Kloster Allerheiligen: Abgebrannt, geplündert und verstaatlicht

Historische Orte müssen besser geschützt werden

Die Klosterruine Allerheiligen und die nahegelegenen Wasserfälle im Schwarzwald finden sich in so manchem Reiseführer – und dies zurecht. Seit 1840 sind die Wasserfälle von Allerheiligen über einen schmalen Weg und zahlreiche Treppen zugänglich, doch trotz der Erschließung haben sie ihren Charme erhalten und fließen naturnah über sieben Kaskaden ins Tal. Ganz anders sehe ich die Klosterruine und deren unmittelbare Umgebung, denn die angrenzenden früheren Kurgebäude könnten ganz passend eine Verschönerungskur vertragen – noch viel mehr die früheren Wasserspiele im Klostergarten. Sie sind in einem Zustand, den ich als Schande bezeichnen würde. Vergleicht man die Ruine des Klosters Allerheiligen und des umgebenden Ensembles mit ähnlichen historischen Orten in anderen Regionen Europas, dann stellt sich die Frage, warum in unserem Land mit geschichtsträchtigen Stätten so umgegangen wird. Das Kloster der Prämonstratenser bestand von 1192 bis 1803 und überlebte Großbrände und Plünderungen bis es sich 1802/1803 der Markgraf Karl Friedrich von Baden unter den Nagel gerissen hat. 600 Jahre Klostergeschichte fanden ein jähes Ende, da Napoleon seine blutige Hand auf linksrheinische Gebiete legte und der Markgraf von Baden – wie andere Herrscher auch – durch Kirchenbesitz ‚entschädigt‘ wurde. Diese Verstaatlichung, gerne verklärend Säkularisierung genannt, wurde 1803 durch den Reichsdeputationshauptschluss ‚legitimiert‘. Dieser war das letzte wichtige Gesetz des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Geschichte ist wie sie ist, doch der Umgang mit dem Gesamtareal gerät bis in jüngste Zeit zum Problemfall, was für den äußeren Zustand der Gebäude gilt bis zu deren Nutzung in der Nachkriegszeit als Unterbringungsort für Verschickungskinder. Jetzt haben sich ‚Weltenwandler‘ breitgemacht, doch die kleine Welt in Allerheiligen hat dadurch noch keine positiven baulichen Veränderungen erlebt. Historische Orte wie die Gesamtanlage des Klosters Allerheiligen im Nordschwarzwald bedürfen eines höheren Schutzes als bisher!

Blick von der Vorhalle ins eigentliche Langhaus der Kirche. Im Hintergrund ein kleiner Rundturm und Fassadenteile des eigentlichen Turms mit Öffnungen.
Das Kloster Allerheiligen erlebte Großbrände wie 1470 und 1804, wurde während des Bauernkrieges 1525 geplündert, überstand den Dreißigjährigen Krieg ohne größere Schäden, und wurde dann letztendlich das Opfer Napoleons, der linksrheinische Besitztümer an sich riss und die betroffenen Adeligen auf der rechten Rheinseite mit Kirchengütern ‚entschädigte‘. Ein Gesandter überbrachte am 29. November 1802 Abt Wilhelm Fischer und den 29 Mönchen des Klosters ein Schreiben des Markgrafen von Baden, indem er die Überführung der Klosteranlage in staatlichen Besitz verkündete. (Bild: Ulsamer)

Auf den Spuren Mark Twains

Selbst der weltbekannte Schriftsteller Mark Twain wanderte während seiner Europareise 1878 nach Allerheiligen, wie in seinem Buch ‚A Tramp Abroad‘ (‚Bummel durch Europa‘) nachzulesen ist. „Den ganzen Nachmittag waren wir bergauf gelaufen. Gegen fünf oder halb sechs erreichten wir den Gipfel, und plötzlich teilte sich der dichte Vorhang des Waldes, und wir blickten hinunter in eine tiefe, schöne Schlucht und hinaus auf ein weites Panorama bewaldeter Berge, mit sonnenbeschienenen Kuppen und purpurn überschatteten, von Lichtungen durchfurchten Hängen. Die Schlucht zu unseren Füßen – Allerheiligen – bot am oberen Ende ihrer grasbewachsenen Ebene Raum für eine behagliche, entzückende menschliche Bleibe, abgeschlossen von der Welt und ihren Mißlichkeiten, und folglich hatten die Mönche in alter Zeit nicht verfehlt, sie auszukundschaften: und hier standen die dunklen und reizvollen Ruinen ihrer Kirche und ihres Klosters“. Die ‚Misslichkeiten‘ dieser Welt haben inzwischen jedoch Einzug gehalten in Allerheiligen: Die 1947 von der Caritas der Diözese Mainz erworbenen früheren Kurhäuser dienten der Kindererholung. Niemand dachte zu jener Zeit daran, welche Tragik sich hinter Erholungsmaßnahmen verbergen würde, denn viele ‚Verschickungskinder‘ erlebten wechselvolle oder sogar erschreckende Wochen. Nach einer späteren Phase, in der die beiden Häuser bis 1989 als Schullandheim genutzt wurden, dienten sie von 1990 bis 2010 der katholischen Laienmissionsorganisation ICPE (International Catholic Program for Evangelisation) als deutsches Domizil.

