Stadtbäume stärken die Psyche
Die grünen Blätter der Bäume hellen graue Straßenfluchten auf. Sie produzieren den so notwendigen Sauerstoff für uns Menschen. Sie können nach einer neuen Studie sogar das Risiko verkleinern, dass Mitbürger in Depressionen verfallen. Straßenbäume spielen somit nicht nur im Kampf gegen die Erhitzung unserer Städte als Folge des Klimawandels eine wichtige Rolle, sondern sie mindern in der Tat das Risiko für Depressionen und den Bedarf an Antidepressiva, wenn sie in einem Radius von bis zu hundert Meter von der eigenen Wohnung entfernt sind. Diese Studie sollte auch ein Weckruf für Stadtplaner, Kommunalverwaltungen und Gemeinderäte sein, auf mehr Grün zu setzen, denn jeder Baum und jede Blühpflanze zählen. Die Natur muss wieder ihren Platz in den immer größeren Städten bekommen, und die Corona-Restriktionen verdeutlichen, dass in Krisenzeiten das unmittelbare Wohnumfeld noch wichtiger wird. Denn für manchen Innenstadtbewhner sind die Wälder in noch weitere Ferne gerückt.

Mehr Bäume – weniger Antidepressiva
Die Forscher des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Universität Leipzig (UL) und der Friedrich-Schiller-Universität Jena konnten bei ihrer Untersuchung auf die Daten von fast 10 000 erwachsenen Einwohnern der Stadt Leipzig zurückgreifen, die an der LIFE-Gesundheitsstudie der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig teilgenommen hatten, und diese mit dem Baumkataster der Stadt Leipzig in Beziehung setzen. Ganz neu ist der Zusammenhang zwischen Grün in der Stadt und psychischer Gesundheit nicht, doch bisher wurden zumeist Umfrageergebnisse herangezogen, die natürlich subjektiver sind als die jetzt genutzten Daten. Die in der Wissenschaftszeitschrift ‚Nature‘ veröffentlichte Studie – ‚Urban street tree biodiversity and antidepressant prescriptions‘ – unterstreicht, dass sich Bäume nur dann belegbar positiv auswirken, wenn sie sich nicht allzu weit von der Wohnung der einbezogenen Menschen gen Himmel recken. Wer den Bedarf an Antidepressiva vermindern möchte, und dies sollte allen Beteiligten ein Anliegen sein, der muss mehr Bäume – und insgesamt mehr lebendiges Grün – in unsere Kommunen bringen. Leider ist vielfach der gegenteilige Trend zu erkennen, denn alte Bäume werden vor der Zeit gefällt und durch ‚Baumschul-Kinder‘ ersetzt.

Der Zusammenhang zwischen psychischer Gesundheit und mehr Grün im Lebensumfeld ließ sich nach der Studie besonders deutlich bei sozial schwächeren Mitbürgern erkennen, und gerade diese Bevölkerungsgruppe sei besonders anfällig für Depressionen. „Unser Ergebnis deutet darauf hin, dass Straßenbäume dazu beitragen können, die Lücke der gesundheitlichen Ungleichheit zu schließen“, so die Hauptautorin der Studie* Dr. Melissa Marselle. Und die Umweltpsychologin, die jetzt an der De Montford University im englischen Leicester tätig ist, fuhr fort: „Das ist eine gute Nachricht, da Straßenbäume relativ leicht zu erreichen und ihre Zahl ohne großen planerischen Aufwand erhöht werden kann.“ Dies ist richtig, leider müssen wir im Einzelfall allerdings immer wieder erleben, dass Bäume dann doch – aus welchen Gründen auch immer – trotz allem nicht gepflanzt werden. Ein Musterbeispiel ist dafür meine Geburtsstadt Stuttgart. Dort diskutierten Gemeinderat und Stadtverwaltung bei der angedachten Neugestaltung des Marktplatzes direkt vor dem Rathaus u.a. über die Anpflanzung zusätzlicher Bäume. Die Skeptiker setzten sich allerdings mal wieder durch: Es sei ach so schwierig, Bäume anzupflanzen, wegen der Versorgungsleitungen und eines Bunkers aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs unter dem Marktplatz. Immerhin halten seit vielen Jahren an einer Ecke des Marktplatzes acht Platanen – um einen Brunnen herum gruppiert – trotz des wenig naturnahen Umfelds weiter durch und sorgen für ein bisschen Natur. Statt fünf zusätzlicher Bäume auf dem Hauptteil des Marktplatzes setzte die Gemeinderatsmehrheit auf ein Placebo: So wurde am Gebäude der Volkshochschule – Treffpunkt Rotebühlplatz – eine Wandbegrünung mit wenigen Quadratmetern angebracht. Bonsai-ähnliche Bäumchen an einer vertikalen Wand, und dann auch noch Second-Hand. Mehr dazu in meinem Blog-Beitrag ‚Mehr Grün im grauen Alltag unserer Städte‘.

