Steigender Meeresspiegel bedroht Küstenregionen
Der Sturm Denis brachte nach Irland nicht nur Orkanböen mit 120 Stundenkilometern und heftige Wellen, die an der Küste nagen. So mancher für die Verkehrsinfrastruktur wichtigen Brücke im irischen Kerry kamen die Wellen gefährlich nahe und Regengüsse in Verbindung mit einsetzender Flut führten zu überschwemmten Straßen. Dies alles sind kleinere Ereignisse, die jedoch den Trend zeigen: Der Klimawandel setzt mit vermehrten Stürmen und steigendem Meeresspiegel gerade auch der küstennahen Infrastruktur zu. Am gleichen Tag publizierten Wissenschaftler ihren Vorschlag, notfalls die Nordsee durch gewaltige Dämme vom Atlantik abzugrenzen, um die Küsten vor Überflutungen zu schützen. Nun, in Kerry würde dies nichts nützen, der Atlantik würde vermutlich nur noch ‚wütender‘ mit seinen Wellenbergen auf die irische Küste auflaufen.
Wenn der Meeresspiegel steigt
Erosion in Küstenregionen ist ein normaler Vorgang, doch wird diese durch die Zunahme der Stürme und deren Intensität sowie die auf einem höheren Meeresniveau anrollenden Wellen gefördert. In vielen Gebieten unserer Welt spielen bereits wenige Zentimeter Anstieg beim Meeresspiegel eine gravierende Rolle. Die Erwärmung der Meere im Zeichen des Klimawandels lässt das Wasser im Volumen zunehmen, was zu einem Drittel zum Anstieg des Meeresspeigels beiträgt, denn Wasser hat nun mal bei Erwärmung ein größeres Volumen. Dazu hin schmilzt in einer wärmeren Umwelt das Inlandeis z.B. in Grönland und in der Antarktis ab. Ursächlich für das rapide Abschmelzen des globalen Eispanzers ist die Erwärmung der Erde, die durch den Ausstoß von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen in die Atmosphäre hervorgerufen wird. So ist der Meeresspiegel im letzten Jahrhundert um ca. 20 Zentimeter angestiegen. Aber man muss nicht unbedingt in die Antarktis reisen, um das Verschwinden von Gletschern zu erleben: Seit Jahrzehnten sind sie auch in den Alpen auf dem Rückzug. Und hier wird das Schmelzwasser im Sommer ganz besonders für die Wasserversorgung fehlen.
Mancher Betrachter wird sagen, was sind schon 20 Zentimeter beim Meeresspiegel, wenn man von einer hohen Klippe auf die anbrandenden Wellen schaut. Ganz anders sieht dies allerdings in Gebieten aus, die unter dem Meeresspiegel liegen und nur dank entsprechender Deiche bewohnt werden können. Rund ein Drittel der Niederlande liegt unterhalb des Meeresspiegels, aber auch in Norddeutschland wurde seit Jahrhunderten dem Meer Land abgetrotzt. Eine Rückverlegung der Deiche würde wenig bringen, denn selbst das Hinterland liegt tief unter dem normalen Meeresspiegel, und die Deiche müssten dann erneut sehr hoch gebaut werden. Die für den Küstenschutz in Holland zuständigen Institutionen glauben zwar, dass sie ihr Land auch gegen einen Anstieg des Meeresspiegels um bis zu fünf Meter absichern können, doch dies würde in anderen Gesellschaften mit Sicherheit zu katastrophalen Folgen führen. Die wirtschaftlich stärkeren Staaten werden sich mehr Küstenschutz leisten können, als z. B. Entwicklungsländer. Die Hauptverursacher der klimaschädlichen Emissionen können sich somit am ehesten schützen.
Jeder Zentimeter spielt eine Rolle
In der Erdgeschichte gab es Zeiten mit deutlich mehr CO2 in der Atmosphäre und der Meeresspiegel lag vor Millionen Jahren deutlich höher. Aber damals hat dies auch nicht die Menschheit bedroht, denn wir Menschen waren noch lange nicht unterwegs. „Nach Angaben des U.S. Geological Survey läge der Meeresspiegel einer eisfreien Erde bis zu 66 Meter höher als heute“, so Tim Folger in „National Geographic“. Eine solche Gefahr droht nicht heute und auch nicht morgen, doch macht der Autor deutlich: „Es könnte Tausende Jahre oder noch länger dauern, um solch eine Welt zu schaffen – aber wenn wir alle fossilen Brennstoffe aufbrauchen, werden wir sie bekommen.“ Alle Prognosen sind nun mal Vorhersagen und je länger der zu überblickende Zeitraum ist, desto größer ist die Bandbreite möglicher Entwicklungen des Meeresspiegels, doch selbst 50 oder 60 Zentimeter Erhöhung bringt große Herausforderungen mit sich.
