Wenn der Göttervogel zum Hassobjekt wird
Kommt man als Darsteller in einem berühmten Spielfilm vor, dann trägt dies meist zum eigenen Erfolg und zur Beliebtheit bei. Bei Menschen mag dies stimmen, doch die Krähen und Raben haben bis heute schwer daran zu tragen, dass Alfred Hitchcock die schwarzen Federträger in „Die Vögel“ für angriffslustige Horrorattacken auf die Bürger eines kleinen Küstenorts missbrauchte. 1963 kam der Spielfilm in die Kinos und wurde seither immer wieder im Fernsehen gezeigt. So mancher Zuschauer kann sich zwar kaum noch an die Schauspieler erinnern, doch die Angriffe von Krähen, Möwen und Spatzen bleiben unvergessen. Aber auch ohne Hitchcock & Co. reichen die rufschädigenden Geschichten von Angriffen auf Spaziergänger über Attacken auf Schafe bis zu Diebstählen. Nicht so häufig wird erwähnt, dass Rabenvögel – Krähen und Raben – biologische Abfälle oder Kadaver in Stadt und Flur beseitigen, die ansonsten Ratten angezogen hätten. Krähen werden so zur Gesundheitspolizei, die uns viel Arbeit abnimmt. Einige Bürger vermuten eine rapide Zunahme von Krähen, Elstern und Eichelhähern, da sie diese jetzt häufiger sehen als früher, aber dies ist eine Folge der Verdrängung dieser Vögel aus dem land- und fortwirtschaftlichen Bereich in unsere Städte und Dörfer.

Große und kleine Sänger
In einer ausgeräumten Landschaft, in der Hecken, Gebüsch und Bäume oft den Flurbereinigungen zum Opfer fielen, finden die Krähen kaum noch Nistmöglichkeiten. Und so bleibt ihnen – wie dem Feldhasen – oft nur die Migration in unsere städtischen Regionen. Mancher Stadtbewohner fühlt sich dann unsanft durch die Krähenrufe am frühen Morgen geweckt, und Autofahrer finden die Hinterlassenschaften der Vögel auf ihren Autos, die unter einem Baum mit Krähenkolonie geparkt wurden. Dann werden schnell Forderungen laut, die schwarzgefiederten ‚Störer‘ zu vergrämen. Einst schätzten die Bauern die Krähen, weil sie ihre Felder von Schädlingen freihielten. Der Pestizideinsatz hat den Krähen die natürliche Nahrungsquelle genommen, und so halten sie sich als Allesfresser eben an Feldfrüchte oder Saatgut. Aus meiner Sicht ergeben sich jedoch keine dramatischen Ernteschäden, denn zumeist bleiben auf den Feldern große Mengen an verzehrbaren Maiskolben oder anderen Erzeugnissen zurück. Und die im Winter einfliegenden Krähenschwärme, die aus Ost- und Nordeuropa nach Deutschland ziehen, bedienen sich ohnehin nur noch an Resten.

Manche Zeitgenossen, die Krähen nicht mögen, verbrämen dies mit dem Hinweis, sie würden in Singvogelnestern räubern. Dabei wird oft vergessen, dass Krähen, Elstern und Eichelhäher oder auch der Kolkrabe zu den Singvögeln gehören. Zugegeben, sie sind natürlich deutlich größer als Meise, Zaunkönig oder Mönchsgrasmücke, und über die Schönheit ihres Gesangs kann man trefflich streiten. Der NABU betont in diesem Zusammenhang allerdings: „Der Bruterfolg der Kleinvögel war in den untersuchten Gebieten mit hoher Krähenvogeldichte nicht schlechter als in Gebieten geringer Dichte.“ Diesen Eindruck habe ich auch, denn wir leben zeitweilig – wenn nicht das Coronavirus sein Unwesen treibt – im irischen Kerry. Eine Vielzahl von Dohlen, Nebel- und Saatkrähen sowie einige Elstern besuchen unsere Wiese täglich für die Nahrungssuche. Und ‚next door‘ brütet in den Klippen sogar ein Kolkrabenpärchen. Dennoch haben in den vergangenen 20 Jahren Amseln, Bachstelzen, Schwarzkehlchen, Zaunkönige, Rotkehlchen, Stieglitze, Wiesenpieper, Star und Schwalben zugenommen, und dies ist nicht verwunderlich. Wir haben zahlreiche Schlehen- und Fuchsiensträucher und einige Eschen gepflanzt, die wenigen vorhandenen Stechginster vor Schafen geschützt und die Brombeeren auf den Stein- und Erdwällen erhalten, und in eben diesem ‚Gebüsch‘ finden die kleineren Singvögel Nistplätze und Nahrung in stürmischen Tagen. Dieser Schutz hatte ihnen auf dem früheren Kartoffelacker, der nachfolgend als Weide genutzt wurde, gefehlt, was ein kleiner, weiterer Beleg dafür ist: Wenn der Lebensraum stimmt, dann überleben auch die kleineren Singvögel – trotz Krähen oder Elstern.