Natur in die Stadt holen
Wer einer Erhitzung der Städte auf kommunaler Ebene begegnen möchte, der muss selbstredend alles tun, um die Stadt oder Gemeinde längerfristig zur CO2-Neutralität zu führen, aber dies wird dauern, und der Klimawandel wird dennoch weiter voranschreiten, wenn auch gebremst. Parallel muss jedoch wieder mehr Grün in den Städten eine Chance bekommen. Das gilt für Bäume an den Straßen, blühende Flächen, wo bisher kurzgeschorenes Gras oder Schotter dominierten, naturnähere Parks und ‚Grünanlagen‘ in gleicher Weise – und natürlich auch Fassadengrün, aber wenn, dann richtig! Nicht nur die Menschen, sondern gleichermaßen Schmetterlinge, Hummeln und Wildbienen, Vögel oder Eichhörnchen werden sich freuen. Und ganz nebenbei sollte dazuhin für Brunnen und Tümpel oder Weiher gesorgt werden, die für Tiere wie den Igel zugänglich sein müssen, denn auch er hat sich in den letzten Jahren aus der ausgeräumten Agrarlandschaft in die Städte geflüchtet. Gerade in den Wohngebieten müssen wieder mehr Bäume gepflanzt werden, und ihnen muss auch mal der Vorzug gegenüber einer nahezu kompletten Überbauung gegeben werden. Wer die letzte Baulücke mehrstöckig zubetoniert, jedes alte Einfamilienhaus mit Gärtchen durch einen Mehrfamilien-Block ersetzt, Luftschneisen beeinträchtigt und Streuobstwiesen am Stadtrand überbaut, der gefährdet u.a. die physische und psychische Gesundheit der Menschen.

Mehr Bäume pflanzen – und dies in unseren Gemeinden und Städten – ist ein wichtiger Beitrag zur Gesunderhaltung der Bürger. Natürlich kenne ich auch die Einwände mancher Kommunalpolitiker oder Anwohner, denen nur das welke Herbstlaub einfällt, das auf Gehwege oder in Nachbars Garten fällt, wenn sie an Bäume denken. Und mancher Zeitgenosse ist schon von brütenden Vögeln im Baum nebenan genervt, von denen im Flug mal eine Hinterlassenschaft auf seinem Auto landet, doch dies sollte uns nicht davon abhalten, für mehr Bäume in unseren Städten zu kämpfen. Bäume hellen nicht nur das Gemüt auf, sondern sie spenden an Hitzetagen Schatten und füllen unsere Lungen mit Sauerstoff. Holen wir mit Bäumen ein kleines und unverzichtbares Stück Natur in unsere Städte zurück!




* Literaturhinweis
Melissa R. Marselle, Diana Bowler, Jan Watzema, David Eichenberg, Toralf Kirsten, Aletta Bonn. (2020): Urban street tree biodiversity and antidepressant prescriptions, Scientific Reports, DOI: 10.1038/s41598-020-79924-5
Sehr geehrter Herr Dr. Ulsamer,
wahrscheinlich konnten Sie durch Ihren Artikel den einen oder anderen Gemeinderat dazu inspirieren, bei der Bauplanung auch an Grünflächen und Bäume zu denken, über die gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleichsflächen hinausgehend.
Da der Mensch ein geselliges Wesen ist, sind wir auf andere Lebewesen angewiesen. Dazu gehören auch Bäume und durch diese angelockte Vögel.
Meine Frau und ich leben insoweit in paradiesischen Verhältnissen. Nur über die schmale, verkehrsarmer Straße gehen und der Waldspaziergang kann beginnen.
Diese Möglichkeit sollten auch Großstädter haben. Dafür und als grüne Lungen, sind Parks unerlässlich.
In der Hoffnung, dass Sie etwas haben bewegen können verbleibe ich mit freundlichen Grüßen aus Immendingen.
Gerhard Walter