Dabei denke ich nicht nur an die dann bedrohten Menschen in ihren Wohnhäusern, sondern auch an Hafenanlagen, Industriegebiete, an Straßen und Eisenbahnlinien, die nicht selten an der Küste verlaufen. Der Vorteil, sollte es im Zusammenhang mit dem Anstieg des Meeresspiegels einen solchen geben, ist die Tatsache, dass dieser im Regelfall langsam verläuft. Wir Menschen können uns auf die Veränderungen einstellen und systematisch unsere Vorkehrungen treffen. Der Nachteil liegt aber ebenfalls auf der Hand: schleichende Prozesse werden zu spät als Bedrohung aufgefasst, denn es gibt ja immer ‚wichtigere‘ politische Projekte. Budgetmittel werden dann einstweilen an anderer Stelle eingesetzt. Und wir sollten immer beachten: Jeder Zentimeter Anstieg des Meeresspiegels spielt eine Rolle!
Anstieg beschleunigt sich
Steve Nerem und Kollegen haben in einer Studie, die aufgrund von Daten, die seit 1992 von Forschungssatelliten ermittelt wurden, die fundierte Ansicht vertreten, dass sich der Anstieg des Meeresspiegels gewissermaßen Jahr für Jahr beschleunigt. So habe sich nach den Feststellungen des Teams um Professor Nerem der Anstieg des Meeresspiegels von 2 Millimeter pro Jahr Mitte der 1990er auf rd. 4 Millimeter jährlich bis 2017 erhöht. Millimeter haben das Problem, sich ins Bewusstsein der Politiker vorzuarbeiten, und auch uns allen erscheint dies meist nicht sonderlich bedrohlich. Wer aber an Kinder, Enkel und Urenkel denkt, dem wird die Dimension dann doch als Gefahr erscheinen. Und die Forscher der University of Colorado betonen bei aller Vorsicht, dass der von ihnen ermittelte Beschleunigungsprozess zu einer Anstiegsrate von 10 Millimeter/Jahr bis 2100 führen könnte. Das Forscherteam benennt selbst die Probleme, die solche Prognosen in ihrem Kern enthalten, aber sie können immerhin auf einen Datenbestand aus den zurückliegenden 25 Jahren zurückgreifen. Damit dürfte im Grunde klar sein, dass die Anstiegskurve exponentiell verläuft und damit der Gesamtanstieg des Meeresspiegels schneller erfolgt als bisher angenommen. Im Übrigen liegen auch Vorhersagen des Weltklimarats, des IPCC, bisher bei einem Anstieg von knapp einem Meter bis 2100, andere Institutionen rechnen bereits mit 1,70 Meter oder mehr.
‚National Geographic‘ wies bereits 2013 in einem Beitrag von Tim Folger unter dem Titel „Meeresspiegel-Anstieg: Vor uns die Sintflut?“ darauf hin, dass besondere Großereignisse auch zu einem schnelleren Anstieg des Meeresspiegels beitragen könnten: „Eine der größten Unbekannten in allen Szenarien zum Anstieg der Ozeane ist der gewaltige Thwaites-Gletscher in der Westantarktis. Dessen Eis wird von einem 610 Meter hohen, im Meer liegenden Gebirgszug festgehalten, der sein Abrutschen in den Ozean verlangsamt. Doch durch den steigenden Meeresspiegel könnte mehr Wasser zwischen den Gebirgszug und den Gletscher einsickern und ihn aus seiner Verankerung lösen.“ Sollte dies der Fall sein, dann könnte „der Meeresspiegel in der Folge um drei Meter ansteigen“. Bei einer solchen, möglichen Katastrophe werden dann nicht nur Straßen und Brücken, die direkt am Meer liegen, versinken.
