Kleingeistiger Größenwahn

Wenn dem Militär die Soldaten fehlen

Eifrig streiten Politiker in Europa über Mehrausgaben für das Militär. Angeheizt wird der Streit von Donald Trump, dem obersten ‚Militärstrategen‘ im Weißen Haus. Dummerweise kann sich der US-Präsident auch noch auf eine Übereinkunft der NATO-Staaten im britischen Wales aus dem Jahre 2014 berufen, die sich zum 2 % Ziel bekannten. Und diese Zusage wurde ganz ohne Donald getroffen, denn da war noch Barack Obama am Ruder. Ausnahmsweise geht es nicht darum, die Erderwärmung unter 2 Grad zu halten, sondern um einen Anteil von 2 % der Militärausgaben am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt der NATO-Länder. Heiß wird es mir aber auch bei diesem Thema, denn ich halte es für völlig abwegig, zuerst die Ausgabenhöhe festzulegen und dann über die notwendigen Maßnahmen zu sprechen, die finanziert werden sollen. Irgendwie wird es mir unheimlich, wenn ich sehe, dass viele Politiker über höhere Militärausgaben philosophieren und gerne global eine Rolle spielen wollen, doch andererseits fehlen ihnen schon jetzt die Mannen – und natürlich auch die Frauen -, um den militärischen Karren aus dem Sumpf zu schieben. Der akute Personalmangel allerdings ist nicht nur eine Frage des Budgets.

Das Marineschiff Orla liegt im Ventry Harbour - einer Meeresbucht. Das Schiff ist grau, das Meer blau. Im Vorder- und Hintergrund einige Häuser am Ufer.
Die LÉ Orla wird in Irland aus Personalmangel aus dem Dienst genommen. Sie wird bei der Überwachung der Fischerei und besonders der Verhinderung von Drogenschmuggel fehlen. Zunehmend kaufen sich irische Soldaten sogar aus der Dienstverpflichtung heraus, die sie eingegangen sind. Die Regierung unter Leo Varadkar versucht, die Mängel zu überspielen. Aber was ist von dieser schwächelnden Regierung ohne eigene Mehrheit zu erwarten, wenn sie noch nicht einmal Wassergebühren einführen konnte. Auf dem Bild liegt die Orla im Ventry Harbour, einer Meeresbucht im irischen Kerry. (Bild: Ulsamer)

Große Worte – keine Taten

Auffällig ist die Diskrepanz zwischen Polit-Palaver und klaren Zielsetzungen. Da fordert der französische Präsident eine „wahre europäische Armee“, doch einen möglichen Nukleus – die Deutsch-Französische Brigade – hat Emmanuel Macron bisher nicht gefördert. Sie führt seit Jahren ein Schattendasein. Als Angela Merkel nichts anderes übrigblieb, da entdeckte auch die Bundeskanzlerin das Thema, und lobte eine „europäische Armee“, doch Taten ließ sie keine folgen. Da wusste ihre Nachfolgerin als CDU-Chefin, Annegret Kramp-Karrenbauer, Rat: ein „europäischer Flugzeugträger“ soll auf Kiel gelegt werden. Aber wer – wie die ehemalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen – noch nicht einmal das Segelschulschiff ‚Gorch Fock‘ im Kosten- und Zeitrahmen wieder flottbekam, ehe sie nach Brüssel als EU-Kommissionspräsidentin flüchtete, der hatte andere Sorgen.

Nun ist die Ursula ja weg und Annegret ist die Chefin der Truppe. „In allen Bereichen mangelt es an Material“, so der Wehrbericht 2018. „Kaum einsatzbereite LEOPARD 2, teure Nachrüstungsprogramme für den neuen Schützenpanzer PUMA, keine Tanker bei der Marine im zweiten Halbjahr 2018, ein großer Teil der U-Boote defekt, weniger als die Hälfte der EUROFIGHTER und TORNADOs flugfähig und auf ein Minimum reduzierte Munitionsbestände – diese Lage wirkt sich nicht nur auf Einsatz und einsatzgleiche Verpflichtungen aus, es leiden vor allem Ausbildung und Übung.“ Schon alleine dieser Satz stellte der Verteidigungsministerin ein desaströses Zeugnis aus. Doch statt eines Rauswurfs gab es für die unglücklich agierende Ursula von der Leyen gewissermaßen eine Beförderung zur Europäischen Union. Mal sehen ob Kramp-Karrenbauer jetzt bei der Bundeswehr für ausreichend warme Unterwäsche für den nächsten Winter sorgt!

