Historische Orte müssen besser geschützt werden
Die Klosterruine Allerheiligen und die nahegelegenen Wasserfälle im Schwarzwald finden sich in so manchem Reiseführer – und dies zurecht. Seit 1840 sind die Wasserfälle von Allerheiligen über einen schmalen Weg und zahlreiche Treppen zugänglich, doch trotz der Erschließung haben sie ihren Charme erhalten und fließen naturnah über sieben Kaskaden ins Tal. Ganz anders sehe ich die Klosterruine und deren unmittelbare Umgebung, denn die angrenzenden früheren Kurgebäude könnten ganz passend eine Verschönerungskur vertragen – noch viel mehr die früheren Wasserspiele im Klostergarten. Sie sind in einem Zustand, den ich als Schande bezeichnen würde. Vergleicht man die Ruine des Klosters Allerheiligen und des umgebenden Ensembles mit ähnlichen historischen Orten in anderen Regionen Europas, dann stellt sich die Frage, warum in unserem Land mit geschichtsträchtigen Stätten so umgegangen wird. Das Kloster der Prämonstratenser bestand von 1192 bis 1803 und überlebte Großbrände und Plünderungen bis es sich 1802/1803 der Markgraf Karl Friedrich von Baden unter den Nagel gerissen hat. 600 Jahre Klostergeschichte fanden ein jähes Ende, da Napoleon seine blutige Hand auf linksrheinische Gebiete legte und der Markgraf von Baden – wie andere Herrscher auch – durch Kirchenbesitz ‚entschädigt‘ wurde. Diese Verstaatlichung, gerne verklärend Säkularisierung genannt, wurde 1803 durch den Reichsdeputationshauptschluss ‚legitimiert‘. Dieser war das letzte wichtige Gesetz des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Geschichte ist wie sie ist, doch der Umgang mit dem Gesamtareal gerät bis in jüngste Zeit zum Problemfall, was für den äußeren Zustand der Gebäude gilt bis zu deren Nutzung in der Nachkriegszeit als Unterbringungsort für Verschickungskinder. Jetzt haben sich ‚Weltenwandler‘ breitgemacht, doch die kleine Welt in Allerheiligen hat dadurch noch keine positiven baulichen Veränderungen erlebt. Historische Orte wie die Gesamtanlage des Klosters Allerheiligen im Nordschwarzwald bedürfen eines höheren Schutzes als bisher!
Auf den Spuren Mark Twains
Selbst der weltbekannte Schriftsteller Mark Twain wanderte während seiner Europareise 1878 nach Allerheiligen, wie in seinem Buch ‚A Tramp Abroad‘ (‚Bummel durch Europa‘) nachzulesen ist. „Den ganzen Nachmittag waren wir bergauf gelaufen. Gegen fünf oder halb sechs erreichten wir den Gipfel, und plötzlich teilte sich der dichte Vorhang des Waldes, und wir blickten hinunter in eine tiefe, schöne Schlucht und hinaus auf ein weites Panorama bewaldeter Berge, mit sonnenbeschienenen Kuppen und purpurn überschatteten, von Lichtungen durchfurchten Hängen. Die Schlucht zu unseren Füßen – Allerheiligen – bot am oberen Ende ihrer grasbewachsenen Ebene Raum für eine behagliche, entzückende menschliche Bleibe, abgeschlossen von der Welt und ihren Mißlichkeiten, und folglich hatten die Mönche in alter Zeit nicht verfehlt, sie auszukundschaften: und hier standen die dunklen und reizvollen Ruinen ihrer Kirche und ihres Klosters“. Die ‚Misslichkeiten‘ dieser Welt haben inzwischen jedoch Einzug gehalten in Allerheiligen: Die 1947 von der Caritas der Diözese Mainz erworbenen früheren Kurhäuser dienten der Kindererholung. Niemand dachte zu jener Zeit daran, welche Tragik sich hinter Erholungsmaßnahmen verbergen würde, denn viele ‚Verschickungskinder‘ erlebten wechselvolle oder sogar erschreckende Wochen. Nach einer späteren Phase, in der die beiden Häuser bis 1989 als Schullandheim genutzt wurden, dienten sie von 1990 bis 2010 der katholischen Laienmissionsorganisation ICPE (International Catholic Program for Evangelisation) als deutsches Domizil.