Zwei dreistöckige Gebäude, in rot-braun bzw. gelblicher Farbe, davor ein Rasenplatz und ein kleiner Baum.
Im Zeichen des aufkommenden Tourismus erbauten die Gebrüder Mittenmaier im 19. Jahrhundert zwei mehrstöckige Gästehäuser neben der Klosterruine Allerheiligen. Diese erlebten das nachlassende Interesse der Besucher ebenso wie das Eintreffen von Verschickungskindern nach 1947. Jetzt haben sich dort ‚Weltenwandler‘ niedergelassen und laden zum Bleiben im ‚Gästehaus Barbarossa‘ und bei ‚Löwenherz‘ ein. Was wohl Richard Löwenherz und Kaiser Barbarossa zum Zustand der Gebäude gesagt hätten, die ganz ungefragt ihre Namen tragen? Ich würde mir wünschen, dass sich alle Beteiligten mehr Gedanken machten, wie mit dem Kulturgut Kloster Allerheiligen umgegangen werden sollte! (Bild: Ulsamer)

Die Gebäude sind in keinem ansprechenden Zustand, obwohl sich dort inzwischen ‚Weltenwandler‘ häuslich niedergelassen haben. Nun gut, der Februar ist nicht der beste Wandermonat im Schwarzwald, doch bei ‚Weltenwandlern‘ müsste aber immer etwas gehen: die mehrstöckigen Gebäude, die in dieser Landschaft überraschen, wirkten verlassen und trostlos. „Das nachhaltig-spirituelle Weltenwandler-Tagungszentrum im Schwarzwald“, so die Eigenwerbung der Organisation, hatte zumindest an diesem Tag keinen großen Zuspruch erfahren. Auf der Internetseite ‚tagungen-allerheiligen‘ heißt es vielversprechend weiter: „Die Tagungsstätte Kloster Allerheiligen ist eines der ‚Weltenwandler-Zentren‘. Die seit 2019 entstehenden Weltenwandler-Zentren wiederum sind Teil der aufblühenden ‚Kulturoasen-Bewegung‘. Dies sind Stätten (‚Oasen‘) auf dem Lande, in denen sich Gemeinschaften den Aufgaben der Ökologie, Spiritualität und Bildung widmen.“ Ich weiß, man soll nicht ständig meckern, aber obwohl die Sonne schien, eine „Kulturoase“ habe ich nicht gefunden. Und nicht zuletzt bei den hölzernen Balkonen frage ich mich, wie lange sie wohl noch der Erdanziehung widerstehen können.

Ein Balkon mit weißem Geländer. Die Unterkonstruktion ist angegriffen. Hinter dem Balkon ein großes Fenster mit weißen Klappläden.
Nicht nur die Holzbalkone brauchen in Allerheiligen mehr Zuwendung. Daran sollten die ‚Weltenwandler‘, die in den ehemaligen Hotelgebäuden ein Zentrum betreiben, erinnert werden. Generell habe ich in Deutschland den Eindruck, dass sich nicht alle Eigentümer oder Nutzer von Baulichkeiten ihrer Verantwortung bewusst sind und die notwendigen Instandhaltungen regelmäßig durchführen. Mehr dazu in meinem Artikel ‚Eigentum verpflichtet! Zu nichts? Schlüsselimmobilien müssen notfalls enteignet werden‘. In Zeiten, in denen Turnhallen für Flüchtlinge belegt werden, sollten die Politiker mit offenen Augen durch unser Land gehen: da stolpern sie über tausende von leerstehenden Gebäuden, die sich nutzen ließen. (Bild: Ulsamer)