Krähen sind keine Schafskiller
Im Grunde stellen weder der Kolkrabe noch seine kleineren Krähen-Verwandten eine Gefahr für Schafe und deren Lämmer dar. Diese Ansicht teilt auch unser Nachbar, ein Schaffarmer, der uns immer eine kleine Herde als wollige Rasenmäher überlässt. Elstern sitzen auf den Schafen und picken Insekten aus der Wolle, die gerne ihre Eier in die Haut ablegen wollen, aus denen sich dann Maden entwickeln, die eine tödliche Gefahr für die Schafe darstellen. Und die Krähen-Patrouillen sorgen dafür, dass sich in den Hinterlassenschaften der Schafe nicht allzu viele Mücken- und Fliegenlarven entwickeln. So mancher Abfall der Touristen, am Wegesrand „entsorgt“, würde Wanderratten anziehen, wenn da nicht die Krähen ‚sauber‘ machen würden. In abgelegeneren Bergtälern, in Bächen oder am Meer verenden hin und wieder Wild- und Nutztiere, und die Aasfresser – Krähen oder Möwen – reduzieren die gesundheitlichen Gefahren.

Der Kolkrabe, aber auch größere Krähenarten stehen immer wieder im Verdacht, sie würden Lämmer oder gar erwachsene Schafe attackieren. Dies mag in Einzelfällen vorkommen, doch die Krähen haben es eher auf die Nachgeburt abgesehen und warten daher manchmal schon in der Nähe, wenn sich eine Geburt abzeichnet. Gerade Kolkraben scheinen ein feines Gespür dafür zu haben, wann sich bald etwas tut. Bekommt ein Schaf ein Lämmchen, dann ist dies nach unserer Erfahrung zumeist problemlos, das Muttertier kommt zurecht, leckt das Lamm trocken, beschützt es auch. Krähen kommen dann noch nicht einmal an die Nachgeburt oder sie müssen warten, bis Muttertier und Lamm sich wegbewegen. In den vergangenen Jahren haben wir den Eindruck, dass die Zahl der Zwillings- und Drillingsgeburten stark zugenommen hat, und spätestens beim dritten Lamm wird es schwer, drei neugeborene Lämmlein gleichzeitig zu versorgen. Nicht selten ist das dritte Jungtier schwach, und wenn es nicht auf seine dünnen Beine kommt, keinen Laut gibt, dann wird es zurückgelassen. So kam es kürzlich mir zu, das letzte Lämmchen im starken Ostwind trocken zu reiben und hinter der Mutter herzutragen, damit sie seinen Geruch nicht verliert und seine Stimme nicht vergisst. Wenn in solchen Fällen kein helfender Mensch zugegen ist, dann kann es für das in der Natur kaum lebensfähige Junge schlecht enden – letztendlich würde sein Kadaver aber aufgefressen. Allerdings hilft die Wärmelampe so manchem schwächlichen Lamm über die ersten Stunden hinweg, und dann geht es meist aufwärts.

Jagd auf Schädlingsbekämpfer erlaubt
Kein Verständnis habe ich dafür, dass in Deutschland noch immer jedes Jahr zehntausende, ja hunderttausende Krähen abgeschossen werden, und natürlich gibt’s wieder die gleichen fadenscheinigen Begründungen: Man müsse die Singvögel schützen oder Ernteschäden verhindern. Aber in einem Land, in dem noch Rebhühner, Waldschnepfen oder Feldhasen abgeschossen und über 420 000 Füchse jährlich ‚erlegt‘ werden, da wundert mich ohnehin nichts mehr! Leider scheinen Politiker, die dies zulassen, weder bei den Krähen noch beim Fuchs die positiven Leistungen dieser Tiere anerkennen zu wollen! Kaum sind die Füchse abgeschossen und die Krähen dezimiert, da wird regional über eine Mäuseplage geklagt, und wer Krähen abschießt, der muss sich auch nicht wundern, wenn verendete Tiere oder Abfälle nicht mehr beseitigt, sondern zu gesundheitlichen Gefahren werden. „Rabenvögel fressen gerne Raupen, Mäuse, Maikäfer und Drahtwürmer. Sie tragen damit zur natürlichen Schädlingsbekämpfung in der Land- und Forstwirtschaft bei“, so der NABU.