Farbige Titelseite des Guardian mit der Überschrift „Army’s frontline in crisis as recruitment collapses“.
Im Vereinigten Königreich fehlt der Nachwuchs für die Armee. Teilweise sind z. B. in Infanterieeinheiten bis zu 40 % der Dienstposten nicht besetzt. (Bild: Ausriss aus der Titelseite, ‚The Guardian‘, 10.8.19)

Anziehungskraft des Militärs gesunken

Ein Blick in andere europäische Staaten zeigt allerdings, dass auch dort das politische Getöse größer ist als das konkrete Handeln. Da berichtet die britische Tageszeitung ‚The Guardian‘ auf der Titelseite: „Army’s frontline in crisis as recruitment collapses“. Die zugrunde liegenden Daten des Verteidigungsministeriums belegen, dass es dem britischen Militär immer weniger gelingt, die offenen Stellen zu besetzen. Auf den ersten Blick sind zwar lediglich 7,6 % der Dienstposten unbesetzt, aber der Mangel verteilt sich sehr ungleichmäßig: Bei den für einen Kampfeinsatz vorgesehenen Truppenteilen, so z. B. den ‚Scots Guards‘ fehlen bis zu 40 % der Soldaten. Und dies ausgerechnet in einer Zeit, in der mit Premierminister Boris Johnson und seinen reaktionären Hardlinern ein geistiger Rückfall ins imperiale Denken droht. Aber die Arbeitslosigkeit unter jungen Bürgern ist zum Glück in den letzten Jahren gesunken, daher zieht es auch weniger Briten zum Militär. Johnson hat schon 20 000 zusätzliche Polizisten versprochen, so könnte es beim Militär noch schwerer werden, den notwendigen Nachwuchs zu rekrutieren. Wenn jedoch ein No-Deal-Brexit wirtschaftliche Impulse zerstört, dann könnte es so manchen Jugendlichen wieder eher in Richtung Militär ziehen. Das wäre dann ganz im Sinne der Ewiggestrigen in der Conservative and Unionist Party.

Beim Nachbarn Irland steht es nicht besser, obwohl Premierminister Leo Varadkar gerne Soldaten in UN-Friedensmissionen entsendet, da er mit seinem Land mal wieder einen der nicht ständigen Sitze im Weltsicherheitsrat einnehmen würde. So titelt der ‚Irish Independent‘ unter Bezug auf Aussagen von Sergeant Major Noel O’Callaghan: „Sending elite soldiers to Mali ‚is cynical move to win seat on UN Security Council‘ “. Zwar habe ich mich immer gefragt, warum die Bundesregierung ständig drängelt, mal wieder am Tisch der entscheidenden politischen Mächte sitzen zu dürfen, aber Leo Varadkar scheint aus dem gleichen Holz geschnitzt zu sein. Und auch in Deutschland fällt es schwer, die Reihen bei der Bundeswehr mit neuen Kräften aufzufüllen. So liebäugelt die jetzige Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer schon lange mit einer Dienstpflicht für alle – sei es bei der Bundeswehr oder in anderen Bereichen.

Ein Tweet zeigt Fotos von Leo Varadkar an Bord eines irischen Marineschiffs.
Das kennen wir leider zur genüge von vielen Politikern: Leo Varadkar, der irische Premierminister von Fine Gael, zeigt sich lieber fotogen auf einem irischen Schiff der Navy, das noch genügend Mannschaft hat, um in See zu stechen. (Bild: Screenshot, Twitter, 2.8.19)

Mehr Ehrlichkeit gefragt

Noel O‘Callaghan wirft der irischen Regierung vor, beim Sold zu knausern und versprochene Erhöhungen nicht umgesetzt zu haben. Der frühere Offizier bemängelt auch die geringe Wertschätzung, die die irische Regierung ihren Soldaten entgegenbringen würde. Politischer Streit ist gleichfalls um die Frage entbrannt, warum zwei der bisher sieben Marineschiffe derzeit nicht mehr eingesetzt würden. Aus der Navy selbst verlautete, die Mannschaften würden fehlen und daher blieben die Schiffe erst mal vertäut. Das wollte die Regierung nicht auf sich sitzen lassen und meinte, es handle sich um Überholungsmaßnahmen. Die Realität ist aber – auch nach Meinung der Kritiker wie beispielsweise Noel O’Callaghan – dass ganz einfach die Matrosen fehlen! Das kann in Deutschland kaum passieren, denn zeitweise waren alle U-Boote nicht einsetzbar und Piloten hatten zu wenige der vorgeschriebenen Flugstunden erreicht, weil ihre Flugzeuge nicht abheben können! Leben wir denn wirklich in einer Bananenrepublik?

Nun mag es dem Militär an der einen oder anderen Stelle in Deutschland und bei unseren Nachbarn an Geld mangeln. Ich glaube allerdings nicht, dass ein höheres Budget aus sich heraus die geschilderten Probleme lösen würde. Zuerst müssen die zuständigen Militärs und Politiker ehrlich Rechenschaft ablegen über den Zustand ihrer Truppe. Im zweiten Schritt brauchen wir eine abgestimmte Strategie, denn nur aus dieser lässt sich ableiten, welche Aufgaben das Militär zu erfüllen hat und welche Mittel dafür benötigt werden. Es fehlt jedoch zumeist an beidem – an ehrlicher Bestandsaufnahme und klaren strategischen Vorstellungen.