Historische Orte mit Leben zu erfüllen, ohne dass die geschichtliche Wertigkeit schwindet, das ist auch dem Kloster Allerheiligen zu wünschen, und ich hielte es für richtig und wichtig, auf einem klar strukturierten Ortsplan die dortigen Aktivitäten zu benennen. So heißt es im Internet auf der Seite der EOS-Erlebnispädagogik, sie würde seit 2014 „Allerheiligen primär … betreiben“. EOS und die Weltenwandler haben interessanterweise den gleichen Vorsitzenden, Dr. Michael Birnthaler, der aus dem Bereich der Waldorfpädagogik kommt. So mancher von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wird sich fragen, was die derzeitige Nutzung der Gebäude mit deren Historie zu tun hat. Auf den ersten Blick wenig, doch ein sensibler Umgang mit historischen Orten sollte auch offenlegen, wer dort was tut. Dies gilt für die Verschickungskinder und ihr Schicksal früher ebenso wie für heutige Aktivitäten. Störend ist der Zustand der historischen Bausubstanz – ganz unabhängig von ihrer heutigen Bespielung.

In Blickrichtung tragen Säulen Rundbögen aus Sandstein, durch die das Licht fällt. In der Mitte auf dem Fußboden ein Überbleibsel des Gebäudes, rechts weitere Teile des früheren Gebäudes.
Der Weg ins Paradies ist bei so mancher Kirche nicht allzu weit, allerdings ist es lediglich ein irdischer Platz, wie auch in der Ruine der Klosterkirche Allerheiligen. Die Vorhalle führt die Besucher ins Langhaus, den eigentlichen Kirchenraum. Dort finden sich einige erhaltene Teile der Kirche, die nicht – wie aus einem Steinbruch – zum Bau anderer Gebäude versteigert wurden. Ganz nebenbei: Der Zugang wurde mit zwei einfachen Holzbrettern für Rollstuhlfahrer zugänglich gemacht, doch bei nasser Witterung sind diese glitschig. Zur Begrüßung lag am Eingang ein abgebrochener Holzpfahl mit der Empfehlung, bei Gewitter das Areal zu verlassen. Und meine Empfehlung an den Landesbetrieb Vermögen und Bau Baden-Württemberg: Eine frische Auflage mit Splitt könnte verhindern, dass die Besucherinnen und Besucher im Langhaus an nassen Tagen durch eine Seenlandschaft ‚waten‘ müssen. (Bild: Ulsamer)

Karl Baedeker schaute auch vorbei

25 Jahre vor dem US-Schriftsteller Mark Twain, der u. a. für seine Abenteuergeschichten von Tom Sayer und Huckleberry Finn bekannt ist, beschrieb der Verleger Karl Baedeker, der die Reiseliteratur modernisierte, in seinem 1853 in Koblenz erschienenen Reiseführer „Allerheiligen und die schönen Büttensteiner Wasserfälle“ – wobei heute der Name Allerheiligen eher gebraucht wird. Er wanderte bergan „bis zu den weitläufigen, die ganze Breite des Thals ausfüllenden Trümmern der 1803 durch Brand zerstörten Abteigebäude Allerheiligen“, und Baedeker vergaß nicht zu erwähnen: „Beim Förster gute Bewirthung.“ Baedeker legte großen Wert auf konkrete Informationen für den Reisenden, die ihn auch unabhängig von lokalen Führern machen sollten. Leider hat der jetzige Gasthof ‚Kloster Allerheiligen‘ im Winter nur an Sonn- und Feiertagen geöffnet, daher konnten wir uns von den lukullischen Genüssen der Nachfolger des Försters nicht überzeugen. Eingeschränkte Öffnungszeiten oder eine endgültige Schließung und jahrelanger Leerstand sind ein gravierendes Problem der Schwarzwaldhochstraße generell und der Täler, die von ihr abgehen. Darauf bin ich bereits im November 2017 in meinem Beitrag ‚Schwarzwaldhochstraße im Tief? Hotelruinen versperren den Blick in die Zukunft‘ eingegangen. Zwar wurde als Ausgangspunkt für notwendige Veränderungen im Januar 2017 ein Masterplan vorgelegt, doch dieser ist wirkungslos verpufft, denn die Situation hat sich nicht verbessert, sondern verschärft, wie ich bedauerlicherweise 2024 feststellen musste.