Die Nordsee als Binnensee
Sollte die Erderwärmung nahezu ungebremst voranschreiten, könnte das Szenario relevant werden, das zwei Wissenschaftler aus den Niederlanden und vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel zu einem gewaltigen Bauprojekt inspirierte, das mittels zweier gewaltiger Dämme die Nordsee zu einem Binnensee machen würde. „Im Kern geht es um zwei Dämme“, so das Helmholtz-Zentrum, „einen 161 km langen, der den Ärmelkanal im westlichen Bereich zwischen Bretagne und Cornwall abschließt und einen zweiten, fast 500 km langen in der nördlichen Nordsee zwischen Schottland und Norwegen. Die mittlere Wassertiefe beträgt im Bereich des Damms im Ärmelkanal 85 Meter, in der nördlichen Nordsee 127 Meter mit einem Maximum von mehr als 320 Metern.“ Nahezu unvorstellbar wäre nicht nur die Menge des Materials, das für diese Dämme gebraucht würde, sondern auch die Leistung der Pumpen, die das einfließende Wasser der großen Ströme (u.a. Elbe, Rhein, …) statt in die Nordsee in den Atlantik pumpen müssten.
„Nach unseren bisherigen Maßstäben klingt die Dimension eines solchen Projekts völlig unvorstellbar“, so Professor Joakim Kjellsson, Juniorprofessor in der Maritimen Meteorologie und Ko-Autor vom GEOMAR. „Mal abgesehen von den technischen Herausforderungen eines solchen Vorhabens, würde dies natürlich auch massive Einschnitte für Fischerei- und Schifffahrtsindustrie, ganz zu schweigen Einflüssen auf das marine Ökosystem der Nordsee und darüber hinaus haben“, so Kjellsson, weiter. Die Autoren setzen daher auch in erster Linie auf die Reduzierung des CO2-Ausstoßes und nicht auf die Dämme, doch sie betonen, dass diese gewaltigen Dämme wirtschaftlich günstiger sein könnten als einzelstaatliche Küstenschutzmaßnahmen.
Klimaschädliche Emissionen reduzieren – jetzt!
Ich mag mir nicht vorstellen, dass solche Dämme die letzte Rettung Mitte des Jahrtausends sein könnten, und hoffe auf die Einsichts- und Handlungsfähigkeit der vorhergehenden Generationen, die hoffentlich den Ausstoß klimaschädlicher Gase deutlich reduzieren können. Wenn der Permafrostboden, beispielsweise in Sibirien, weiter auftaut, dann werden allerdings auch gewaltige Methangasmengen freigesetzt. Wir sollten daher alles daransetzen, CO2 einerseits durch Aufforstung zu binden und andererseits für die Produktion als Ölersatzstoff zu nutzen. Die in der Studie, die im ‚Bulletin of the American Meteorological Society (BAMS)‘ veröffentlicht wurde, skizzierten Dämme halte ich nicht nur für technisch und ökologisch fragwürdig, sondern auch für einen Anziehungspunkt für Terroristen aller Art. Diese Skizze ist aber gleichzeitig ein Anstoß, sich jetzt und konsequent um eine Reduzierung der Treibhausgase zu kümmern.
Nun jedoch zurück zur Realität unserer Tage, in der einzelne Gebäude bereits ins Meer stürzen, da die Küsten bröseln, und so manche Brücke oder Straße gerade noch über den steigenden Meeresspiegel hinauslugt. Wenn in der Antarktis im Februar 2020 an manchen Tagen nach Messungen einer brasilianischen Forschungsstation über20 Grad herrschten, dann wird es höchste Zeit, dass wir ernsthaft versuchen, den Klimawandel und damit auch die Erderwärmung zu bremsen. Dazu nutzen aber Mammuttreffen wie die UN-Klimakonferenzen, zu denen gleich mal 30 000 Teilnehmer jetten, wenig: Wir brauchen das konsequente Handeln der Staaten und von uns allen. Was fehlt ist vor allem eine technologieoffene Vorgehensweise, die alle Chancen nutzt, seien es alternative Treibstoffe, Wasserstoff, Gebäudedämmung, regenerativer Strom usw. Wenn wir nicht wollen, dass die Brücken und Straßen in Küstennähe im Meer versinken und nachfolgende Generationen vor nahezu unlösbaren Problemen stehen, dann müssen wir jetzt gemeinsam nachhaltig handeln, ein jeder an seinem Platz.
10 Antworten auf „Klimawandel: Von kleinen Brücken und großen Dämmen“