Mit schwarzen Federn bist du eben schlecht dran, so könnte man sagen, aber dem Eichelhäher mit seinem bunten Federkleid ergeht es nicht viel besser. Auch er wird – je nach Bundesland – unter Beschuss genommen. Dabei trägt er mit seiner Leidenschaft für Eicheln, Hasel- oder Walnüssen, für Bucheckern und andere Sämereien zur Verbreitung dieser Pflanzen bei, da er nicht alle für den Winter versteckte Vorräte wiederfindet oder braucht und diese Samen dann zur natürlichen Verjüngung des Waldes beitragen. Da der Eichelhäher auch mal Erbsen oder Getreide verspeist und Vogeleier oder Nestlinge mit auf dem Speiseplan hat, liefert er seinen menschlichen Gegnern wieder Ausreden für deren Freude am Abschuss. Es ist schon merkwürdig, wie schnell manche Zeitgenossen einen Vorwand finden, um mit Gewalt in die Natur einzugreifen.

Vom heiligen Raben zum Galgenvogel
Bei unseren germanischen Vorfahren standen die Raben noch hoch im Kurs, denn ihr Gott Odin (Wotan) konnte sich nicht nur in einen Raben verwandeln, sondern er hatte stets auch zwei von ihnen dabei, die täglich die Welt für ihn erkundeten. Bei den Wikingern genossen die schwarzgefiederten Vögel ebenfalls hohes Ansehen. „Raben folgten den Wikingern, um sich an deren Schlachtabfällen satt zu essen. Die Wikinger mochten die Begleitung der Raben. Sie erklärten den Raben zu ihrem Schlachtvogel. Die Krieger der Wikinger, unter ihnen auch Wilhelm der Eroberer, trugen, wenn sie zu Raubzügen aufbrachen, eine heilige Rabenfahne“, so Cord Riechelmann in „Krähen. Ein Portrait“. Für Völker und Stämme, die von den Wikingern heimgesucht wurden, sah dies natürlich anders aus: Schnell wurden Rabenvögel mit Mord und Tod verbunden, und so begann der gute Ruf der Raben zu bröckeln. In zahllosen Kriegen sahen die Menschen Krähen auf den Schlachtfeldern, und diese unterschieden selbstredend nicht zwischen tierischen und menschlichen Körpern.

Nicht nur in Erzählungen, sondern auch auf Bildern wurden die Krähen zum „Galgenvogel“, der gewissermaßen schon auf seine ‚Beute‘ wartet. Selbst im Kinderlied heißt es „Hoppe, hoppe Reiter … Fällt er in den Graben / Fressen ihn die Raben“. So ergeht es der ganzen Krähen- und Rabenfamilie ähnlich wie dem Wolf (‚Rotkäppchen‘) oder dem Fuchs (‚Fuchs, du hast die Gans gestohlen‘): der Ruf war und ist zunehmend ruiniert, und die weit wichtigeren positiven Verhaltensweisen finden keinen Platz im Bewusstsein vieler Menschen. Krähen und Füchse dezimieren Mäuse und der Wolf sorgt für ein ausgewogeneres Verhältnis unter den Tieren des Waldes. Aber leider scheinen Märchen und die ein oder andere moderne Horrorgeschichte leichteren Zugang zu manchen Zeitgenossen zu finden als realistische Darstellungen.

Krähen stellen Werkzeuge her
In zahlreichen Experimenten konnten Wissenschaftler die hohe Intelligenz der Krähen belegen, die Werkzeuge bei der Futtersuche nutzen und diese auch selbst herstellen können. An der englischen Universität Oxford hatten Axel Kacelnik und seine Kollegen Fleisch in einem Schälchen mit Henkel in einen Glaszylinder eingelegt. Eine Neukaledonische Krähe namens ‚Betty‘ erkannte schnell, dass sie mit ihrem Schnabel nicht an das Futter gelangen konnte. Sie holte einen Metalldraht, doch selbst damit konnte sie den begehrten Happen nicht herausstochern. Sie schien zu überlegen, dann klemmte sie den Draht an einer Seite fest und bog ihn auf der anderen zu einem Haken. Und mit diesem Haken konnte Betty das Schälchen herausangeln und ihr Futter verspeisen. Mit solchen Experimenten belegten die Wissenschaftler, dass nicht nur der Mensch oder Primaten, sondern auch Krähen Werkzeuge herstellen können. Die Erkenntnis, dass Rabenvögel schlau sind, ist nicht ganz neu, denn bereits um 600 vor Christus berichtete der griechische Dichter Äsop von einer Krähe, die Steine in einen Krug warf, um so den Wasserspiegel anzuheben: Denn nur dann konnte sie von dem zuvor unerreichbaren Wasser trinken. Gewissermaßen wissenschaftlich nachvollzogen haben diese Fabel Forscher in Neuseeland, die Krähen mit einem Glaszylinder konfrontierten, in dem ein Stück Fleisch an der Wasseroberfläche schwamm. Sie konnten das Fleischstückchen aber mit dem Schnabel nicht erreichen, doch sie wussten sich zu helfen: Sie warfen so lange Steine in den Behälter bis sie das verlockende Fleisch mit dem Schnabel herausfischen konnten.