Weißes aufschäumendes Wasser fällt über Felsen einige Meter in die Tiefe.
Wie vor ihm Karl Baedeker, der den modernen Reiseführer in Deutschland schuf, so trug auch Mark Twain mit seiner Beschreibung des Wasserfalls Allerheiligen zu dessen Bekanntheit im 19. Jahrhundert maßgeblich bei: „Nach dem Abendessen gingen wir die Bergschlucht hinab. Sie ist wunderschön – eine Mischung von Waldlieblichkeit und rauher Wildnis. Ein klarer Wasserlauf kommt die Schlucht herabgerauscht, windet sich an ihrem Ende durch einen engen Spalt zwischen hohen Wänden und stürzt über mehrere Stufen nacheinander hinab. Wenn man die letzte hinter sich gelassen hat, gewinnt man zurückschauend einen erfreulichen Blick auf die Wasserfälle – sie erheben sich als siebenstufige Treppe von schaumigen und glitzernden Kaskaden und geben ein Bild ab, das ebenso bezaubernd wie ungewöhnlich ist.“ Mark Twains Beschreibung aus seinem Buch ‚Bummel durch Europa‘ trifft noch heute ins Schwarze. Die Wasserfälle und die Klosterruine liegen im Nationalpark Schwarzwald, der gerne mit dem Anspruch arbeitet ‚eine Spur wilder‘ zu sein, und für die Wasserkaskaden Allerheiligen ist das auf alle Fälle zutreffend. (Bild: Ulsamer)

Nun aber zurück zu den sehenswerten Wasserfällen von Allerheiligen und zu Karl Baedeker: „Unterhalb des Klosters ist der Berg zickzackartig an 400‘ gespalten. Durch diesen Riss stürzt der Griedenbach in einer ununterbrochenen Reihe von Fällen, einige an 80’ hoch ins Thal.“ Baedekers Reisebeschreibung – mit dem für heutige Verhältnisse etwas sperrigen Titel ‚Handbuch für Reisende in Deutschland und dem österreichischen Kaiserstaat: nach eigener Anschauung und den besten Hülfsquellen (Erster Theil): Österreich, Süd- und Westdeutschland‘ – brachte Touristen zu den Wasserfällen und der Klosterruine Allerheiligen, und dies trug dazu bei, dass die Überbleibsel der Gebäude nicht länger als Steinbruch missbraucht wurden. Die markgräfliche Verwaltung hatte bis zu jenem Zeitpunkt versucht, doch noch Kapital aus den Ruinen zu schlagen, die ein Blitzschlag mit nachfolgendem Feuer hinterlassen hatte. Die frühen Reiseführer von Karl Baedeker werden zwar häufig zitiert, aber sie sind nur schwer im Original zu finden. Die Universität Heidelberg hat den hier zitierten Band digitalisiert.

Eine leicht gebliche Postkarte, die 1906 verschickt wurde. Sie zeigt im abgedruckten Aquarell links die Kirchenruine, die die Bäume überragt, rechts die beiden dreistöckigen Gästehäuser und davor den zweistöckigen Gasthof. Alle Gebäude haben rote Ziegeldächer. Davor eine Art Tennisplatz mit Menschen und ein schmales Gebäude.
Diese historische Postkarte wurde im Juni 1906 im Kloster Allerheiligen – so der Poststempel – abgeschickt, das damals noch mit einem Kurhotel die Gäste anziehen konnte. Der Wasserfall und die Klosterruine waren über den Schwarzwald hinaus bekannt. Neben der Ruine der Klosterkirche sind die beiden Gästehäuser und der Gasthof zu sehen, die bis heute erhalten geblieben sind. Das Gesamtensemble benötigt nach meiner Meinung einen besseren Schutz. (Bild: Postkarte Archiv Ulsamer)

Die städtisch wirkenden Gebäude neben der Kirchenruine wurden als Kurhotel der Gebrüder Mittenmaier 1880 errichtet. Ernst Ludwig Friedrich Mittenmaier hatte bereits zuvor eine Gastwirtschaft in Allerheiligen betrieben. Mit zum zeitweisen Erfolg des Kurbetriebs trug die Nennung Allerheiligens durch Karl Baedeker bei. Weder der Kurbetrieb noch eine Wollmanufaktur, die der Fabrikant Brenneisen von 1804 von 1806 einrichtete, überdauerten allerdings die Zeiten.