Die Gebäude sind in keinem ansprechenden Zustand, obwohl sich dort inzwischen ‚Weltenwandler‘ häuslich niedergelassen haben. Nun gut, der Februar ist nicht der beste Wandermonat im Schwarzwald, doch bei ‚Weltenwandlern‘ müsste aber immer etwas gehen: die mehrstöckigen Gebäude, die in dieser Landschaft überraschen, wirkten verlassen und trostlos. „Das nachhaltig-spirituelle Weltenwandler-Tagungszentrum im Schwarzwald“, so die Eigenwerbung der Organisation, hatte zumindest an diesem Tag keinen großen Zuspruch erfahren. Auf der Internetseite ‚tagungen-allerheiligen‘ heißt es vielversprechend weiter: „Die Tagungsstätte Kloster Allerheiligen ist eines der ‚Weltenwandler-Zentren‘. Die seit 2019 entstehenden Weltenwandler-Zentren wiederum sind Teil der aufblühenden ‚Kulturoasen-Bewegung‘. Dies sind Stätten (‚Oasen‘) auf dem Lande, in denen sich Gemeinschaften den Aufgaben der Ökologie, Spiritualität und Bildung widmen.“ Ich weiß, man soll nicht ständig meckern, aber obwohl die Sonne schien, eine „Kulturoase“ habe ich nicht gefunden. Und nicht zuletzt bei den hölzernen Balkonen frage ich mich, wie lange sie wohl noch der Erdanziehung widerstehen können.
Historische Orte mit Leben zu erfüllen, ohne dass die geschichtliche Wertigkeit schwindet, das ist auch dem Kloster Allerheiligen zu wünschen, und ich hielte es für richtig und wichtig, auf einem klar strukturierten Ortsplan die dortigen Aktivitäten zu benennen. So heißt es im Internet auf der Seite der EOS-Erlebnispädagogik, sie würde seit 2014 „Allerheiligen primär … betreiben“. EOS und die Weltenwandler haben interessanterweise den gleichen Vorsitzenden, Dr. Michael Birnthaler, der aus dem Bereich der Waldorfpädagogik kommt. So mancher von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wird sich fragen, was die derzeitige Nutzung der Gebäude mit deren Historie zu tun hat. Auf den ersten Blick wenig, doch ein sensibler Umgang mit historischen Orten sollte auch offenlegen, wer dort was tut. Dies gilt für die Verschickungskinder und ihr Schicksal früher ebenso wie für heutige Aktivitäten. Störend ist der Zustand der historischen Bausubstanz – ganz unabhängig von ihrer heutigen Bespielung.
Karl Baedeker schaute auch vorbei
25 Jahre vor dem US-Schriftsteller Mark Twain, der u. a. für seine Abenteuergeschichten von Tom Sayer und Huckleberry Finn bekannt ist, beschrieb der Verleger Karl Baedeker, der die Reiseliteratur modernisierte, in seinem 1853 in Koblenz erschienenen Reiseführer „Allerheiligen und die schönen Büttensteiner Wasserfälle“ – wobei heute der Name Allerheiligen eher gebraucht wird. Er wanderte bergan „bis zu den weitläufigen, die ganze Breite des Thals ausfüllenden Trümmern der 1803 durch Brand zerstörten Abteigebäude Allerheiligen“, und Baedeker vergaß nicht zu erwähnen: „Beim Förster gute Bewirthung.“ Baedeker legte großen Wert auf konkrete Informationen für den Reisenden, die ihn auch unabhängig von lokalen Führern machen sollten. Leider hat der jetzige Gasthof ‚Kloster Allerheiligen‘ im Winter nur an Sonn- und Feiertagen geöffnet, daher konnten wir uns von den lukullischen Genüssen der Nachfolger des Försters nicht überzeugen. Eingeschränkte Öffnungszeiten oder eine endgültige Schließung und jahrelanger Leerstand sind ein gravierendes Problem der Schwarzwaldhochstraße generell und der Täler, die von ihr abgehen. Darauf bin ich bereits im November 2017 in meinem Beitrag ‚Schwarzwaldhochstraße im Tief? Hotelruinen versperren den Blick in die Zukunft‘ eingegangen. Zwar wurde als Ausgangspunkt für notwendige Veränderungen im Januar 2017 ein Masterplan vorgelegt, doch dieser ist wirkungslos verpufft, denn die Situation hat sich nicht verbessert, sondern verschärft, wie ich bedauerlicherweise 2024 feststellen musste.