Krähen sind nicht nur technisch versiert, sondern sie kommen trotz der Paarbindung auch in größeren Schwärmen zurecht. „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“, weiß der Volksmund zu berichten, und diese Erfahrung haben wir schon oft bei der Beobachtung freilebender Krähen gemacht. Wenn man ihnen etwas altes Brot anbietet, dann schnappt sich jeder ein Stückchen – auch mal zwei -, aber es gibt im Regelfall kein Gezerre oder Streit um das Futter. Und wenn eine Möwe versucht, sich die Brotstückchen zu schnappen, dann gelingt es ihnen immer wieder, diese zu vertreiben, obwohl sie deutlich größer ist: Im Schwarm behalten sie die Oberhand. Findet eine Dohle etwas zu fressen, dann stopft sie auch nicht alles heimlich in sich hinein, sondern ihr Ruf alarmiert ihre Artgenossen: Der Gedanke ‚Jeder ist sich selbst der Nächste‘ scheint den Krähen fremd zu sein.

Mehr Wohlwollen für Krähen
Krähen sind keine Tierart, die auf ein breites Wohlwollen trifft, ganz im Gegenteil: Sie spalten die Menschen eher in Freunde und Feinde. Und leider scheint die Zahl derer größer zu sein, die Saat- und Nebelkrähen oder Dohlen in ihrer Umgebung nicht dulden wollen oder sogar für deren Dezimierung eintreten. Dies ist mehr als bedauerlich, denn die Krähen sind nicht nur intelligente Vögel, sondern tragen – wie erwähnt – auch als Gesundheitspolizei zur Beseitigung von toten Tieren, Schädlingen oder biologischen Abfällen bei.

Aber es geht ja nicht nur um Elstern, Dohlen, Saatkrähen, Kolkraben oder Eichelhäher, denen ihr Platz in der Natur von manchen Zeitgenossen streitig gemacht wird, sondern dies gilt auch für Feldhasen, Fuchs, Wolf oder Luchs, selbst für Kröten und Frösche. Ihnen allen entreißt der Mensch immer größere Bereiche ihres Lebensraums und bringt durch Abschüsse oder Pestizide das Gleichgewicht in der Natur durcheinander. Der Schutz der Natur braucht einen höheren Stellenwert, damit wir auch in Zukunft noch Insekten und Vögel in unserer Umgebung vorfinden. Längst sind Feldhasen und Füchse, Eichelhäher und Krähen in die städtischen Parks und private Gärten geflüchtet, da ihnen eine industrialisierte Landwirtschaft und teilweise auch die Fortwirtschaft kaum noch Platz zum Überleben lässt. Es ist an der Zeit für eine Besinnung, denn wenn wir die Natur immer mehr ausbeuten, dann trifft dies letztendlich uns Menschen. Und selbst die Corona-Pandemie hat im chinesischen Wuhan ihren Ursprung auf Wildtiermärkten. Der Verkauf seltener und geschützter Fledermäuse beispielsweise oder der Schuppentiere ist ein besonders brutales Zeichen für die Ausbeutung der Natur! Auch in Deutschland ist es an der Zeit, die Natur umfassender zu schützen – und dies gilt gleichermaßen für die Familie der Rabenkrähen.

Danke für diesen guten Bericht. Ich gehöre zu den Rabenfreunden, liebe aber alle Tiere. Es gibt immer Diskussionen, wenn ich im Spätwinter auch die Saatkrähen (Überwinterungsgäste aus Osteuropa) füttere. Ich würde mir wünschen, dass diese Rabenhasser und selbsternannten “Naturfreunde” auch solche Berichte lesen und die Zusammenhänge begreifen.