Französischer Soldat in Mali in der Abendstimmung.
Angela Merkel setzte sich auf das Pferd einer „echten europäischen Armee”, welches ihr der Blender Emmanuel Macron vors Kanzleramt stellte. Und Annegret Kramp-Karrenbauer erwähnte ausgerechnet dieses derzeit chancenlose Projekt in ihrer Bewerbungsrede auf dem CDU-Parteitag in Hamburg, woraufhin sie inzwischen mit dem Amt der Verteidigungsministerin bedacht wurde. Für mich bleibt bei all diesem Palaver die Frage: Warum haben Merkel und Macron nicht längst einmal die Deutsch-Französische Brigade weiterentwickelt? (Bild: Screenshot, Facebook, 15.11.18)

Auslandseinsätze als Debakel?

Ein Musterbeispiel hierfür ist für mich Afghanistan: Da stolperten Deutschland und Großbritannien – um nur diese beiden zu nennen – hinter den USA im Jahre 2001 in einen Krieg gegen Islamisten, und wenn sich die US-Amerikaner demnächst verabschieden, dann werden alle wie begossene Pudel dastehen. Donald Trump wird dies im Wahljahr für sich nutzen, denn er hätte dann den längsten Krieg beendet, den die USA bisher führten und könnte die Soldaten heimholen. Für die prowestlichen Teile der afghanischen Zivilbevölkerung allerdings lässt es Schlimmes befürchten, wenn die USA mit den Taliban über den Abzug verhandeln, ohne die afghanische Regierung einzubeziehen. Die USA werden bei einem geordneten Abmarsch Bilder vermeiden können wie in Vietnam, als die letzten US-Mitarbeiter eilig mit Hubschraubern ausgeflogen wurden. Aber in den afghanischen Bergen droht den demokratisch orientierten Menschen das gleiche Schicksal wie im vietnamesischen Dschungel: Sie geraten unter die Knute diktatorischer Kräfte.

Viele Menschen haben dann umsonst ihr Leben verloren, ohne dass sich ein friedlicher und weltoffener Weg in die Zukunft öffnen würde. Dabei zeigt sich auch ein Grundfehler der Strategie: Es ist nicht gelungen, die Mehrheit der Afghanen vom Kampf der Freiheit gegen islamistischen Terror zu überzeugen! Und selbstredend kann man einen solchen Krieg nicht für die Afghanen gewinnen, wenn diese selbst nicht mit aller Kraft mitwirken. Wer lieber im wehrfähigen Alter nach Deutschland flüchtet, anstatt sich dem Islamismus entgegen zu stellen, der kann auch nicht von ausländischen Soldaten ‚befreit‘ werden.

Bundeskanzlerin Merkel gratuliert Annegret Kram-Karrenbauer, rechts daneben Ursula von der Leyen.
Man darf gespannt sein, ob Annegret Kramp-Karrenbauer die desolate Materiallage bei der Bundeswehr verändern kann, die sie von ihrer Vorgängerin Ursula von der Leyen übernehmen musste. Rechtzeitig das Aufgabenfeld zu wechseln, das muss eine Politikerin auch können: Und – schwupps – wird aus einer unglücklich agierenden Verteidigungsministerin die neue EU-Kommissionspräsidentin. Da kann sie sich bei Emmanuel Macron bedanken. (Bild: Screenshot, Twitter, 17.7.19)

Sachgerechte Strategien entwickeln

Höhere Budgets für das Militär machen keinen Sinn, wenn sie dann in fragwürdigen Einsätzen oder unsinnigen Projekten im wahrsten Sinne des Wortes verpulvert werden. Für mich grenzt es an kleingeistigen Größenwahn, wenn europäische Staaten ohne sachgerechte Strategie überall mitmischen wollen, ohne dass die Erfolgschancen erkennbar wären. So könnte auch der Einsatz in Mali irgendwann erfolglos beendet werden. Die irische Regierung hat gerade ein Dutzend Elitesoldaten entsandt, Teile der Deutsch-Französischen Brigade sind dort bereits aktiv, allerdings nicht gemeinsam, da sich das Bundestagsmandat vom Auftrag der französischen Regierung an ihre Soldaten unterscheidet! Offiziere der Bundeswehr, die in Mali im Einsatz waren, betonten mir gegenüber, dass Aussicht auf Erfolg nur bestünde, wenn man die militärische Option auch wirklich ziehen würde. Mit halbherzigen Eindämmungsversuchen wird man islamistische Terroristen nicht wirklich besiegen können.

Und ganz ehrlich, wer möchte schon sein Leben in einem anderen Land einsetzen, wenn es keine klare Strategie gibt? So hoch ist der Sold in keinem der genannten Länder, dass man dafür sein Leben leichtfertig aufs Spiel setzen wollte. So komme ich auf meinen Grundgedanken zurück: Wir brauchen zuerst eine Analyse der vorhandenen militärischen Ressourcen und dann eine politische Bewertung möglicher Bedrohungsszenarien. Daraus können dann die Strategie entwickelt und der Bedarf für das Militär abgeleitet werden. Dabei kann sich möglicherweise ein höheres Budget zwingend ergeben, und dann wissen die Steuerzahler auch, für welche Zwecke es ausgegeben werden soll. In einer Demokratie ist nur dieser Weg zielführend.

 

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