Nun aber zurück zu den sehenswerten Wasserfällen von Allerheiligen und zu Karl Baedeker: „Unterhalb des Klosters ist der Berg zickzackartig an 400‘ gespalten. Durch diesen Riss stürzt der Griedenbach in einer ununterbrochenen Reihe von Fällen, einige an 80’ hoch ins Thal.“ Baedekers Reisebeschreibung – mit dem für heutige Verhältnisse etwas sperrigen Titel ‚Handbuch für Reisende in Deutschland und dem österreichischen Kaiserstaat: nach eigener Anschauung und den besten Hülfsquellen (Erster Theil): Österreich, Süd- und Westdeutschland‘ – brachte Touristen zu den Wasserfällen und der Klosterruine Allerheiligen, und dies trug dazu bei, dass die Überbleibsel der Gebäude nicht länger als Steinbruch missbraucht wurden. Die markgräfliche Verwaltung hatte bis zu jenem Zeitpunkt versucht, doch noch Kapital aus den Ruinen zu schlagen, die ein Blitzschlag mit nachfolgendem Feuer hinterlassen hatte. Die frühen Reiseführer von Karl Baedeker werden zwar häufig zitiert, aber sie sind nur schwer im Original zu finden. Die Universität Heidelberg hat den hier zitierten Band digitalisiert.
Die städtisch wirkenden Gebäude neben der Kirchenruine wurden als Kurhotel der Gebrüder Mittenmaier 1880 errichtet. Ernst Ludwig Friedrich Mittenmaier hatte bereits zuvor eine Gastwirtschaft in Allerheiligen betrieben. Mit zum zeitweisen Erfolg des Kurbetriebs trug die Nennung Allerheiligens durch Karl Baedeker bei. Weder der Kurbetrieb noch eine Wollmanufaktur, die der Fabrikant Brenneisen von 1804 von 1806 einrichtete, überdauerten allerdings die Zeiten.
Informationsangebot erweitern
Historische Orte haben es in einer Zeit nicht leicht, in der sich zumindest eine partielle Geschichtslosigkeit breitgemacht hat. Da soll in der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart die Villa Berg, eine königliche Sommerresidenz aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, für 170 Mio. Euro mit modernen Anbauten auf nahezu die dreifache Fläche aufgebläht werden, und die Fassade des Opernhauses, erbaut 1909/12, wollen die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg kurzerhand verschieben – so darf man sich nicht wundern, wenn es auch im Schwarzwald beim Kloster Allerheiligen an der notwendigen Sensibilität fehlt. Es gibt zwar einige interessante Schautafeln in einem wenig beachteten Gebäude, doch bei den zentralen Zugängen vom Parkplatz bzw. von den Wasserfällen her fehlt jegliche Information. Schautafeln sollten zumindest einen Ortsplan zeigen, verbunden mit einigen Angaben zur Historie und der aktuellen Nutzung. Bezeichnend ist es, dass der Zeitstrahl auf den erwähnten Schautafeln jeweils 1960 endet.
Allerheiligen darf nicht als Kirchenruine einerseits und andererseits als Sammelplatz historischer oder zeitgeschichtlicher Gebäude angesehen, sondern muss als Gesamtheit, als ein Ensemble betrachtet werden. Daraus ergibt sich eine umfassende Information, die das Land Baden-Württemberg anbieten müsste, dem die Kirchenruine und das Gasthaus gehören. Ganz generell müssen die Besitzer oder Nutzer von Baulichkeiten aller Art daran erinnert werden, dass sie mit ihrem Besitz auch eine Verpflichtung tragen! Dieses Bewusstsein ist nicht nur den Eigentümern mehrerer Hotels an der Schwarzwaldhochstraße, sondern auch weiteren Personen oder Organisationen abhandengekommen! Historisch bedeutsame Örtlichkeiten – mit oder ohne Bebauung – müssen besser geschützt werden! Das gilt für das Kloster Allerheiligen gleichermaßen.
Eine Antwort auf „Kloster Allerheiligen: Abgebrannt, geplündert und verstaatlicht“