun wirklich blauäugig: als Kultusministerin macht man sich wenig Freunde und verwaltet im Grunde den Mangel. Keine guten Voraussetzungen, um einen selbst bei vielen potenziellen CDU-Wählern geachteten Ministerpräsidenten vom Thron zu stoßen. Tatsächlich konnte das nur schiefgehen, und Eisenmann fehlte auch die persönliche Durchschlagskraft, der Bekanntheitsgrad und das Ansehen. So zog sie zwei Tage nach dem Wahldebakel die Reißleine und verabschiedete sich aus der Politik.
Es kommt auf die Persönlichkeiten an
Dieses landesweite Ergebnis lässt sich mit der Wahl zum Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Stuttgart im November 2020 vergleichen: Auf den grünen OB Fritz Kuhn folgte Frank Nopper von der CDU, weil es die Grünen nicht vermocht hatten, eine Nachfolgerin mit dem notwendigen Format aufzustellen. Dass Stuttgart grün wählt, wenn das ‚Personal‘ stimmt, zeigte sich jetzt bei der Landtagswahl: alle vier Wahlkreise eroberten grüne Kandidatinnen und Kandidaten. Und die bisherige Landtagspräsidentin, Muhterem Aras, wurde mit 44,8 % wiederum landesweite Stimmenkönigin. OB-, Kommunal- oder Landtagswahlen sind stärker personenbezogene Entscheidungen als Bundestags- oder Wahlen zum Europaparlament. Dies gilt in besonderer Weise für Baden-Württemberg, da der Wähler hier nur eine Stimme hat und damit ‚seinen‘ Abgeordneten wählt. Bemerkenswert ist es, dass weder die Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann in Stuttgart noch der CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobel in Heilbronn den Wahlkreis für die CDU sichern konnten. Ihre Stimmenzahl genügte nicht einmal dafür, ein Zweitmandat zu ergattern. Am Rande bemerkt: Nicht nur der XXL-Bundestag wird als Folge des typisch deutschen Wahlrechts immer aufgeblähter, sondern auch im Stuttgarter Landtag sitzen statt der 120 gesetzlich vorgesehenen jetzt 154 Parlamentarier, in der vorhergehenden Periode waren es noch 143.
In Rheinland-Pfalz dürfte die Koalition aus SPD, Grünen und der FDP fortgesetzt werden, in Baden-Württemberg hat Winfried Kretschmann die komfortable Situation, dass er die Regierung mit der CDU fortschreiben oder auf eine Dreierkoalition mit SPD und FDP umsatteln kann. Egal wer die Koalition bildet, es wird in den nächsten fünf Jahren nicht möglich sein, mit freundlichen Gaben aus dem gefüllten Steuersäckel Risse in der Regierung oder zwischen den sie tragenden Parteien zuzukleistern. Die Corona-Pandemie, aber gerade auch der Wandel in der Automobilindustrie und bei ihren Zulieferern wird die öffentlichen Kassen weiter strapazieren. Der Ausgleich zwischen wirtschaftlichen Notwendigkeiten und Erfordernissen des Umwelt-, Klima und Naturschutzes wird ein hartes Stück Arbeit werden! Zwar gibt es dazu im voluminösen über 300seitigen Wahlprogram der baden-württembergischen Grünen Ansätze, die aber nicht nur bei den Koalitionspartnern, sondern selbst beim Ministerpräsidenten noch Stirnrunzeln hervorrufen werden. Und bis ich ein Plakat der Grünen mit einem Naturschutzthema gefunden hatte, da musste ich weit laufen! Denn über Corona und Klima sollten wir die Natur vor unserer Haustüre nicht vergessen – oder das, was davon noch übriggeblieben ist.
Eigenständigkeit macht Sieger
Viel Arbeit liegt vor den sich bildenden Landesregierungen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, und ich kann nur hoffen, dass innovative Ideen konsequenter als bisher umgesetzt werden. Dies gilt ganz besonders für den Bildungsbereich. Die Coronapandemie hat gezeigt, dass es an der Digitalisierung ebenso mangelt wie an pädagogischen Konzepten für solche herausfordernden Zeiten. Die Probleme sind nicht neu, aber jetzt entscheidende Hemmnisse. Und ich habe den Eindruck, dass noch nicht alle Politikerinnen und Politiker die Problematik wirklich in der Tiefe verstanden haben. Homeoffice und Homeschooling klingen auf den ersten Blick hervorragend, wie eine echte Problemlösung, doch sie passen nicht wirklich zusammen. Einer unserer Enkel hat das zweifelhafte Vergnügen, sein gesamtes erstes Schuljahr unter Corona-Bedingungen zu erleben, und nicht nur er, sondern auch unsere anderen Enkel müssen mit einer Stop-and-go-Politik zurechtkommen, die alle Schülerinnen und Schüler, die Eltern und die Lehrerschaft belasten, ohne dass sie in vielen Fällen die notwendige Unterstützung aus der Bundes- und Landespolitik erfahren.
Die CDU, als Verlierer im Wettstreit um den Chefposten in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, ist gut beraten, sich grundlegend neu aufzustellen – personell und inhaltlich. Und dazu müssen auch die Bundespartei und die Unionsmitglieder in der Bundesregierung ihren Teil beitragen. Die Gewinner – Grüne und SPD – sollten sich aber ebenso wenig auf ihren Lorbeeren ausruhen, denn letztendlich verdanken sie ihren Sieg Malu Dreyer und Winfried Kretschmann. Beide stehen sehr eigenständig im politischen Leben und sind keine ‚Parteisoldaten‘ alter Schule. Malu Dreyer dürfte mit so mancher Aussage der SPD-Bundesvorsitzenden Saskia Esken und Nobert Walter-Borjans oder gar Kevin Kühnerts ihre Probleme haben. Ebenso Winfried Kretschmann: er hat sich noch nie für Verstaatlichungsideen des Fraktionsvorsitzenden von Bündnis90/Die Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, das Verbot von Einfamilienhäusern oder drastische Forderungen der Grünen Jugend zu einer Reduzierung des Fahrzeugbestands um 85 % erwärmen können. Dieser Eigenständigkeit verdanken Malu Dreyer und Winfried Kretschmann ihren Zuspruch in der Öffentlichkeit über Parteigrenzen hinweg. Wenn Wähler kaum noch Partei- oder Wahlprogramme lesen, kommt es entscheidend darauf an, als Spitzenpolitiker das Vertrauen der Menschen zu gewinnen.
Sehr geehrter Herr Dr. Ulsamer,
Sie haben recht, nicht Parteiprogramme überzeugen die Wählenden, sondern Personen.
In schwierigen Zeiten werden Menschen gesucht, die vertrauenswürdig erscheinen und wie ich meine, bezogen auf Frau Dreyer und Herrn Kretschmann, auch sind.
Die Herausforderungen, denen Regierungen in nächster Zeit gewachsen sein müssen, sind groß.
Den Regierenden wünsch ich deshalb im Interesse von uns Bürgern, den notwendigen Mut, Entscheidungen zu treffen und den Parlamenten die Kraft, diese mitzutragen.
Mit freundlichen Grüßen aus Immendingen
Gerhard Walter