Blick in die kleine Ausstelllung. Die Informationstafeln zum Tourismus und zur Denkmalpflege sind an einer Gewölbewand befestigt.
Eine kleine Ausstellung vermittelt einen Überblick über die geschichtliche Entwicklung des Klosters Allerheiligen, doch alle Informationsstränge enden 1960. Hier würde ich mir eine Fortschreibung der zeitgeschichtlichen Bezüge wünschen, denn das Ensemble entwickelt sich weiter. Ergänzt werden könnte das Informationsangebot vor Ort natürlich durch abrufbare Texte und Bilder im Internet – wenn man denn Empfang hätte! An diesem Beispiel zeigt sich mal wieder, dass die damalige CDU-Bundesministerin für Forschung und Bildung Anja Karliczek falsch lag, als sie verkündete, man brauche den Mobilfunkstandard 5G „nicht an jeder Milchkanne“. Mehr zu diesem Irrglauben finden Sie in meinem Beitrag ‚Deutschland: Bis zur letzten Milchkanne. Leistungsfähiger Mobilfunk und schnelles Internet sind zwingend‘. Das Kloster Allerheiligen liegt auf der Gemarkung der Gemeinde Oppenau im baden-württembergischen Ortenaukreis.  (Bild: Ulsamer)

Informationsangebot erweitern

Historische Orte haben es in einer Zeit nicht leicht, in der sich zumindest eine partielle Geschichtslosigkeit breitgemacht hat. Da soll in der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart die Villa Berg, eine königliche Sommerresidenz aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, für 170 Mio. Euro mit modernen Anbauten auf nahezu die dreifache Fläche aufgebläht werden, und die Fassade des Opernhauses, erbaut 1909/12, wollen die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg kurzerhand verschieben – so darf man sich nicht wundern, wenn es auch im Schwarzwald beim Kloster Allerheiligen an der notwendigen Sensibilität fehlt. Es gibt zwar einige interessante Schautafeln in einem wenig beachteten Gebäude, doch bei den zentralen Zugängen vom Parkplatz bzw. von den Wasserfällen her fehlt jegliche Information. Schautafeln sollten zumindest einen Ortsplan zeigen, verbunden mit einigen Angaben zur Historie und der aktuellen Nutzung. Bezeichnend ist es, dass der Zeitstrahl auf den erwähnten Schautafeln jeweils 1960 endet.

Blick auf die Klosterruine Alllerheiligen. Im Vordergrund der höchste erhaltene Teil aus steinernem Mauerwerk. Rechts ein kleiner Rundturm.
Uta von Schauenburg, eine Stauferin, stiftete nach dem Tod ihres Mannes, Welf VI., das Kloster Allerheiligen, das von 1192 bis 1803 Bestand hatte. Die Prämonstratenser Chorherren, ein Orden, den Norbert von Xanten gegründet hatte, unterhielten sehr früh und bis zur Auflösung der Abtei eine Klosterschule. Uta von Schauenburg war durch die damalige Heiratspolitik eine dynastische Tante von Friedrich I., genannt Barbarossa, geworden. Über die Gesamtanlage bis zur heutigen Nutzung muss besser informiert werden. (Bild: Ulsamer)

Allerheiligen darf nicht als Kirchenruine einerseits und andererseits als Sammelplatz historischer oder zeitgeschichtlicher Gebäude angesehen, sondern muss als Gesamtheit, als ein Ensemble betrachtet werden. Daraus ergibt sich eine umfassende Information, die das Land Baden-Württemberg anbieten müsste, dem die Kirchenruine und das Gasthaus gehören. Ganz generell müssen die Besitzer oder Nutzer von Baulichkeiten aller Art daran erinnert werden, dass sie mit ihrem Besitz auch eine Verpflichtung tragen! Dieses Bewusstsein ist nicht nur den Eigentümern mehrerer Hotels an der Schwarzwaldhochstraße, sondern auch weiteren Personen oder Organisationen abhandengekommen! Historisch bedeutsame Örtlichkeiten – mit oder ohne Bebauung – müssen besser geschützt werden! Das gilt für das Kloster Allerheiligen gleichermaßen.

 

Zweistöckiges Gebäude mit Klappläden an den Fesntern, die einen neuen Anstrich vertragen könnten. Über der braunen hölzernen Eingangstür steht in großen schwarzen Buchstaben 'Gaststätte Allerheiligen'.
Vom Gebäudeensemble rund um die Kirchenruine Allerheiligen ist der Gasthof noch am besten im Schuss, allerdings zur Winterzeit nur am Wochenende eine Anlaufstelle für Hungrige. „Ein großes Hotel steht jetzt ein bißchen sehr dicht neben den Ruinen“, wer möchte da Mark Twain nicht zustimmen, „und betreibt ein blühendes Geschäft mit Sommergästen.“ Gemeint ist hier nicht der Gasthof, sondern die heutzutage von den ‚Weltenwandlern‘ genutzten Gebäude. Und Mark Twain fuhr fort: „Wir stiegen in die Schlucht hinunter und aßen ein Abendbrot, das sehr befriedigend gewesen wäre, wenn man die Forelle nicht gekocht hätte.“ Wer die eher ironisch-sarkastische Ausdrucksweise Mark Twains kennt, der kann nur sagen, dass Allerheiligen bei ihm mehr als löblich präsentiert wird. „Wenn man die Deutschen ihren eigenen Neigungen überläßt, werden sie eine Forelle oder sonst etwas mit ziemlicher Gewißheit kochen.“ (Bild: Ulsamer)

 

Die Wasserspiele des früheren Barockgartens sind erhalten, wenn auch in teilweise problematischem Zustand. Eine Balustrade umgibt den oberen Bereich des Areals. In einem Becken ist eine Wasserfontäne zu sehen.
Einst wurden im Garten des Klosters Allerheiligen Gemüse und Obst, aber gerade auch Kräuter angebaut. In der Endphase des Klosters – 1783 – wurde aus den Flächen für die Selbstversorgung ein Ziergarten. Bereits 1735 entstand eine Terrassenanlage für Gäste im barocken Stil, die später durch Wasserbecken ergänzt wurde. „Dieser Gastgarten ist heute wieder zu erleben“, heißt es auf einem informativen Schild. Ich hoffe, dass der Garten mit den Wasserspielen im 18. Jahrhundert in einem besseren Zustand war! Ein Becken füllt sich nicht, in einem weiteren fehlt die Wasserfontäne, einzelne Steine der Umrandung sind ins Becken gefallen. Ausgesprochen trostlos – so präsentiert sich der Gastgarten sicher nicht nur im Februar! (Bild: Ulsamer)

 

Blick durch eine Öffnung auf eine Kapelle, die oberhalb der Klosterruine am Hang steht. Sie hat einen Dachreiter mit einem Kreuz.
Aus der Ruine der Klosterkirche öffnet sich der Blick immer wieder auf die Kapelle, die 1960 erbaut wurde. Dort standen die Türen offen, ganz im Gegensatz zu einem Kirchlein am Mummelsee bzw. beim früheren ‚Kurhaus Sand‘, wo ich die ‚Offene Kirche‘ verschlossen vorfand. Die Bindung an die christlichen Kirchen schwindet in Deutschland in dramatischer Weise, doch verriegelte Türen an Gotteshäusern verändern das Denken sicherlich nicht in positiver Weise. Mehr zum Thema finden Sie in meinem Beitrag: ‚Deutschland: Kirchenmitglieder erstmals in der Minderheit. 40 000 kirchlichen Immobilien droht die Umwidmung‘. (Bild: Ulsamer)

 

Das Bild zeigt den Innenraum der Kapelle Allerheiligen. Die Ausstattung - auch der Altar - ist überwiegend aus Holz. Eine Figurengruppe an der Wand des Altarraums zeigt Heilige und Engel in sehr zurückhaltender Form.
Die Kapelle oberhalb der Klosterruine wurde 1960 von der Diözese Mainz erbaut, die 1947 die beiden Gästehäuser für die Kindererholung erworben hatte. Damit ist das Schicksal von Verschickungskindern auch mit Allerheiligen verbunden. In den Jahren 2019/21 wurde die Kapelle eindrucksvoll modernisiert. Der Holzbildhauer Klaus Simon schuf Altar, Ambo/Lesepult und die Hocker – passend zu den umliegenden Wäldern des Schwarzwalds – aus einer Weißtanne. Wer sich für die künstlerische Gestaltung der Kapelle interessiert, dem sei die reich bebilderte Broschüre ‚Kapelle Allerheiligen. Eine Einladung zum Verweilen‘ empfohlen, die vom Erzbistum Freiburg / Referat Kirche in Freizeit und Tourismus herausgegeben wurde. Sie ist in der Kapelle für drei Euro erhältlich. Dort wird eine ebenfalls empfehlenswerte kleine Schrift zum Kloster selbst angeboten. Die Kapelle wurde nach einem Intermezzo in privater Hand (2012-2018) von der Erzdiözese Freiburg erworben. (Bild: Ulsamer)

 

 

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